-
General
Die Geschichte von Jakob und dem Schneedrachen
Draußen tobte ein mächtiger Schneesturm. Der Schnee schlug gegen die Fenster und der kleine Simon lag nach Luft röchelnd und schweißgebadet in seinem Bett. Besorgt sah sein Vater Jakob auf ihn herab. Wieso hatte ich nicht besser acht gegeben? warf sich Jakob vor. Hätte ich nur besser aufgepasst, wäre es nie so weit gekommen.
Simon hatte, während sein Vater ein paar Minuten nicht auf ihn achtete, einige der gefährlichen Schneebeeren genascht. Der Kleine hatte in diesem Moment natürlich nicht gewusst, dass die für ihn so wohl schmeckenden und süßen Beeren extrem giftig waren. Jakob hatte seinen Sohn neben einem Schneebeerenstrauch gefunden. Er wusste sofort, was sich zugetragen hatte.
Und nun wartete er auf den Dorfarzt, doch bei diesem Schneesturm, der draußen tobte, wäre es ein Wunder, würde er noch vor dem Morgen auftauchen. Doch dann pochte es an der Tür. Hastig ließ Jakob den Arzt in das warme Zimmer.
Jakob erhoffte sich von der Untersuchung nichts Neues. Sein Verdacht, dass er die Beeren gegessen hat, wurde vom Arzt bestätigt. Die Diagnose lautete ohne jeden Zweifel Schneebeerenkrankheit, und was das bedeutete, war beiden wohlbekannt. Simon hatte vielleicht noch 2 Wochen zu leben, mit etwas Glück auch einige Tage länger.
Die beiden Männer standen bedrückt vor dem Bett. Eine unbehagliche Stille machte sich breit. „Gibt es denn wirklich nichts mehr das wir für ihn tun können? Er ist der einzige den ich noch habe. Ich bin bereit alles zu riskieren um ihn zu retten. Ich habe seine Mutter schon verloren, nicht jetzt auch noch ihn“, meinte Jakob und brach damit das unangenehme Schweigen. „Die Schneebeerenkrankheit ist unheilbar. Das einzige was du noch für deinen Sohn tun kannst ist ihn zu begleiten!“, antwortete ihm der Arzt betroffen.
„Bist du dir auch wirklich ganz sicher?“, fragte Jakob noch einmal. Der Arzt machte eine nachdenkliche Miene. „Hmm….“, gab er von sich und stütze seinen Kopf mit seiner Hand, „Ich habe einmal von einem Heilmittel gehört, das durch die bloße Berührung mit dem Patienten ihn von all seinen Krankheiten und körperlichen Gebrechen heilen soll.“ „Was ist das für ein Mittel? Wo kann ich es finden?“, fragte Jakob. „Das ist ja gerade das Problem, du wirst es wahrscheinlich nicht finden. Das mittel ist nämlich die Feder eines Schnee … Drachens!“, meinte der Arzt. Er sprach das Wort Drache mit einer unvergleichlichen Ehrfurcht aus, dass es Jakob zusammen zucken ließ.
„Eine Drachenfeder?!“, fragte er verwirrt und erschrocken zugleich. „Du hast mich schon richtig verstanden. Wir benötigen eine Drachenfeder. Unser Problem ist, wir brauchen sie bald, und die letzten Drachenberichte liegen schon Ewigkeiten zurück. Laut einigen Gerüchten soll aber noch ein letzter Schneedrache auf der Spitze des Nebelgebirges leben. Aber wahrscheinlich sind das nur Legenden!“
Jakob sah aus dem Fenster in die stürmische Winterlandschaft hinaus. Seine Blicke verharrtem auf einem großen weißen Berg, der Nebelgebirgsspitze.
Jakob wand sich ruckartig wieder dem Arzt zu. „Ich breche gleich auf, aber ich muss dich noch um etwas bitten. Würdest du auf meinen Sohn acht geben?“, meinte Jakob energisch während er ein paar Sachen in einen großen Rucksack warf. Der Arzt nickte ihm nur stumm zu, er wusste sowieso, dass er nicht den Hauch einer Chance hatte, ihn von diesem Himmelfahrtskommando abzubringen. Allein schon das besteigen des Nebelgebirges war schon eine Sache, die selbst einen geübten Bergsteiger an seine Grenzen treiben konnte. Dann aber auch noch einen Schneedrachen zu finden, diesem imposanten Geschöpf gegenüber zu treten und ihm eine seiner Federn abspenstig zu machen war ein Ding der Unmöglichkeit. Es gab nicht mal eine Garantie dafür, dass es überhaupt noch einen lebenden Schneedrachen im Nebelgebirge gab. Aber es würde alles nichts helfen, solange es noch einen Funken Hoffnung gab, Simon zu retten, würde sich Jakob an diesen Hoffnungsschimmer hängen und alle Hebel in Bewegung setzen um seinen Sohn zu retten.
Jakobs Rucksack nahm enorme Ausmaße an. Es war zwar nicht negativ, weil es davon zeugte, dass er an alles was nötig war, den Berg zu besteigen, gedacht hatte, aber nicht nur die Ausmaße des Rucksacks waren gewaltig, sondern auch sein Gewicht. Hastig zock er sich dicke Sachen und feste Schuhe an. Im Freien herrschte schon eine Kälte, aber je höher er kommen würde, desto schlimmer würde auch die Kälte werden und das wusste er.
Jakob schulterte den mächtigen Rucksack als wäre er federleicht und trat zur Haustür. Er warf noch mal einen Blick zurück zu seinem kranken Sohn und seinem gutem Freund, dem Arzt und flüsterte zu sich selbst: „Bald wirst du wieder gesund sein, mein Sohn!“
Er öffnete die Tür und ein Schwall eiskalter Luft blies Jakob ins Gesicht. Dann lief er in schnellen Schritten in Richtung des Fußes des Nebelgebirges.
Das Nebelgebirge zu erklimmen erwies sich als viel schwerer, als Jakob es sich zuerst vorgestellt hatte. Nur zu oft löste sich der weiche Pulverschnee unter seinen Füßen und er rutschte wieder einige, mühsam zurückgelegte Meter nach unten. Auch der Schneesturm, der nicht an Kraft verlieren wollte, machte es Jakob nicht gerade leicht voran zu kommen. Kaum seine eigene Hand konnte er bei dem Schneegestöber erkennen, geschweige denn sein Ziel, den Gipfel.
Doch Jakob ließ sich davon nicht entmutigen. Wildentschlossen ging er Schritt für Schritt voran, ohne Zeichen der Erschöpfung zu zeigen. Auch Schlaf schien er kaum zu benötigen, da er die ersten 2 Tage auch die Nacht durch marschierte.
Doch alles hat seine Grenzen, und am dritten Tag übermannte ihn doch langsam die Müdigkeit. Zu seinem Glück hatte er wieder ein ebenes Stück erreicht. Doch auf dieser kleinen Hochebene lag der Schnee so hoch, dass Jakob seine Füße nicht mehr sehen konnte, sondern nur ab den Knien aufwärts. Dass der Schnee so hoch lag machte das Überqueren der Hochebene zu einem Kräftezehrenden Akt. Mit jedem Schritt schien es Jakob, als würde sich das Gewicht seines Rucksacks verdoppeln. Der Sturm, der auch während des Aufstiegs nicht abflaute, hatte ein neues Maß der Heftigkeit erreicht. Der leichte Pulverschnee wurde aufgewirbelt und schlug förmlich auf Jakob ein.
Er würde wohl kaum zur Ruhe kommen, wenn er nicht einen Unterschlupf fand. Seine Schritte wurden immer wackeliger und unsicherer. Seine Kräfte waren erschöpft. Das Gewicht seines Rucksacks warf ihn zu Boden. Eine Weile lag er noch da, bevor ihm die eisige Kälte das Bewusstsein raubte.
Besorgt schaute der Arzt durch das von eiskristallen überzogene Fenster aufs Nebelgebirge. Er fragte sich, wie es Jakob wohl ginge und ob er ihn wieder sehen würde. Schließlich war das Nebelgebirge ein heimtückischer Ort voller Gefahren. Wobei die größte Gefahr sicher die Kälte war.
Simons Zustand hatte sich nicht zum besseren geändert. Im Gegenteil, seine Temperatur hatte noch zugenommen und auch sein Atmen wurde immer schwerer und keuchender.
Hoffentlich bist du wohlauf, Jakob, mein Freund. Ich bete für dich, dass du es schaffen wirst, eine Feder zu finden und sie rechtzeitig deinem Sohn zu bringen! Dachte sich der Arzt und wand sich wieder dem kleinen Simon zu.
Jakob öffnete schlagartig seine Augen. Wo bin ich? Fragte er sich selbst. Langsam, aber stetig kamen dann seine Erinnerungen zu ihm zurück. Er war im Nebelgebirge, er suchte nach einer Schneedrachenfeder für seinen Sohn. Ebenso erinnerte er sich auch daran, dass er Ohnmächtig geworden ist. Erst nun bemerkte Jakob, dass er in einer kleinen Höhle im Inneren des Gebirges war. Wie bin ich hier rein gekommen? Irgendwer muss mich hierher geschafft haben. Ist er noch hier? Schoss ihm durch den Kopf.
„Ah! Du bist endlich wieder zu dir gekommen!“, rief eine Stimme. Jakob lies sofort seinen Blick in die Richtung schweifen aus der die Stimme gekommen war. Am Eingang zu der Höhle entdeckte Jakob einen alten, grauen Mann.
Der Alte ging auf Jakob zu und setzte sich neben ihn auf einen Felsen. „Was tust du denn hier oben in dieser todbringende Einöde?“, meinte der Alte neugierig und fürsorglich, woraufhin Jakob ihm seine ganze Geschichte erzählt. Von der Tatsache, dass sein Sohn sterben würde und über den Grund dafür, dass er diesen beschwerlichen Aufstieg auf sich genommen hatte, nämlich die Drachenfeder, die er für Simons Heilung benötigte.
Mit jedem Wort, das Jakob darüber verloren hatte, wurden die Augen des Alten größer und größer. „Also eine Schneedrachenfeder suchst du. Ich kenne die Legenden, die sich um diese majestätischen Wesen ranken“, meinte der Alte voller Innbrunst zum Thema Drachen, „Doch ich kann dir eines garantieren, dass, was du bereits hinter dir hast, ist noch gar nichts im Vergleich zu dem, was noch vor dir liegt.“
„Wissen sie etwa, wo der Drache leben soll? Oder warum wissen sie, dass mich noch ein steiniger Weg erwartet?“, fragte Jakob. Der Alte nickte und verließ die Höhle, Jakob folgte ihm. Der Alte zeigte auf den Gipfel des Berges. „Einige Meter unterhalb des Gipfels soll es noch eine weitere Höhle geben. In jener soll sich dieses ehrfurchteinflößende Wesen aufhalten.“
Nachdem Jakob diese Worte vernommen hatte, rannte er zurück in die Höhle, zu seinem Rucksack. Als er wieder aus der Höhle kam, hatte er seinen Rucksack wieder geschultert und war zum Aufbruch bereit. Zum Abschied drückte Jakob dem Alten noch etwas, dass in Tücher eingewickelt war, in die Hand. „Das ist dafür, dass du mir das Leben gerettet hast und für die hilfreichen Informationen. Ich habe aber noch eine Frage: Wie lange war ich bewusstlos?“ „2 Tage und 2 Nächte!“, meint der Alte.
Erschrocken sah Jakob den Alten an. 2 ganze Tage hatte er verloren. Nun musste er sich schon ranhalten, um nicht zu spät zu seinem Sohn zurückzukehren. Er nickte dem Alten noch einmal zu, dann drehte er sich um und machte sich daran, ein weiteres Stück höher zu kommen.
Der Alte hatte wirklich recht gehabt. Das, was er bereits zurückgelegt hatte, war im Vergleich das reinste Zuckerschlecken gewesen. Es ging noch viel steiler Bergauf als zuvor. Aber auch das hatte seinen Vorteil denn dadurch kam der Gipfel schneller näher. Und je schneller er den Gipfel erreicht hatte, desto schneller würde er wieder von diesem Teufelsberg runter kommen. Doch ohne die erhoffte Feder würde er den Berg ohnehin nicht wieder verlassen.
Jakob hatte sogar ein wenig Glück, denn der Schneesturm war nun vollkommen abgeflaut. So konnte er nun den Gipfel erkennen und hatte damit sein Ziel vor Augen. Es verlieh ihm Mut und Kraft, dass er sah, wie er mit jedem Schritt dem Ziel näher kam. Doch das Schicksal legte ihm wieder neue Steine in den Weg, dieses Mal in Form einer fast senkrecht emporragenden Felswand.
Dieses Hindernis schien unüberwindbar. Jakob setzte sich erst mal vor der Felswand hin um etwas Proviant zu sich zu nehmen und wieder zu Kräften zu kommen. Er sah die Wand hinauf, die von seinem Standpunkt aus endlos hoch erschien. Es kann nicht hier enden! Es muss einen Weg geben, Simon zählt auf mich! Ich werde auch hier einen Weg finden! Dachte sich Jakob.
Nachdem er einige Zeit in seinem Rucksack gekramt hatte, zog er ein langes Seil und einige weitere Utensilien zum Bergsteigen heraus. Damit müsste es doch gehen! Dachte sich Jakob und machte sich daran, an der Felswand empor zu steigen.
Schnell gewann er an Höhe. Er kletterte an dieser Wand empor als hätte er schon sein ganzes Leben lang nichts anderes getan, als Berge zu besteigen. Nach nur einigen Stunden war er so hoch gekommen, dass er nicht einmal mehr das Plateau sehen konnte von dem aus er gestartet war. Sicher tat auch das Wetter seinen Teil dazu, denn es zog Nebel auf, welcher ihm dicker als Erbsensuppe zu sein schien. Doch das störte ihn nicht, er hatte noch einen weiten Weg vor sich. Das Stückchen, das er in den letzten Stunden zurückgelegt hatte, war lediglich ein Viertel der gesamten Steilwand.
Die Sonne war schon eine halbe Ewigkeit untergegangen und Jakob schmerzten langsam Hände und Füße. Bergsteigen war eben doch kein Kinderspiel, und besonders nicht an so einer Steilwand. Doch nichtsdestotrotz hatte er die Hürde fast genommen. Er konnte schon das Ende der Wand sehen und auch der Gipfel schien nicht mehr allzu fern zu sein. Wie in eine Art Trance kletterte Jakob weiter und fand relativ problemlos immer schnell den nächsten Halt.
Doch dann plötzlich passierte etwas, wovor sich jeder Bergsteiger fürchtete. Jakob rutschte ab und verlor sein Gleichgewicht. Auch mit den Händen fand er auf die Schnelle keinen Halt mehr und er fiel. Zu seinem Glück hatte er sich mit einem Seil gesichert, welches seinen Sturz auf das Plateau verhinderte und ihm so das Leben rettete. Doch prallte er mit voller Wucht gegen die Felswand. Jakob verspürte höllische Schmerzen. Als er an sich herunter sah, wusste er sofort, weshalb. Sein Arm hing in einem ungewöhnlichen Winkel an ihm herab und jede noch so kleine Bewegung sendete Schmerzimpulse durch seinen gesamten Körper. Es stand fest, dass der Arm gebrochen sein musste.
Doch Jakob unterdrückte jegliche Schmerzensschreie. Er wusste, dass er damit eine Lawine hätte loslösen können. Deshalb schluckte er die Schmerzensschreie herunter. Und dann kam auch noch ein weiteres Problem auf ihn zu, denn er bekam nur noch schwerlich Luft. Das Seil, welches ihm das Leben gerettet hatte, schnürte sich nun immer fester um Jakob und schnürte ihm damit die Luft ab. Jakob blieb keine große Zeit, um sich viel auszudenken, er musste irgendwie verhindern, dass ihm das Seil noch weiter die Luftzufuhr erschwerte.
Mit seinem gesunden Arm griff er nach dem Seil und zog sich ein Stück hoch, um zu verhindern, dass sich das Seil noch enger zog. Danach stemmte er die Beine gegen die Wand und versuchte auf diese Weise nach oben zu laufen. Das war auch eine famose Idee, doch als er den Haken erreicht hatte an dem das Seil endete stand er vor einem neuen Problem.
Von nun an hieß es ohne Seil weiter klettern, was mit einem gebrochenen Arm nahezu unmöglich war. Doch die Gedanken an seinen Sohn, dem es sicher noch schlechter ging, und dem er um jeden Preis helfen wollte, gaben ihm erneut einen Kraftschub. Und selbst mit dem gebrochenen Arm schaffte es Jakob, den Vorsprung zu erreichen und sich hoch zu rollen.
Es sieht kritisch aus! Sein Fieber hat sich erhöht. Verflucht, Jakob, du musst dich beeilen! Dachte der Arzt. Er saß am Bett von Simon. Die letzten Nächte hatte er es kaum gewagt, auch nur ein Auge zu schließen. Simons Zustand hatte sich weiter verschlechtert und er wollte nicht riskieren, dass der Kleine ihm im Schlaf wegstarb. Er betete erneut und hofft, dass Jakob schon wieder auf dem Rückweg war und stolz eine Drachenfeder bei sich trug.
Dem war leider nicht so. Jakob stand zwar vor dem Eingang zur Höhle des Drachen, aber eine Feder hatte er noch nicht. Nachdem er sich an die Dunkelheit in der Höhle gewöhnt hatte, begann er seine Suche nach dem Drachen. Seinen Arm hatte er mittlerweile mit Material aus seinem Rucksack verbunden und geschient.
Nachdem sich Jakob an die Dunkelheit gewöhnt hatte, war es für ihn schon fast so, als wäre die Höhle hell erleuchtet. Doch einen Drachen hatte er noch nicht wahrgenommen, weder gehört noch gerochen noch gesehen. Und dann war auch schon die Höhle zu Ende. Ein gewaltiger Eisblock versperrte den weiteren Weg.
Eine Stimme hallt durch die gesamte Höhle: „Du hast es also tatsächlich geschafft, allen Gefahren zu trotzen und diese Höhle zu erreichen!“ Jakob brauchte eine Weile, bis er die Stimme zuordnen konnte und dann fiel es ihm ein. Es war die Stimme des alten Mannes, der ihn gerettet hatte. „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass du die Steilwand erklimmen kannst, aber du hast mich eines besseren belehrt. Doch den Drachen hast du noch nicht gefunden!“ Das Echo der Stimme schmerzte in Jakobs Ohren. Verzweifelt suchte er alles nach dem Alten ab.
„Suchst du etwa mich?“, fragte der Alte. Jakob drehte sich erschrocken um, und da stand der Alte, eine Fackel in seiner Hand. Jakob taumelte erschrocken zurück. „Falls du immer noch den Drachen suchst, sieh dir mal das Eis da hinten an, aber nimm meine Fackel mit!“, meinte der Alte und drückte Jakob die Fackel in die Hand.
Was Jakob im Eis entdeckte, erschreckte weitaus mehr als der Alte, der ihn von hinten überrascht hatte. Jakob klappte die Kinnlade herunter und er stürzte, als er ein paar Schritte zurücktreten wollte. Im Eis eingeschlossen war er, der Schneedrache. Eine majestätische Bestie mit Fangzähnen so groß wie ein Mensch. Seine Augen waren eisblau und sein Körper war weiß, weiß wie Schnee, und daher hatte dieses Wesen auch seinen Namen. Auf dem Rücken besaß die Bestie zwei mächtige Flügel, die an die Schwingen von Adlern erinnerten. Der Anblick dieses Kolosses war unbeschreiblich und Jakob stockte immer noch der Atem.
„Ihn hast du gesucht und nun hast du ihn auch gefunden!“, meinte der Alte. Jakob war immer noch von dem Anblick, der sich ihm bot, fasziniert. „Aber… wieso ist er… in einen Eisblock eingeschlossen?“ fragte Jakob stotternd. „Vor langer Zeit war der Drache noch nicht eingeschlossen, er war frei und war der Gebieter über dieses Gebirge, doch als man über ihn zu reden begann, wollten die Menschen ihn jagen. Er sollte als Trophäe dienen, und die Drachenjäger machten sich auf, ihn zu suchen und ihn zu töten, doch keiner hat ihn je gefunden. Seit Äonen von Jahren bist du der erste, der seine Majestät, den Herrscher des Nebelgebirges zu Gesicht bekommt. Er hatte sich damals selbst eingefroren, um irgendwann wieder zu erwachen, wenn er nur noch eine Legende war und in Vergessenheit geraten ist. Erst dann könnte er sein Leben wieder friedlich weiterleben. Und so liegt er hier schon eine Ewigkeit eingeschlossen!“
Jakob sah den Alten verdutzt an. Wieso wusste er so viel über den Drachen? „Wer bist du?“, fragte Jakob ihn. „Ich bin der Hüter des Drachens. Ich wache schon genauso lange über ihn, wie er hier liegt. Es ist meine Pflicht, seine Exzellenz zu beschützen. Ich existiere nur, um ihn zu beschützen. Wenn er wieder erwacht, werde ich meine Ruhe finden“, meinte der Alte. Jakob staunte nicht schlecht über ihn.
„Jakob, du solltest dich beeilen. Ich weiß alles, was sich auf diesen Bergen und um sie herum abspielt. Daher weiß ich auch, dass es deinem Sohn sehr schlecht geht. Du musst dich beeilen, um ihn noch zu retten!“ Verwunderung und Angst stiegen in Jakob auf. Er wollte seinen Sohn nicht verlieren
„Ich brauche aber immer noch die Feder, sonst war alles umsonst!“, meinte Jakob energisch. „Jakob… Ob du es glaubst oder nicht, der Drache hat dein Kommen vorhergesehen und mir eine seiner Federn überlassen. Ich sollte sie nur dir überreichen und dir helfen, rechtzeitig wieder in dein Dorf zu gelangen. Sei froh, dass er das gesehen hat, sonst hätte ich dich nicht gehen lassen können. Wenn der Drache es aber so will, muss ich mich seinem Willen beugen!“, sagte der Alte zu ihm und zog aus seinem lumpenartigem Gewand eine Feder hervor die so weiß war wie der der Schnee, der draußen lag.
„Nimm sie, sie ist für dich bestimmt!“ Der Alte drückte Jakob die Feder in die Hand und er fühlte die Energie die von dieser Feder ausging. Binnen von Sekunden war selbst sein gebrochener Arm wieder geheilt.
„Nun beeil dich aber, Jakob. Ich werde dich führen, damit wir schnell zum Fuß des Berges zurückkehren können. Ich kenne hier alles wie kein zweiter.“ Jakob vertraute seinem Führer blind, er hoffte nur, dass er es noch rechtzeitig zu Simon schaffen würde.
Simon kämpft mit aller Kraft gegen die heimtückische Krankheit an, doch er würde es nicht mehr lange schaffen. Der Arzt saß neben ihm, hielt seine Hand und redete Simon gut zu. Er solle stark sein, sein Vater würde sicher bald auftauchen und dann würde alles wieder gut werden. Der Arzt wusste genau, dass es langsam mit Simon zu Ende ging. Jakob musste sich beeilen, denn die Zeit war fast abgelaufen.
Es knallte. Die Haustür war aufgeflogen und gegen die Wand geknallt. Ein schweißgetränkter und nach Luft ringender Jakob war ins Haus gestürmt. In seiner Linken Hand hielt er sie, die Schneedrachenfeder. Als der Arzt begriffen hatte, was sich hier gerade zutrug verwandelte sich seine todernste Miene in ein fröhliches Gesicht, Jakob hatte es geschafft, er hatte eine Feder gefunden und nun würde alles wieder gut werden.
Hastig drückte Jakob seinem Sohn die Feder in die Hand. Kaum war das geschehen, beruhigte sich der Kleine. Seine Atmung wurde wieder ruhiger und auch seine Temperatur sank rapide. Nur wenige Minuten nachdem er die Feder in Händen gehalten hatte, war der Kleine auch schon wieder quietschfidel. Jakob nahm seinen Sohn in den Arm. „Ich bin ja so froh, dass ich dich nicht für immer verloren habe, mein Kleiner!“, sagte er mit bebender Stimme. Die drei saßen noch den ganzen Abend beisammen und redeten, doch das, was Jakob mit dem alten Mann auf dem Berg erlebt hatte, verschwieg er den beiden. Beim Abschied hatte er dem Alten versprochen, Stillschweigen über ihn und den Drachen zu bewahren und dieses Versprechen hielt er auch. Schließlich hatte er es nur den beiden zu verdanken, dass sein Sohn noch lebte.
In den folgenden Jahren versuchte Jakob immer wieder den Alten wiederzufinden, da er ihm noch einmal für alles danken wollte, doch es schien, als wollte der Alte nicht gefunden werden. Auf allen seinen folgenden Wanderungen hatte Jakob nie wieder einen Hinweis auf den Hüter des Drachens gefunden, wahrscheinlich wollte er einfach nicht mehr von Jakob gefunden werden, der Alte wusste schließlich von allem, was sich im Gebirge zutrug und war ihm damit immer einen Schritt voraus.
Und so endete die Geschichte von Jakob, Simon, dem Alten Hüter des Drachens und natürlich dem Drachen selbst, doch ob der Alte jemals seine Ruhe gefunden hat und seine Majestät, der ehrwürdige Schneedrache wieder erwacht ist, das werden wir wohl nie erfahren.
Berechtigungen
- Neue Themen erstellen: Nein
- Themen beantworten: Nein
- Anhänge hochladen: Nein
- Beiträge bearbeiten: Nein
-
Foren-Regeln