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Ehrengarde
Kakariko
Ravana hatte deutlich gemerkt, dass Gerudos nicht gerne gesehen werden. Sie wurde mit einer Mischung aus Angst und Verachtung von den Bewohnern Kakarikos begrüßt – und es war zu lieb gewesen, wie Milo eben den Vorstand der Bauarbeiter angefahren hatte, und das, obwohl der Mann ihn am Kragen einen Meter über dem Boden hatte zappeln lassen!
Als sie zu dem Haus, über dessen Tür ein Schild mit einem Pfeil hing, gingen, sah Ravana nicht weit entfernt einen Brunnen, an dessen Rand zwei Männer standen und sich unterhielten. Der eine sah ein wenig aus wie ein Gerudo, doch Ravana dachte sich, dass das wohl eine Täuschung sein müsse. Bei den Gerudo wurde nur alle hundert Jahre ein Mann geboren.
Schließlich betraten sie die Taverne. Lärm und dicke Luft schlug ihnen entgegen. Der Raum war voll von Bauarbeitern, Bauern, Tagelöhnern und sogar Soldaten, die ihr verdientes Geld in Bier investierten.
Hinter dem Tresen saß ein großer Mann mit braunem Bart, der fast das ganze Gesicht überwucherte. Er starrte die beiden Neuankömmlinge an und als sie auf ihn zu kamen, rief er ihnen entgegen, dass es nichts umsonst gäbe in seinem Laden.
Sehen wir so aus, als wollten wir betteln? fragte sich Ravana.
Milo sagte dem Mann, dass der Vorstand der Bauarbeiter erwähnt hatte, dass sie vielleicht vergünstigtes Essen bekommen könnten, doch der Mann lachte schallend und sagte, dass es nur zwei Möglichkeiten gäbe, ohne Geld an Essen zu kommen: entweder bei der Arbeit helfen oder im Bogenschießen gewinnen.
Der Mann deutete auf eine Zielscheibe an der Wand, um die herum schon einige Pfeile steckten. Kaum einer der Männer im Raum hatte überhaupt die Scheibe getroffen.
Ravana lächelte. Im Bogenschießen war sie gut. Sie fragte: „Also gut. Von wo soll ich schießen?“
Der Mann am Tresen starrte sie an. „Gerudos dürfen eigentlich nicht mitspielen. Jeder Mensch weiß, dass sie im Bogenschießen gut sind. Aber gut. Wenn du von der gegenüberliegenden Wand genau in den roten Punkt in der Mitte triffst, bekommst du und der kleine Bengel dort jeder eine Mahlzeit und einen Becher Bier dazu. Geld gewinnst du nicht, klar? Drei Schuss hast du.“
Sie nickte und ging zu der Stelle, auf die der Mann gedeutet hatte. Inzwischen war Ruhe eingekehrt, die Männer im Raum witterten einen Spaß und machten ihr Platz. Ravana stellte sich hin, nahm ihren Bogen in die Hand, legte einen Pfeil ein und spannte den Bogen. Sorgfältig zielte sie, doch in dem Moment als sie den Pfeil loslassen wollte, schlug ihr jemand auf die Schulter und grölte: „Du dumms Gör wiss sow-sowso nich treffn!“
Ravana war von dem Schlag in die Knie gegangen und hatte den Pfeil losgelassen, der zwischen zwei Kerlen drei Meter von der Scheibe entfernt in der Wand steckte.
Lautes Gelächter erfüllte den Raum. Milo kam zu ihr geeilt. Sein rundes Gesicht sah überhaupt nicht mehr gutmütig aus und seine großen Augen funkelten. „Du dummer Ochse!“ brüllte er den Mann hinter Ravana an. „Lass sie in Ruhe schießen. Oder willst du etwa, dass sie ihre Freundinnen ruft und nachts dein Haus überfällt?“
Entsetzt starrte der dicke Mann ihn an. Seine Augen schielten ein wenig. Plötzlich stand er auf, bahnte sich einen Weg durch die Menge und verließ die Taverne.
„Er muss nachsehen, ob sein Haus noch steht!“ grölte ein anderer Mann und wieder erfüllte tosendes Gelächter den Raum.
Ravana grinste Milo an und knuffte ihn leicht an der Schulter. Milo funkelte sie vergnügt an und Ravana spannte ihren Bogen wieder. Milos Andeutung hatte bewirkt, dass die Männer um Ravana zurückgewichen waren und ihr jetzt genug Platz zum Zielen ließen.
Sie ließ den Pfeil los, ein lautes Sirren ertönte und der Pfeil steckte in der Zielscheibe, zwei Zoll von der Mitte entfernt. Ihr Götter! Das kann ich aber besser, dachte sie, während manche der Männer grölten und andere schadenfroh lachten und ihre Bierkrüge zusammenstießen ließen.
Ravana legte einen weitere Pfeil auf die Sehne, zielte konzentriert, während wieder gespannte Ruhe einkehrte, und schließlich ließ sie los. Einen Moment später grölten alle Männer los; der Pfeil steckte im roten Punkt in der Mitte. Milo strahlte sie an und hüpfte zum Mann am Tresen, um ihm beim Essen machen zuzusehen und aufzupassen, dass keine unerwünschten Sachen im Essen landeten.
Die Männer wandten sich jetzt wieder ab, das Spektakel war vorbei. Ravana ging zur Zielscheibe und sammelte ihre Pfeile wieder ein. Ein paar Augenpaare folgten ihr mit bewundernden Blicken, und sie hoffte, dass die Männer bald zu betrunken waren, um sich später an sie zu erinnern. Sie wollte eigentlich keine Aufmerksamkeit erregen.
Schließlich ging sie zu Milo und wartete, bis der Mann am Tresen ihnen die gewonnene Mahlzeit hinstellte.
Ihr war ein wenig unwohl. Noch nie hatte sie so viele laute Menschen auf einem Haufen gesehen, und schon gar keine Männer. Diese hier waren auch ganz anders als Rikoon, den sie in der Gerudofestung gesehen hatte.
Sie fühlte sich nicht besonders wohl in Gesellschaft einer solchen betrunkenen Bande.
Doch Milo sah fröhlich aus, er genoss es, den Wirt zur Eile anzutreiben.
Schließlich reichte der Wirt ihnen zwei Schalen mit einer undefinierbaren, dampfenden Masse darin und zwei Becher Bier. Milo und Ravana sahen sich nach einem Plätzchen um, wo sie ungestört essen konnten. In der hintersten Ecke war ein kleiner Tisch frei und sie schlängelten sich durch die betrunkene Meute.
Der Eintopf schmeckte nicht besonders gut, aber er vertrieb den Hunger und war schön warm. Das Bier war sehr bitter, aber es war genau das Richtige nach einem langen Tag in der Steppe.
Während sie aßen, hatte der Lärm in der Taverne zugenommen, einige der Gäste lagen aber auch schon unter den Tischen und schnarchten laut. Vor einiger Zeit war die Tür aufgegangen und eine pralle Frau mit langen Röcken und viel Schminke im Gesicht war hereingekommen. Sie tänzelte jetzt zwischen den Männern herum, flirtete mit dem Wirt und schien fast ebenso betrunken zu sein wie alle anderen auch.
Das Bier und die dicke Luft taten auch bei Ravana ihre Wirkung, Ihr Kopf schmerzte und sie fühlte sich leicht abgehoben, als ob die Welt um sie kreiste.
Sie warf Milo einen Blick zu. Er hatte sich zurückgelehnt, die Hände über dem Bauch gefaltet und sah recht zufrieden aus.
Ravana lehnte sich zu ihm herüber und schrie, um den Lärm zu übertönen: „Du, ich geh mal raus, mein Kopf tut weh! Ich warte draußen auf dich! Lass dich nicht ausrauben, denk an das Geld, das du bei dir hast!“
Milo nickte träge mit dem Kopf. Er wird doch nicht einschlafen?
Sie warf ihm einen letzten besorgten Blick zu, stand auf und bahnte sich ihren Weg nach draußen. Sobald sie die Tür geöffnet hatte und ihr frische Luft entgegen kam, fühlte sie sich besser. Ich werde gleich wieder nach Milo sehen, nur mal kurz hinsetzen, dann geht’s mir wieder besser...
Ravana schloss die Tür hinter sich, setzte sich auf eine Kiste an der Hauswand und lehnte den Kopf gegen die Wand.
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