lange hats gedauert,
die Muse war dahin...
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Kapitel 4: Im Bett und davor
Eingeschlafen ist er. So hat ihn die Erinnerung erschöpft. Ermattet und schwach lag er zusammengekauert unter seinen Decken. Seine Klamotten vom Tage immer noch auf dem Körper tragend.
Nun ist er wach. Schaut mit halb geöffneten Augen über den Rand der Bettdecke. Das Sirren der schwachen Birne ist wieder zu hören, beziehungsweise immer noch. Ausgemacht hat er die gestern Abend nicht. Nicht weil er zu faul war um sich noch einmal aufzuraffen, seine Klamotten auszuziehen und die Lampe auszuknipsen. Nein, er war müde, todmüde. Ist in einen komatösen Schlaf gefallen, ohne nochmals Aufzuwachen, zu Träumen oder Gefühle zu spüren. War der Wirklichkeit entrückt. Dagegen konnte er nicht ankämpfen. Eine Abwehrreaktion seines Körpers auf die Überbeanspruchung.
Die blauen Augen schweifen noch ängstlich, noch in der Deckung sicheren Rückhalt ahnend, nahe an der Bettdecke entlang. Wagen mehr, kurze Sicht auf die Dinge um ihn werden gewahr.
Sehen wie viel Uhr es ist, kann er jedoch trotz des hellen Lichtes nicht. Denn auf dem Nachttisch steht kein Wecker. Den hat er schon lange weggeschmissen. Zeit braucht er nicht zählen. Seine Zeit zählt sich von allein. Läuft allein, Korn für Korn durch die Sanduhr. Im Himmel steht ein großer Wecker, der wird schon zur rechten Zeit klingeln, ihn wecken und zum Gehen rufen.
Auch wenn dieser seiner Meinung nach zu früh eingestellt wurde. Ändern daran kann er nichts. Die Zeiger ticken unaufhörlich.
Oder ist es etwa eine digitale Uhr?
Früher wurde er immer mit monströsen Klingeln geweckt, musste er immer um Punkt sieben Uhr raus aus den Federn. Die Arbeit und die Tochter rief da, laut und eindringlich. Und meistens hüpfte die Kleine zu ihm ins Bett, rüttelte ihn aus seinen friedlichen Träumen, um ihn an ihrem Leben teilhaben zu lassen.
Bloß nicht dran denken.
Das Hirn hat jetzt Pause, oder war`s das Herz?
Er dreht sich auf den Bauch, streckt der Welt seinen Rücken hin. Rekelt sich unter der Decke, warm ist es, sie hüllt ihn vollkommen ein. Das Shirt klebt zerknittert an seinem schmalen Oberkörper, den Pulli den er abends noch trug muss er während der Nacht abgelegt haben. Aber daran erinnern kann er sich nicht. So bleibt er eine Zeitlang liegen, lässt die stumpfsinnigen morgendlichen Überlegungen über sich ergehen, ohne sie zu lenken.
Dann manifestiert sich einer der vielen wirbelnden Samen. Streckt die Wurzeln zart in die Erde, fühlt, dort wo sie sich schon oft verwurzelt hatten.
Dort wo sie schon oft in wildem Entsetzen herausgerissen worden sind.
Die Decke ist ihm zu schwer, sie lastet auf ihm tonnenweise.
Kaum ist er in der Lage sich von ihr zu befreien. Hastig strampelt er sich frei. Schlägt gegen den fremden Gedankentäter die Unschuldige.
Atmet hektisch in der neuerkämpften Freiheit. Schweiß tritt auf seine Stirn. Das Herz erhöht die Schlagzahl drastisch, hämmert gegen seine schmächtige Brust.
Diese ständig verfolgenden Gedanken...Ich will nicht begraben werden unter Laken, Decken... Erde. Mit einem Sprung ist er aus dem Bett. Laufen will ich, solange ich es noch kann.
Will aus dem Schlafzimmer rennen, stolpert über Bücher. Schlägt hin. Blut läuft ihm in die Augen. Er hat sich eine Platzwunde geholt. Vom Schlag noch benommen, drückt er sich hoch. Muskeln und Seele schmerzen. Am Türrahmen zieht er sich aus dem Sumpf. Die Brücke ist unter seinen schnellen, unbedachten Füßen zerbrochen. Für einen Moment bleibt er wieder im Türrahmen stehen. Zwischen den Zimmern, zwischen den Welten.
Dunkel ist es im engen Flur. Ruhig ist es. Er kommt wieder zu sich, der Kopf wird nur langsam klarer. Das Blut pulst und der Geschmack von Eisen gerbt seine Zunge. Das Pochen des Lebenssaftes übertönt die neuerlich aufsteigenden Gefühle.
Komm zur Besinnung, schimpft er sich, du spinnst ja schon. Bleib ruhig, Junge.
Lachen will er über die dumme Ansprache, sich selbst einen Jungen bezeichnen. Nein, er wird sich jetzt nicht erinnern, wie sein Vater ihn immer wieder als "seinen Jungen" bezeichnete. Daran wird er nicht denken, daran muss er nicht denken.
Die Beine, die immer noch drohen wegzusacken, treffen das Holz der Türe. Zuckend läuft der Aufprall durch den Oberschenkel ins Hirn. Der Lebensschein will sich aber nicht so schnell beruhigen, die Brust bebt nach, unter schweren Stößen röchelnden Atems.
"Frische Luft wird gut tun", sagt er halblaut zu sich selbst.
Er redet oft mit sich selbst, mit wem denn sonst? Dabei geht er durch die nachte Wohnung und packt seine Sachen. Nimmt seine Jacke, setzt seinen Rucksack auf. So jetzt bist du gerichtet, würde jetzt sein Vater zu ihm sagen, wenn er mit seinen acht Jahren, vor dem alten Herren stehen würde.
Tut er aber nicht. Er steht vor dem Spiegel, der nur ein schmales Bild von ihm wiederspiegelt. Das Licht was aus dem Schlafzimmer in den Flur fällt reicht gerade aus um die groben Umrisse zu erkennen. Das Blut kann er trotzdem sehen, spüren, fühlen. Stumme Leibschmerzenschreie werden immer erkannt. Auch wenn es nur eine ganz kleine Wunde ist, die vor Minuten stark blutete. Aber jetzt ist die Quelle des Todessehnsuchtsaftes versiegt. Schmierig klebt er an Haar und Augenbraue. Mit einer nichtahnenden Handbewegungen verwischt er ihn, unter der Berührung krampft sich seine Hand schmerzhaft zusammen.
Aus der Jacke nimmt er eine Wollmütze, zieht sie tief ins Gesicht.
Die Verletzung ist jetzt nicht mehr auszumachen. Fremde werden sie nicht entdecken. Zwei kleine Schritte dann ist er an der Tür. Öffnet sie und tritt ins Treppenhaus.
Spazierengehen wird er.





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