KILROY
Wenn Gott alles ist, wie kann ich dann böse sein?
Charles Manson.
Nehmen wir an, ich würde dich hypnotisieren, so, dass du denkst, du hättest keine Füße, hättest du dann Füße?
Und nehmen wir weiter an, ich würde jeden Menschen auf der Welt Hypnotisieren, so, dass jeder Mensch denkt, du hättest keine Füße, hättest du dann keine Füße?
Pehantekellamundika.
Das Buch George, zweiter Abschnitt, erstes Kapitel
Mensch schrieb das Jahr Neunzehnhundertsechsundneunzig und die Erde war, in den Augen vieler der selbsternannten Herren der Welt, den Sechs Komma irgendwas Milliarden Menschen, Tot, oder zumindest im Sterben begriffen. Das Klima heizte sich weiter auf und Satelliten kreisten in ihren Bahnen um Terra. Viele Menschen hatten Angst, die Welt würde nicht weiter bestehen.
Der Glaube an Götter war durch einen Glauben an nichts oder an Technologie abgelöst worden. Das, was bewiesen und gesehen werden konnte, war existent: Punkt. Was nicht anhand von herkömmlichen Methoden gemessen worden war, existierte auch nicht. So dachten zu diesem Zeitpunkt die meisten Menschen auf Terra.
Gleichzeitig steigerte sich die Angst vor Verbrechen und die Angst vor der Zukunft unter den Jugendlichen. Diese Angst wurde von den regierenden Diktatoren bewusst gesteigert, um ein Maximum an Kontrolle zu erreichen. Gerechte Wahlen gab es nicht. Der Glaube an die Demokratie war ein Traum vom Paradies, aus dem jedes Jahr mehr Menschen erwachten.
Die Alten götter sind tot.
Die neuen Götter leben.
Im Jahre Zweitausendunddrei wurde offiziell der erste Mensch geklont. Ein Aufschrei ging durch die Menschen, doch schon nach wenigen Wochen war das denkwürdige Ereignis bereits vergessen. Die Nachrichten brachten nur eine kurze Meldung über den Tot des Kindes, und das Leben ging weiter.
Bioethik war zwar weiterhin ein Streitpunkt zwischen den Intellektuellen, aber der durchschnittliche Mensch interessierte sich maximal minimal für diese brisante Thematik.
Die Menschen, vor allem die Jüngeren, beschäftigten sich wieder mehr mit Magie. Tarot und I-Ging neben Playstation und Nintendo war keine seltene Ausnahme mehr.
Der erste Flug zum Mars wurde von der NASA geplant. Man war sich bewusst, das es noch Zehn bis Fünfzehn Jahre dauern konnte, bis dieser Traum umgesetzt werden würde, aber die Technologie entwickelte sich nicht von selbst.
Die Quantenmechanik machte weitere Fortschritte.
Neunzehnhundertsechsundneunzig zog ein Gewitter auf.
1
Man, bin ich nervös...
Hätten sie vielleicht ne Kippe für mich?
Danke.
Also diese Geschichte ist gar nicht so einfach zu erzählen. Aber mit ein bisschen Aufmerksamkeit Ihrerseits sollte es nicht so schwer für mich werden. Äh, hätten sie vielleicht noch Feuer?
Danke, Sie sind n guter Mann. Die meisten Bullen hier in der Gegend behandeln einen wie n Haufen Scheiße. Ich meine, ich bin doch genauso Mensch wie Sie, oder?
Die Schießerei? Ach ja, wo war ich? Ich hatte noch gar nicht angefangen? Oh, Sorry.
Also, dann leg ich mal los:
Das Ganze ging los, als Kilroy an diesem Restaurant hielt, Sie wissen schon, das Restaurant am Ende der South Road. Na ja, Sie sind ja selbst da gewesen. Ein kleines Gebäude auf der Linken Seite der Straße. Vorne sind ein paar Graffitis dran, von irgendwelchen Jugendlichen.
Na ja, Kilroy hält also den Wagen an. Wir sind die ganze Nacht Rumgefahren, nur so um n bisschen rumzugucken, Weiber aufreißen, Sie wissen schon.
Er sagt: „Hey Simon, was hältst du von ein bisschen Action?“
Ich dachte mir Hey, warum nicht, was soll schon groß passieren.
Wir waren beide ziemlich High, Kilroy hatte am Nachmittag ein paar Pillen und so’ n Zeug besorgt.
Ich also: „Hey klar, lass uns Action machen, Kilroy.“
Na ja, und dann kam das, was ich niemals erwartet hätte, Kilroy greift unter seinen Sitz und seine Hand kommt mit der größten Knarre der Welt wieder hervor. Er zieht den Schlitten durch und meint „na los greif ins Handschuhfach“ also greif ich ins Handschuhfach und siehe da, da drin ist eine Neun Millimeter und ich pack sie mir sehe sie an und denke Scheiße Scheiße Scheiße wo bin ich da reingeraten aber irgendwie weiß ich, das alles gut ausgehen wird. Wir machen nur ein bisschen Spaß, Har Har Har… Wie bitte?
Klar tut mir leid, ich setz mich wieder. Ham Sie noch ne Kippe? Danke schön.
Ah, das tut gut.
Ok, wo war ich? Also, ich hol die Knarre aus dem Handschuhfach.
Kilroy grinst mich an, als wenn er alle Pillen geschluckt hat die in der Tüte waren.
Später, als er dann in dem Laden so richtig durchgedreht ist, wurde mir klar, dass ich damit wahrscheinlich Recht hatte.
Niemand, der halbwegs Normal im Schädel ist, dreht so durch.
Ok, der Reihe nach. Wie Sie wollen.
Also: Wir gehen in das Restaurant, die Knarren unter den Jacken im Hosenbund versteckt. Das blöde ••••••••• Kilroy grinst nicht mehr aber ich kann sehen, dass er es nur schwer unterdrücken kann. Es ist’ n echter Drecksladen, die Scheiben sind alle irgendwie Milchig vom Staub und so, und die Luft stinkt total nach Rauch, ich meine, ich bin Raucher, aber das da drin war wirklich kaum auszuhalten. Außerdem riecht’ s unter dem Rauch nach Pisse. Ziemliche eklige Angelegenheit also, dieser Laden. Weiß nicht, warum die sich Restaurant nennen dürfen.
Egal, Kilroy und ich gehen zur Theke, Kilroy bestellt zwei Bier. Der Barkeeper guckt’ n bisschen komisch, als würde er sich Wundern, neue Gesichter in dem Laden zu sehen. Irgendwie scheint er zu peilen, dass etwas nicht stimmt und guckt Kilroy einen Moment lang so an, das ich denke Jetzt sagt er jeden Moment das wir abhauen sollen, aber er tut’s nicht. Er dreht sich um und zapft das Bier. Aber er beobachtet uns im Spiegel. Ich kann ihnen sagen der hatte keine Angst. Ich glaube der hat darauf gewartet uns rauswerfen zu können, aber, verdammt noch mal, mit dem was dann kam hat das arme ••••••••• nicht gerechnet. Nicht mal ich habe damit gerechnet. Scheiße, ich glaube Kilroy selbst hätte nicht damit gerechnet. Na ja, vielleicht hat er es unterbewusst gespürt, aber er hat es bestimmt nicht geplant oder so.
Also der Barkeeper dreht sich wieder um und schiebt uns das Bier rüber. Kilroy nimmt einen Schluck, aber mir ist der Durst irgendwie vergangen. Kilroy grinst und sagt: „Hey, Sim, nimm nen Schluck, du Weichei.“ Also trink ich auch nen Schluck, aber es Schmeckt mir nicht, nein, es Schmeckt mir ganz und gar nicht. Nichts von all dem Schmeckt mir, und ich will nur noch zurück ins Auto, Nachhause, vielleicht n bisschen Gras rauchen und Fernsehen gucken oder von mir aus auch nen Zigaretten Automaten knacken oder mich mit Hulk Hogan anlegen, alles nur das hier nicht. Es stimmt so einiges nicht, und mein Magen spürt das.
Könnt ich nen Schluck Wasser haben? Danke.
Ich hatte Angst das kann ich ihnen sagen. Ich hatte noch nie vorher solche Angst gespürt, und ich glaube nicht, dass ich jemals wieder solche Angst haben werde wie in dieser Nacht.
Der blöde Barkeeper glotzt immer noch Kilroy an und ich denke du blöde Mistsau guck weg oder er legt dich um!
Aber die blöde Mistsau guckt weiter.
Kilroy sieht ihn an, lächelt, zieht die Pistole und schießt ihm ins Gesicht.
Ich spucke einen Mund voll Bier auf den Boden und springe einen Meter zurück.
Kilroy lacht, dreht sich um und fängt an die wie versteinert da sitzenden Gäste abzuballern.
Ich glaube, wenn ich in diesem Moment reagiert hätte, hätte er mich auch noch erschossen. Er behielt mich im Auge während er einen nachdem andern erschoss. Es war wie in einer Schießbude. Leute sprangen auf, wollten zur Tür rennen und fielen nach drei Schritten getroffen zu Boden. Kilroy hatte zwei volle Magazine in den Taschen seiner Jacke. Das sah ich, als er sich umdrehte um einem kleinen Mädchen in den Kopf zu schießen. Die Magazine waren in den Innentaschen seiner Jacke festgeklemmt. Er hatte also doch irgendetwas geplant. Vielleicht hatte er erst nur ein paar Leuten Angst einjagen wollen. Mit seinem Waffenarsenal angeben. Aber dann...
Das kleine Mädchen, sie ist acht oder neun, wird einfach weggeschleudert, als wäre sie von einem Riesenhammer getroffen worden. Eine Frau schreit auf und ich denke Das ist ihre Mutter. Dann schießt Kilroy ihr den halben Schädel weg. Die ganze Zeit stehe ich da und beobachte das Gemetzel, sehe wie Flaschen explodieren, Suppenteller zerplatzen und rote Blutspritzer die Tische und Stühle besprühen.
Inmitten dieses Festes der Zerstörung steht Kilroy. Lachend. Er lädt ein neues Magazin in die Waffe. Meine Chance. Aber ich kann mich nicht bewegen. Er hebt die Waffe und feuert weiter. Obwohl längst alle tot sind.
Dann ist plötzlich alles ruhig. Kilroy kichert leise in sich hinein. Als hätte ihm jemand einen Witz erzählt, dessen Pointe ein klein wenig unterhalb der Gürtellinie liegt.
Dann plötzlich ein Schluchzen. Leise, aber hörbar.
Kilroy kommt zu mir und nimmt mir die Kanone weg. Er hält sie mir an den Kopf und sagt:
„Das du mir ja keinen Scheiß machst, Simon“
Ich kann ihnen sagen, in diesem Moment denke ich nicht mehr. Ich überlebe nur noch. Versuche es.
Ich höre meine Stimme.
„Ne Kilroy, ich doch nicht.“
Er dreht sich um und guckt zu einem Tisch ganz hinten, neben dem Eingang zu den Toiletten.
Er geht los, schlendert hinüber, und ich traue meinen Ohren kaum als ich höre wie er zu Pfeifen beginnt.
Er bleibt vor dem Tisch stehen.
„Hey du. Komm raus.“
Wieder ein Schluchzen.
„Brauchst doch keine Angst zu haben. Dir passiert nichts.“
Ein weiteres Schluchzen, dann kommt jemand unter dem durchlöcherten Tisch hervor. Das Gesicht ist von Glassplittern und Essensfetzen gesprenkelt. Eine dünne, zittrige Stimme sagt:
„Tun Sie mir bitte nichts. Ich will auch lieb sein.“
Ein kleines Mädchen. Sie hält die Hand einer Frau fest in ihrer eigenen.
Kilroy nimmt ihre freie Hand und zieht sie von ihren toten Eltern fort.
Er sieht mich an.
„Hey, Simon, wir haben eine neue Freundin!“
Ich falle auf die Knie und übergebe mich.
Hey, könnte ich kurz auf’ s Klo?
Nur ganz kurz.
Vielen Dank.
Also gut. Machen wir weiter.
Ich muss ihnen ja alles erzählen.
Ja, ich weiß, dass Sie einen harten Tag hatten. Meiner war auch nicht gerade leicht.
Aber Sie wollten das doch alles hören, oder?
Kilroy, das Mädchen und ich sind zum Auto zurückgegangen.
Die kleine ist vielleicht zwölf oder dreizehn und sie hat schreckliche Angst. Sie kennt so was wahrscheinlich nicht mal aus dem Fernsehen. Oder vielleicht doch. Heutzutage kann man ja nie wissen, richtig?
Sie weint die ganze Zeit, aber gibt dabei keinen Ton von sich. Ich glaube, das hätte Kilroy auch nichts ausgemacht. Er war so durchgeknallt, dass ich inzwischen glaube, dass er gar nicht mehr mitgekriegt hat, was um ihn herum ablief.
Ich machte mir keine Sorgen um ihn. Ich machte mir Sorgen um mich. In dem Moment war mir egal was mit dem Mädchen geschah, Hauptsache, ich kam da Lebend raus. Schon mal in so einer Situation gewesen, dass ihnen alles egal war, solange Sie davonkommen?
Er fuhr ein Stück aus der Stadt raus und bog dann in einen Feldweg ab. Der Feldweg führt zum Wald der ganz nahe am Stadtrand liegt. Er hatte beide Waffen und war auf dem Weg in den Wald. Mit mir und einem kleinen Mädchen das schreckliche Angst hatte und das völlig mit dem Blut ihrer Eltern bespritzt war. Die er getötet hatte.
Glauben Sie mir, ich hatte furchtbare Angst.
Ich weiß noch, dass der Mond schien. Kein Vollmond, Halbmond. Die Bäume zeichneten sich gegen den Dunkelblauen Himmel ab und der Wagen raste über die holprige Straße. Es ist ein Wunder, dass wir nicht im Graben gelandet sind.
Das Mädchen hat aufgehört zu weinen und wiegt ihren Körper jetzt langsam zu einem Rhythmus vor und zurück, den nur sie hören kann. Schock denke ich.
Ich hatte keinen Schock. Na ja einen Leichten, aber nicht so wie sie. Ich konnte noch klar denken, etwas durcheinander zwar, aber es reichte. Und ich konnte antworten, wenn Kilroy mich etwas fragte. Was sehr wichtig war. Hätte ich nicht geantwortet, egal auf was für eine Frage dann hätte er mir den Kopf weggeschossen, wie der Mutter des kleinen Mädchens, das durch das Restaurant gelaufen war.
Wenn er also fragte, ob mir die Musik von seiner Kassette gefiele sagte ich Ja, auch wenn sie mich mehr als alles andere ankotzte. Bei dieser Heavy Metal scheiße kann man doch nicht vernünftig denken.
Als er mich fragte, ob ich wisse was er vorhabe, sagte ich Nein aber ich bin gespannt.
Ich wusste immer wie ich mit Kilroy umzugehen hatte. Und wenn er mich, nachdem er schätzungsweise 25 Leute gekillt hatte, fragte, ob ich wisse was er mit der zwölfjährigen auf dem Rücksitz vorhatte, dann lautete die Antwort nicht Ja, du willst sie •••••• und dann umlegen, sondern Nein, aber ich bin gespannt.
Wir fuhren schätzungsweise eine Viertelstunde lang immer tiefer in den Wald und hielten schließlich auf einer kleinen Lichtung an.
Eine Zigarette? Ja, Danke.
Wissen Sie, ich glaube, ich werde diese Nacht niemals vergessen. Ich kann mich noch genau an alles erinnern. Ich hoffe, ich vergesse irgendwann.
Diese Zigaretten sind echt gut…
Als Kilroy ausstieg, hatte ich einen Moment lang die Möglichkeit, an eine der Waffen zu kommen. Aber ich ergriff diese Chance nicht. Ich war zu sehr auf mein überleben bedacht.
Ich sah einen Moment lang vor meinem geistigen Auge wie er mir die Waffe aus der Hand schlug und mir in den Kopf schoss. Also ließ ich es.
Ich stieg aus und beobachtete ihn wie er das immer noch unter schock stehende Mädchen vom Rücksitz zog und sie neben das Auto stellte. Sie blieb einfach stehen, die Arme an ihren Seiten baumelnd, der Blick starr geradeaus gerichtet.
Kilroy sah mich an. Er grinste, hob die Waffe und richtete die Mündung auf mich. So blieben wir ein paar Sekunden lang stehen. Ich sah ihm in die Augen und grinste zurück, so gut ich konnte.
Nach endlosen Augenblicken drehte er die Waffe um und schob sie mit einer schnellen Bewegung über das Autodach. Daher stammen die frischen Kratzspuren die ihre Leute auf dem Wagen entdeckt haben.
Ich fing die Pistole auf, und salutierte immer noch grinsend damit. Ein alter scherz zwischen uns beiden. Das hatten wir immer mit unseren Spielzeugpistolen getan, als wir noch Kinder waren. Ich hoffte, er würde darauf reinfallen. Als ich die Waffe auf ihn richtete und abdrückte, ertönte nur ein Hoffnungsraubendes Klicken. Ich versuchte es noch mal.
Dann senkte ich die Waffe. Er hatte das halbvolle Magazin gegen das leere ausgetauscht während ich aus dem Wagen gestiegen war. In diesen drei Sekunden hatte ich das Spiel bereits verloren. Er hatte mich getestet und ich hatte verloren.
Er hob seine Waffe und feuerte. Ich spürte einen stechenden Schmerz in der Brust und fiel zu Boden. Dann hörte ich das Knallen der Autotür. Der Wagen fuhr den Weg zurück, den wir gekommen waren.
Es ist kalt hier draußen, lassen Sie uns reingehen. Da darf man zwar nicht rauchen, aber es ist warm und ich kann mich hinlegen.
Kilroy hat das Mädchen. Ich bin im Krankenhaus und er hat keine Ahnung, dass ich noch
Lebe.
Ich glaube nicht, dass er sie so bald töten wird. Oder sie, Sie wissen schon. Ich habe keine Ahnung, was er vorhat. Oder ob er überhaupt etwas vorhat. Ich weiß nicht, warum er in dem Laden so abgedreht ist.
Aber das hier ist noch lange nicht vorbei.
Das weiß ich.
Sie haben mein Geständnis, meinen Bericht, oder wie immer Sie das auch nennen wollen.
Lassen Sie mich jetzt allein.
Ja, wenn mir noch etwas einfällt, sage ich es ihnen.
Auf Wiedersehen.
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wer mehr will solls sagen.