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Ehrengarde
Zum wiederholten Male runzelte Villon die Stirn. Kein Wächter hatte sich ihn in den Weg gestellt, keine allen hatten seinen Plan zu durchkreuzen versucht, kein Siegel hielt ihn davon ab in die Nähe des Tempels zu kommen. Die ganze Zeit fragte er sich warum. Es musste einen Grund dafür geben, auch wenn Villon ihn nicht sofort erkannte. Als er die Lichtung erreichte, kribbelte sein gesamter Körper und wies ihn auf die mögliche Gefahr hin, die hier lauern konnten. Wachsam setzte er einen Fuss vor den anderen und lies seinen Blick unablässig die Gegend erkunden. Villon bemerkte nichts falsches an den Ort, spürte jedoch mit den Fasern seines Seins die Gefahr, die von diesem Ort ausging. Er wusste nicht warum, doch bisher war alles viel zu einfach gewesen. Keine nennenswerten Schwierigkeiten, keine Probleme. Es fühlte sich einfach nicht richtig an. Solche Wege und Prozeduren sollten von gefährlichen Situationen eigentlich nur so wimmeln, jedoch hätte Villon kaum gezögert, um hier ein Picknick zu veranstalten. Wieder bemerkte er die beruhigende Weise des Waldes und nahm das Rauschen der Blätter stärker in sich auf als sonst.
Die Magie war hier wesentlich stärker.
Obwohl Villon um diesen Umstand wusste, war er nicht in der Lage, das Gefühl völlig abzuschütteln. Sein Geist verfiel allmählich in einen Dämmerzustand und seine Bewegungen wurden träge und ungelenk. Er ermahnte sich ständig zur Vorsicht und scheuchte seine Gedanken immer wieder auf, damit sie nicht der Starre verfallen und ihn in einen Baum verwandeln würden. Doch es war beinahe sinnlos. Je näher er dem Tempel kam, desto stärker wurde der Sog der Ruhe. Die ganze Zeit über hatte er sich nicht ausgeruht. Die Angst vor dem Zauber des Waldes war viel zu groß gewesen. Die Erschöpfung machte sich nun bemerkbar und verwandelte seine Glieder in Blei. Hatte er eben noch weglaufen können, so bewegte er sich nun langsam, beinahe gar nicht mehr. Seine Gedanken rasten nicht mehr, und seine Bemühungen, sie in Bewegung zu halten, waren vergebens.
Der Geist eines Kindes war der Schlüssel. Doch hier konnte nichts gegen den Zauber überleben.
Villon bewegte sich nicht mehr. Er konnte nicht. Versuche, seine Glieder wieder in Bewegung zu setzen, schlugen fehl, erinnerten ihn nur deutlicher an sein, schon fast bestimmtes, Schicksal. Er vermochte nicht einmal mehr in Panik auszubrechen, denn seine Gedanken realisierten seinen Zustand schon gar nicht mehr. Der Schlaf war verlockender denn je und sein Körper, ausgelaugt durch stundenlanges Wandern, schrie nach Erholung.
Vögel zwitscherten nicht und selbst der Wind hatte die Lichtung verlassen. Goldener Sonnenschein wurde ausgesperrt und ließen Villon in völliger Dunkelheit zurück. Ihm war so, als ob er hämisches Gelächter hören könnte, Stimmen, die ihm zuriefen, ihn verscheuchten und verspotteten und doch auch einluden. Er war der Magie des Waldes verfallen. Hier, an jenem Ort, der besonderen Schutz brauchte, konzentrierte sich die Macht des Dekubaumes besonders. Es brauchte keine Fallen oder Monster, die den Tempel beschützten, ahnungslose Wanderer auflauerten oder dem Bösen Einhalt geboten. Der Tempel war die sicherste Todesfalle, die man sich vorstellen konnte. Und während Villon vorn über kippte und sich dem Boden näherte, dämmerte in ihm diese Erkenntnis und blitzte kurz auf. Beim Fallen versogen sich Villons Mundwinkel zu einem ironischen Lächeln. Er hätte es wissen müssen. Doch nun war seine Aufgabe gescheitert, der Tempel war unangetastet und nichts schien Villons Gedanken wieder antreiben zu können.
Er dachte in der Geschwindigkeit eines Baumes und die Überzeugung wuchs, selbst ein Baum zu sein. Nun war es nicht mehr abzuwenden, die Verwandlung begann.
Doch irgendwo in seinem abgestumpften Geist, der langsam aber sicher die Form und Härte von Holz annahm, gab es immer noch einen Funken Bewegung. Er reichte nicht aus, um eine Kettenreaktion auzulösen und den mentalen Motor wieder in Gang zu bringen, damit Villon sich der Erkenntnis, ein Mensch zu sein, beugen könnte und somit die Verwandlung rückgängig machen könnte. Jedoch schaffte es der Funke, jenen Teil des Geistes am Leben zu erhalten, was vielleicht noch schlimmer war. Villon erkannte, was mit ihm geschah. Oh, es dauerte sicherlich um die drei Stunden, bis ein solcher Gedanke Villons hölzernes Bewusstsein erreichte und tatsächlich auf eine Reaktion zu hoffen vermochte, aber immerhin nahm er es wahr. Dafür kamen andere Empfindungen und nahmen den Platz der ersten ein. Subtile Emotionen wurden ausradiert und tiefgehende Gefühle vollends abgeschaltet. Das Gewissen wurde modifiziert und hinausgeworfen. Bäume brauchten kein Gewissen. Die Sinne stellten sich auf die neue Situation ein und nahmen dem Gehirn nun die Arbeit ab. Villon fühlte plötzlich jeden Windhauch der sich regte, jedes Zwitschern der Vöglen, die immer noch weit weg schienen und er konnte sogar Wasser unter der Erde rauschen hören. Er hätte geblinzelt, wenn er dazu noch in der Lage gewesen wäre. Die Emotionen eines Baumes waren nur auf das wesentlich reduziert und boten keinen Platz für Empfindungen jeglicher Art, die auch nur entfernt an soziale oder einfach nur menschliche Gefühle erinnerten.
Dennoch, der kleine Funken, der unaufhörlich flackerte und einen winzigen Teil von Villons Selbst beanspruchte, gab sich größte Mühe, die Starre und damit den Tod aufzuhalten. Jedoch war es etwa so erfolgreich, als ob man mit einer Kerze im Universum ein Leuchtfeuer entfachen wollte.
Gedankenfetzen schwirrten durch das Licht des Funken und weckten unregelmäßig Villons Geist auf, zumindest den winzigen Teil davon. Es reichte immer noch nicht aus, um den Verstand vollends wachzurütteln, jedoch gab der Funke nicht auf und verdoppelte seine Bemühungen, Villon ein paar subtilere Empfindungen zukommen zulassen. Die Wahl des Funken fiel auf das älteste Gefühl, das jemals gefühlt wurde. Es war sozusagen die Mutter aller Gefühle und so tief in den meisten Wesen eingegraben, dass selbst ein Baum es nicht vermochte, dieses Gefühl zu unterdrücken: Angst.
Mit winzigen mentalen Fingern tastete der kleine Funke nach den Überresten von Emotionen, schob sie beiseite und achtete stets darauf, nicht entdeckt zu werden. Immer weiter drang das kleine Bewegungsmoment vor, tief hinab zu den Urängsten, die niemals ausgelöscht oder völlig vergessen werden konnten. Der Funke öffnete die mentale Sperre und pickte sich die Angst aus, die es als richtig empfand und schwang sich wieder in die sicheren Gefilden seiner eigene Sphäre, hoch oben im Kopf von Villon, der nun mehr denn je, ein wahrer Holzkopf war oder zumindest drauf und dran war, einer zu werden. Ein mentaler Seitenblick des kleinen Funkens. Dann entlies die Angst, auf dass sie den Weg zu Villons verholzten Geist fand.
Diese Angst, befreit vom einzigen Teil Villons, das nicht der Starre unterworfen wurde, war älter alles andern Ängste. Sie war älter als die Angst vor Spinnen, älter als die Angst vor anderen Menschen. Älter als die Angst vor dem Tod.
Dunkelheit.
Und zwar nicht die normale Dunkelheit, die zwar jeder kannte, und natürlich niemand fürchtete, doch jeden dazu trieb, das Licht anzulassen und in der Nähe eines Notausgangs zu bleiben. Hier war die dunkle Dunkelheit gemeint. Die Angst fraß sich durch das hölzerne mentale Gewebe Villons und erreicht alsbald den Teil seines Hirns, der für die Steuerung des Unterbewusstseins verantwortlich war. Hier stieß die Angst zu, packte sich große Teile der Nervenenden und blies ihren tödlichen Atem darin. Sofort zuckten Blitze durch das Holz und vertrieben die eben noch hart arbeiteten Gedanken, die damit beschäftigt waren, Villon in einen Baum zu verwandeln. Vor seinem inneren Auge flammten Bilder auf, die Villon nicht verstehen konnte. Für Bruchteile einer Sekunde sah er Blut, Tot, Trauer und Wüste. Alles in einem rasenden Wechsel, ohne Sinn und Verstand, wahllos durcheinandergewürfelt. Doch all jene Bilder waren von einer Gemeinsamkeit überlappt. Mehr fühlte man es, als man es mit dem Geistigen Auge zu sehen vermochte. Etwas großes war dort präsent, immer wachsam, immer durstig, immer auf der Suche nach dem Licht. Villon vermochte eine Stimme zu hören, die ihm schieres Entsetzen in die leblosen Augen brannte. Es war eine Stimme, die jenseits des Wahnsinns weilte und dort eine eigene Realität aufbaute, eine Realität aus Wahnvorstellungen und krankhaften Wünschen.
„Steh auf! Noch ist nicht die Zeit zum Ruhen. Erfülle deine Existenz! Befreie mich!!“
Das nächste woran Villon sich erinnern konnte, waren zwei Augen, die widerlichen Hass in sich trugen und von Eiter und Schleim bedeckt waren. Bevor Villon wusste wie ihm geschah, war er bereits auf den Beinen und stand aufrecht an einen Baum gelehnt, an dem er sich erbrach.
„Wüstengeist? Bist du es? Ich hatte nicht erwartet, dass du es bis hierhin schaffst. Ich bin beeindruckt. Dass du selbst den Zauber auf dieser Lichtung entgehen konntest, ist wirklich bemerkenswert. Aber mach dir keine Sorgen. Hier kommst du nicht rein und die Wälder wirst du auch nicht mehr verlassen.“
Stählerne Härte klang in der Stimme des Mädchens, das nun auf der Treppe zum Tempel saß. Sie blickte Villon aus harten Augen an, und außer Wut war auch noch Mitleid zu erkennen, als sie hinter ihren Rücken griff und eine Okarina hervor holte.
„Es tut mir wirklich Leid. Aber ich kann nicht zulassen, dass du die Prophezeiung Wirklichkeit werden lässt. Es steht einfach zuviel auf den Spiel...“
Villon wollte etwas erwidern, doch der Klang der Flöte lies ihn verstummen. Zuerst glaubte er, dass ein weiterer Zauber auf ihn gewirkt werden sollte, doch schon bald merkte er, dass diese Melodie dazu bestimmt war, zu rufen.
Salia hatte Freundschaft mit den Tieren des Waldes geschlossen und der besondere Bonus als Weise gab ihr eine Art Macht über den Wald. Sie rief die Wesen dieser Region zur Hilfe, bat den Wald selbst einzugreifen und veranlasste sogar den Wind seinen Beitrag zu leisten.
Das Flötenspiel hätten Kenner wohl teilweise erkannt. Es war eine selbstzusammengebastelte Weise, aus der Hymne des Sturmes, Salias Lied und Eponas Lied. Die mystische Kraft der Noten war kombiniert worden um dieses Lied zu erschaffen, dass einer Waffe gleich kam, sollte es richtig eingesetzt werden. Und Salia hatte natürlich die nötigen Kenntnisse, um daraus Villons Todesurteil zu weben.
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