Cruentus fühlte sich total überrumpelt von den seltsamen Ereignissen, die in den letzten Minuten in Kakariko vor sich gingen. Er fragte sich, was mit Raikyu los war und warum er mitten in der Nacht auf dem Friedhof war. Nachdem sie das letzte Stückchen panisch gerannt waren, erreichten sie endlich das Tor, dass aus Kakariko hinaus und in das Reich der Toten führte.
Auf dem Friedhof war die Stimmung noch düsterer und unangenehmer als noch in der Stadt. Kein Tier kroch über die Gräber, nicht einmal der alte Totengräber machte heute seinen Rundgang. Dann entdeckten sie Raikyu. Er hockte keuchend über einem Haufen Knochengänger. Sie mussten ihn angegriffen haben, als er hier auf die beiden gewartet hatte. Aber der alte Shiekah wusste sich durchaus zu wehren. Noya rannte bereits zu ihm den Hügel hinauf. Er wirkte sehr erleichtert, endlich seinen Vater wiedergefunden zu haben. Er musste sich wohl sehr um ihn gesorgt haben.
Noyashi, Nein, das ist eine Fall...
Das letzte Wort blieb ihm im Halse stecken, als er sah, wie sein Sohn, von magischen Energiestößen durchzuckt, ruchartig zu Boden fiel. Cruentus, der die Szene von Weitem beobachtet hatte, konnte hoch am Himmel und sich nun langsam herabsenkend schon den entdecken, der für all das verantwortlich war: Lapis!
Ganz in schwarz gekleidet kam der triumphierend grinsende Shiekah auf Cruentus zu. Erst jetzt fiel diesem der leblose Körper Kiros auf, der in einer abgeschiedenen Ecke des Platzes lag und ebenfalls von leuchtenden magischen Energien gefesselt war. Er hatte seine beiden Freunde ins Verderben gestürzt. Nur wegen ihm mussten sie jetzt hier leiden. Aber er würde nicht einfach so aufgeben. Er würde kämpfen und die Ehre der Shiekah so gut es ging verteidigen. Doch dazu musste er erst einmal an Lapis herankommen. Der schwebte nämlich immer noch in zwei Meter Höhe über dem Erdboden und lachte freudig seinen Neffen an.
Wie du siehst, Cruentus, gibt mir dieses Artefakt unglaubliche Macht. Ich herrsche sogar über die Elemente. Und ich werde mithilfe dieser Macht die Shiekah wieder an die Macht bringen und wir werden über alle minderwertigen Völker Hyrules herrschen. Du könntest zu meiner Rechten sitzen, Cruentus. Du könntest mein Nachfolger werden, die ganze Welt regieren. Aber leider hast du dich ja gegen mich gestellt. Ich gebe dir also noch eine letzte Chance. Schließ dich mir an!
Zornig fletschte Cruentus die Zähne.
Niemals werde ich mich dem Mörder meiner Eltern unterwerfen. Ich werde dich töten.
Lapis lächelte müde.
Was willst du? Mich töten? Wie stellst du dir das denn vor? Ich bin zu mächtig für dich. Außerdem bist du durch die kürzliche Schlacht noch viel zu geschwächt um zu kämpfen. Versuch doch, mich zu bezwingen! Ich werde es dir beweisen.
Das war zu viel für Cruentus. Blind vor Wut stürzte er auf seinen Onkel zu. Sein Schwert über dem Kopf schwenkend, wollte er nur noch töten. Lapis töten. Das war das Ziel, das er vor Augen hatte, das einzige Ziel. Doch Lapis, der inzwischen auf den Boden zurückgekehrt war, machte einfach nur einen Schritt zur Seite, sodass Cruentus stolperte und sich den Kopf aufschlug. Blut tropfte von seiner Stirn und ließ seinen Hass nur noch wachsen. Er würde dieses Monster umbringen und niemand konnte ihn davon abbringen. Erneut rannte er los, doch diesmal war er vorbereitet auf Lapis Tricks und stieß sein Schwert statt nach vorne zur Seite. Doch der wich erneut aus, diesmal nach hinten. Er ließ Cruentus einfach nicht an ihn rankommen. Immer wieder stieß der junge Shiekah zu und immer wieder wich der Ältere ihm aus. Schließlich war er so erschöpft, dass er einfach zu Boden sackte.
Ich hoffe, du hast nun erkannt, dass ich der Mächtigere von uns beiden bin. Du kannst mich nicht besiegen. Und nun werde ich dich töten, damit du mir nicht mehr im Weg stehst. Verabschiede dich von deinen Freunden, Neffe! Du wirst sie so schnell nicht wieder sehen.
Der dunkle Schiekahfürst hob seine Hand und eine blaue Flamme glühte in ihr auf. Cruentus wurde von dem grellen Licht geblendet und konnte kaum noch die Augen geöffnet halten. Die Erschöpfung übermannte ihn. Er wollte nur noch schlafen. Nicht mehr gestört werden, seine Ruhe haben, schlafen... schlafen... Durch einen plötzlichen Aufschrei, der von Lapis kam, schreckte er wieder hoch. Unübersehbar ragte eine Klinge aus seinem Bauch, die von Lapis' Blut rötlich glänzte. Ein weiteres Schwert rang durch seinen Hals. Cruentus verstand die Welt nicht mehr. Dann entdeckte er die beiden jungen Krieger, die die Klingen in der Hand hielten. Ein Shiekah und ein Horrorkid, nein, kein Horrorkid, denn im Herzen war auch er ein Shiekah, standen zufrieden lächelnd hinter dem schwarzgekleideten Mann. Lapis musste die Gefahr, die von Noya und Kiro ausging, unterschätzt und seinen Zauber aufgehoben haben, um sich voll und ganz auf seinen Neffen konzentrieren zu können. Das war der entscheidende Fehler, den er begangen hatte. Jetzt erkannte Cruentus, was sowohl Lapis als auch er selbst immer übersehen hatten: Wenn man in Gefahr ist, kann man sich immer auf seine Freunde verlassen. Jetzt kam auch Raikyu von hinten angehumpelt und gesellte sich zu ihnen. Mühsam erhob sich Cruentus. Leise und kaum hörbar murmelte Noya, während er sein Schwert angeekelt aus seinem Gegner herauszog: Für die Ehre der Shiekah! Jetzt stimmten auch die anderen mit ein und riefen in die Stille der Nacht hinaus:

Für die Ehre der Shiekah!

Plötzlich zerfiel Lapis' zuckender Körper zu Asche.
Jetzt ist er also weg. Er wird nie wieder die letzten verbliebenen Shiekah in Gefahr bringen können.
Doch Raikyu schüttelte den Kopf.
Sei dir da nicht zu sicher Cruentus. Sein Körper mag zwar verschwunden sein, aber wer weiß zu was er noch fähig ist.
Erst jetzt entdeckte Kiro das glänzende Stück Metall, das zwischen der Asche lag. Er stolperte zu dem Haufen hinüber und nahm das kleine Stück heraus. Cruentus kam bereits auf ihn zu.
Das nehme ich jetzt an mich. Das muss so schnell wie möglich zum Tempel gebracht werden. Ich werde mich so bald wie möglich auf den Weg machen. Ich nehme an, du begleitest mich wieder, Kiro?
Natürlich, was glaubst du denn? Ich kann dich doch nicht so schutzslos in die Wildnis hinauslassen.
So war die Ehre der Shiekah vorerst gerettet und die vier, die wohl zu den Letzten gehörten, die von diesem Volk noch übrig waren, gingen müde nach Hause.