der Anfang einer kleinen Geschichte...
bisher steht ein grobes Gerüst, nur der Prolog ist ausformuliert.
Scheut nicht mit Kritik und sagt mir wenn ich die Idee lieber verwerfen soll
Weiterschreiben?


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Der Protokollant

Prolog: Am Bahnhof


Was für ein wunderschöner Novembertag, denkt er sich und bläst heißen Atem in die kalte Luft. Ein Wölkchen, ein Strudel in sich gefangen vor seinem Mund. Steigt in kleinen weißen Schwaden im harten Wind wirbelnd auf, schlängelt sich an der Säule des Bahnhofvordaches hinauf und schwebt von dort aus ungehindert in den grauen Nachmittagshimmel. Er starrt lange dem kleinen weißen Schwaden nach bis sie im Nichts verschwinden. Weiter blickt er auf den Punkt im endlosen Himmel an dem er als letztes die kleinen Wölkchen gesehen hat. Das Grau vor ihm verschwimmt und ein neues Bild taucht auf:
Er steht an einem kleinen Vorstadt-Bahnhof. Der Bahnsteig ist leer. Zwischen den Vordachsäulen zieht es kalt,. Braune Blätter spielen, tollen in Gruppen umher, rascheln ausgiebig. Manche liegen einfach nur einzeln da, sind nass und kleben am Boden. Er lehnt sich wieder zurück an die schlanke Stütze die das Dach des Bahnhofs trägt. Lässt den Kopf sinken:
Der Himmel ist in einem grau gestrichen wie es nur jetzt im Herbst vorkommt. Ein herrliches grau. Dicht wie die Mäntel die das Herz wärmen, und doch so kalt wie die Asche in den Urnen.
Durch die klare Luft muss man nicht zwischen Wolken hindurch das hoffnungsvolle Blau suchen, vielmehr kann man sich auf der Gewissheit ausruhen dass hinter dem schlichten Grau ein schönes Hellblau wartet einen zu beglücken.
Die Hände sind blau, blau und klamm. Die Fingerspitzen sind kaum mehr zu spüren, nur noch mit einem leisen Kribbeln machen sie auf sich aufmerksam. Ein komisches Gefühl, als ob der Tod an den Fingern saugt, verliebt knabbert und von dort aus sich ausstreckt den ganzen Körper nach und nach in langen Kämpfen einzunehmen. Ohren rot, Nase läuft und Beine zittern ständig um den kalten Feind Widerstand zu leisten.
Aber die Kälte reinigt, wie die saubere Luft die Lungen, den Verstand. Alles womit man sich gerade unnötiger Weise beschäftigt hat wird vom eisigen Schwamm fortgewischt. Nur noch einige Wörter prangen an der Tafel, aber die sind wichtig. Die muss man abschreiben sagt der Lehrer.
Eine Erholung von den Strömen die von außen eindringen und sich in den verschieden Gedankenflüssen sammeln, geballt weiter ihrem Weg folgen und ihn auch finden. Das Hirn kann sich nie eine Pause gönnen.
In einer nicht zu erkennenden Bewegung führt er seine Hand von der bisher wärmenden Tasche zu seinem Gesicht, über den harten Bart, spürt die einzelnen Stoppeln und streicht die Kälte von den geröteten Wangen. Schlägt müde die Augen nieder und sperrt die Welt aus für einen Moment der Ruhe. Er schöpft Kraft. Bis er sie wieder langsam öffnet und die Welt wieder auf ihn einstürzt. Um ihn herum tobt.
Dabei ist der Steig völlig leer, er steht allein. Nur das rhythmische Ticken der großen analogen Bahnhofsuhr ist zu vernehmen. Es trommelt leise immer wieder auf die Becken im Kopf, gleichmäßig wie eben dieses Uhrwerk gibt der Sekundenzeiger den Takt an für das tragische Drama Welt.
Dies kann er hören.
Bald wird auch diese schöne Erinnerung, die Begleitung vieler Generationen Reisender schweigen, wird ersetzt werden von der Moderne. Ein kleiner digitaler Kasten wird dort hängen, unpersönlich mit Zahlenanzeige. Nicht mehr das als Kind gelernte Paar, kein großer oder kleiner Zeiger mehr die sich jagen und doch friedlich ihr Heim teilen. Nur 4 Ziffern die vermeintlich genauer Auskunft darüber geben was die verstummten Zeiger über Jahre taten. Gefühle und Erinnerungen werden wach, lange, lange ist es her...
Wie werden Kinder der Grundschule die Uhr lernen?
Solche Nebensächlichkeiten werden für sie aussterben und nie mehr wiederkehren, schießt es ihm dann plötzlich durch den Kopf. Einen Moment noch streunen die Augen über die zerbrochenen Betonplatten auf denen er sicher steht, betrachtet kurz das graue Grün was dort trotzt.
Einem Einfall folgend lässt er dann eilig seinen Rucksack auf den Boden gleiten. Den Rucksack den er die ganze Zeit ohne Last auf dem Rücken trug. Ungelenkig sinkt er in die Knie, die Kälte hat seine Gelenke gelähmt. Und auch mit ungelenken, grabschend zitternden Fingern öffnet er den Rucksack. Er kniet, wackelt, fällt fast um. Die Füße sind noch taub, waren eingeschlafen und werden von heißen Nadelstichen geweckt. Aber seine Aufmerksamkeit richtet sich auf den schwarzer Schlund des Untiers der sich vor ihm auftut, mutig greift er hinein und findet das einzige Inhaltsstück, ein in Leder gebundenes Buch, früher war es bestimmt mal ein Notizbuch. Hastig schlägt er es auf, immer noch von steifen Fingern behindert sucht er die nächste leere Seite in dem fast vollständig "gefülltem" Buch. Jede Seite zieren nur drei oder vier Wörter, höchstens mal ein ganzer Satz, manchmal nur ein einzelnes kleines Wort. Dann beherrscht er sich, blättert Seite für Seite vorsichtig um.
Mein Schatz, könnte man ihn nun sagen hören wenn er es nur aussprechen würde.
"Quelle", "Kassette" und "Fuchs" huschen so vorbei.
Die nächste weiße Seite, er bleibt stehen.
Greift den angeklemmten Kugelschreiber und schreibt in krakeligen Buchstaben "großer und kleiner Zeiger" direkt in die Mitte des Blattes. Sein Schreibgerät schwebt immer noch gefährlich nah über das gerade Vollbrachte. Aber es besteht die Zensur. Betrachtet sein Kunstwerk schweigend. Dann hält er inne, legt seinen Kopf kurz in den steifen Nacken und schlägt die Seite um. Blickt noch mal auf, legt die Stirn in Runzeln, er will nichts überhasten. Nun schreibt er "Novembergrau", dies mal sorgfältiger in gewählten Buchstaben. Lehnt sich zurück, erschöpft scheint er.
Muss ich mir unbedingt merken, formen seine stummen Lippen. Legt sein Buch sorgsam, wie eine Mutter ihr Kind, in den Rucksack zurück, verstaut es sicher. Er schließt den Rucksack und nimmt ihn sacht wieder auf. Befriedigt guckt er nochmals in den Novemberhimmel. "Schönes grau", sagt er leise und lässt sich langsam gegen die Stütze des Bahnhofvordaches sinken. Atmet hörbar aus.