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Ehrengarde
Der Wald. Wie viele Legenden und Mythen ranken sich um dieses Fleckchen Erde, weit im Osten des Landes Hyrules? Villon war sich sicher, dass Tausende Geschichten den Weg aus seinem Unterbewusstsein fanden, als das Laub raschelnd zur Seite geschoben und, vom Wind erfasst, in kleinen Strudeln durch die Luft gewirbelt wurde. Der kleine Junge kam sich plötzlich noch kleiner und unwichtiger vor. Die majestätische Größe und Ruhe des Waldes lies alles jämmerlich wirken und die Menschen daran zu erinnern, was wirklich zählt. Unbemerkt wurde Villon von dem einfachen Schauspiel der Natur in ihrer reinsten Form hingerissen und er ertappte sich dabei, wie innehielt und dem Rauschen der Blätter und dem Wispern des Windes zu lauschen. Er atmete tief ein und nahm die frische und kühle Waldluft in sich auf. Es war wahr, das Leben in der Wüste konnte sehr hart sein und den Blick auf das Schöne der Natur trüben, ja, auslöschen.
Vielleicht war es Villons kindlicher Teil seiner Seele, die ihn nun den Blick schärfte und ihn auf sanfte Weise auf die Schönheit der Szenerie hinwies.
Plötzlich kam ihm alles so unwirklich vor. Die Wüste, die Steppe, der Tot... Alles schien soweit entfernt und so nichtig zu sein, sodass Villon sich mit jeder Faser seines nun kindlichen Körpers danach sehnte, hier in diesem Wald leben zu dürfen. Die Jahre des intensiven Studiums waren doch nur Zeitverschwendung. Was hatte er denn bisher erreicht? Nichts! Nur Zeit verloren, statt sich seines Lebens zu erfreuen und sich dem Schönen zuzuwenden, welches einen, gerade hier, anzuspringen schien. Diese Erkenntnis traf den kleinen Jungen hart, der doch den Verstand eines erwachsenen Mannes besaß, und veranlasste ihn, sie auf den Boden zu setzen und über die eben erhaltenen Gedankenblitze nachzudenken.
Mit dem Rücken an eine Eiche gelehnt, kaute er auf einen Grashalm und durchdachte die Möglichkeiten, die dieser Wald ihm bieten konnte. Neben Entspannung und Frieden, waren sicherlich auch Freunde hier zu finden, etwas, das sich der kleine Villon immer gewünscht, doch nie sein eigen nennen konnte.
Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf, streckte sich aus, gähnte herzhaft und kaute weiter auf den Grashalm herum. Es müsste doch möglich sein, sein bisheriges Lebe völlig zu vergessen und ein neues anzufangen... Immerhin rief ihn der Wald, lud ihn ein sich hier niederzulassen und seinen Frieden hier zu finden. Die Vorstellungen gefielen Villon und seine Gedanken begannen umherzuwandern, als er sich die Bilder ausmalte, die der Wald versprach.
Sicher, er würde ein Kind bleiben, doch war das ein so schwerer Verlust? Kinder mochten grausam sein, doch alles was man über die Kokiri wusste war, dass sie friedliche Geschöpfe waren, die nur in kindlicher Rivalität untereinander konkurrierten, aber keine Morde begehen. Und wer wusste schon, wie sich der Wald auf seinen Geist auswirkte? Vielleicht würde er sich zurückentwickeln und wieder der kindlichen Seite Platz machen, den alten Villon verdrängen und die Chance nutzen, die ihm hier geboten wurden.
Vor Villons inneren Auge zeigten sich Bilder von glücklichen Kindern, die miteinander spielten, zusammen saßen und sich gegenseitig Geschichten erzählten. Er seufzte sehnsüchtig und wünschte sich Teil davon zu werden. Er hatte es satt, immer nur allein zu sein und niemanden zu haben, dem er sich anvertrauen konnte, außer den Geistern der Toten, die nun wirklich nicht die beste Gesellschaft waren, wie sich Villon in Erinnerung rief. Aber hier im Wald, der die Sorgen und Nöte der Welt in den Schatten zu treiben vermochte, hier konnte es sich leben und sicherlich auch für eine lange Zeit.
Ein Teil von all dem zu werden...
Ein Teil...
Gedankenreste schwirrten noch in Villons Kopf, als dieser auf die Brust kippte. Der Grashalm segelte zu Boden und ruhiges, gleichmäßiges Atmen zeugte davon, dass Villon bereits eingeschlafen war. Er hatte sich dem Schlaf bereitwillig ergeben, denn er versprach süße Träume von Freunden und Spaß, die Villon so verzweifelt gesucht hatte. Seine Sinne schwangen sich auf den Flügeln der Träume über die Wipfel der Bäume, erkundeten den Himmel und sahen von oben auf die Erde herab, die nun wirklich jenseits des Bedeutsamen gerückt worden war. Niemand hatte das Recht, diesem Wald etwas anzutun, der soviel Frieden und Ruhe ausstrahlte und dessen grüne Blätter in der Sonne glänzten und sich im Wind wiegten. Seine Sinne setzten ihren Flug fort, hinunter durch das Blätterdach, dem Boden entgegen. Im Geiste folgte er Trampelpfade quer durch den Wald, suchte sich die schönsten Stellen aus und versteckte sie in den hintersten Ecken seine kindlichen Geistes. Lachen erfüllte die Luft und riefen Villon zu sich, der bereitwillig folgte und seinen Weg durch die Schleier des Nebels suchte... Schleier des Nebels? Villon wurde leicht unruhig. Der Frieden war wie weggeblasen als er sich über etwas im klaren wurde. Das Lachen, welches überall um ihn herum erklang, war nicht von Kindern, wie er zuerst annahm. Mit Schrecken stellte er sich der Wahrheit und der damit verbundene Konsequenzen. Die Bäume lachten. Die Bäume riefen.
Die Bäume...
Ein Teil davon werden...
Der Traum verwandelte sich rasendschnell in einen Alptraum. Unfähig sich zu bewegen, musste Villons Geist an dem Ort, an dem er sich nun befand, verharren, während das Licht verschwand und die anderen Eindrücke mit sich riss. Ruhe und Frieden blieben, jedoch waren es nicht Ruhe und Frieden wie sie von den Menschen gesucht wurden. Das hier war älter, standhafter und echter als alles was sich Menschen unter den Begriffen „Frieden“ und „Ruhe“ vorstellen konnten. Und Villon wehrte sich mit allen Kräften dagegen.
Plötzlich schossen Ranken aus dem Boden, umwickelten seinen Geist und hielten ihn fest. Die Bäume lachten und riefen noch immer, doch kein froher Laut war aus den Geräuschen zu vernehmen. Schrill und unwirklich waren die Stimmen der Pflanzen geworden. Sein Geist wurde von den Ranken durchdrungen, dazu gezwungen ihre Form anzunehmen und sich ihnen anzuschließen. Villon aber wollte nicht. Selbst sein kindliches Ich war sich im Klaren darüber, dass hier etwas ganz gehörig falsch lief. So sollte es nicht sein und so wollte er auf keinen Fall enden. Er wehrte sich gegen die Ranken, schüttelte sich, ja biss sogar nach ihnen. Doch zu spät. Immer weiter wurde sein Geist von den erbarmungslosen Ranken eingesponnen und mit ihrer Essenz versetzt. Mit Grauen erkannte Villon, wie sein Geist abstumpfte, subtile Gefühle ausgelöscht und seine Erinnerungen verdrängt wurden, um Platz für neue Eindrücke und Erfahrungen zu machen, wie sie nur Pflanzen machen können, die Jahrhunderte an einem Platz weilten, nicht wussten, wie ihnen geschieht und sich auch nicht dafür interessierten.
Mit einem letzten verzweifelten Aufschrei gelang es Villon tatsächlich aufzuwachen. Er versuchte sich zu bewegen, doch zu seinem entsetzen waren seine Beine bereits schimmelig Weiss angelaufen und sein Unterkörper setzte sich der Verwandlung nicht mehr zur Wehr. Der Junge klopfte auf seinen Beinen herum und versuchte so, wieder Leben in die Extremitäten zu prügeln. Doch egal was er machte, kein Gefühl wollte sich melden. Die Beine versteiften langsam aber sicher und Tränen stiegen dem Jungen in die Augen. Er wollte zu seiner Mutter, nach Hilfe rufen oder einfach nur sterben, aber kein Baum werden! Um nichts in der Welt wollte er sich dem stumpfen Verstand einer Pflanze aneignen, die Welt aus den Blickwinkel eines Baumes betrachten. Verzweifelt raste sein Blick von Links nach Rechts, in der Hoffnung einen Ausweg zu finden. Doch überall war nur dämmriges Licht und weiches Moos zu finden. Zu allem Überfluss spürte Villon noch, wie sein Geist wieder verlangsamte und immer weiter vertrieben wurde.
Was konnte er tun?
Hilfesuchend blickte er auf seinen Handrücken und bemerkte das Dreieck, wie es in einer unheilvollen Aura glühte. Ein winziger Funke Hoffnung flammte auf und Villon versuchte seine dezimierten Geistigen Kräfte auf das Dreieck zu konzentrieren. Schweiss perlte auf seiner Stirn, als er sich dazu zwang, zu denken und seine Kraft auf seine Hand zu fokussieren.
Nichts.
Tränen rollten über seine Wangen und fielen zu Boden, ohne dass Villon eine weitere Möglichkeit in den Sinn kam. Hätte er doch nur seinen Stab gehabt... Mit seiner Magie würde er sicherlich einen Ausweg finden... Doch sein Stab war irgendwo außerhalb der Verlorenen Wälder unter Laub versteckt worden und somit außerhalb Villons Reichweite. Doch die Hoffnung glomm noch etwas in Villons kindlichem Körper. Und sie wuchs zum Trotz heran. Nie war es einfach gewesen und dennoch hatte es Villon immer geschafft, einen Weg zu finden, egal wie schmerzhaft er auch war. Wieder schickte er sich an, seine Gedanken zu sammeln und zu ordnen. Zwar war es Villon nie gelungen, ohne seinen Stab Magie zu wirken, aber jetzt war ein verdammt guter Zeitpunkt es zu lernen. Scheinbar uralte Praktiken rief er sich ins Gedächtnis, dachte an die Zeit seiner Ausbildung, versuchte sich an Abbildungen auf Pergamentrollen zu erinnern, rezitierte in Gedanken jeden Spruch den er je gelernt hatte. Doch nichts, was er aus den mentalen Untiefen heraufbeschwor, schien seinem Nutzen zu entsprechen und so schickte sich Villon an, tiefer zu graben und in die entlegensten Winkel seiner noch vorhandenen Geistes zu suchen. Immer mehr tauchte auf. Unnützie Bilder vergangener Tage, Gesprächsfetzen und Passagen aus Gedichten. Alles, nur keine magische Formeln. Sein gesamter Unterleib war bereits der Starre zum Opfer gefallen, als Villon Kammer um Kammer seines mentalen Bewusstseins erkundete, und hoffte, eine rettende Formel zu finden.
Jedoch war da nichts!
Plötzlich fielen ihm Gebete ein, die er als Kind von seiner Meisterin gelernt hatte und niemals ernst meinte, als er gezwungen wurde, sie wieder und wieder zu erzählen und damit den Göttinnen Unterwürfigkeit heuchelte. Doch in diesem speziellen Fall war er durchaus bereit sein erstes wirkliches Gebet in seinem Leben zu sprechen. Mit Mühe kamen die Worte in sein Bewusstsein und mit noch mehr Mühe über seine Lippen.
Doch dann passierte es. Mit jeder Silbe die er sprach, wurde es leichter. Die Gebete mussten nicht mühsam herausgezerrt werden, sie kamen von ganz allein. Sein Verstand wurde wacher und wacher. Sein Blick, vor wenigen Sekunden noch getrübt, klarte auf. Er rappelte nun jede Zeile der Gebete herunter und immer leichter fiel es ihm, sich an Dinge zu erinnern, Sachen zu verstehen und, was ihm Jubelrufe entlockte, seine Beine meldeten Schmerz. Doch als die Gebete endeten, hörte Villon nicht auf. Er wiederholte Sachen, die er vor Sachen gelernt hatte, Formeln, Rezepte, Lieder, einfache Geschichten.
Mit jedem Wort, verlies ihn die Starre und erlaubte ihm, sich wieder zu bewegen, sich an der Welt zu erfreuen.
Nach einer Ewigkeit, wie es schien, hatte er es geschafft, die Starre abzuschütteln. Seine Haut war wieder weiss und durchblutet. Er konnte sich wieder völlig bewegen und normal denken.
Er war der Magie des Waldes entkommen.
Schnell stand er auf, ignorierte die Schmerzen und die Proteste seiner Muskeln und setzte seinen Weg fort. Von nun an würde er vorsichtiger sein und seinem Geist nicht mehr der beruhigenden Weise des Waldes aussetzen. Konzentration war hier gefragt und ein klar fokussiertes Ziel, davon war Villon überzeugt, als er sich über einen kleinen Bach beugte und gierig das eiskalte Wasser trank.
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