Naja, was du jetzt als Hassliebe bezeichnest, könnten einfach die Nachwirkungen des Alkohols sein, verbunden mit der Freude, die Kumpels unter den Tisch getrunken zu haben.
Intention ist einfach die, zwei "erhabene" Momente aus verschiedener Sichtweise zu vergeichen und völlig gleichzusetzen.Alternativ könnte es auch die geiche Sichtweise sein, kurz vor dem Abklappen, und dann mit Nachwirkungen am nächsten Morgen.
Und hier noch was Namenloses.
Sie führen mich ab, in einer Weste, die so weiß ist, dass mich diese Vorstellung nur noch zum Lachen bringen kann. Zum Weinen ist das alles schon lange nicht mehr. Einen Moment lang überlege ich, was wohl zuerst da war, die Vorstellung, ein Verrückter gehöre in weiße Kleidung, oder der tatsächliche Verrückte in weißer Kleidung. Ich denke, sie haben es sich ausgedacht. Weiß, wie die Heilung, wie das Gute, wie die Medizin, wie Gott. Es wäre irgendwo zynisch, einen Verrückten in eine Schwarze Zwangsjacke zu stecken - nicht wahr? - Es wäre kontraproduktiv. Schließlich würde das ja bedeuten, dass er abgeschrieben ist, und das geht ja nicht, man kann ihn ja heilen.
Einer der Männer hat so ein Gesicht. Es ist das Gesicht eines Vaters, eines Menschen, der einigermaßen zufrieden ist (gemessen am Durchschnitt), obwohl er diesen armseligen Job hat, obwohl er den ganzen Tag Leute wie mich durch die Anstalt führen muss. Führen, manchmal auch schieben oder tragen. Manchmal vielleicht sogar schleifen.
„Es sind bestimmt Eier versteckt, such sie doch!“, würde er sagen, oder „Wenn du auch ganz artig warst, muss er nicht die Rute herausholen!“, dann würde er die ganzen obskuren Gestalten aufzählen, an die sein Kind glaubt, auf die es sich freut, vor denen es sich fürchtet, jedes Mal, wenn er ein Argument braucht.
„Papa, da ist ein Monster unter dem Bett!“, würde das Kind deshalb irgendwann sagen, der Vater würde stöhnen, sich vom Fußballspiel losreißen, sich ins Kinderzimmer schleppen und mit dem Kopf schütteln. „Siehst du?“, fragt er mit rational aufmunternder Stimme, „Da ist überhaupt nichts unter dem Bett. Du kannst jetzt wieder beruhigt schlafen gehen.“ „Aber Papa! Das Monster versteckt sich doch! Es hat Angst vor dir, und vor dem Licht!“ Der Vater atmet noch einmal genervt aus. „Na gut, du kannst das kleine Licht anlassen. Aber wenn du müde bist, machst du es aus, in Ordnung?“ Das Kind nickt. Aber eigentlich denkt es nicht mal daran, das Licht wieder auszumachen, bevor die Sonne aufgeht.
Denn das Kind ist nicht so dumm.
Der Vater lässt es wieder allein in seinem Zimmer, überlässt es dem Schrecken unter dem Bett. Später am Abend zeigen sie eine Kriminalsendung, eine Jugendliche wurde vergewaltigt, und der Vater schüttelt den Kopf. „Perverse Schweine. Umbringen sollte man sie alle.“ Und er schüttelt den Kopf. Dass es so was wirklich geben kann… In was für einer Welt leben wir nur? Dann trinkt er sein Bier und hofft, dass ihn sein Kind nicht noch einmal beim Fernsehen stört.
Mein Gedankenspiel hat mich beschäftigt, bis ich vor dem Doktor stehe. Er ist eine hagere Gestalt mit kleinen, klobigen Fingern, irgendwie unproportioniert, er passt einfach zu gut an diesen Ort, wie alles hier. „Abend, Herr Soundso, wie geht’s uns denn heute?“ „Nicht anders als sonst, Doktor, zufrieden, ich fühle mich wohl.“ „Aber sie wissen, dass sie nicht immer hier bleiben werden, Herr Soundso, wir müssen sie doch irgendwann wieder an die frische Luft hinaus lassen, zu den anderen Menschen.“ Natürlich, die frische Luft. Ein halbe Stunde Ausgang täglich ist eigentlich genug frische Luft, jedenfalls für einen Vergewaltiger. „Herr Doktor, eine Frage“, spreche ich ihn aus einem Gedanken heraus an, „Haben sie jemals an das Monster unter dem Bett geglaubt?“ Er schaut mich ausdruckslos an und meint „Ja, als ich noch ein Kind war. Haben wir das nicht alle, bis wir es besser wussten?“ „Ich, Herr Doktor, glaube immer noch an das Monster. Ebenso wie ich an Mädchen in Miniröcken glaube.“ Sein Gesicht verzerrt sich. „Sie reden wirr!“ Ich beiße mir in den Daumen, nur ganz sanft, um mich zu vergewissern, dass ich richtig verstanden habe, was er sagt. „Halluzinationen, allesamt, Herr Doktor, und allesamt gleich real, das wissen sie doch als Mediziner! Wir sehen nur, was wir sehen wollen!“ Er schüttelt den Kopf, genervter als zuvor. „Als Mediziner kann ich ihnen sagen, dass sie Recht haben - Sie sehen diese Monster nur, weil sie sehen wollen, weil sie unzufrieden mit der Realität sind, und genau so ist es mit den Frauen. Sie müssen sich endlich ihren Problemen mit dem anderen Geschlecht stellen. Nur weil jemand aufreizende Kleidung trägt, heißt das noch lange nicht, dass er das Bett mit ihnen teilen will.“
Wieso versuche ich es überhaupt? Wir sind hier auf seinem Territorium, in den Hallen der Vernunft, im Tempel der fünf Sinne. Du kannst Zeus doch nicht auf dem Olymp bekämpfen!
In diesem Moment verstehe ich - Ich bin wirklich krank. Habe ich jemals gesehen, wie ein Kind unter dem Bett in einer Blutlache verschwunden ist? Hat mich jemals ein Mädchen zu sich eingeladen? Habe ich jemals einen fetten Mann durch unseren Kamin rutschen sehen? Das Monster hat stets nur gelauert, das Mädchen hat mich nie gewollt, die Geschenke waren immer schon da, wenn ich nach Hause gekommen bin.
Aber der Doktor irrt, meine Krankheit kann man nicht heilen, denn ich habe verpasst, die Augen zu schließen, habe sie offen, sehe sie, sehe sie. Er hat es selbst gesagt. Es gibt für uns nur, was wir sehen. Und ich sehe sie. Ich könnte die Augen schließen, aber wer sagt mir, dass sie nicht real sind? Im Krieg schließt du, wenn der Feind kommt, auch nicht Augen, in der Hoffnung, dass er verschwindet. Du kämpfst! Oder, noch besser, du vermeidest den Krieg. Irgendwo dort, wo der Krieg nicht hingehört.
In der Anstalt gibt es keinen Platz für das Monster, es gibt keine aufgetakelten Mädchen in Miniröcken und es gibt keinen Kamin.
Nur Zentralheizung.