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Thema: Weihnachtscontest [Storys]

Baum-Darstellung

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  1. #2

    #1

    Schnee ist ein Niederschlag, der aus feinen Eiskristallen besteht. Sagt zumindest die Wissenschaft.
    Doch diese Behauptung ist mehr als überholt. In Wirklichkeit ist Schnee nämlich ein Lebewesen, wie alles andere auf dieser Erde, wenngleich nicht auf den ersten Blick erkennbar. Doch, es stimmt, Schnee lebt, warum sonst sollte er fliegen, altern und sprechen können? Nein? Ihr denkt Schnee kann nicht sprechen? Dann seid ihr wohl nicht nie in einen wahren Schneesturm geraten. Eine Flocke für sich allein schweigt, aber wenn sie zahlreich sind und aufgewühlt, hört das geübte Ohr sie flüstern. Für den rationalen Wissenschaftler mag es wie Wind klingen, doch es sind wahrhaftig die aufgeregten Flocken, die nach ihren Freunden rufen, ausgelassen plaudern oder nach ihren Eltern suchen. Ja, als kleiner Eiskristall führt man wahrlich kein leichtes Leben: Wobei warme Temperaturen seelischen Fall bis zur Selbstaufgabe mit sich bringen, birgt ein kühles Klima etliche physische Strapazen, unachtsam werden die kleinen Wesen zertreten, als Wurfgeschosse missbraucht und nicht selten auf engstem Raum in Form illustrer Figuren zusammengepfercht. Den westlichen Flocken ist dabei eine besonders schwere Last auferlegt worden. In der biologischen Rangordnung zwar noch über den Regentropfen, müssen sie dennoch zwei Drittel des Jahres hoch über den Wolken verbringen, bis sie dann im Winter vollkommen unterkühlt auf die Erde hinabschweben. Wenn das Wetter dann auch noch mitspielt und kalte Temperaturen als Vasallenkönige einsetzt, sind die armen Flöckchen gezwungen, ihr Dasein die Zeit bis zum erlösenden Frühjahr in dieser stressreichen Unterwelt zu fristen. Der Schnee im tiefen Norden der Erdkugel hat da eine weitaus bessere Karte gezogen. Obwohl, nein besser gesagt gerade weil den Großteil des Jahres Minusgrade herrschen, hat sich die weiße Gemeinschaft mittlerweile angepasst und empfindet dieses eisige Klima als weniger unerträglich. Auch um ihr körperliches wohlergehen ist es besser bescheert, die Jugend dort empfindet den ständigen Begleiter Schnee als weniger spektakulär, weshalb ihm nervenaufreibende und schmerzhafte Vergewaltigungen größtenteils erspart bleiben.

    Doch kehren wir wieder zu den westlichen Flocken zurück. Eigentlich wollte ich nämlich eine gänzlich andere Geschichte erzählen, nur begrenzt abhängig von obiger Einleitung. Was ich anmerken wollte, ist, dass ich der Meinung bin, das der Schnee als ebenso fühlendes Lebewesen eine weitaus bessere Behandlung verdient hat. Denkst du nicht?
    Vielleicht würde das auch ein Ende des Schneestreiks mit sich bringen... Ja, der Schneestreik! Davon wollte ich auch noch erzählen. Wie jeder andere auch mit dem derart grob umgesprungen wird, haben nämlich auch die sonst so beugsamen Schneeflocken keine Lust mehr dazu, ein unbezahltes Spielzeug zu mimen, was dazu führte dass sie vor etwa einem Jahr beschlossen ihre Arbeit vorerst niederzulegen. Zumal diese des öfteren sogar in Verrufenheit gerriet:
    Die undankbare Autofahrergesellschaft befand sich zu Beginn der Weihnachtsferien letzten Jahres in allgemeiner Aufbruchsstimmung, alle Koffer waren gepackt, die Skier auf's Dach geschnallt, es hätte losgehen können, wenn da nicht ein rebellische Gruppe von Terrorflocken gewesen wäre, die mit bösartiger Absicht auf alle Autobahnauffahrten niederschoss, um den in ihren Augen garstigen Menschen einen gewaltigen Strich durch die Rechnung zu machen.
    Mit Erfolg, etliche überraschte Fahrzeuginhaber lenkten ihre Wagen rutschend in den sicheren Tod Leitplanke.
    Wütende Autofahrer stießen noch neben ihrem verformten Wracks Fluchsalven in Richtung Himmel aus. Der friedlebende Teil der weißen Kristalle sah dies missverständlicherweise als ungerechtfertigte Beleidigung an und entschloss sich kurzerhand das nahestehende Weihnachtsfest in sicherer Enfernung zu verbringen. Als dann der heilige Abend gekommen war, sahen sie von oben herab in die enttäuschten Augen der Menschen, die immer noch auf eine weiße Weihnacht hofften. Doch bis heute haben sich die streikenden Flocken noch nicht wieder blicken lassen, obwohl es ihnen bis jetzt trotz aller Umstände letztendlich immer eine Freude war, die strahlenden Gesichter der Kinder zu sehen, die sorgsam und liebevoll mit dem Schnee spielten und dabei nicht selten ein rührendes „Dankeschön“ in Richtung Himmel als Belohnung aussprachen.

    Ja, ihr seht schon, die derzeitige Situation ist auch für den Schnee nicht befriedigend und ich bin mir sicher die Flöckchen ließen sich überreden dieses Jahr mal wieder vorbeizuschauen, wenn wir ihm versprechen, ihn als lebendige und ehrenhafte Daseinsform zu respektieren...

    Geändert von Mopry (06.12.2004 um 20:22 Uhr)

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