Am nächsten Morgen hatte Ravana lange geschlafen. Das Säbeltraining am Abend zuvor war sehr anstrengend gewesen, doch sie hatte gemerkt, dass es höchste Zeit gewesen war, den Säbel wieder zur Hand zu nehmen. Sie war aus der Übung gekommen, und wenn sie die Gerudo das nächste mal besuchte, wollte sie zeigen, dass sie besser geworden war, und nicht schlechter.
Nachdem sie sich aus dem weichen Bett gequält hatte, hatte sie einen Blick durch das milchige Fenster geworfen und gesehen, dass jetzt viel mehr Menschen auf den Beinen waren als am Nachmittag davor. Der Markt ist bestimmt schon in vollem Gange, dachte sie und wusch sich schnell an der Wasserschüssel.
Als sie kurz darauf die Treppe zum Schankraum hinunter kam, saßen schon einige andere Gäste an den Tischen, die vermutlich auch hier übernachtet hatte.
Ravana ging zur Theke, an der heute nicht der große, hässliche Besitzer der Taverne stand, sondern ein junges Mädchen mit weißer Schürze. Ravana kaufte sich bei ihr ein Stück Fladenbrot mit Schinken für 5 Rubine.
Anschließend verließ sie kauend die Taverne. Der Himmel war wieder blau und die Welt zeigte ihr bestes Gesicht mit leuchtenden Farben. Die Luft war frisch, aber gut und Ravana atmete tief ein.

Dann ging sie durch das Dorf Richtung Tor zur Steppe. Sie hatte richtig vermutet – wie vor einigen Tagen, als sie mit Milo schon mal hier gewesen war, war viel Volk auf dem großen Vorplatz unterwegs. Viehhändler standen an den felsigen Wänden und hatten ihre Rinder und Pferde an Pflöcken befestigt und ihre Hühner in hölzernen Käfigen übereinander gestapelt.
Bauern verkauften ihre Erzeugnisse vom Hof, Handwerker stellten ihre Waren aus und einige fahrende Händler hatten ihre Waren vor sich auf ihren Karren ausgebreitet.
Ravana hoffte, dass der Händler, bei dem sie diesen schönen Anhänger gesehen hatte, auch heute wieder da war. Doch im Grunde glaubte sie es nicht. Es war einer dieser Händler gewesen, die viel unterwegs waren und selten längere Zeit an einem Ort blieben.
Langsam schlenderte sie über den Markt und sah sich die Waren genau an.
Einige der Händler sahen sie misstrauisch und ablehnend an. Irgendwie haben sie damit ja auch recht, dachte Ravana. Habe mein ganzes Leben in der Wüste verbracht, was schon mal sehr verdächtig ist, und ich habe auch keine Reichtümer, mit denen ich ihnen Waren abkaufen könnte... Aber trauen sie mir wirklich zu, dass ich sie ausrauben würde oder irgendwas kaputt machen würde?

Nachdem Ravana sich einige Zeit um die Marktbesucher herumgeschlängelt und Blicke auf die Händler und deren Waren geworfen hatte, entdeckte sie schließlich das, was sie sich erhofft hatte.
Einen großen schlanken, schwarzgekleideten Mann hinter einem hölzernen Fuhrkarren.
Über dem Karren hatte er ein großes Stück schwarze Seide ausgebreitet, darauf lagen nur wenige Schmuckstücke, dafür aber um so feinere.
Ravana ging näher an den Wagen heran und registrierte erfreut, dass der Händler sie nicht böse ansah, sondern dass in seinen Augen sogar Erkennen aufblitzte. Er kann sich an mich erinnern, dachte sie aufgeregt. Sie nickte ihm zu und beugte sich über den Karren. Ihr Blick huschte über die schönen Ohrringe, Armbänder und Halsketten, bis er an dieser einen feingliedrigen Kette hängen blieb. Da war es, es war noch nicht verkauft!
Das goldene Triforce-Symbol zog ihren Blick an, es blitzte in der Sonne und blendete sie schon fast. Ravana sah den Händler bittend an, und der nickte leicht. Sie nahm den Anhänger und legte ihn in ihre Handfläche. Es war etwa einen Zoll groß und so dünn, dass sie Angst hatte, dass es in seine Einzelteile zerfallen könnte, wenn sie es nur falsch ansah. Von dem Symbol ging irgendwie Wärme aus, es war nicht kalt, wie Metall es eigentlich sein sollte. Freude durchströmte Ravana, sie wollte dieses Stück unbedingt haben. Lange Zeit betrachtete sie den Anhänger, prägte sich seine feinen Linien ein, machte sich das leichte Gewicht auf ihrer Hand bewusst.
Schließlich sah sie den Händler an und fragte leise: „Wieviel wollt ihr für diese Kette und den Anhänger? Er ist sehr schön...“
Der Mann nickte und sagte: „Ja, das ist er. So ein hübsches Stück gibt es in ganz Hyrule nur einmal. Der Gorone, der es schmiedete und mir verkaufte, sagte, dass er ein seltsames Stück goldenes Metall gefunden hatte und daraus dieses Stück herstellte. Natürlich ist es sehr wertvoll, mit Rubinen eigentlich nicht zu bezahlen...“
Niedergeschlagen hörte Ravana seine Worte. Mit Rubinen nicht zu bezahlen... Traurig senkte sie ihren Blick und fuhr mit dem Zeigefinger der linken Hand über das Symbol. Es kam ihr vor, als pulsiere es, als schickte es eine Botschaft durch ihre Hand...
„Aber ich sehe es, wenn ein wertvolles Stück seinen Besitzer gefunden hat. Dafür habe ich ein Auge. Und dieses Stück gehört eindeutig Euch. Niemand sonst würde es so gerne haben wollen wir Ihr, und niemandem sonst würde es so gerne gehören. Ich verkaufe es Euch für 150 Rubine. Dass Ihr so viel bei Euch habt, weiß ich.“
Ravana sah ihn überrascht an. „Ihr wisst..? Wie könnt Ihr...?“ Sie verstummte und musterte das Gesicht des Mannes. Er schien es ernst zu meinen, und er sah nicht aus, als ob er von einem seltsamen Geist besessen werde. Aber woher kann er wissen, wieviel Geld ich habe?
„Ich weiß einiges, kleine Gerudo. Und ganz sicher weiß ich, dass dieser Triforce-Anhänger Euer ist.“
Wie in Trance nestelte sie mit ihrer freien Hand ihren kleinen Lederbeutel mit den Rubinen vom Gürtel los und und gab ihn dem Mann. Für Ravana war ganz Kakariko ausgestorben, alle Menschen waren verschwunden, nur der Händler, sie und das Schmuckstück waren noch hier.
„Wer seid Ihr?“ flüsterte sie. Der Mann zog die Schnur am Beutel auf und nahm sich einige Rubine heraus.
„Ihr fragt, wer ich bin?“ fragte er leise. „Ich bin ein Händler, der Schmuckstücke verkauft. Manchmal bin ich aber auch ein Arzt, der ein Kind von einer unheilbaren Krankheit heilt, oder ein umherziehender Soldat des Königs, der einem von Wegelagerern angegriffenen Reisenden zur Hilfe eilt. Ihr seht – ich habe viel zu tun. Hier ist Euer restliches Geld. Wir werden uns wieder sehen.“
Ravana nahm den Beutel entgegen, der nun etwas leichter war.
Plötzlich war ihr, als erwache sie aus einem Traum. Eine dicke Bäuerin rempelte sie an und murmelte etwas von „faules Stück“, Flötenmusik, Kindergeschrei und die anpreisenden Rufe der Händler waren zu hören.
Ravana stand still und sah auf den Platz, an dem vor ein paar Momenten noch der Karren des Händlers stand. Der Karren, der Händler und dessen Schmuckstücke waren verschwunden, als ob sie nie dagewesen wären. Nicht mal das Gras am Boden war von den hölzernen Rädern des Karrens eingedrückt.
In der einen Hand hielt sie ihre Geldkatze, aus der Faust der anderen hing eine feingliedrige goldene Kette. Ravana öffnete die Hand und hielt den Anhänger vor die Augen. Da war er. Er gehörte ihr.