Sie hörte Radio, hörte jede Nachrichtensendung die sie fand, aber auch nach drei Stunden Fahrt hatte kein Sender auch nur einen Satz über das Massaker in dem kleinen Schnellrestaurant verloren. Oder über das Mädchen. Es gab kaum einen Grund das zu tun. Es war guter Nachrichten Stoff. Die Sender blähten sogar kleinere Geschichten zu Tragödien auf. Hier hatten sie eine echte!
Anna drehte das Radio ab und schaltete einen Gang runter. Sie betete, dass sie nicht angehalten wurde. Wenn es wirklich zwei echte Polizisten gewesen waren, würde sie es wahrscheinlich nicht mehr bis zu ihren Eltern schaffen. Falls sie gestoppt wurde. Sie wusste, dass ihre Sorgen wahrscheinlich unbegründet waren, aber im Moment war ihr das egal. Im Moment hieß es Scheiß auf die Logik und fahr so weit du kannst! Und das würde sie tun.
Es gibt keine Polizei.
Die Polizei ist der Feind.
Trägst du eine Uniform?
Denke ich, dass du eine Uniform trägst?
Bist du eine Uniform?
Denke ich, dass du eine Uniform bist?
Es gibt keine Uniform.
Die Uniform ist der Feind.
DREH AB!
Zweites Kapitel
Metaphork
Kilroy kümmerte sich nicht weiter um Simon. Er hatte genug Stress. Sein Blut kochte.
Er drehte sich zu dem Mädchen um.
„Wie heißt du?“
Nach einigem Stottern und heulen: Charlene. Kilroy zündete sich eine Zigarette an.
„Wir müssen zu Fuß weiter. Ich werde dir nichts tun. Ich will dir nur etwas zeigen. Es ist wichtig, das du etwas siehst.“
Er streckte seine Hand aus und lächelte so freundlich wie er konnte. Er wollte freundlich sein, aber in seinem momentanen Zustand viel es ihm schwer, nicht einfach los zu schreien
Sie zog sich zurück und wischte sich eine Träne aus dem Auge.
„Hast du den Mann auch umgebracht?“
Kilroy zog seine Hand zurück. Er sah sie ernst an.
„Ja.“
Sie schien zu überlegen.
„Warum? Ich dachte, du magst ihn.“
„Ja, ich mochte ihn. Aber er mochte mich nicht. Also musste einer von uns dem anderen wehtun.“
Nach ein paar Sekunden stille setzte er noch hinzu:
„Die Welt ist manchmal komisch.“
Sie nickte nach kurzem Nachdenken heftig.
Er lächelte und streckte seine Hand wieder aus. Sie kam aus dem Wagen geklettert, ohne sie zu beachten.
„Warum hast du meine Mami und meinen Papi umgebracht?“
„Du wirst neue Eltern bekommen. Nette Menschen. Sie sind besser als deine alten Eltern.“
Sie schwieg. Immer noch Panische Augen. Schockzustand, dachte Kilroy. Seltsam.
Er sagte:
„Gib mir deine Hand.“
Sie hielt sie ihm hin und er nahm sie. Dann gingen sie los.
Der Polizeibeamte, der Simon Leas Aussage aufgenommen hat, wohnt im Randbereich der Stadt. Er trägt keine Uniform, denn im Moment ist er zu Hause und raucht gemütlich eine Pfeife. Dabei fühlt er sich ein bisschen wie Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes. Er fragt sich, warum dieser Kilroy Simon nicht gleich getötet hat. Seine Gedanken werden von einer schwachen Dosis Haschisch angestoßen und seine Konzentration auf diesen seltsamen Fall verstärkt sich langsam, aber sicher auf einhundertundfünfzig Prozent. Als er den Pfeifenkopf erneut stopft, hält er plötzlich inne.
Es gab keine Fußspuren schießt es ihm durch den Kopf. Keine einzige Fußspur, die darauf hinweist, dass jemand in den Wald hineingegangen ist. Es hat geregnet. Aber der Regen hörte nach Simon Leas Aussage auf, bevor sie den Waldrand erreichten.
Der Boden war schlammig, aber es gab keine Fußspuren.
Das war doch so offensichtlich gewesen. Wie hatte er es übersehen können?
Die Spurenleser hätten sie in ihrem Bericht erwähnt.
Er setzt sich in seinen Sessel und zündet seine Pfeife an.
Simon Lea. Ein Mädchen. Kilroy.
Jede Menge Tote in einer Kneipe. Die einzige Überlebende entführt. Nur Kugeln aus einer einzigen Waffe.
Simon Leas erzählte, er habe nicht geschossen.
Leas, wie er sich erhebt und einen Moment lang kriege ich Angst…
Sie waren zu zweit, ganz sicher. Und das sie dieses Mädchen entführt haben, stimmt auch. Er konnte es genau beschreiben und das Foto in der Brieftasche des Vaters stimmte mit seiner Erinnerung in nahezu allen Einzelheiten überein. Bis auf die Kleidung und die Frisur, natürlich.
Wo ist Kilroy hingegangen. Und wo sind seine Fußspuren abgeblieben?
Irgendetwas stimmt hier verdammt noch mal ganz und gar nicht, Dr. Watson.
Er erhebt sich und holt das Tagebuch von Simon Leas von seinem Schreibtisch. Mein Gott, selten einen Verbrecher gesehen, der so ordentlich formuliert schreiben kann. Schade, dass vieles nicht geklärt wird. Ich hätte gern gewusst, was mit dieser Michelle alles gelaufen ist. Na ja, was soll’s. Also, wo war ich….ja genau, er kriegt das Paket, dann gucken sie zusammen den Film und dann, plötzlich, ein massiver Sprung über zwei Wochen.
Er las weiter:
„Ich sah Kilroy erst zwei Wochen später wieder, auf dem Weg zurück von der Schule. Er stand vor einem kleinen Antiquitätenhandel und betrachtete irgendetwas durch die Glasscheibe. Bevor ich unauffällig verschwinden konnte, drehte er sich plötzlich um. Er lächelte. Freundlich.
„Simon! Lange nicht gesehen!“
Seine Haut war dunkler geworden.
Ich antwortete vorsichtig:
„Hi. Ja, äh, warst du im Urlaub?“
„Kann man so sagen.“
Er klopfte auf meine Schulter.
„Hab gehört, dass du mit Michelle zusammen bist? Gut gemacht! Tut mir Leid wegen damals, ich war ganz schön Scheiße. Sorry.“
Ich blinzelte. Was jetzt?
„Ähm, schon gut. Ja, wir sind jetzt zusammen.“
„Cool. Ihr könnt ja mal vorbei kommen, wenn ihr wollt.“
„Mal sehen. Musst du nicht zur Schule?“
„Nein, ich muss dieses Jahr nicht.“
Er schwieg. Ok, ich wollte gar nicht wissen, was los war. Ich wollte nur schnell nach Hause. Er sagte:
„Ich muss los, hab meinem Dad versprochen, ihm bei was zu helfen. Grüß Michelle von mir!“
Dann war er weg.
Grüß Michelle von mir.
Ja, von wegen, du A*rschloch..“
Ok, Moment mal. Wo ist Kilroy gewesen. Dieser Typ geht nicht einfach zwei Wochen lang nicht aus dem Haus. Oder Drei. Er ist ein Adrenalin Junkie, oder?
Er senkte das Buch auf seine Knie.
Noch ein Zug von der Pfeife. Wie lange hatten die beiden keinen Kontakt? Wann hatten sie wieder mehr miteinander zu tun?
Er blätterte in dem Buch herum. Es ging noch ein wenig weiter mit Michelle, dann plötzlich waren die Seiten nicht mehr fein säuberlich beschrieben. Hier und da ein paar Grobe Skizzen, Symbole und Gesichter, nichts, was auf den ersten Blick einen Hinweis gab. Nur, das Simon Kilroy lange nicht gesehen hatte. Bis eine Woche vor dem Massaker im Restaurant. Das passt alles nicht zusammen. Wieso taucht er nach wahrscheinlich mehreren Jahren (dass Tagebuch endete mit keiner Altersangabe, aber aus dem beschriebenen war Simon beim letzten Kontakt mit Kilroy, bevor er verschwand, wahrscheinlich um die Achtzehn) wieder auf und hat nichts besseres zu tun, als seinen alten Kumpel mit in eine Schwere Gewalttätige Straftat hineinzuziehen?
Er lehnte sich in seinem Sessel zurück. Die Augen geschlossen, ließ er langsam den Rauch aus seinen Nasenlöchern fließen. Das war keine einfache Amoktat. Das war geplant. Er wollte diese Menschen alle töten. Und er hatte einen Grund dafür. Aber wie passte Simon da rein? Gehörte der vielleicht dazu und spielte ihnen nur etwas vor? Aber wenn man ohne Fußspuren zu hinterlassen in einem Schlammigen Wald verschwinden kann, warum sollte man dann… Angst gekriegt? Nein, darüber wäre er hinaus gewesen. Er war auch zu ruhig und sicher gewesen. Klar, Anfangs panisch, hatte viel Gestikuliert und so, aber das konnte gespielt sein… Was soll diese Scheiße? Ich komm da nicht mehr mit, ich kann ja nicht mal mehr klar Denken. Er machte die Pfeife aus und ging ins Bett.
Jany lag auf ihrem Bett. Durch das geschlossene Fenster konnte sie Krach hören. Irgendwelche Punks, dachte sie. Machen wieder irgendwas kaputt.
Ihr Unterleib schmerzte. Sie legte eine Hand darauf und strich über ihren Bauch. Fuck, seit zwei Tagen diese Schmerzen. Sie wollte nicht zum Arzt gehen. Sie hatte sich auf einem Friedhof f*icken lassen. Sie hatte zwei Tage herumgelegen und gar nichts getan. Sie hatte schmerzen. F*icken. Schmerzen. Etwas war da gewesen. F*icken. Etwas war in sie eingedrungen und hatte sie aufgeschlitzt. Nicht Physisch, irgendwie anders. Ihr Körper hatte sich eiskalt angefühlt. Sie rollte sich auf die Seite und presste ihre Hände zwischen ihre Schenkel. Ihr war übel. Die anderen hatten gekotzt. Sie nicht. Sie hatte vergessen, was geschehen war, nachdem die Kälte in ihr Hochgestiegen war. Keine Rettung. Sie schloss die Augen. Sie musste weg. Sie wusste es. Sie musste gehen, raus aus der Stadt. Dann würde es ihr besser gehen. Sie stand auf. Sie musste jetzt sofort von hier verschwinden. Sonst würde furchtbares geschehen.
Sie packte ein paar Klamotten ein, dann zog sie sich an und verschwand aus ihrer Wohnung.
Jany brauchte einen Tag, um genug Geld für ein Ticket zusammen zu schnorren. Sie schlief unter einer Brücke, am nächsten Tag setzte sie sich in den Zug und fuhr aus der Stadt.