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Ritter
Langsam wurde das Bild heller, das von vielen lauten Geräuschen begleitet wurde. Er hielt sich die Ohren zu und schaute sich um. Ein bisschen hell da, ein bisschen dunkel dort, aber klare Konturen konnte er nicht erkennen. Irgend etwas kratze ganz fürchterlich in seiner Kleidung, wenn er sich bewegte, und jede Bewegung tat verdammt weh. Worauf zum Teufel hatte er da gelegen? Plötzlich löste sich ein Schatten aus der verschwommenen Umgebung und kam auf ihn zu. Er stellte irgend etwas vor ihn hin und schrie:
„Das wird ihnen helfen!“
Pedor stöhnte laut auf. Er hatte doch wohl nichts an den Ohren. Er sah hoch und erkannt ein Gesicht, das er irgendwo schon mal gesehen hatte. Er rieb sich die Augen und schaute noch einmal genauer hin. Ein älterer Mann mit einer Halbglatze und einem Schnauzbart beugte sich über ihn. Er trug ein eigenartiges rotes Hemd mit einem Symbol darauf, das er mit Müh und Not als Fisch identifizieren konnte. Wenn ich das Gasthaus später beschlagnahme, sollte ich auch gleich eine Kleiderordnung einführen, dachte er - Wollte er das eigentlich? Er kam ins grübeln. Wie kam er eigentlich auf sowas, was sollte er denn mit diesem Wirtshaus anfangen? Etwa als Gastwirt in die Gastronomie einsteigen? Auf so ein Blödsinn konnte man auch nur unter Alkoholeinfluss kommen. So langsam kamen auch die Erinnerungen der letzten Nacht zurück und er musste schlucken. Und er fragte sich, was zum Geier da in seinem Mund gestorben war.
„Was soll das denn sein?“, hörte er entfernt eine vertraute Stimme reden. Plötzlich wurde ihm klar, dass er diesen Satz gesagt hatte. Wein vertrage ich doch sonst besser, überlegte er.
„Ein Drink, der ihnen das Gehirn freimacht. Aus dem besten, was der Wald zu bieten hat... allerdings ist keine Rothwurzel drin. Ich habe keine Lust, hier schon wieder durchzuwischen.“
Pedor ergriff beim zweiten Versuch erfolgreich den Becher und führte ihn zum Mund. Zum großen Erstaunen des Wirtes kippte sein komplizierter Gast den Inhalt in einem Zug in sich hinein, ohne mit der Wimper zu zucken.
„Noch einen... bitte.“
Ein Morgen voller Überraschungen, dachte Ursec. Zuerst verschwindet meine alte Freundin, dann finde ich die Bescherung in der Suite und den Fremden im Heukarren, und jetzt will dieser Mensch auch noch einen weiteren Becher von dem widerlichsten Gebräu, das je auf Erden gemischt worden ist. Außerdem hatte er „bitte“ gesagt. Muss wohl eine Nachwirkung des Alkohols sein, dachte er.
„Soll das ein Witz sein? Jeder ist froh, wenn er den ersten Becher unten hat, ohne einen Krampf in der Gesichtsmuskulatur zu bekommen.“
Das Sektenmitglied atmete tief durch und sagte:
„Ich kenne dieses Zeug, es hat mich schon öfters vor einem Beinahe-Tod durch einen mörderischen Kater bewahrt.“
Er wischte sich mit dem Ärmel über den Mund und hielt dem Wirt auffordernd das Trinkgefäß entgegen.
„Ich brauche immer mindestens zwei.“
Der Wirt reagierte nicht sofort. Er dachte an die Amazone. Er erinnerte sich an einen Vorfall, der einige Jahre zurücklag. Damals rettete sie zwei Wanderer vor einem Schwarm Otakis, einer aggressiven Abart der stolzen Steinadler. Sie wehrte zahlreiche Angriffe ab, bis die beiden flüchten konnten. Später kam sie dann erschöpft aber lächelnd in das Gasthaus, mit ein paar Kratzern im Gesicht und zwei Vögeln über der Schulter. Er hatte bis dahin noch nie jemand mit einer solchen Kühnheit gesehen. In den darauffolgenden Monaten lernte er sie dann besser kennen, einschließlich ihrer Macken und Eigenarten. Oft verschwand sie für Tage, ohne ein Wort zu sagen. Was damals nur ärgerlich war, ist heute in seinen Augen unverantwortlich. Selbst eine ausgezeichnete Kriegerin wie Fioxa konnte in diesen Tagen nicht auf alles vorbereitet sein, was in den Wäldern vor sich ging. Aber sie war schon immer sehr unabhängig. Vielleicht sollte er sich keine Sorgen machen. Doch je mehr er sich das einredete, um so mehr musste er an sie denken.
Sein Gast klopfte ungeduldig mit seinem Trinkgefäß auf den Tisch und riss Ursec aus seinen Gedanken. Der erinnerte sich an die außergewöhnliche Bitte des Mannes, ging in die Hocke und holte den Krug hervor, den er schon wieder ganz hinten nahe der Schrankwand verstaut hatte. Er hatte immer einen Vorrat von diesem Zeug in seiner Speisekammer, falls ein paar Gäste die Nacht zuvor ein fröhliches Trinkgelage veranstaltet hatten. Diese Feste waren immer sehr einträglich, und so war es für ihn eine Selbstverständlichkeit, ihnen die Folgen ihres Exzesses ein wenig erträglicher zu machen. Auf dem Weg zum Tisch schaute er aus den Fenstern und hoffte, dort die Silhouette der Amazone zu erblicken. Der Fremde schien das bemerkt zu haben.
„Erwarten sie jemanden?“
Ursec war die Frage unangenehm. Er wusste zwar nicht genau, was da in seinem besten Zimmer vorgefallen war, aber er war überzeugt, dass seine Freundin seinen Gast nicht gerade zimperlich behandelt hatte. Aus diesem Grund wollte er seine Erinnerungen an sie nicht schneller zurückbringen, als dies ohnehin schon der Fall war. Er goss das zähflüssige Gebräu in den Becher. Eigentlich war der Geruch ganz angenehm, aber der Geschmack war scharf und aufdringlich. Das Schweigen dauerte ein paar Sekunden, bevor der Dolchmeister einsah, dass er keine Antwort bekam und seufzte. Als der Wirt sich gerade abwenden wollte, hielt er ihn am Arm fest.
„Warte mal, mein Freund... Lass den Krug am besten gleich hier.“
Der Inhaber des bekanntesten Wirtshauses in der Gegend traute seinen Ohren nicht. Hatte er gerade „mein Freund“ gesagt? Warum war er heute morgen so verdächtig freundlich? Jeder andere Mensch mit seinem Kater würde die Welt verfluchen und mit niemandem reden wollen. Außerdem hatte er eigentlich die eine oder andere Strafandrohung erwartet, nach der Behandlung, die ihm letzte Nacht zuteil geworden war. Ursec stellte den Krug auf den Tisch und begab sich in die Suite, um ein bisschen Ordnung zu schaffen.
Im Gang vor dem Zimmer hing immer noch der Geruch der Wachskerzen, die er extra aus Herrasto hat kommen lassen, einer Hafenstadt, die nur mit den besten Waren aus aller Welt handelte. Diese Kerzen hatten ihn ein kleines Vermögen gekostet, aber für Ursec war der Kunde seit jeher König, daran konnten auch die jüngsten Vorfälle nichts ändern. Er betrat das Zimmer und schaute sich um. Sein vormals bestes Zimmer konnte er nicht einmal mehr einem armen Wandersmann zumuten. Der gute Teppich hatte sich verfärbt und stank nach säuerlichem Wein, während der Wind einen kalten Luftzug nach dem anderen durch das Zimmer blies. Die meisten noch brauchbaren Nahrungsmittel hatte der Wirt bereits wieder in seine Speisekammer verfrachtet, bevor er den Fremden aus dem Heukarren gehievt und ihn soweit wie möglich vom Heu befreit hatte. Der Magier, wie ihn seine Freundin bezeichnete, hatte an diesem Morgen noch fest geschlafen. Er hatte bestimmt Einiges durchmachen müssen. Ursec beschloss, das nun permanent offene Loch in der Wand zuzunageln, damit nicht noch mehr Wärme entweichen konnte, die sein Kamin im Erdgeschoss produzierte.
Pedor hatte inzwischen fast den gesamten Krug geleert, als sein Magen zu protestieren anfing. Offensichtlich hatte der noch genug mit dem zu tun, was er ihm gestern zugemutet hatte... was immer das auch im Einzelnen war. Er ließ den Becher zurück auf den Tisch sinken und ließ der Luft aus seinem Magen freien Lauf. Danach leerte er den Becher und versuchte sich zu erheben, mit beiden Händen auf dem Tisch. Er schaffte es bis zum nächsten, stützte sich ab und erholte sich eine Weile. Sein Ziel war irgendein warmes weiches Bett. Er hatte Angst, dass eine unüberlegte Bewegung ihn in seinem jetzigen Zustand zu einem Invaliden machen könnte. Jeder Muskel in seinem Körper schien sich bemerkbar machen zu wollen. Zuletzt hatte er sich so gefühlt, als er in der Scheune eines verlassenen Bauernhofes hat schlafen müssen, nachdem er sich im Wald verlaufen hatte. Eine unangenehme Erinnerung, die er zu gerne verdrängte. Er fiel mehr als er ging zum nächsten Tisch und plumpste auf den dortigen Stuhl. Mit einem Blick zur Treppe stöhnte er auf.
„Wäre ich doch bloß zum „Tanzenden Bison“ gegangen, die haben ihre Zimmer unten.“, jammerte er.
Mit einem mal durchfuhr den Mann ein heißer Schauer, der ihn aufschreckte. Seine Augen waren weit aufgerissen. Er zuckte mit den Armen und ließ dabei einen Stuhl in der Nähe hin und her wippen. Seine Augen verloren ihren natürlichen Glanz und ein bläulicher Schimmer fraß das Weiße in seinen Augen förmlich auf. Auf einmal erstarrte er in der krampfartigen Bewegung und seine Arme fielen auf den Tisch. Langsam erhob sich sein Körper. Mittlerweile umgab ihn eine Art Aura, die blau leuchtete. Langsam richtete sich Pedor zu seiner vollen Größe auf und schwebte ein paar Zentimeter über dem Holzboden. Seine Augen waren vollständig blau und begannen ebenfalls zu leuchten. Er streckte die Arme zur Seite und verharrte in dieser Stellung, den Kopf in den Nacken gelegt. Das pulsierende Licht durchdrang jetzt alles um ihn herum. Eine erstarrte Gestalt stand auf der Treppe. Ein Schinken fiel ihr aus der Hand und rollte über den Boden.
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