-
General
æschókach
Auf dem Nachhauseweg, in einer Lücke zwischen den entfärbten Fassaden, wo frisches Grün sich der Sonne zu in den Blick drängt, werde ich Zeuge eines wunderbaren Schauspieles: aus heiterem Himmel stürzt sich ein Raubvogel ins Bild, schwingt sich majestätisch über meinen Kopf hinweg und schwebt mit gellendem Ruf über Baumwipfel, wo er sich meinem Blick entzieht. Sein Gefolge ist eine raue Böe, die Bäumchen verneigen sich dem König der Lüfte hinterher und werfen von dessen durchdringendem Schrei zitternd noch lange Blatt um Blatt ab. Auch ich bin ganz gebannt von den Ereignissen; mein Leben lang habe ich noch keinen wilden Raubvogel aus der Nähe gesehen. Ich gehe weiter, wenngleich ich im Geiste dem Tier folge, das sich so graziös darauf versteht seine Umwelt aufzurühren.
Schliesslich betrete ich das Haus und den Fahrstuhl, der mich willig hinter festem Metall einschliesst, mir die Sicht auf das Treppenhaus nehmend. Ein Knopfdruck, zwei sanfte Stösse und das Aufsperren der Türe offenbaren mir dasselbe Treppenhaus. Wenig verweist hier darauf, dass ich vier Stockwerke gestiegen bin – ausser meiner Vernunft. Ich öffne ohne Zögern die nächste Tür und feile noch an den Worten, mit denen ich meiner Frau von meinem Erlebnis auf dem Heimweg berichten will.
Noch bevor ich meine Schuhe aufschnüren kann, steht sie im Flur und sieht mich streng und doch fragend an. Verunsichert lächle und stiere ich sie an und stammle einen Gruss.
„Die vom Spital haben angerufen“, sind ihre knappen Worte, welche sie auch nur knapp ausspricht.
„Wegen deiner Bewerbung?“
„Ja, wegen dem Vorstellungsgespräch.“
„Das ist ja wunderbar! Glückwunsch! – und natürlich drücke ich dir die Daumen.“
In der quellenden Freude merke ich gar nicht, wie sich Gewitterwolken verdichten im heimischen Flur.
„Was soll das?“, schreit sie mich an. Und bevor ich eine dämliche Frage stellen kann, fällt mich Regen, Blitz und Donner an.
„Du hast doch schon vor einer Woche mit ihnen telefoniert! Warum hast du mir nichts ausgerichtet? Sie waren so nett heute nochmals anzurufen. Aber weisst du, das hätte jetzt verdammt schief laufen können!“
„Ich habe mit niemandem vom Spital telefoniert.“
„Achja? Wohnt denn hier etwa noch ein Herr Gruber, der sich als mein Mann ausgibt? Ich verstehe das einfach nicht – wie kannst du nur so lange nichts sagen, obwohl du genau weisst, wie wichtig es ist? Und haben wir nicht abgemacht, dass du mir einen Zettel schreibst, wenn du Anrufe für mich empfängst?“
„Zettel schreiben, Zettel schreiben! Wie soll ich das denn? Ich kann weder hellsehen, noch habe ich einen Anruf entgegengenommen.“
„Du musst es nicht auch noch abstreiten, das hilft jetzt keinem mehr.“
„Ich streite nichts ab! Ich vergesse doch nicht so einen wichtigen Anruf! Du musst die vom Spital falsch verstanden haben.“
Ich hoffe sie mit dem letzten Satz ein wenig beschwichtigt zu haben. Doch da sammelt sich die Nässe und aller Groll des Unwetters in ihren Augen:
„Jetzt liegt der Fehler wieder bei mir, wie? Wahrscheinlich machst du mir auch noch Vorwürfe, weil ich dich hier mit so dummem Geschwätz belästige? Ich weiss doch genau, was die gesagt haben – hab' extra nachgefragt! Konnte es ja kaum glauben!“
Sie sieht aus, als wolle sie sich zur Türe hinausstürzen und erst in Stunden zurückkehren, doch ich stehe ihr im Weg. Ich prüfe, ob meine Schuhe noch zugeschnürt sind, und gehe.
Der Fahrstuhl bringt mich mit einem Ruck in die Tiefe. Ich kann so einen Anruf nicht einfach vergessen haben. Und so gründlich ich auch in meinen Erinnerungen forsche, sind da nicht einmal Anzeichen auf ein wichtiges Gespräch mit dem Spital. Dafür finde ich die Lücke wieder. Das Gras zieht sich machtlos vor dem Asphalt zurück und die Bäume stehen starr und leblos, von Menschenhand angeordnet und gestutzt, in trauriger Formation da. Eine Bewegung lässt meinen Blick sich heben und ich werde Zeuge eines schauerlichen Schauspiels:
Ein Raubvogel stürzt sich ins Bild, flattert mit zerzausten Flügeln über meinen Kopf hinweg und stösst noch einen verzweifelten Schrei aus, bevor ihn die Baumwipfel verschlucken. Sofort kehrt wieder Stille ein. Nicht ein einziger Grashalm dreht sich zum Abschied in jene Richtung, in welcher der Vogel verschwunden ist. Auch ich bin erstarrt; mein Leben lang habe ich noch keinen Raubvogel aus der Nähe gesehen. Ich setze mich auf eine Bank und rätsle, wie etwas, das sich so eindrücklich in Szene setzt, so plötzlich verschwinden kann – spurlos, ganz und gar der Wirklichkeit entrückt. Und was wäre, wenn in jenes schwarze Loch hinter den Baumwipfeln die Bäume selbst, alles Grün, die Leere der Lücke und die umliegenden Häuserkomplexe eingesaugt würden? Ob ich wohl je wieder nach Hause fände?
Geändert von Pyrus (20.08.2004 um 01:52 Uhr)
Berechtigungen
- Neue Themen erstellen: Nein
- Themen beantworten: Nein
- Anhänge hochladen: Nein
- Beiträge bearbeiten: Nein
-
Foren-Regeln