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Thema: Sambikisaru

Baum-Darstellung

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  1. #7
    Kapitel 3 – seltsame Kundschaft

    Achter Tag des betreffenden Monats:

    7 Uhr 45. Seit zwei Stunden bin ich hier. Ich habe die Lieferungen entgegengenommen, alles einsortiert und die heutigen Schlagzeilen aufgehängt: „Wer verdient was bei Olympia?“, „Krebs im Hals! – Exminister Rexrodt: Qualvoller Tod“, „Irak: Grossangriff auf Terrorprediger“. Ach ja… die Olympiade.
    Gerade stehe ich vor meinem Stand und kontrolliere ob auch alles an seinem Platz ist, da bekomme ich seltsame Kundschaft, die mich endlich aus meinem Halbschlaf reißt. Ein junger Mann mit Augenringen.
    „Wollen Sie was?“, frage ich.
    „Nur mal gucken.“
    Mit der Antwort habe ich eigentlich nicht gerechnet, doch bin ich nun schon in meinem Häuschen verschwunden und warte.
    „Wann machen sie hier denn auf morgens?“
    „Morgens?“
    „Ja.“
    „So 6 Uhr.“
    Er scheint nachzudenken und lässt seinen Blick über mein kleines Reich schweifen. Prüfend, hastig, verlegen. Als wolle er den Kiosk kaufen, ihn mir wegnehmen. Er scheint unzufrieden und ratlos zu sein. Dann bückt er sich endlich zu mir hinunter und will ein Päckchen Kaugummi. Stimorol. Von den Grünen. – Einsvierzig. Er murmelt noch ein Dankeschön, reißt die Packung auf, stopft sich einen Kaugummi in den Mund, Kopfhörer in die Ohren und verschwindet Richtung Brücke.
    Es war nun höchste Zeit für meinen Kaffee. Bald würde sie hier sein. Und tatsächlich nähert sie sich nur wenig später verträumt schnuppernd meinem Kiosk. Sie wirkt sehr elegant im braunen Mantel, der ihre wiegenden Hüften betont. Auch ihre schulterlangen Haare und Augen sind von dunklem braun. Ganz wie Kaffee. Und spätestens jetzt bin ich hellwach.
    „Kaffee! Was gäbe ich nur für eine Tasse Kaffe!“, ruft sie und lacht, wie immer. Ihre Lippen sind dezent geschminkt und das Lachen ist so früh noch wärmer als der Morgen. Genüsslich nehme ich einen Schluck vom starken Gebräu, was ihre Laune noch weiter hebt. Solche Frauen haben für Kioskverkäufer wohl nichts übrig. Außer einem Lächeln.
    Ich reiche ihr unaufgefordert ihre Tageszeitung und erhalte das Geld aus ihren weichen Händen. Sie wünscht mir einen schönen Tag, ich ihr einen schöneren. Wie gewöhnlich setzt sie sich dann auf die nächste Parkbank, schlägt ihre Beine übereinander und nimmt ihr Frühstück aus der Handtasche. Verstohlen blicke ich hinüber. Sie packt eine jener Packungen Kartoffelsalat aus, die man fix fertig kaufen kann. Beim Öffnen springt ihr das Gefäß aus den Händen und das fade, matschige Zeug klatscht auf den Boden. Sie flucht laut und eilt davon. Wäre das jemand anderem passiert, hätte ich mir das Lachen sicher nicht verkneifen können: Da wird ihr alles serviert und sie kommt trotzdem nicht zurecht.
    Nur wenige Minuten später ruft jemand bösartig: „Ha, voll rein getreten, du Mond!“. Die Stimme gehört einem schwarzhaarigen Dicken, der dämlich auf ein zierliches Männlein herunterglotzt. Der Zwerg ist in den Kartoffelsalat getreten und verteidigt sich nun leise. Ich verstehe kein Wort. Indessen ist ein Dritter an meinen Stand herangetreten. Er sieht aus wie der gute Sohn von Mutti. Geschniegelt und gestriegelt. Aufmerksam schaut er sich mein Sortiment an. Egal ob Süßigkeiten, Tabakwaren, Tageszeitungen, Magazine, Erotikhefte… Alles scheint ihm wichtig zu sein. Nach einer Weile bleibt sein Blick an einer Stelle ruhen, doch er sagt kein Wort. Der Dicke entdeckt erst jetzt den Kiosk und packt den Winzling am Arm.
    „Wir gehen jetzt mal schauen, was der so hat, komm!“
    Das Funkeln in den dunkeln Augen des Korpulenten lässt mich den Kaffee unangenehm im Magen spüren. Während der Zwerg verzweifelt den besudelten Schuh so weit wie möglich von seinem Körper spreizt, gafft der Dicke ratlos auf die Fülle meiner Ware. Plötzlich wendet er sich an seinen Freund, der immer noch schweigsam vor mir steht, als hätte er ihn erst jetzt bemerkt.
    „Na, Elmar, was möchtest du denn kaufen?“
    Elmar reagiert nicht, sondern starrt nur weiter geradeaus. Der Dicke hat auch keine Antwort erwartet und folgt Elmar’s Blick. Triumphierend reißt er eine Zeitschrift aus dem Regal und verkündet:
    „Der Tempel der Lust! Ja, der Tempel. – das ist gut! Siehst du, Oskar? Hier sind wir richtig. Das kaufen wir.“
    Elmar nickt langsam. Oskar sagt leise:
    „Die Lust kommt nur durch die Liebe zu uns Menschen.“ Sein regelmäßiges Gesicht verklärt sich bei diesen Worten, der Kartoffelsalat scheint überwunden.
    „Wir kaufen das“, röhrt der Dicke nun auch noch direkt in meine Richtung, als wäre ich taub. „Ja, das nehmen wir!“ Er winkt mit der Zeitschrift und ich nenne den Preis. Aus den Hosentaschen befördert er eine Handvoll Geld, zählt langsam den genannten Betrag ab, überprüft nochmals und reicht mir einen zu niedrigen Betrag in fettigen Münzen.
    „Entschuldigung, 30 Cent noch. 30 Cent fehlen“, wehre ich mich.
    „Was willst du, Mond?“, fährt er mich an.
    „Ach, nichts“, antworte ich kleinlaut. Die drei loszuwerden ist mir viel mehr wert als 30 Cent.
    „Ha!“, lacht der Dicke und weist seine Begleiter an ihm zu folgen, indem er wild mit der erworbenen Zeitschrift herumfuchtelt. Das bizarre Dreigespann zieht ab.
    Endlich habe ich wieder Ruhe. Ich bin froh, dass sie heute ihren Salat fallen ließ. Vielleicht würde sie morgen nicht mehr kommen, hätte sie diese Irren hier gesehen. Was haben sie eigentlich gekauft?
    Ich nehme die Zeitschrift ‚Magazin’ mit der Aufschrift „Skandalöse Zustände im ‚Tempel der Lust’ aufgedeckt“ aus dem Gestell. Auf dem Titelbild ist der Eingang eines imposanten Gebäudes mit geschwungenem Dach und antik anmutenden Säulen vor dunklem Himmel. Über dem Eingang steht in roter Leuchtschrift „Weberhaus“. Um mich abzulenken schlage ich den entsprechenden Artikel auf und überfliege den Lead.

    >>Im Bordell ‚Weberhaus’ herrschen inakzeptable Zustände. Unausgezahlte Gehälter, unmenschliche Arbeitszeiten und gewalttätige Kundschaft müssten die Prostituierten über sich ergehen lassen, anderenfalls drohe ihnen fristlose Entlassung und das Leben auf der Strasse, so heißt es in einem Brief, den ein anonymer Sender dem Magazin zukommen ließ. Der Besitzer, A. Weber, äußerte sich gegenüber dem Magazin knapp und bestimmt: „Das ist doch Schwachsinn! So etwas würde ich nicht dulden!“ Ein Stammgast versicherte: „Ich sehe hier nichts, was diese Vorwürfe bestätigt, auch höre ich nie, wie die Mädchen sich beschweren. Ich habe weiter nichts zu sagen.“ Natürlich ließ das Magazin nicht locker und ging der Sache auf den Grund…<<

    Ich lege das ‚Magazin’ zurück und habe keine Ahnung, wieso der Dicke wegen der Zeitschrift so aus dem Häuschen war. Aber wenn die drei im Weberhaus ein und ausgehen, würde ich mich als •••• auch wehren. Mir sind die ja schon als Kunden an meinem Kiosk mehr als unangenehm.
    Um dieses irritierende Kapitel abzuschließen, nehme ich mit einer alten Zeitung den Kartoffelsalat vom Boden auf.

    Geändert von Pyrus (21.08.2004 um 05:28 Uhr)

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