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Ritter
Kapitel 4 – starker Kaffee, wie immer
3
Der Tisch war frei, wie immer. Es schien fast so, als würde jemand darauf achten, dass der Autor seinen Kaffee zu sich nehmen konnte. Diesen Umstand nahm er jedes Mal wieder dankend an und setzte sich, den Mantel über einen Stuhl, nicht über einen der Kleiderhaken gehangen, mit einem langen Seufzer auf seinen Stammplatz. Nach kurzem Warten kam auch schon die Bedienung: Julia, wie immer. Sie war eine äußerst attraktive junge Frau. Eine von der Art, wie man sie eigentlich nicht an solchen Orten zu finden erwartet, was aber irgendwie trotzdem immer wieder passiert. Sie trug ihr blondes Haar zu einem Zopf gebunden. Der Autor hatte sie schon ohne diesen Zopf gesehen, als sie wegen irgendeiner familiären Angelegenheit einmal früher von der Arbeit ging. Sie hatte ausgesehen wie ein Engel, erinnerte er sich. „Ich nehme an, Sie wollen starken Kaffee, Herr…? Verzeihung, aber ich habe schon wieder Ihren Namen vergessen…“ Natürlich hatte sie das. Jemand wie sie hatte andere Dinge im Kopf, als den Namen irgendeines Halb-Arbeitslosen, der hier jeden Tag seinen Kaffee zu sich nimmt. Auch wenn es jeden Tag war. Er vermied es, ihr in die warmen braunen Augen zu sehen. „…ist ja nicht weiter schlimm. Starker Kaffee, wie immer, ja.“ Ohne ein weiteres Wort ging sie dann auch schon wieder, als hätte sie nie eine Frage gestellt. Draußen fing es an zu regnen. Unweigerlich dachte der Autor wieder an seine drei Figuren. Regnete es bei ihnen auch? Wo waren sie jetzt wohl? Gestern hatte er sich nach seinem kleinen Spaziergang aus der Affäre gezogen, indem er einfach nicht geschrieben hatte, was mit den Dreien zwischen dem vierten und dem achten Tag seiner Erzählung passiert ist. Und da er diesen Teil aus der Sicht eines Dritten erzählen lassen hatte, sah er sich auch nicht konfrontiert mit dem Problem, alles im Nachhinein erklären zu müssen. Aber jetzt tauchten diese Fragen wieder auf: Was haben sie in der Zwischenzeit gemacht? Wo haben sie Geld her? Werden sie öffentlich gesucht? Bestimmt. Aber warum hatte sie der Kioskbesitzer dann nicht erkannt? Eigentlich müsste er ja bei einer öffentlichen Suche am ehesten davon erfahren, schließlich ordnet er ja jeden Tag die Schlagzeilen ein. Aber sie sind ihm nicht einmal bekannt vorgekommen. Als hätte sich der Autor selber ein Bein gestellt…
Schweigend stellte Julia ihm seinen Kaffee hin.
„Danke“, bemerkte er einsilbig. Wie würde es weiter gehen? Das beschäftigte ihn nun am meisten. Alles andere könnte er einfach unbeachtet lassen, oder auf unbestimmte Zeit verschieben, aber das nicht. Sollte er bei diesem seltsamen Bordell weiter schreiben, oder schon vorher? Er versuchte eine Weile nicht darüber nachzudenken und den Regen zu genießen. Manchmal gibt es nichts schöneres, als Regen. Sein Blick folgte den Tropfen, folgte ihnen auf ihrem Weg, der einsam anfing und in einem dahin fließenden Kollektiv seinen Fortgang nahm. All die Tropfen, die durch einen leicht wehenden Wind eine etwas schiefe Bahn hatten. Sein Herz sehnte sich danach auch endlich auf dem Boden aufzuschlagen. Denn egal wie hart der Aufprall sein mag, am Ende würde es nicht mehr einsam sein.
Vor der Fensterwand, an der er saß, lief eine Familie entlang. Ein kleiner Junge mit seinen Eltern. Sie hatten keinen Regenschirm, sind vermutlich vom Regen überrascht worden. Der Junge weinte, aber der Vater, der ihn am Arm hinter sich herzog, beachtete ihn nicht weiter. Der Autor vermutete, dass sie sich hier nicht auskannten und eine bestimmte Adresse, oder einfach ihr Auto suchten. „Sie sollten Ihren Kaffee trinken, er wird noch kalt.“ Er hatte nicht bemerkt, wie Julia wieder zu ihm gekommen ist. Nun setzte sie sich auf den Stuhl gegenüber. Sie sah ihm direkt und ohne Anzeichen einer Unsicherheit in die Augen. „Ja, Sie haben Recht, ich werde mal mit Trinken anfangen.“, war sein Kommentar. Darauf lächelte sie. „Sie sollen ja nicht gleich zum Alkoholiker werden. Es wäre doch bloß schade ums Geld.“ Das stimmte. Wenn das nächste Café nicht Ewigkeiten von seiner Wohnung weg wäre, gäbe es wohl keinen guten Grund, in diesem überteuerten hier zu sitzen. Na ja, zumindest fast keinen. Langsam nippte er an seiner Tasse. „Woran denken Sie?“, fragte Julia plötzlich und lehnte sich dabei ein wenig auf den Tisch zu ihm rüber. Er konnte jetzt ihren Geruch wahrnehmen, vermochte aber nicht, ihn zu beschreiben. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. „Ich schreibe gerade an einer Geschichte. Ich bin Autor, müssen Sie wissen.“
„Ich weiß. Neulich habe ich einen Artikel über eine Geschichte von Ihnen gelesen. Es hieß, sie sei ganz gut. Irgendwas mit einer Kaffeestraße, oder so.“ Er sah kurz zum Fenster raus und nickte. „Das war der Titel, ja. So besonders ist sie eigentlich nicht. Ich habe sie innerhalb einer Stunde zusammen mit einem Gedicht geschrieben, ‚Bunker’. Beides ist sehr von meiner zu dem Zeitpunkt vorherrschenden Müdigkeit vernebelt, aber den Leuten gefällt es.“ „Na dann ist doch gut.“, sagte sie und stand auf.
Das Zurückziehen des Stuhls erzeugte ein lautes Quietschen, welches die Stille im Raum kreissägenartig unterbrach und den Autor urplötzlich seine Zähne spüren ließ. „Ich muss mal kurz wohin. Wenn Sie noch ein wenig hier sitzen bleiben…“
„Sicher!“, antwortete er hastig. Sie lächelte wieder einmal und ging. Der Autor war hochgradig verwirrt. Wieso hatte sie sich zu ihm gesetzt? In seiner Verwunderung wusste er sich nicht besser zu helfen, als wieder zur Straße hinauszuschauen. Der Regen hatte nicht nachgelassen, im Gegenteil, er nahm weiter an Stärke zu. Die kleinen Rinnsale, die er noch vor kurzem so friedlich dahin fließen sah, sie beobachtet hatte, wie sie langsam ihren weg gingen, waren nun zu reißenden Strömen geworden. Er lehnte sich zur Seite, zum Fenster hin, um den Himmel besser sehen zu können. Es war dunkel. Große Gewitterwolken lagen über der Stadt. Der Stadt, die er nicht wirklich kannte, bis auf seine Brücke und sein Café. Sein Blick wanderte wieder nach unten, auf die Straße. Dort entdeckte er eine Kaugummipackung. Etwa einen halben Meter davon entfernt lag irgendein totes Tier. Vielleicht eine Ratte, von denen gab’s hier ungewöhnlich viele, aber es war schon zu oft überfahren worden, um das genau sagen zu können. Bei Sonnenschein würden sich jetzt wohl eine Unzahl Fliegen über das tote Tier hermachen, aber der Regen spendete ihm wenigstens für einige Zeit Totenwache.
„In letzter Zeit spielt das Wetter verrückt.“ Julia hatte sich wieder zu ihm gesellt. Auch diesmal hat er sie nicht kommen hören. „Aber ich mag Regen. Er strahlt Frieden aus, so eine Ruhe.“
„Ja, das geht mir genauso. Bei Regen ist alles viel klarer.“
„Es ist ja auch Wasser.“ Sie fing laut an zu lachen. Es war ein unschuldiges, hohes Lachen. Der Autor lächelte etwas verlegen. „Verzeihen Sie, wenn ich Sie langweile.“, sagte er.
Sie entgegnete ruhig „Nein, Sie langweilen mich nicht. Im Gegenteil, ich will mehr über Sie erfahren.“, worauf wieder ein Lächeln folgte.
„Na gut…“, der Autor plusterte sich künstlich auf, womit er ihr tatsächlich noch ein Lachen abgewinnen konnte.
Sie strich sich ein Haar aus dem Gesicht.
„…womit soll ich anfangen? Bei den wilden Safarijagden meiner Kindheit, oder doch lieber bei meinen geheimen Einsätzen als Helikopterpilot?“
„Wie wär’s wenn Sie mir sagen, warum Sie bei Ihrer Geschichte nicht weiterkommen?“
Er fragte zurück: „Habe ich gesagt, dass ich nicht weiterkomme?“
„Sie sehen aus, als täten Sie’s.“
Jetzt stützte sie ihren Kopf mit der Hand.
Dabei war ihr rechter Ellbogen auf der Mitte des Tisches. Wenn der Autor in der gleichen Position gesessen hätte, würden sich jetzt ihre Nasen berühren. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Doch sie sprach weiter, bevor er Gestammel hervorbringen konnte.
„Also, haben Sie eine Schreibblockade?“
„Nicht unbedingt, aber ich weiß nicht wie es weitergehen soll. Mir fehlt die… die Inspiration.“
„Da habe ich einen Rat für Sie. Schauen Sie sich mal um.“
„Das tue ich ja schon die ganze Zeit, aber tote Tiere auf der Fahrbahn sind nicht gerade das inspirierendste Thema.“
„Warum nicht? Selbst diese fallen gelassene Kaugummipackung dort kann doch inspirierend sein. Ich glaube, das hängt von einem selber ab. Inspiration kommt von innen.“
„Tut mir leid, aber das hört sich an, wie aus einem Motivationslehrbuch.“
„Was aber nichts daran ändert, dass es wahr ist.“
Nach einer kurzen Pause deutete sie nach draußen.
„Schauen Sie sich doch noch mal den Regen an. Wir haben doch gerade erst darüber gesprochen. Regen ist…“
Geändert von Serpico (24.08.2004 um 04:59 Uhr)
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