Ewa sah nichts mehr und ihr Körper fühlte sich an,
als hätte die Seele diesen sinnlosen Ballast von sich geworfen.
"Folge mir."
erklang die harmonische, aber emotionslose Stimme hinter ihr.
Als das Mädchen die Augen zusammenkniff, erkannte sie plötzlich Strukturen einer seltsamen Umgebung. Farbloses, kaltes Gestein bildete ein Gebirge, und dunkle, weinrote Gräser bedeckten den Hang, auf welchem Ewa stand. Der Himmel strahlte in diesem Moment schwarz und leise Töne, wie von einem misslungenen Triangelspiel, schlichen sich in ihre Ohren.
Eine leichte Brise strich durch ihr Haar, und plötzlich bemerkte sie, wie das Gras vor ihr begann, sich um ihre Beine zu winden. Dunkle, weinrote Dornen verließen die Stängel, verletzten das Mädchen aber nicht. Ewa fürchtete sich nicht, und als sie sich umdrehte, erkannte sie eine wunderschöne Frau, die so nah neben ihr stand, das sich ihre Arme berührten. Sie hatte sie nicht einmal gehört, und auch jetzt spürte sie nicht einen Atemhauch, der die vollen, roten Lippen der Frau verließ.
"Sei willkommen, Ewa."
Freundlich drückte ihr die Fremde eine Rose in die Hand, aber sie war schneeweiß, wie der Glanz des Mondes.
Schneeweiß.
In diesem Augenblick bemerkte sie, wie die Musik langsam schneller wurde und das Klingen wuchs rasch zu einer Melodie heran. Dann fielen Flocken. Weiße Flocken fielen vom Himmel herab und bedeckten den Boden um Ewa, aber das Mädchen selbst spürte nicht eine von ihnen auf ihrer Haut, wie es sonst gewesen war, in den kältesten Wintern der letzten Jahre.
Wie eine weiße Decke bedeckte der Schnee den Hang und das Weinrot der Pflanzen vermischte sich mit dem hellen Frost.
"Komm, mein Kind, wir machen eine Reise. Zieh dich warm an. Es wird eine lange Reise."
Die Blumen, die auf dem Boden wuchsen, begannen plötzlich zu blühen, und in einem dunklen Rot leuchtende Rosenblüten krochen behutsam an Ewas Körper herauf. Die Fremde drehte sich um, und für einen Augenblick schien ein Lächeln ihr Gesicht zu verlassen. Daraufhin tanzten die Rosen auf und ab, und als die leise Triangelmusik ihren Höhepunkt erreichte, windeten sich die Blütenblätter wie eine Schale um den Körper des Mädchens, um einen Moment darauf einen wunderschönen Mantel aus Rosen zu bilden.
"Komm! Ich zeige dir deinen Weg!"
Kurz zögerte Ewa, dann folgte sie der Fremden, die leichten Schrittes den Hang herabging. Ihre Füße hinterließen rote Fußabdrücke im Schnee und erst nach einem langen Weg, der Ewa, obwohl er verwunderlich leicht zu bewältigen war, wie eine Ewigkeit vorkam. Der Schnee fiel noch immer, und die leise Triangel Musik erklang jedes Mal, wenn eine der silbernen Flocken den Boden berührte.
"Denn wo es schneit, kann nur ich die Blumen blühen lassen..."
Irgendwann während des Marsches nahm Ewa ihre Geige hervor und stimmte in das melancholische Spiel der Schneeflocken ein. Die hübsche Frau, welche neben ihr ging, lächelte sie an und strich ihr mit einer weißen Hand über den Kopf.
"Dein Spiel ist wunderschön. Selbst die Melodik der Flocken kann ihm nicht das Wasser reichen. Siehst du, wie sich die Kälte lüftet?"
Das Mädchen drehte sich um und entdeckte tatsächlich einen Pfad aus dunklen, roten Rosen, die ihren Weg bedeckte, und nun legte sie den Bogen abermals an und spielte lauter. Mit der Zeit schmolz der ganze Schnee und gab den Blick auf eine neue Landschaft frei.
"Nun gut, Ewa. Meine Aufgabe endet hier. Nun finde, was du suchst. Ich bin die Rosenprinzessin. Und ich möchte dir etwas schenken, von dem nicht viele Menschen in dieser Welt zehren können."
Mit diesen Worten wandte sich die Prinzessin ab und verschwand in einem großen Gewächs aus dornigen Blumen. Doch dort, wo sie verschwunden war, glitzerte etwas, inmitten der dunklen Gewächse.
Eine Rose, so rot wie Blut, wuchs dort, inmitten der Dornen und Sträucher. Ewa wusste nicht, was dies zu beduten hatte, aber sie nahm die Blüte an sich und drückte sie an ihre Brust, um die Wärme der leuchtenden Blume zu spüen.
Wunderbar fühlte sie sich an, wie etwas,
das längst vergessen war...
"Der Liebsten
die Roten,
Die Weißen
den Toten."