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Ritter
Der Erdmagier betrachtete entsetzt seine Kleidung, die in einem sehr schlechten Zustand war. Zuris hatte diesen Mantel vererbt bekommen. Die Zauberer seiner Familie trugen schon seit vielen Jahren Gewänder wie dieses. Sie strahlten eine Kraft und Souveränität aus, die nur schwer zu beschreiben war. Außerdem vermittelten sie eine Zugehörigkeitsgefühl zu einer der ältesten Zauberergilden in diesem Land. Zuris war es, als wenn ein Teil seiner Identität mit dem Kleidungsstück verlorengegangen wäre. Doch es war kein Vergleich mit den Menschen, die er verloren hatte. Nur ein Symbol, das ihn jetzt wieder daran erinnerte.
Zuris fuhr mit dem Daumen über die Inschriften auf dem Zauberstab, während er sich an die vergangenen Stunden zu erinnern versuchte. Auf dem Tisch neben ihm lagen ein paar angekaute Wurzeln. Die Schwäche, die er verspürte, mochte von Hunger herrühren, er hatte allerdings keinen Appetit. Zu viele Gedanken und Bilder der Vergangenheit vergewaltigten seinen Geist. Da ihn niemand drängte, nahm er sich die Zeit, die er brauchte. Die Amazone, die unweit von ihm ihre Wunde versorgte, schien Verständnis für seine Situation zu haben. Vielleicht hatte sie auch schon solche Erlebnisse durchmachen müssen, dachte er. Er konnte sich dunkel erinnern, dass Fioxa, wie sie sich nannte, ihm geholfen hatte. Zuris betrachtete sie aus den Augenwinkeln. Unter normalen Umständen hätte er mit solch einer hübschen Frau sofort ein Gespräch angefangen. Der Albtraum, der irgendwo vor ihrem Treffen begann, hatte sich in seinem Gehirn dorthin zurückgezogen, wo hoffentlich niemand nachsehen wollte. Zuris war versucht, ihn dort zu lassen, wohin er sich verkrochen hatte.
„Hier, trink erstmal etwas. Geht aufs Haus.“
Ein älterer Mann legte ihm die Hand auf die Schulter und stellte ein Gefäß auf den Tisch. Geistesabwesend betrachtete der Zauberlehrling die Wasseroberfläche in dem Becher. Sie war schwarz und glänzte. Auf einmal brach eine Erinnerung in seinem Geist Bahn. Er zuckte vor dem Tisch zurück und währe fast mit dem Stuhl umgekippt. Die Amazone schreckte hoch. Einen Moment lang schaute sie in seine Richtung, bevor sie die Wunde mit ein paar Stofffetzen neu verband.
„Woran musstest du gerade denken?“ fragte sie.
Zuris setzte sich wieder aufrecht auf den Stuhl und hob zu einer Antwort an. Das Bild war nun so stark und eindrucksvoll, dass er fast Angst hatte, auf die Frage zu reagieren.
„Diese Augen...“, brachte er hervor „die waren so kalt und unendlich tief. Und sie... töteten... ohne eine Gefühlsregung.“
Die Amazone stellte einen Blickkontakt mit dem Wirt her und schien froh darüber zu sein, dass der Zauberer endlich mit ihnen redete. Fioxa hatte mittlerweile den getrockneten Sand vom Körper gewaschen und ihre Rüstung gesäubert. Nun konnte sie sich endlich um den mysteriösen Fremden kümmern.
„Wen hat es getötet?“
Fioxa musste eine Weile warten, bis Zuris zu einer Antwort bereit war.
„Alle... Alle Menschen, die mir etwas bedeutet haben... nein“, er machte eine abwehrende Handbewegung, „das is nich wirklich passiert. Das Dorf ist bestimmt noch da... Es muss noch da sein... Die Leute... meine Leute.. .die sich auf mich verlassen haben... o Gott!“
Die Amazone umarmte den schluchzenden Mann. Sie hatte auch schon Verluste erlitten, allerdings hatte sie nicht mehrere Menschen gleichzeitig verloren, geschweige denn alle auf einmal. Dieser junge Mann musste im Moment mehr durchmachen, als die meisten anderen in ihrem ganzen Leben. Fioxa fragte sich, wie lange er wohl für seine Genesung brauchen würde. Sie wollte ihm auf jeden Fall helfen, auch wenn sie ihn kaum kannte. Niemand, auch nicht der bösartigste Mensch, hatte es verdient, so etwas durchmachen zu müssen. Sie fasste ihn an den Schultern und betrachtete sein Gesicht. Mein Gott, dachte sie, er ist fast noch ein Kind. Zuris wischte sich mit den Resten der Ärmel die Tränen aus den Augen und schluckte.
„Is... schon in Ordnung, ich werd schon damit fertig...“, schniefte er. Seine Stimme zitterte.
Es war ihm furchtbar peinlich, so bemuttert zu werden. Die Amazone ließ den Magier los und versuchte, das Gespräch wieder aufzunehmen.
„Es ist keine Schande, nach einem solchen Vorfall so zu reagieren. Du musst den Schmerz nach außen tragen, sonst wird er dich innerlich aufzehren. Wir werden dir dabei helfen. Aber du musst uns erzählen, wer oder was dein Dorf attackiert hat. Vielleicht handelt es sich um eine Bedrohung, von der jeder wissen sollte.“
„Das is nich so einfach... Moment mal... wie lang bin ich schon hier??“
Fioxa machte ein verdutzten Gesicht.
„Naja, so etwa acht Stunden oder so. Warum ist das wichtig?“
Zuris stieß beim Aufstehen den Stuhl um und eilte zur Tür.
„Keine Zeit für Erklärungen, Leute. Ich muss sofort weg! Ähm, vielen Dank für eure Hilfe und so!“
„Einen Augenblick mal, was ist denn los? Warte!“
Die Amazone lief hinter dem Flüchtigen her und stoppte im Türrahmen. Ursec starrte fassungslos aus dem Fenster. Zuris stolperte gerade über ein paar Steine in Richtung Feldweg.
„Du wirst nicht weit kommen, es sei denn, du kannst die Barriere kontrollieren!“, rief sie.
Der Zauberer in seinem zerfetzten Mantel wurde langsamer, bis er schließlich anhielt und sich umwandte.
„Meine Barrieren sind zu nichts nutze! Sie bedeuten den sicheren Tod!“ schrie er aufgeregt.
Die Amazone lief zu ihm und fasste ihn am Arm.
„Wo willst du hin? Hier bist du in Sicherheit. Das Gasthaus ist von einer Barriere umgeben, die nicht mal von Menschen durchdrungen werden kann. Daher können wir diesen Ort auch vorerst nicht verlassen. Wir hatten eigentlich die Hoffnung, dass du etwas damit zu tun haben könntest...“
Zuris blickte der Kriegerin in die Augen. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, auch noch an ihrem Tod Schuld zu sein. Allerdings war eine Flucht aussichtslos, wenn sie die Wahrheit sagte. Vielleicht würde sie diese Barriere ja tatsächlich schützen, wer weiß. Womöglich war die seine so schwach gewesen, dass das Wesen einfach hindurchgehen konnte. In diesem Moment kam Pedor aus dem Wald. Als er die beiden erblickte, grinste er und hielt auf sie zu. Die Amazone versuchte, ihm mit einem Blick den Ernst der Situation klar zu machen und ihn von einem dämlichen Kommentar abzuhalten, was allerdings nicht funktionierte.
„Nanu, spielen wir jetzt den Babysitter? So viele Talente hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.“
Fioxa bedauerte die Taktlosigkeit des Kämpfers, der einmal ihr Idol gewesen war. Bei diesem Gedanken schüttelte es sie innerlich. Sie hatte das Gefühl, diesen Mann schon seit Jahren zu kennen... und doch wieder nicht. Früher war er einmal ihr unsichtbarer Kompagnon gewesen, wenn sie die Tiere des Waldes aufgespürt hatte. Im Moment kam er ihr allerdings eher wie der große Bruder vor, den sie niemals hatte oder jemals haben wollte.
„Dieser feinfühlige Mensch nennt sich Pedor. Er ist ein großer Held aus grauer Vorzeit. Und er hat sicher auch keine Ahnung, wie wir durch die Barriere kommen könnten, nicht wahr?“
Der Kämpfer verlangsamte seinen Gang und blieb schließlich stehen.
„Ich kann mich gar nicht erinnern, dass wir einander vorgestellt wurden. Ich fühle mich ja direkt geschmeichelt, dass mein Name sogar im Land der Amazonen bekannt ist.“
Zunächst grinste Pedor. Wieder ein Punkt für ihn. Doch dann kam ihm auf einmal der Gedanke, dass er letzte Nacht mehr Informationen preisgegeben haben könnte, als er wollte und beschloss, das Thema zu wechseln:
„Und was die Barriere angeht: Wenn Sie mal Zeit haben, können Sie ja mal versuchen, sich drunter durch zu buddeln.“
Fioxa bedeutete Zuris mit einem Augenzwinkern, den Worten des Sektenmitglieds nicht allzuviel Gewicht beizumessen. Zuris schüttelte den Kopf und folgte der Kriegerin zurück ins Gasthaus. Kurz vor der Türschwelle drehte er sich um und betrachtete den Pfad, der zwischen den Bäumen verschwand. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Als nach einigen Sekunden nichts anderes geschah als dass der Wind durch sein langes Haar wehte, trat er nachdenklich durch die Türe.
„So, jetzt fühle ich mich wieder komplett.“
Mit diesen Worten verschwand der letzte Dolch im Sektengewand, und zwar an einer Stelle, auf die wohl niemand auf Anhieb gekommen wäre.
„In Ordnung. Jetzt erfüllen Sie bitte Ihren Teil der Abmachung.“
Pedor straffte seine Gestalt und schnaufte. Ursec stand vor ihm und schloss die Schatulle, in die er die Wertsachen der Gäste verstaute. Jedenfalls hatte er das seinem komplizierten Gast erzählt.
„Was für eine Abmachung denn?“
Fioxa schlug die Augen auf. Warum konnte dieser Mann nicht wenigstens einmal so reagieren, wie sie es sich von ihm wünschen würde? Sie klopfte vielsagend ein paar Mal mit ihrer Waffe auf den Boden. Als Reaktion darauf folgte lediglich ein Grinsen.
„Jaja, war nur ein Scherz. Ich werde es euch erzählen... soweit ich mich überhaupt erinnere.“
Zuris schien sich mittlerweile ein wenig beruhigt zu haben und folgte mit einem Ohr der Unterhaltung. Doch seine Aufmerksamkeit wurde weiterhin durch seine Gedanken behindert. Er schreckte hoch, als sich Pedor in einen Stuhl neben ihn fallen ließ.
„He, Junge, hol mir doch mal ein Bier um meine Kehle ein wenig anzufeuchten.“
„Er ist nicht dein Junge und er wird gar nichts holen. Versuche doch mal zur Abwechslung bei der Sache zu bleiben. Ich bin der Meinung, in unserer Situation kann man ein wenig mehr Kooperationsbereitschaft verlangen.“
Pedor rümpfte die Nase.
„Also sind wir jetzt beim „du“ angekommen? Ich bin einverstanden, vielleicht verbessert das ja unsere Beziehung ein wenig.“
Fioxa verdrehte genervt die Augen und machte eine auffordernde Handbewegung.
„Also schön... ich weiß selbst nicht viel über das, was da gerade mit mir passiert ist. Es kam einfach über mich, ohne jede Vorwarnung. Ich verlor irgendwie die Kontrolle über meinen Körper und war auf einmal irgendwo anderes...“
Pedor fuhr sich durch den Bart und grübelte.
„Ich befand mich plötzlich an einem anderen Ort und betrachtete meine Handlung aus dem Blickwinkel eines Fremden. Ich habe... gekämpft, glaube ich. Jedenfalls bin ich mit irgend einer Kreatur durch einen Raum gestolpert und ich weiß, tanzen kann ich besser.“
Bei dieser Bemerkung musste Fioxa innerlich lächeln, gab dem Kämpfer allerdings mit ihrem Blick zu verstehen, dass er weitererzählen sollte. Dem schien es schwer zu fallen, fortzufahren.
„Jedenfalls hat dieses Wesen etwas gegen mich gehabt. Es hat mich nämlich auf ein Breitschwert gespießt, obwohl ich gar nicht bemerkt hatte, dass es eine Waffe getragen hatte. Ist schon... seltsam, sich selbst sterben zu sehen. Was hast du denn?“, fügte er hinzu, als er den entsetzten Blick Zuris` bemerkte.
„Wie sah diese Kreatur aus?“ hauchte der.
Der Gefragte überlegte kurz. Normalerweise konnte er sich nie an die Figuren aus seinen Träumen erinnern. Aber diesmal war es anders. Er hatte keinen normalen Traum gehabt, so viel war sicher. Diesmal schienen die Bilder nicht wieder in sein Unterbewusstsein zurückzukehren, was wahrscheinlich daran lag, dass sie nicht von dort stammten. Er biss sich unwillkürlich auf die Zunge, als er sich erinnerte und überlegte, wie er diese Gestalt in Worte fassen konnte. Einige Ausdrücke fielen ihm dabei sofort ein.
„Eiskalt. Gefühllos. Irgendwie wie eine Maschine, die skrupellos ihr Ziel verfolgt, ohne Gnade. Allerdings hat es das Aussehen eines Menschen, und soweit ich das beurteilen konnte, von einer Frau. Jedenfalls hatte es weibliche Attribute... ihr wisst schon...„
„Ich glaube nicht, dass du dieses Thema weiter ausführen musst.“
Zuris ignorierte den Kommentar der Amazone und wollte es genau wissen:
„Hatte es tiefgründige, schwarze, glitzernde Augen?“ Er musste schlucken bei der Erinnerung.
Pedor zog eine Augenbraue hoch.
„Ja, tatsächlich. Außerdem war sein Körper von seltsamen Zeichnungen übersät. Woher weißt du das?“
Der Magier wandte seinen Blick ab und starrte ins Leere. Nach einer Weile schaute er aus dem Fenster und atmete tief durch.
„Es kommt hierher. Es wird mir folgen, bis es mich eingeholt hat.“
Er spürte eine Hand auf der rechten Schulter.
„Hab keine Furcht. Durch diese Barriere kann niemand kommen, und außerdem werden wir dich beschützen.“
„Ja, verdammt! Und ihr werdet umkommen, genau wie in seiner Vision. Und ich bin daran Schuld... schon wieder!“
Mit leiser, aber entschlossener Stimme fügte er hinzu: „Ihr bleibt weg von mir und ich stelle mich dieser Kreatur alleine. Möglicherweise wird es durch mein Opfer besänftigt.“
Fioxa wollte aus einem ersten Impuls heraus etwas entgegnen, doch dann füllte für eine Weile ein betroffenes Schweigen den Raum. Pedor verschränkte die Arme und zischte: „Wie die Ratten im Käfig. Einem unbekannten Schicksal ausgeliefert.“
Die Amazone schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich höre wohl nicht richtig. Wollt ihr etwa aufgeben? Wir können vielleicht nicht flüchten. Vielleicht können wir dieses Wesen auch nicht offen angreifen. Allerdings können wir immer noch mit List und Tücke vorgehen.“
„Hast du ´ne Idee?“
Sie meinte einen Hoffnungsfunke in den Augen des Magiers aufblitzen gesehen zu haben.
„Nun ja, wenn es nicht besonders intelligent ist, können wir es vielleicht mit einer gut verborgenen Falle aufhalten. Wir müssen nur zusehen, wie wir aus dem uns zur Verfügung stehenden Material das Beste machen.“
„Ich hab gesehen, wie dieses Ding Menschen tötet, ohne sie zu berühren. Vermutlich hat es Kräfte, denen wir kaum gewachsen sind. Trotzdem ist jeder Versuch besser, als gar nichts zu unternehmen.“
„Vielleicht sollten wir unsere Kräfte lieber darauf konzentrieren, wie wir hier so schnell wie möglich wegkommen.“
Pedor verhält sich wirklich wie eine Ratte im Käfig, dachte Fioxa. Fehlt nur noch, dass er kopflos durch die Gegend rennt und Panik verbreitet. Wo war bloß der Mann, der damals beim Kampf gegen den Golem solch einen großen Mut bewiesen hatte? Vielleicht hatte ihm auch seine Vision so zugesetzt, wer weiß?
Ursec, der der Unterhaltung an den Tresen gelehnt gefolgt hatte, machte mit einem Räuspern auf sich aufmerksam.
„Ich habe da etwas, das uns vielleicht weiterhelfen könnte...“
Er winkte und seine drei Gäste folgten ihm in Richtung Kellertreppe. Pedor, dessen Gesichtsausdruck reine Skepsis verriet, bildete das Schlusslicht. Was könnte ein einfacher Gastwirt schon in seinem Keller stehen haben, das ihnen bei ihrem bevorstehenden Kampf helfen konnte, fragte er sich. Allerdings musste er, sobald er den modrig riechenden Raum betreten hatte, einsehen, dass er den alten Knaben falsch eingeschätzt hatte.
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