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Provinzheld
so, Kapitel 1 ist da...
hoffe auf viel Resonanz
und wieder die Frage: Weiterschreiben?
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Kapitel 1: Die Zugfahrt
Von weitem schon kann er den Zug hören, die leisen scharrenden Geräusche. Die schnellen Räder, die Bremsen, die Funken vor sich springen sehen. Er muss nicht in den Graben hinuntersteigen, dort wo die Schienen und die großen Steine liegen, um dass zu fühlen. Er muss nicht wie die Indianer den Kopf auf die eisernen Stränge pressen, oder sein Ohr an die Erde legen um die Büffelherden aufzuspüren. Er hört es einfach so.
Dann, das leise Klappern und Scheppern, das Signal springt um und zeigt an: Ein Zug kommt.
"Auf Bahnsteig eins fährt ein, der Zug aus...".
Er hat die Zeichen richtig gedeutet. Der Lautsprecher hat ihn bestätigt, ohne irgendetwas von dem verstanden zu haben was der Ansager den Reisenden ankündigt, weiß er das. Die Ansprachen des Bahnhofvorstehers kennt er schon. Er liebt es ihnen zu lauschen, dem näselnden Lautsprecher zu folgen und die einzelnen verzerrten Laute zu neuen Wörter zusammenzufügen. Der erzählt Geschichten von der Welt, von fremden Ländern, Menschen, Abenteuer, von Reichtum und Krankheiten. Die Geheimsprache kann nur ich verstehen, denkt er sich dann immer und kommt sich vor wie ein kleines Kind. Ein kleines Lächeln spielt für einen Moment um den traurigen Mund. Ich lernte sie jahrelang, Tag für Tag, von meinem eckigen kleinen Lehrer unter dem Vordach des Bahnhofgebäudes.
In der Ferne tauchen nun die zwei gelben Augen des stummen Tieres auf. Blitzen um die Kurve und kommen dann direkt auf einen zu. Er stellt sich oft vor, dass es die wilden Augen eines Tigers sind, die dort leuchten. Aber dieser wurde gezähmt, das unruhige Feuer in seinen Augen ist erloschen.
Schade dass es keine Dampflok ist, kommt es ihm in den Kopf, sonst könnte ich das Tier schnaufen und fauchen hören, es atmen sehen. Ich hätte gesehen wie der Drache Feuer speit, so wie früher, wo sie noch lebten die schwarzen Drachen.
Sentimental ist er. Eine traurige Krähe will ihr Nest verlassen, aber es ist zu hoch gebaut.
Bis die Ritter in den Kampf zogen und die Drachen dahinrafften.
"Früher" ist ein dummes Wort, wir leben im Heute.
Während seine Gedanken mit Drachen und Rittern spielen kommt der Zug neben dem Bahnsteig zum Stillstand. Drinnen kann man auf hellerleuchtenden Sitzen die Insassen sehen. Aber er sieht sie nicht. Ohne sie eines Blickes zu würdigen guckt er gen Himmel. "Dunkel wird’s", sagt er, flüstert leise dem Grau über den Baumwipfeln zu. Er senkt seinen Kopf, versteckt ihn im Aufschlag der Jacke, bahnt sich mit ausholenden Schritten seinen Weg durch die Aus- und Einsteigenden und tritt ein. Fühlt nun die Wärme um sich wogen. Leise kann er dem Verkünder der Geheimsprache lauschen, kaum nimmt er ihn wahr. Auf Wiedersehen, sagt er.
Seine Augen wandern zwischen Bänken und Menschen, suchen einen Sitzplatz. Ah, da ganz hinten. Wieder schlängelt er sich zwischen den Reisenden durch die auch auf der Suche nach einem Platz sind. Läuft zwischen lebendigen Reihen. Blickt nicht links nicht rechts, ist nur starr auf sein Ziel fixiert. Dabei entgehen ihm die Gesichter von vielen Leuten die da sitzen, schlafen, lesen, Musik hören, träumen, reden, nachdenken. Die Neuankömmlinge lassen sich alle nur erschöpft zwischen ihnen fallen. Sie stören das ruhige Bild der Bahnfahrer, die da alle gelassen warten was kommt.
Er hat seinen Platz, hat mal wieder den Kampf gewonnen. Lässt sich nieder zwischen den Menschen die in jedem Zug zu dieser Tageszeit sitzen.: Pendler. Ihm gegenüber der Geschäftsmann, fein verkleidet im grauen Anzug und mit der Krawatte als anständiger Mann gekennzeichnet. Sieht aus wie ein Bänker - ein Denker? Vielleicht. Darf man nicht ausschließen, er grinst gehässig bei dem Wortspiel das sich in seinem Kopf bildet. Sein Blick streift das Fenster. Es spiegelt die Leute die hinter ihm sitzen, die er von seinem Platz aus nicht sehen kann. Da kauert die lernende Studentin total vertieft in ihre Bücher neben dem Lehrling mit seinem verschmutzen Blaumann. Ein schönes Paar, denkt er sich. Und da im Eck, das kann er durch das Fenster nur verschwommen erkennen ist einer eingenickt. Sein Kopf liegt auf der Brust, die Zeitung auf seinem Schoß. Was liest der denn da?, fragt er sich. Große Schlagzeilen sind zu erkennen, ein kurzes Wort zu lesen: "tot". Seine Lippen formen das Wort, kein Ton entsteht. Leise echot es in seinem Kopf.
Schnell wendet er seinen Blick ab. Will nicht mehr dieses schreckliche Wort lesen und an es denken. Die Augen sind auf der Suche nach einem neuen Anhaltspunkt, schweifen mal hier mal da, unstet durch Leben die wie auf der Hühnerstange aufgereiht hocken. Dann findet er diesen Punkt, auf den er sich konzentrieren kann. Erleichterung überkommt ihn.
Wie in jedem Zug ist auch hier ein riesiger brauner klebriger Fleck auf dem Boden, eine Zierde die jeden guten Zug kennzeichnet. Ein leises zynisches Lächeln umspielt gekünstelt den Mund mit den hängenden Winkeln. Komisch ist das Gefühl, er will sich selber weiß machen dass es ihm gut geht. Vielleicht auch den anderen, aber da kommt es ihm: Die anderen müssen mich für verrückt halten, wenn sie einem dumm grinsenden Fahrgast sehen, ich muss miesepetrig dreinschauen.
Er lacht auf. Schrill.
Köpfe werden herumgerissen, Schlafende blicken auf. Böse Blicke halten ihm eine Hand vor den Mund. Schnell beruhigt er sich, schluckt sein Grinsen trocken herunter. Ist wieder ernst. So ernst wie man es erwartet.
Er ist scheu, will nicht auf sich aufmerksam machen. Taucht gerne in der Masse unter, wie ein kleiner Fisch im großen Meer, versteckt sich zwischen den Tentakeln dieser und jener immergrünen Pflanze. Jetzt war er kurz herausgeschlüpft aus dem schützenden Korallenriff, in die weite See.
Er nimmt den Rucksack, den er vorher zwischen die Beine gestellt hat auf. Setzt ihn vorsichtig auf seinem Schoß ab, öffnet ihn. Greift suchend herein und findet das Gesuchte. Beruhigend wirkt dass, nach der Unruhe von gerade eben. Kleine Schweißperlen blinken auf seiner Stirn im hässlichen Neonlicht. Die Hände zittern etwas und die Handflächen sind schweißnass.
Sein Buch, sein Buch mit den kleinen Worten. Sein Heiligtum hat er in den Händen, hält es fest an sich gepresst. Wieder soll etwas zugefügt werden, wieder soll ein kleines Wort, vielleicht sogar zwei, ihn erinnern. Denn dazu sind die kleinen Worte da, die er in sein Buch schreibt. Es sollen kleine Worte sein die Brücken bauen können, kräftige Worte die stützen. Worte die ihm die Möglichkeit geben zu Denken und zu Fühlen. Nachzufühlen was er in diesem Moment gefühlt hat. Es sollen Worte sein die bunte Bilder vor seinem Auge malen können, wenn er in einem weißen Raum sitzt. Liegt. Denn Liegen wird er in einem weißen Raum.
Er hat eine leere Seite gefunden. Weiße Seite, sagt sein Kopf. Auf andere Gedanken kommen sagt sein Kopf als nächstes. Rasch greift er erneut in den geöffneten Rucksack und zieht nach kurzem Wühlen im Nichts, den der Rucksack ist sonst gänzlich leer, einen Kuli heraus. Seinen Kuli, der ihm hilft sich zu erinnern. Ein Werkzeug, dass die Worte konserviert und einpackt bis man sie wieder öffnet und alles frisch erstrahlt.
Beschwingt lässt er den Kuli die Worte malen, später soll es "brauner Fleck in Zügen" heißen. Dabei muss er sich zu einem schmalen Grinsen zwingen. Erst dann grinst er richtig. Gute Laune macht der Aufschrieb, er wird sich später gern erinnern und bei der Notiz grinsen. Dazu sind die Worte nämlich auch da. Weinen wird er bei dem Aufschrieb, dass weiß er genau.
Zufrieden hebt er das Buch etwas weiter weg. Man muss das Kunstwerk auf sich wirken lassen, sagt man doch. Die Augen strahlen gezähmt. Neugierig guckt der Geschäftsmann herüber.
"Wollen sie's sehen?", fragt er den. "Nein nein", erwidert der Geschäftsmann schnell. "Dachte ich mir doch", antwortet er. Verblüfft schaut ihn der Geschäftsmann an.
Wohlwollend nickt er dem Staunenden zu. Alles in Ordnung heißt das.
Geändert von schreiberling (19.11.2004 um 19:37 Uhr)
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