Am nächsten Morgen waren Milo und Ravana früh aufgebrochen. Balon hatte jedem von ihnen zwei geräumige und stabile Taschen aus Leder gegeben und ihnen sogar erlaubt, etwas Brot, Käse und sogar ein paar Flaschen Milch mitzunehmen. „Lasst die Zoras von der Milch probieren, und wenn sie sie mögen, sagt ihnen, dass Balon, der Züchter der besten Kühe Hyrules, ihnen bald einen Besuch abstatten wird!“ hatte er gesagt und dabei gierig gegrinst.
Jetzt war es schon mittag, und die Sonne schien heiß vom Himmel herab. Ravana hatte Durst, doch sie wollte nicht zu viel der guten Milch trinken, bevor sie nicht die Steppe verlassen hatten. In den Ausläufern des Todesberges würde es nicht mehr so heiß sein, doch bis dahin mussten sie sich Reserven aufsparen.
Sogar Milo redete nicht viel. Er sah schon jetzt etwas erschöpft aus, wo sie erst die Hälfte der Steppe durchquert hatten. Doch Milos Schweigen kam Ravana grade Recht. Sie musste nachdenken.
Ein Geschenk für die Zoras... Wie kommen wir durch den Wasserfall? Der König hätte uns das sagen sollen... Wie kommen wir durch den Wasserfall? Was für ein Geschenk wollen die Zoras? Der Held der Zeit hatte es geschafft... Wie hatte er das gemacht? Wie??
Sie war so in ihre Gedanken versunken und davon besessen, eine Lösung zu finden, dass sie erst merkte, dass Milo stehen geblieben war, als sie schon einige Schritte weitergegangen war. Sie drehte sich um.
Milo stand auf einem Weg, den sie eben überquert hatten. Ravana ging zu ihm zurück.
„Was ist? Warum bist du stehen geblieben?“
Er sah traurig nach Südosten und sagte nichts. Der Wind strich über die sanften Hügel der Steppe und zog an ihren Kleidern und Haaren, während eine vorbeiziehende Wolke vorübergehend die Sonne bedeckte.
Ravana legte Milo die Hand auf die Schulter und drehte ihn zu sich. „Milo? Was ist denn?“
„Dieser Weg hier führt zum Kokiri-Wald, siehst du? Dort hinten in der Ferne stehen ein paar Bäume, von dort aus ist es nicht mehr weit bis zum Dorf. Manchmal vermisse ich den Wald sehr... Und ich darf nicht zu ihnen zurückkehren, sie haben mich verbannt...“
Ravana seufzte. „Sei nicht traurig und denk nicht zu viel darüber nach. Lass uns weitergehen. Du wirst darüber wegkommen...“
Milo nickte und setzte sich mit hängenden Schultern in Bewegung.
Der arme Kerl, noch so klein und schon aus seiner Heimat verbannt, dachte Ravana und ging ebenfalls weiter. Und ich habe nicht mal einen guten Trost für ihn, sondern muss ihn mit so leeren Worten abspeisen...
Am späten Nachmittag erreichten sie endlich einen klaren See am Rand der Steppe. Die beiden Wanderer setzten sich in den Schatten der hohen Felswände, die die Steppe begrenzten und aßen ihre restlichen Vorräte.
Von hier aus war es nicht mehr weit bis zum Reich der Zora. Hinter ihnen floss aus einer Art Höhle ein Fluss in den See, und dieser Fluss entsprang, wenn sie ihrem Wissen aus den Büchern ihres Ziehvaters Glauben schenken durfte, der Zoraquelle. Sie mussten nur den Bach hochgehen und sie würde zum Reich der Zora kommen.
Doch jetzt machten sie erst Rast. Ravana lehnte sich mit dem Rücken gegen die Felswand und ließ ihre Blicke schweifen. Der Wind hatte ein wenig zu genommen, die Schatten von Wolken flogen über die Steppe und gaben der Steppe ein wildes Aussehen. Von hier aus konnten sie auch die Farm noch gut erkennen – sie erhob sich in weiter Ferne auf ihrem majestätischen Felsen wie eine Insel aus der Steppe. Zur Rechten erkannte man in weiter Ferne die spitzen Türme der Stadt.
Und wie kommen wir durch den Wasserfall? Ravanas Gedanken wurden träge und ihre Augenlider wurden schwer.
Sie sah ein junges Mädchen mit roten Haaren über einem dicken Buch mit Seiten aus feinem Pergament sitzen. Das Buch der Legenden, Ravana erkannte es sofort. Das Mädchen saß in einem Zelt, ein heftiger Wind zerrte an den Zeltbahnen. Sie las.
Das bin ich! dachte Ravana. Das war ich als kleines Mädchen bei Kamir in der Wüste!
Jemand summte eine Melodie, immer und immer wieder.
Link's Geschichte, ich kenne sie. Aber wer summt denn hier? Was ist das für ein Lied?Zitat
Das Mädchen über dem Buch, die kleine Ravana, schaute auf und sah Ravana direkt in die Augen. Sie sagte etwas. Was sagt sie? Ich kann sie nicht hören! Der Wind ließ nach und Ravana konnte die Worte verstehen.
„... das er nur betreten konnte, weil ... Lied der königlichen Familie ... zur richtigen Zeit, am richtigen Ort...“
Königliche Familie... Lied.... Königliche Familie... Mein Vater war der König... Lied.... Das gesummte Lied!?
Das Mädchen über dem Buch fing leise an, zur Melodie zu singen.
„Schlafe ein, schlafe ein, schlafe ein mein Kind... Schlafe ein, schlafe ein, schlafe ein mein Kind... Schlafe ein, ...“
„Wach auf! Du träumst ja!“
Ravana schreckte hoch. Milo hockte besorgt neben ihr und mit großen Augen zu ihr herab.
„Du hast ein Lied gesummt und gemurmelt, und ich hab mir Sorgen gemacht!“
Sie strich sich mit der Hand über die Augen und setzte sich auf.
„Ist schon gut. Ich habe von meiner Kindheit geträumt, und ich glaube, ich weiß jetzt, wie wir ins Reich der Zora kommen. Lass uns weitergehen, ich erzähle es dir dann.“
Ravana stand auf und die beiden sammelten ihre Besitztümer auf. Schließlich betraten sie die Höhle, aus der der Fluss herausfloss.
Mein Vater war König von Hyrule, so wurde es mir erzählt. Ich weiß nicht wie, aber irgendwoher kenne ich dieses Lied der königlichen Familie, mit dem dem Helden der Zeit der Zutritt zum Reich der Zora gewährt wurde... Mein ganzes Leben schon kannte ich es, nur hatte ich es wieder vergessen. Natürlich, wie oft habe ich es früher vor mich hingesummt, und wie oft hat Kamir mich dafür geschlagen, dass ich ihm mit meinem Gesumme auf die Nerven gehe. Ravana lächelte, während sie durch die dunkle Höhle liefen, auf den hellen Fleck Sonnenlicht zu.