Ein Gespräch (2007)


“Name?“
“Homunkulus.“
„Klingt nach einem Zirkusartisten. Wie lange arbeitslos?“
„Einige Zeit.“
Der Fragende schaut kurz auf, verzieht jedoch keine Miene. „Kommen sie damit zurecht?“
„Sicher.“
„Sagen sie das mal nicht. Viele Menschen verzweifeln heute, sehen keinen Sinn und so.“
„Aha.“
„Wenn das bei ihnen nicht der Fall ist, einwandfrei. Ich bräuchte ihre Versicherungsnummer.“
„Versicherung? Ich möchte doch nur arbeiten.“
„Na ja, aber der Gesetzgeber fordert die Nummer, wegen dem Gehalt.“
„Ich bin nicht versichert.“
Der Fragende zieht eine Augenbraue in die Höhe.
„Wieso das denn nicht?“
„Wieso sollte ich? Ich habe mich bisher noch nicht ernsthaft verletzt. Ich möchte einfach nur arbeiten.“
„Aber mein lieber Herr Homunkulus! Sie wissen doch genau so gut wie ich, dass diese Welt von unberechenbaren Krankheiten und Katastrophen heimgesucht wird. Die Vogelgrippe, irgendwelche unaussprechliche Krankheiten, die von den Ausländern eingeschleppt werden, BSE, bei dem ganzen Klima könnte es bald auch durchaus zu Wirbelstürmen und gefährlichen Überflutungen in unserem Land kommen. Oder Aids. Einmal mit der falschen Frau den Abend verbracht, und schon haben sie Aids.“
„Ich verbringe den Abend für gewöhnlich nicht auf diese Art und Weise mit einer Frau.“
Das Gesicht des Fragenden hellt sich auf.
„Ah, sie sind verheiratet! Hätten sie das doch mal gleich gesagt. Dann denken sie doch an ihre Kinder. Die Versicherung…“
„Ich habe keine Kinder und bin allein.“, fällt er dem Fragenden ins Wort. Dieser starrt kurz verwirrt auf das ausdruckslose Gesicht des Fremden. Eine Sorgenfalte zieht sich über seine Stirn, als würde er etwas nicht verstehen.
„Egal.“, meint er schließlich, aus dem Mangel an Alternativen heraus, „Ich werde die nötigen Formulare für die Versicherung bereit legen, wir gehen erst einmal zu ihrer Berufswahl über. Wo liegen denn ihre Interessen?“
„Ich beschäftige mich gern mit Menschen. Ich versuche, sie zu verstehen.“
„Das ist doch ein Anfang, Herr Homunkulus. Geht es ein wenig spezieller?“
„Kinder sind mir sehr angenehm, alte Menschen dagegen mag ich nicht.“
Der Fragende scheint entsetzt.
„Aber Herr Homunkulus! Sie dürfen nie vergessen, wieviel wichtige Arbeit diese alten Menschen für unsere Gesellschaft geleistet haben, wir müssen sie ehren und für sie sorgen. Schließlich werden wir auch immer älter, und sie wollen bestimmt auch nicht mit 120 Jahren, wenn sie nicht mehr laufen und nur noch künstlich atmen können, alleine in einem Altersheim mit Personalsorgen verbringen.“
Er lacht kehlig, der Befragte jedoch verzieht keine Miene.
„Nein, das möchte ich natürlich nicht.“, meint er, als sei es eine Selbstverständlichkeit.
„Sehen sie. Aber ich kann sie verstehen. Mir wären die Kinder auch lieber.“
„Aber sie meinten doch…“
„Passt schon. Nicht jeder hat die Nerven dafür, mit alten Menschen zu arbeiten. Ich möchte dem Tod auch nicht jeden Tag so ins Auge blicken. Also Kinder.“
Der Homunkulus nickt.
„Welche Altersklasse? Sie können im Kindergarten arbeiten, oder aber in einer Schule. Vielleicht sogar mit Jugendlichen? Die Jugend ist heute ja so gefährdet, durch die ganzen Medien.“
„Nein, keine Jugendlichen.“, meint der Befragte schnell, „Je jünger, je besser.“
Misstrauen legt sich auf das Gesicht des Fragenden.
„Sind sie sich sicher, dass sie geeignet für den Umgang mit Kindern sind?“
„Ja.“
„Ich bin mir da nicht so sicher, Herr Homunkulus. Was interessiert sie denn genau an der Arbeit mit Kindern?“
„Sie sind ehrlich.“
Wieder starrt der Fragende einen Moment nachdenklich ins Gesicht des Mannes.
„In Ordnung.“, meint er schließlich und hält sich die Hand vor die Stirn, „Füllen sie einfach das hier aus.“
Mit diesen Worten verlässt der Fragende den Raum, ohne zurückzuschauen. Der Homunkulus starrt auf den Formularstapel und schüttelt den Kopf. Er wollte doch einfach nur arbeiten.