Nachdem Daru sich von Ravana verabschiedet hatte und wieder zu seinem Freund zurück ging, merkte Ravana deutlich ihre Müdigkeit. Es war schon tief in der Nacht. Sie sah sich um und entdeckte dann in einer dunklen Ecke der Taverne eine Holzbank mit einer dünnen Strohmatratze. Dort würde sie sich hinlegen können. Es war noch immer sehr laut im Schankraum und es sah nicht so aus, als würden die ausgelassenen Männer und Frauen in nächster Zeit zur Ruhe kommen würden, doch als Ravana sich auf die Bank legte und den Umhang über sich breitete, dauerte es nicht lang und sie war eingeschlafen.

Am nächsten Morgen war alles still in der Taverne, und ein scharfer Geruch nach verschüttetem Bier lag in der Luft. Ravana setzte sich auf und sah sich um – im Schankraum sah es aus, als wäre eine Bombe explodiert. Stühle lagen am Boden, Becher waren umgekippt, Essensreste waren auf den Tischen verteilt und so mancher Gast lag mit dem Kopf auf den Armen halb auf den Tischen.
Ein großer Mann fing laut an zu schnarchen und Ravana packte der Ekel. Sie musste raus aus diesem Dunst, in die Morgensonne und frische Luft atmen.
Tario, der Wirt, war nirgends zu sehen, und Ravana wusste auch nicht mehr, ob sie ihm noch Geld schuldig war oder nicht. Sie glaubte sich zu erinnern, dass sie kein einziges Getränk bestellt hatte, sondern andere das für sie übernommen hatten und sie ihr spendiert hatten.
Sie verließ die Taverne und fühlte sich gleich wohler, als sie die warmen Sonnenstrahlen im Gesicht spürte.
Die ersten Händler waren dabei, ihre Stände aufzubauen und das eine oder andere Rind war schon auf dem Vorplatz angepflockt worden, um später verkauft zu werden.
Ravana erinnerte sich daran, dass sie am Abend mit Daru, dem Goronen, gesprochen hatte und sich heute mittag am Baum mitten auf dem großen Platz mit ihm treffen wollte.
Zuvor wollte sie jedoch noch zur Kräuterhexe gehen und sehen, ob sie den Fliegenden Teppich repariert hatte.

Ravana öffnete die Tür zum Haus der Hexe und ein Schwall grünlicher Rauch kam ihr entgegen. Sie holte noch einmal tief Luft und betrat dann widerstrebend das abgedunkelte Haus.
Die Hexe war nicht zu sehen, doch ihre Katze lag auf der Theke und hatte sich zu einem Kreis zusammengerollt.
„Hallo?“ rief Ravana zaghaft. „Madame – seid Ihr da?“
Hinter einem bunten Vorhang an der Wand hörte sie die Hexe leise vor sich hinkichern.
Nach kurzer Zeit wurde der Vorhang beiseite geschoben und die alte Frau hinkte zum Verkaufstisch.
„Soo, der kleine Gerudobastard ist wieder hier. Hast dich tapfer geschlagen in der Schlacht, wie ich so hörte...“
Die Hexe setzte sich auf einen Schemel und begann, die Katze zu streicheln.
„Ich nehme an, du willst deinen Teppich wieder haben?“
Schnell nickte Ravana mit dem Kopf. Ihr war nicht wohl hier in der Nähe der Hexe, und sie hoffte, das Haus schnell wieder verlassen zu können.
„Ja, das würde ich gerne. Habt Ihr ihn reparieren können?“
Entrüstet sah die Hexe sie mit ihren kleinen blitzenden Augen an.
„Natürlich konnte ich ihn reparieren. Hast du geglaubt, ich könnte es nicht? Nicht wahr, meine kleine Tinka, wir können jeden magischen Gegenstand reparieren..“ zärtlich strich sie der Katze über den Kopf.
„Der Teppich war sehr verwahrlost, und ich habe einige neue Fäden einweben müssen und den Teppich einen Tag lang in einer magischen Essenz eingelegt, doch jetzt geht es ihm wieder gut. Kannst du überhaupt damit umgehen, kleine Gerudo? Kennst du die Befehle, auf die der Teppich reagiert?“ Verschlagen sah die Hexe sie an.
Ravana erinnerte sich an ihr Leben bei Kamir, dem seltsamen Wüstenhändler, bei dem sie aufgewachsen war. Fast täglich hatte sie gehört, wie der Mann mit dem Teppich umgegangen war. Es waren seltsame Worte mit seltsamen Betonungen, doch sie konnte sich daran erinnern. Sie nickte.
Die Hexe kicherte.
„Gut, meine Liebe. Hier ist er.“ Sie zog unter ihrem weiten Gewand ein Bündel hervor und legte es mit bedauerndem Gesichtsausdruck auf den Tisch. Der Teppich sah aus wie neu, und als Ravana ihn berührte, war sie erstaunt über die weiche Oberfläche des Teppichs. Sie nahm ihn an sich und merkte, dass der Teppich so gut wie nichts wog. Er war leicht wie eine Feder...
„Vergiss nicht, mich zu bezahlen, Kindchen,“ mahnte die Hexe. Ravana nickte und befestigte den Teppich an ihrem Gürtel. Sie hatte ihn wieder bei sich, und er würde ihr ab jetzt gute Dienste leisten.
Danach gab sie der Hexe die 100 Rubine, wie es ausgemacht gewesen war. Die Hexe nahm das Geld zwar schnell und gierig an sich, doch Ravana merkte, dass es ihr weitaus lieber gewesen wäre, wäre Ravana in der Schlacht umgekommen, so dass sie den Teppich selbst hätte behalten können. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken und sie verabschiedete sich schnell und lief hinaus.

Auf dem Markt, auf dem inzwischen geschäftiges Treiben herrschte, kaufte sie sich ein wenig Proviant für den langen Marsch zum Tal der Gerudo. Sie ließ sich ihren ledernen Wasserschlauch mit klarem Wasser auffüllen und kaufte gepökeltes Fleisch und ein großes Fladenbrot, beides verstaute sie in ihrem großen Beutel, den sie schon besaß, seit sie ein junges Mädchen gewesen war.
Ihr Bein machte kaum noch Schwierigkeiten. Seit gestern nachmittag konnte sie auch wieder ohne Krücken laufen, und inzwischen merkte sie kaum noch etwas davon.
Schließlich setzte sie sich unter den großen Baum auf dem Vorplatz, um auf den Goronen zu warten.
Würde sie alleine reisen, könnte sie den Teppich benutzen, doch mit diesem schweren Goronen würde der Teppich bestimmt einige Probleme haben. Sie überlegte, ob sie den Teppich nicht lieber in einem Beutel verstauen sollte. Sie wusste nicht recht, ob dem Goronen zu vertrauen war und wollte es nicht riskieren, ihm ihre Wertgegenstände mehr als nötig zu zeigen. Doch nach kurzem Überlegen entschloss sie sich, den Teppich an ihrem Gürtel zu lassen. Zusammengefaltet konnte man sowieso nur schwer erkennen, um was es sich bei diesem Bündel handelte.
Hoffentlich kommt er bald, dachte sie. Wir werden sowieso irgendwo unterwegs übernachten müssen. Doch bis dahin wollte sie ein gutes Stück Weg zurückgelegt haben...