-
Ritter
Pedor stapfte durch das Unterholz weiter, nachdem er den Weg verlassen hatte. Die Laute der eigentlich sehr unscheinbaren Singvögel durchdrangen die Luft und begrüßten die Sonne, die mittlerweile wieder durch die Wolken brach und hoch am Himmel stand. Farbenprächtige Blumen öffneten ihre Knospen und labten sich an der warmen Energie. Ein unwissender Reisender hätte sich diesen Ort wahrscheinlich für seinen Lebensabend vorgemerkt. Doch nur wenige Meter weiter lauerte der sichere Tod auf diejenigen, die sich nicht schnell genug an die Umstände angepasst hatten. Pedor schlug ein kleiner Ast ins Gesicht. Der hielt kurz an, schnaufte tief durch und ging weiter. Er hatte sich vorgenommen, seine Aggressionen etwas mehr unter Kontrolle zu bekommen, was ihm sogar einige Male gelang, wenn er Umgang mit Menschen hatte. Unbelebte Gegenstände hatten da oft weniger Glück, weshalb er auch alle paar Wochen seine Inneneinrichtung wieder komplettieren musste. Ab und zu bekam er auch zuviel Frischluft ab, wenn er ein Fenster zerschmissen hatte. Das Sektenmitglied hatte sich in einem Fachwerkhaus einquartiert, das sich in einem Stadtviertel von Maxgerty befand. Dieses Viertel stand vollkommen unter der Kontrolle der Sekte, und Mitglieder konnten dort ungestört ihrem Alltag nachgehen. Pedor sehnte sich nun nach diesem Ort, obwohl die Sache so langsam eng wurde. Offensichtlich wusste Gralos um seinen jetzigen Lebenswandel, und das ließ seine Zukunft in keinem guten Licht erscheinen. Ein Auftrag... wie konnte er ihm das antun, nach allem, was er für die Sekte getan hatte? Pedor hatte auf eine weitere Auszeichnung gehofft oder zumindest ein Treffen mit den neuen Rekruten, die ihr Vorbild mal in voller Lebensgröße sehen wollten. Er hätte sich sogar mit einer neuen Uniform zufrieden gegeben, die ihm seiner Meinung nach wieder mehr Autorität verliehen hätte. Die alte war seinem Ansehen nicht mehr zuträglich, schließlich waren alle anderen Uniformen dieser Art an Bedürftige verschenkt worden. Einmal hatte er sich durch eine dunkle Seitengasse drücken müssen, um nicht einem Landstreicher zu begegnen, der dieselbe Kluft getragen hatte. Nicht zuletzt deswegen war er auf den Anführer der Sekte schlecht zu sprechen. Er war es leid, sich etwas vorschreiben zu lassen. Seit seiner schweren Verletzung damals machte er sich seine Aufträge selber.
Ab und zu blitzten Lichtfetzen auf der Lederrüstung auf, als Pedor durch die Büsche schlich. Aufmerksam hielt er nach dem farbigen Holzpflock Ausschau. Er hatte davon gehört, dass oft Novizen den Dorfbewohnern bei dieser Arbeit halfen; Magiebarrieren abstecken und den Schwankungsgrad bestimmen, in dem sie sich bewegten. Pedor beneidete die jungen Mitglieder nicht, schließlich hatten sie einen Eid auf eine Vereinigung geschworen, die mit aller Kraft gegen das Böse kämpfte, und das war stärker als je zuvor. Es hatte eine ganz neue Dimension angenommen. Früher mussten sie das Land gegen Diebe und Verbrecher beschützen, heute mussten sie vor allem gegen das Unbekannte kämpfen, und darauf konnte man sie kaum vorbereiten.
Pedor schob einen Stachelbusch mit einem Stock zur Seite und erblickte den Holzpfahl, der ziemlich tief ins Erdreich gerammt worden war. Er streckte eine Hand von sich und bewegte sich langsam vorwärts. Es war ihm ein Rätsel, wie Magier eine Barriere nur mit ihren Gedanken formen konnten. Er hatte einmal gehört, dass ihre Sprüche nur auf Wesen wirkten, die auch daran glaubten, aber was denkt schon irgend so ein gehörntes Monster? Genau so eines ist nämlich durch die Barriere gekommen, die damals das kleine Dorf umgeben hat, in dem er wieder gesund gepflegt worden war. Damals gab es nur wenige Siedlungen, die solch einen Schutz benötigten. Dieses Dorf allerdings lag am Fuße eines Bergmassivs, das seit ewigen Zeiten von seltsamen Kreaturen bevölkert war. Und manchmal suchte eine Gruppe dieser Gestalten ihre Nahrung im Tal...
Pedor hatte Gralos nicht nur Lügengeschichten aufgetischt, ein Teil davon war schreckliche Wahrheit. Es hat wirklich eine junge Frau gegeben, die Tochter eines Holzfällers, die sich um ihn gekümmert hatte. Sie war bereits einem anderen versprochen gewesen, doch Pedor hatte sich heimlich in sie verliebt. Eines Tages hat das Schicksal seinen Lauf genommen und sie ist einen sinnlosen Tod gestorben, als sie im Fluss unweit des Dorfes gebadet hatte. Kurze Zeit später hatten zwei Krieger ein gehörtes Geschöpf erlegt, das sich gerade über einen Korb Äpfel hatte hermachen wollen. Seine beiden blutigen Fänge und die Wunden, die der Frau beigebracht worden waren, hatten keinen Zweifel an dem Täter gelassen. Pedor erinnerte sich noch daran, wie er von den Dorfbewohnern daran gehindert worden war, das Haus des Wassermagiers zu stürmen. Heute wusste er, dass ihn keine Schuld traf, aber er war seit damals nicht mehr derselbe. Irgend etwas brodelte in ihm und wollte es der Welt heimzahlen, was er hatte durchmachen müssen. Mittlerweile konnte er diese Wut meistens kontrollieren, doch er wollte nie mehr so etwas erleben müssen. Er zog sich mehr oder weniger offiziell aus dem aktiven Dienst zurück und nahm nur noch Aufträge an, die ihn nicht mehr an damals erinnerten. Und das waren die wenigsten. Viele Male hatte er auch erwägt, die Uniform endgültig abzulegen, allerdings hatte er sich mit der Zeit wohl etwas zu sehr an seinen gehobenen Lebensstandard gewöhnt...
Pedor schreckte zurück, als er etwas durch das Gebüsch huschen sah. Ein kleines schwarzes Etwas tippelte auf ihn zu und blieb stehen. Mit einem Blick auf den Pfahl bemerkte er, dass es sich wohl noch jenseits der Barriere befand. Aber wenn sie nicht mehr stabil war, wie es diese Amazone behauptete, konnte er sich nicht sicher fühlen. Vorsichtig zog er den Arm zurück und beobachtete das auf- und abwippende Geschöpf. Unter dem Fell meinte er ein paar leuchtende Augen ausmachen zu können. Er griff an seinen Hals und umfasste das Medaillon, das ihm einst ein dankbarer Freund geschenkt hatte, nachdem er ihn aus einem Schlamassel geholfen hatte. Er spürte das feine Metall, das durch die Sonne ein wenig aufgewärmt worden war. Obwohl er es schon eine lange Zeit besaß, sah es keinen Tag älter aus als zu dem Zeitpunkt, an dem er es zum ersten Mal gesehen hatte. Das mutierte Omokk schaute interessiert zu, während es leise murrte. Pedor schloss die Augen und formte ein Bild in seinem Kopf. Es wurde so hell hinter seinen zitternden Lidern, als wenn er mit offenen Augen direkt in die Sonne blicken würde. Er hatte einige Zeit gebraucht, um die Macht dieser Rarität kontrollieren zu können. Mittlerweile hatte er allerdings gelernt, wie man es einsetzen musste, um nicht selbst schaden zu nehmen. Gerade als das Licht in seinen Augen zu grell zu werden drohte, öffnete er die Augen. Sehen konnte er in diesem Moment nichts. Allerdings hörte er laute quäkenden Geräusche, die sich kurz darauf von ihm entfernten. Nach ein paar Sekunden hoben sich Umrisse aus dem einheitlichen Grellweiss ab, und mit der Zeit konnte er schon verschiede Gegenstände identifizieren. Der Pelzball war allerdings nicht mehr da. Der musste inzwischen einen ganz beachtlichen Vorsprung vor seinem unsichtbaren Feind haben, den Quäklauten nach zu urteilen. Pedor ließ das Erinnerungsstück zurück unter seine Uniform gleiten, wobei er ein wenig leise lachte.
„Tjaja, ich sehe heute wieder mal blendend aus. Also irgendwo unter diesem Fell müssen diese Dinger Augen haben, so ein Pech.“, schmunzelte er.
Er hob den Kopf und tastete wieder nach dieser ominösen unsichtbaren Wand. Sein Freund hatte ihn damals gewarnt, es nicht zu oft zu benutzen und bis jetzt hatte er es auch nur in besonders gefährlichen Situationen verwendet. Aber in diesem Augenblick hatte er gerade einmal Lust gehabt, diesem kleinen Monster einen Denkzettel zu verpassen. Pedor´s Gesichtsausdruck wurde wieder ernst, als er mit der Hand etwas berührte. Mit beiden Händen fuhr er durch die Luft und beschrieb dabei eine Form, die eine möglichst große Fläche abdeckte. Er fühlte gar nichts. Jedenfalls keine Wand, so wie er es sich vorgestellt hatte. Er konnte sogar den Wind an den Innenflächen der Hand wahrnehmen. Nur konnte er nicht darüber hinausfassen. An einem bestimmten Punkt irgendwo in der Luft war Endstation. Pedor war diese Vorstellung einfach absurd. Er glaubte lediglich die Dinge, die er mit eigenen Augen sehen konnte. In diesem Fall hatte er aber wohl keine andere Wahl, als zu akzeptieren, dass es auch Dinge gab, die nicht mit den Augen erfasst werden konnten. Er kam sich wie einer dieser Unterhalter vor, die auf Marktplätzen ihr Brot verdienten, indem sie mit ihren Händen Dinge darstellten, die nicht vorhanden waren. Mit einem Faustschlag gegen das solide Nichts und einem unflätigen Ausdruck resignierte er und seufzte. Er musste wohl einen anderen Weg finden, diesem gitterlosen Gefängnis zu entfliehen.
Sie sah den Weg vor sich wie durch einen durchsichtigen Vorhang, der aus schwerer schwarzer Seide bestand. Irgend etwas flüsterte in ihrem Hinterkopf. Dort draußen musste es wohl gerade Tag sein, obwohl sie schon längst jegliches Zeitgefühl verloren hatte. Im Moment war sie eins mit der Kreatur. Kein brutales Rauschen brachte ihr Trommelfell zum Bersten, und keine unsichtbare Macht zog sie in einem Sog nach unten in ihren Schlund. Sie wehrte sich nicht mehr. Vielleicht lag es daran. Sie war einfach zu schwach, um weiterhin Widerstand zu leisten. Sie spürte die Erschütterungen, wenn es sich fortbewegte. Von einem Augenblick auf den anderen meldete sich ihr Gewissen zurück, und sie spürte, wie die Gedanken der Reue und Wut sofort wieder zugedeckt wurden. Eine weitere Sekunde später wurde ihr Bewusstsein wieder in das dunkle Verlies gesperrt, das sich unendlich langsam zu verkleinern schien. Der letzte Funken ihrer Gedanken verriet ihr, dass der Preis für ihre Freiheit ihre Menschlichkeit sein würde.
Berechtigungen
- Neue Themen erstellen: Nein
- Themen beantworten: Nein
- Anhänge hochladen: Nein
- Beiträge bearbeiten: Nein
-
Foren-Regeln