Milo und Ravana waren erst gegen Mittag von der Farm aufgebrochen, die ganzen Flaschen aufzuladen hatte sich als recht anstrengend erwiesen und Balon hatte sich natürlich nicht dazu herabgelassen, ihnen dabei zu helfen. Er hatte die meiste Zeit des Tages im Schatten geschlafen, um, wie er sagte, sich von den beiden anstrengenden Gören zu erholen.

Die Sonne war schon am Untergehen, und die beiden hatten erst gut die Hälfte des Weges geschafft.
Milo hatte die Zügel in der Hand und schien sich ganz wohl zu fühlen in seiner Rolle als Herr über den Wagen und die Kuh, während Ravana versuchte, sich auf der ruckelnden Holzbank möglichst bequem hinzusetzen, was gar nicht einfach war, denn der Bock war nicht für Bequemlichkeit gedacht.
„Milo, wird an der Stadt nicht abends immer die Zugbrücke hochgezogen, damit Räuber und Banditen aus der Stadt ferngehalten werden?“ fragte Ravana besorgt.
Milo nahm den Grashalm, auf dem er schon die ganze Zeit herumgekaut hatte, aus dem Mund und sagte: „Ja, eigentlich schon. Aber sie machen es erst spät abends, wenn es auf Mitternacht zu geht, auf jeden Fall sind Balon und ich das letzte Mal noch rechtzeitig rausgekommen, und da war es auch schon später. Wird schon hinkommen, keine Sorge!“
Ravana war nicht beruhigt. „Ja aber, was, wenn die Brücke doch schon hochgezogen ist? Dann müssen wir mit dem Wagen draußen bleiben, da ist mir nicht wohl dabei, mit der ganzen wertvollen Milch...“
Milo sah nun auch ein wenig beunruhigt aus. „Balon hat mir mal was von den Knochenfürsten erzählt, die manchmal nachts hier in der Steppe auftauchen..“ er schüttelte sich. „Wär schon gut, wenn wir noch rechtzeitig ankommen. Mal sehen, ob die Kuh hier nicht ein bißchen schneller laufen kann!“ Milo schlug mit dem Riemen des Zügels auf den Rücken der Kuh, doch die ließ sich von davon nicht beeindrucken und lief mit gemähchlicher Geschwindigkeit weiter.
Hoffentlich schaffen wir es rechtzeitig, dachte Ravana. Knochenfürsten...

Der Mond war schon lange aufgegangen, und es war schon stockduster, als sie sich endlich der Stadt näherten. Neben der Zugbrücke brannten hell zwei große Fackeln, und soweit sie erkennen konnten, war die Brücke noch heruntergelassen. Ravana viel ein Stein vom Herzen, der Gedanke, die Nacht schutzlos vor den Toren der Stadt verbringen zu müssen, hatte ihr gar nicht gefallen.
Als das schwere Fuhrwerk schließlich über das massive Holz der Brücke ratterte und die Flaschen aneinander klirrten, sah auch Milo etwas erleichtert aus.
Er ist ziemlich mutig für sein Alter, auf jeden Fall hat er es sich kaum anmerken lassen, wenn er auch Angst hatte, zu spät zu kommen, dachte Ravana.
Der Wachtposten an der Stadtmauer kam auf sie zu und sagte: „Da habt ihr aber Glück gehabt, wir wollten gleich das Tor hochziehen! Was ist euer Begehr hier in der Stadt? Wollt ihr was verkaufen?“
Ravana nickte und Milo sagte: „Ja, wir haben hier Milch, die wir dem Königshaus verkaufen sollen.“
Der Soldat ging um den Wagen herum und sah sich die Ladung an.
„Schön! Das könnt ihr aber erst morgen früh machen, für heute reicht die Zeit nur noch, um euch nen Schlafplatz zu suchen.“
Ravana fragte: „Könnt Ihr uns da was empfehlen? Es soll nicht zu teuer sein, aber sauber, und wir brauchen einen Schuppen oder so, wo wir den Wagen sicher hinstellen können..“
Grinsend sah der Mann zu ihr auf und sagte: „Ja, für dich wüsste ich schon was, gleich kommt meine Ablösung und ich hab ein gemütliches Zimmer dahinten, wir könnten...“
Ravana starrte ihn böse an.
„Schon gut, brauchst mich gar nicht so giftig ansehen. Ihr könntet zur Tischlerei fahren, die nächste Gasse links abbiegen, dann fahrt ihr direkt drauf zu. Der Tischler und seine Frau haben ein Zimmer übrig, das sie an Fremde vermieten, die haben auch Platz für euren Wagen. - Willst du nicht doch mit zu mir..?“
Milo ließ den Wagen anfahren, und sie ließen den lachenden Soldaten hinter sich. Zum Glück konnte Milo nicht sehen, wie rot sie bei den Worten des Soldaten geworden war, und auch er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

In den meisten Häusern brannte kein Licht mehr und es war so dunkel in den Gassen, dass sie sich ganz auf die Sinne der Kuh verlassen mussten und hofften, dass sie den Wagen nicht irgendie verkeilte.
Als sie an der dicken Holztüre des Tischlers klopften, tönte das laute Rasseln der hochgezogen werdenden Zugbrücke durch die ganze Stadt. Schließlich öffnete ein dicker Mann die Türe, in der Hand ein langes Messer. „Wer seid ihr?“ raunzte er schläfrig.
„Der Soldat an der Zugbrücke sagte uns, dass Ihr ein Zimmer anbietet?“ sagte Milo schüchtern.
„Ein Zimmer? Für euch beide? Könnt ihr auch zahlen? Für 25 Rubine bekommt ihr das Zimmer und ein Frühstück dazu. Habt ihr so viel? – Weib! Komm her, wir haben Gäste!“
Milo und Ravana sahen sich an. Sie hatten zwar Geld, wollten es aber eigentlich nicht ausgeben. Milo’s Augen nahmen einen verschmitzten Ausdruck an, er sagte: „Wir haben eine Ladung Milch für den König dabei. Wie wäre es, wenn Ihr statt Geld einfach fünf Flaschen frische Milch von der Farm nehmt?“ Ravana starrte ihn entgeistert an. "Keine Sorge, das Geld nehmen wir morgen bestimmt wieder ein, dann müssen wir eben die Milch ein klein wenig teurer verkaufen!"
Hinter dem Tischler erschien eine Frau, die eben so breit war wie ihr Mann. „Milch statt Bezahlung? Ja, warum nicht? Dann spare ich mir schon den Weg morgen zum Markt. Kommt rein, ihr beiden. Mein Gemahl stellt euren Karren in den Schuppen und versorgt eure Kuh.“