hab lange Zeit keine meiner "Denkanstöße" mehr aufgeschrieben,
jetzt kommt mal wieder eine...bin mir selbst sehr unsicher,obs nun gelungen ist oder nicht.
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Mensch sein
"Was fehlt mir denn jetzt noch? Milch habe ich, Kaffe, Zucker... Aufbackpizza, Aufbackpizza brauche ich noch." Diese leise gemurmelten Worte schwappen wie eine Welle, warm zwischen den übermannshohen kalten Kühlregalen, schwemmen die zerdrückten Salatblätter, auf dem heute morgen um kurz vor acht gewischten, seit Jahren schon gekachelten Boden, einfach weg. Sie übertönen die kaufanregend trällernde Supermarktmusik um schließlich am Spirituosenregal zu branden.
Dort schreckt eine Frau auf, die gerade dabei ist, immer mit einer Hand ins Regal greifend mit der anderen Hand das vorher gegriffene in den Wagen stellend, ihren Einkaufswagen mit Weinbränden zu füllen. Sie hebt langsam, schwer, wie benommen, den Kopf und schaut sich nach dem Mensch um.
Sieht ihn auch, vorübergebeugt über seinen Wagen, wahrscheinlich wieder seinen Einkaufzettel studierend.
Den kenne ich doch, denkt sie sich, als sie seine dicke Daunenjacke bemerkt, die ihn vollkommen einhüllt. Bei dem Anblick zerrt sie sich selber ihre Daunenjacke zurecht, die es im Moment überall im Angebot gibt, und öffnet sie sogar ein wenig.
"Aufbackpizza habe ich jetzt, was brauche ich denn noch?" Eine zweite kleine warme Welle schlägt über die Kacheln zu ihr herüber. Den kenne ich doch, denkt sie und macht sich unvermutet mit ihrem Wagen auf, die vielen Flaschen schlagen dabei gegeneinander, das Vorderrad rechts dreht sich immer schneller, verursacht klagend, kratzende Geräusche und erfüllt die Aufgabe einer Sirene wie auch die eines Blinklichts.
Er scheint aber weder die Sirene noch das Blinklicht des Wagen wahr zu nehmen.
Mit dem Gedanken: Den kenne ich doch, fährt sie rigoros einfach dem Mann hinten in die Hacken.
"Oh, Entschuldigung", sagt sie leise, und als er sich umdreht, hellauf erfreut: " Ach du bist das."
Der Mann schaut weder verblüfft noch erschreckt. "Ja, Hallo", antwortet er, "lange nicht gesehen" und nach einiger Zeit, in der er denkt: Die kenne ich nicht, und sie ihn nur anstrahlt, fügt er hinzu: "Wie geht’s dir denn so?"
"Besser könnte es mir gar nicht gehen", floskelt sie los, dabei denkt sie: Den kenne ich doch.
"Schön zu hören, mir geht es auch ganz prima", erwidert er auf die ungestellte Frage, dabei denkt er: Die kenne ich nicht. "Du, ich habe jetzt eigentlich gar keine Zeit, aber wir sollten uns mal wieder zusammensetzen wie damals, bisschen Kaffe und Kuchen und so."
"Ja gern", sagt sie." Bin auch gerade etwas in Eile. Wir telefonieren einfach mal, ja?"
" Auf jeden Fall."
"Also, mach's gut, gell?"
"Ja, du auch. Tschüs dann."
"Tschüs."
Sie zuckelt mit ihrem Einkaufswagen in Richtung Kassen, das Rad dreht sich dabei nicht mehr.
Er beugt sich wieder über seinen Wagen und in fröhlichem Singsang ertönt: "Was brauche ich denn noch?", dabei denkt er: Die kannte ich nicht.
Den kannte ich, sagt sie, als sie mit dem Bezahlen fertig ist, dann schiebt sie ihren Wagen durch die automatisch öffnenden Glastüren, durch die viele Daunenjackenträger hineindrängen, schließt noch mal ihre eigene Daunenjacke, und tritt ins Freie.
Es ist Sommer.