HOME ALONE
Martins Gedanken konzentrierten sich nur noch auf dieses eine Geräusch. Die Augen geschlossen, langsam und gleichmäßig durch die Nase atmend stand er da. Das Prasseln auf seinem Kopf blieb gleichbleibend konstant, und das Geräusch versetzte ihn hier und jetzt in einen rauschenden Zug. Wenn er den Kopf vor und zurück bewegte, schien der Zug durch einen Tunnel zu fahren, und er konnte die Dunkelheit beinahe sehen, die in diesem Tunnel herrschte. Er fuhr nun im Gedanken schon eine ganze Weile durch Gebirge und Täler und Tunnel, und immer blieb dieses Rauschen, das beruhigende monotone Prasseln.
Dann ließ er langsam die Hände von den Ohren ab, und das Rauschen wurde zum Plätschern, die Lokomotive zur Dusche. Er war wieder in der Realität, konnte nur kurz entflüchten auf eine Reise ohne Ende oder Anfang.
Das Radio im Badezimmer plärrte lautstark vor sich hin, belanglose Musik ohne Seele, wie sie von den Mitgliedern des Forums beschrieben wurde, in dem er öfters unterwegs war. Popmusik, aber wenn man das Radio einschaltete, musste man damit rechnen.
Doch das alles war gar nicht so wichtig. Viel ärgerlicher war, dass er noch immer dieses rote Zeug an den Händen hatte.
Nachdem er etwas abgetropft war, wollte er die Duschkabinentür öffnen.
In dem Moment glaubte er, etwas Schwarzes durch das Badezimmer huschen zu sehen. Der Atem blieb ihm stehen, das Herz schien für Sekunden auszusetzen.
Das Radio plärrte weiter „...fuck you right back“, sonst war außer dem Tropfen in der Dusche nichts zu hören. Langsam entwich die heiße Luft aus der Duschkabine, und Martins Beine begannen kalt zu werden. Eine Gänsehaut breitete sich über seinen ganzen Körper aus, doch als nichts weiter im Badezimmer zu geschehen schien, beruhigte er sich langsam.
Schließlich brachte er auch den Mut auf, die Kabinentür zu öffnen... langsam, so dass sie ein knarrendes Geräusch von sich gab. Nichts war zu sehen, Humbug also. Doch noch war die Tür auch nicht komplett geöffnet!
Da kam Martin ein erschreckender Gedanke. Was war, wenn gerade jetzt etwas hinter ihm über die Kabinenwand zu ihm in die Dusche spähte, etwas Abstoßendes, Wahnsinniges? Wenn er nun den Kopf langsam heben würde und es ihn mit spitzen Zähnen und einem wütenden Blick anstarrte?
Wieder kroch eine Gänsehaut über seinen Körper, und nun, da die Kabine geöffnet war, wurde es zunehmend kälter.
Langsam, fast gezwungen hob er nun seinen Kopf, streifte mit dem Blick den Spalt, den er geöffnet hatte, und ließ ihn dann zum oberen Ende der Kabinenwand schweifen. Ängstlich erwartend, etwas würde seinen Blick erwidern, riss er nun seinen Kopf hoch... doch es war nichts und niemand da! Erleichterung machte sich in ihm breit, natürlich war da nichts, was hatte er sich nur ged... DA packte ihn etwas am Arm! Erschrocken und kreischend riss Martin den Arm zurück in die Duschkabine, mit einer solchen Energie, dass er ausrutschte, nach hinten umschlug und sich den Kopf an der hinteren Badezimmer-Kachelwand anstieß und mit dem Becken im Duschbecken aufschlug. Das entsetzte Kreischen wurde nun durch ein laues Keuchen ersetzt, das ihm der Schmerz aus den Lungen presste. Es war, als hätte man ihm gleichzeitig mit einem Hammer auf den Hintern und den Hinterkopf geschlagen.
Es blieb ihm nichts anderes übrig als wimmernd den Schmerz einige Sekunden lang abklingen zu lassen. Inzwischen hatte er gemerkt, das die vermeintliche Hand, die er auf seinem Unterarm zu spüren geglaubt hatte, in Wirklichkeit nur ein Handtuch war, das ihm auf den Arm gerutscht war. Nachdem der schlimmste Schmerz vorbei war, prüfte Martin alle Körperöffnungen auf Blut, und war erleichtert keines zu finden. Dafür hatte er nun schreckliche Kopfschmerzen und konnte kaum ordentlich laufen, ohne vor Schmerz zu jaulen! Das Abtrocknen war nun überflüssig, da er inzwischen eh schon trocken war (und kalt), aber es wurde Zeit das elende Radio für diesen Unfall büßen zu lassen.
Gerade noch konnten O-Zone ihr inhaltsfreies Gebrabbel durch den Äther schmettern, da zerschmetterte auch schon das Radio selbst an der Badezimmerwand. Stille. Sense!
Nur mit einer Unterhose bewaffnet, dafür mit umso mehr Schmerzen bestückt, trat Martin auf den Flur des Hauses seiner Eltern. Er war im zweiten Stock, mittlerweile war die Sonne untergegangen und es war finster im Haus, kein Licht brannte. Seine Eltern waren... weg, jetzt nicht da, die ganze Nacht wohl nicht! Wie grauenvoll, erst dieser „Schatten“ im Badezimmer, jetzt diese einsame Stille. Nicht einmal ein fahrendes Auto von der Straße war zu vernehmen. Nur der eigene, lauter werdende Herzschlag!
Vorsichtig kämpfte sich Martin einige Schritte durch die Dunkelheit zum Lichtschalter hin, kalte Luft am Oberkörper spürend, die irgendwo im Haus durch ein geöffnetes Fenster eindrang. Dann streckte er die Finger aus, stellte sich auf die Zehenspitzen um weiter vorgreifen zu können... war fast am Schalter... WAMM! Ein gewaltiger Schlag, der aus dem Erdgeschoss dröhnend den Flurboden erzittern ließ, brachte Martins Herz beinahe erneut zum Stehen, und dieser fuhr sofort zusammen, wie vor den Kopf geschlagen saß er nun mit weit aufgerissenen Augen mit dem Rücken am Schuhschrank, der hier im Flur stand. Die Ohren dröhnten ihm noch von dem Knall, als wäre irgendetwas großes Flaches längs auf den Marmorboden der Küche gefallen!
Nun wurde der Wunsch nach Licht zum existentiellen Bedürfnis, und das gab Martin genug Mut, wieder aufzustehen (die Schmerzen im Becken ignorierend) und das Licht im Flur einzuschalten. Weiter unten schepperte noch etwas, doch als das Licht aufflammte, verstummte jedes Geräusch.
Wieder war alles ganz ruhig. Martin fühlte sich sehr kindisch, doch der Schlag von eben musste durch irgendetwas ausgelöst worden sein! Doch wodurch? Vielleicht war nur ein Schrank von der Wand gefallen!? So was sollte ja hin und wieder geschehen.
Doch wieder sah Martin ein hämisch grinsendes Gesicht, bösartig und hässlich, wie es ihn in der Dusche beobachtete... alles Quatsch!
Langsam und im Schutze des Lichtes nahm Martin Schritt für Schritt, und immer aufmerksam aufhorchend, die einzelnen Stufen der Treppe. Hin und wieder knarrte der Boden unter ihm, sonst war nichts mehr zu Hören! Also wohl doch nur ein unheimlicher Zufall, ein dummer Weise abgestürzter Wandschrank (und was war mit dem Schatten im Bad?), sonst nichts (und das rote Zeug an meinen Fingern). Nun stand er am Ende des Treppenhauses, wieder von Dunkelheit und Stille eingehüllt.
Plötzlich fuhr ihm eine Gänsehaut bis zu den Zehenspitzen hinab, als er ein schlurfendes Geräusch klar hinter der Küchentür ausmachen konnte. Vielleicht eine Ratte?
Vorsichtig öffnete er trotz aller Angst die Küchentür und sah in den Raum hinein! Nichts zu sehen, noch der Aschenbecher seines Vaters auf der Spüle, voll mit Camel-Stummeln, aber nichts ungewöhnliches... bis auf den zerknitterten Teppich, der im Durchgang zwischen Küche und Esszimmer lag. Sonst war seine Mutter immer so ordentlich. Leise trat er nun ein, vorsichtig und angespannt, da er irgendwie die Gewissheit hatte, nicht allein in diesem Haus zu sein! Jemand... oder etwas war noch da, da war er sich sicher.
Und hätte er die bleichen Gliedmaßen oder den Verwesungsgeruch wahrgenommen, der unter dem Esstisch hervorströmte, dann wäre er vielleicht schnell aus dem Haus verschwunden. Doch so ging er nur tiefer ins Dunkel, den Lichtschalter anstrebend, während hinter ihm etwas trocken knackte.
Geht noch weidder!