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Ehrengarde
Gerudofestung
Ravana hatte lange auf der Kante des obersten Daches der Festung gesessen und den patrouillierenden Gerudowächterinnen im Hof zugesehen, während sie nachdachte.
Wenn ihr Ziehvater Kamir ihr das richtige Alter gesagt -, und sie seitdem die Sommer richtig gezählt hatte, war sie inzwischen 22 Jahre alt und hatte noch so gut wie nichts erreicht.
Sie hatte ihr Leben in der Wüste verbracht, und zwar lesen, schreiben und rechnen gelernt und sich mit Magie und den Hylianischen Legenden beschäftigt, doch selbst erlebt hatte sie kaum etwas. Sie kannte nur die Gerudo, und auch das erst seit vier oder fünf Tagen.
Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie sie die vielen Tage ihres Lebens verbracht hatte. Hatte sie keine Langweile gehabt? Ohne Menschen, ohne Abwechslung hatte sie gelebt...
Aber jetzt schien ihr Leben einen Sinn zu bekommen. Ihre Träume zeigten ihr ihr nächstes Ziel: Das Schloss von Hyrule, wo sie mit dem König sprechen wollte.
Kurz, bevor die Sonne den Zenit erreichte, stand sie auf und ging zurück zu ihrer Kammer, wo sie sich ihren Bogen und Köcher umlegte. Den fliegenden Teppich rollte sie zusammen und befestigte ihn mit einem Lederriemen an ihrem Gürtel. Ihre gesamte Habe trug sie nun bei sich und machte sich auf den Weg zur Küche, wo sie hoffte, Bumara anzutreffen, um sich von ihr zu verabschieden. Auf dem Weg dorthin sah sie kurz am anderen Ende des Ganges, bestimmt 50 Schritte entfernt, Rikoon, den Fremden. Er schien sie aber nicht zu bemerken und bog in einen anderen Gang ab, bevor sie ihn grüßen konnte.
Als Ravana in die Küche kam, hatten sich dort alle Gerudo versammelt, vermutlich, um sie zu verabschieden. Ravana war so gerührt, dass sie am Liebsten ihr Vorhaben, die Gerudo zu verlassen, aufgegeben hatte. Sie blieb verlegen stehen und wusste nicht, was sie sagen sollte, doch Bumara kam schon auf sie zu und umarmte sie.
„Nichte – ich bin so froh, dass du zu uns gekommen bist. Nun wird mich nie mehr das schlechte Gewissen plagen, dich vor so vielen Jahren ausgesetzt zu haben. Du sollst wissen, dass wir Gerudo immer auf dich warten werden. Egal, wo du bist, du wirst hier immer ein Zuhause haben!“
Ravana nickte gerührt. Bumara nahm vom Tisch hinter sich einen kleinen Lederbeutel und gab ihn Ravana. Er war schwer, und etwas klirrte im Inneren, als Ravana den Beutel nahm. Sie öffnete die Zugschnur und schüttelte sich einen Teil des Inhalts auf die Hand. Heraus kamen viele polierte, glitzernde Steinchen in roter, grüner und blauer Farbe. Fragend sah sie Bumara an.
Bumara sagte: "Wir haben ein Viertel unserer eisernen Reserve genommen und möchten sie dir schenken. 58 Rubine, damit kannst du eine Weile in der Stadt überleben."
Ravana kannte diese Steine, oft hatte sie für ihren Ziehvater seine Einnahmen gezählt. Ein grüner Stein war ein Rubin, ein Blauer 5, und ein Roter war sogar 20 Rubine wert. Daran hatte sie bisher noch gar nicht gedacht – dass sie vielleicht Geld benötigen würde auf ihrer Reise.
Behutsam schob die die Rubine zurück den den Beutel.
Während sie ihn ebenfalls an ihrem Gürtel befestigte, sagte sie: „Ich danke euch, meine Schwestern. Euch allen – nicht nur für das Geld, sondern auch, dass ihr mich als eine der euren aufgenommen habt und mich den Säbelkampf gelehrt habt. Ich werde euch immer in Erinnerung behalten und verspreche, dass ich irgendwann wiederkommen werde. Tante – auf Wiedersehen...“
Sie drehte sich um und verließ die Küche, um den anderen nicht zu zeigen, dass sie kurz davor war, in Tränen auszubrechen.
„Ravana..!“ Bumara hatte sie noch einmal angerufen. Sie drehte sich um.
„Eben ist der fremde Mann aufgebrochen. Er geht nach Kakariko. Ich weiß nicht, ob man ihm voll und ganz trauen kann, aber ich halte ihn für einen vernünftigen Mann. Vielleicht holst du ihn noch ein. Es könnte besser sein, wenn du nicht ganz allein die Steppe durchquerst. In den heutigen Tagen ist es dort vielleicht nicht mehr so sicher wie früher...“
Den Fremden hatte sie ganz vergessen. Sie war sich aber nicht sicher, ob sie ihn überhaupt nochmal sehen wollte – bisher war sie allein am Besten klargekommen. Sie nickte und ging mit schnellen Schritten davon.
Als Ravana aus der schattigen und kühlen Festung in die grelle Sonne trat, blieben auch die Wächterinnen stehen und streckten stumm ihre Speere in die Höhe. Ravana nickte ihnen zu, überquerte den Vorplatz, ging eine Treppe hinab und warf einen letzten Blick auf die Wüste rechts von sich. Im Moment war kein Sandsturm zu sehen, und das Bild flirrte in der Hitze. Ravana wandte sich um und machte sich auf den Weg Richtung Schlucht.
Geändert von Ravana (13.12.2004 um 18:25 Uhr)
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