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Ritter
Der Staudamm der Seele
Zu dem folgenden Thema kam ich nach der Lektüre einiger älterer Threads, die mir Vio zeigte. Dort ging es um Menschen, die es bedauern sich nicht offen aussprechen oder anvertrauen zu können.
Ich war sehr lange Zeit meines Lebens sehr introvertiert und habe manchmal wochenlang nicht mehr als ein "Hallo." oder "Wann gibt's Essen ?" rausgebracht. Dieser Zustand existierte bereits bevor meine Erinnerung einsetzt und löste sich erst langsam nach der Pupertät auf. Mir ist nicht wirklich bewußt, wann es anfing. Aber ich habe mich sehr verändert zu dem stillen Mädchen, dass ich einmal war.
In meinen Augen ist das keine Verbesserung.
Da ich in den letzten Tagen sehr viel über mich und meine Vergangenheit nachdenken musste, kam mir heute ein recht passender Vergleich. In sich gekehrten Menschen wird vorgeworfen, dass sie eine Mauer um sich errichtet haben. Vielleicht sollte man dieses Bild abändern und es wie einen Staudamm beschreiben. Dahinter liegt als Stausee die Seele, die sich mit jedem Tag, nach jedem Erlebniss füllt. Als Schleußen könnte man jetzt alle Möglichkeiten nehmen, mit denen sich ein Mensch auszudrücken vermag. Bilder, Musik, Schriften oder eben Gespräche.
Was aber ist, wenn der Damm nicht wirklich solide war, keine oder zuwenig Schleußen vorhanden sind oder der See sich zuweit aufgestaut hat ?
Ich habe das Gefühl, dass mein Damm irgendwann in den letzten drei Jahren einfach gebrochen ist. Risse hatte er zwar vorher schon, aber etwa ab der Zeit vor sechs Jahren ist soviel passiert, dass das Mauerwerk nicht standhalten konnte, vermutlich auch weil ich keinen Anlass mehr hatte es zuerhalten. Ich wurde von einem Ort zum Nächsten geschwemmt und lernte viele neue Menschen kennen, die mit den spießigen Kleinstadtbürokraten meines Heimatortes nicht viel gemeinsam hatten.
Vielleicht weil ich auch das erste Mal nicht Zuhörer sondern Erzähler sein durfte. Und dann, fast unmerklich über Nacht, sprengte der Druck die instabil gewordene Barriere weg. Jetzt stehe ich vor dieser klaffenden Wunde meiner Verteidigung und weiß nicht, was ich tun soll.
Ich habe, passend zum bildhaften Vergleich, drei Lösungsmöglichkeiten gefunden:
1. Man könnte die Mauer wieder hochziehen und sogar gegenüber der Ersteren verbessern. Dazu müsste man aber den herrschenden Fluss umleiten und das Ergebniss wäre wieder eine graue, häßliche, sterile und nichtssagende Wand.
2. Man könnte Steine anschleppen und in die Bruchstelle werfen. Das ist mühseelig und kraftraubend. Ausserdem wäre das Ergebnis nicht stabil, es würde überall etwas durchsickern, falls man überhaupt genug Steine zum stopfen finde. Und wenn der See dahinter wieder hoch genug angefüllt ist, werden die obersten Steine weggeschwemmt und die Arbeit beginnt von vorne.
3. Man könnte aber auch einfach alles, was sich in zwei Jahrzehnten angestaut hatte, laufen lassen, bis der reißende Strom nur noch ein dünnes Rinnsal geworden ist. Ich werde allerdings kaum betonen müssen, wie zerstörrerisch ein Dammbruch ist. Dort, wo er geschah und den gesamten Flusslauf abwärts.
Ich für meinen Teil werde wohl bei Variante drei bleiben.
Aber wie sieht es bei Euch aus ?
Wie steht es um Euren Damm ?
Gab es überhaupt je einen ?
Versteckt er sich hinter Efeu oder hat er ein gut funktionierendes Schleußensystem ?
Pflegt ihr ihn oder versucht ihr ihn einzureißen ?
Bzw. seid ihr dabei, eines von beiden zu machen, obwohl ihr genau das Gegenteil anstrebt ?
Oder sitzt ihr einfach nur am Rand des Sees und beobachtet, was passiert ?
Was, glaubt ihr, fließt überhaupt in den See rein ? Nur die eigenen Erfahrungen oder auch das Erzählte Anderer ?
Wieviel muss rausfließen, damit nichts überlaufen kann ?
Was sind Eure Schleußen und wie wirkungsvoll sind sie ?
Und, letzte Frage, hat noch jemand einen Dammbruch miterlebt ? ^^
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