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Ritter
„Was soll das heißen, es ist kein Essen mehr da??“
Der Wirt stand in der Tür und blickte hilflos drein.
„Das soll genau das heißen. Meine Speisekammer ist leer... es sei denn, ich mache dieses Zimmer hier zu einer.“
Er blickte wehleidig auf die vielen teuren Speisen und Getränke, die dieser unverschämte Fremde bestellt hatte. Es war kaum etwas angerührt worden. Und das alles nur, weil er zur Sekte gehörte und jedes Gasthaus in dieser Gegend seine volle Unterstützung zugesagt hatte. Im Gegenzug versprach die Sekte Schutz gegen diese Monsterhorden. Doch wer beschützt uns vor den Beschützern, fragte er sich.
„Besorgen sie was, Mann, oder sie bekommen einen Haufen Ärger!“
Ursec hätte diesen verfressenen Kerl am liebsten vor die Tür gesetzt, doch auch er bedurfte des Schutzes der Sekte, obwohl ein magischer Schutzwall sein Wirtshaus umgab, nachdem ein Magier hier auf mysteriöse Weise verschwunden war. Jedenfalls kam seitdem kein Monster mehr näher als hundert Meter an das Gebäude heran. Und das war schon sehr beruhigend.
„Ich kann ja mal nachsehen, ob noch etwas Käse in den Mausefallen ist.“, bemerkte er zynisch, bevor er die Tür schloss und ging, nicht ohne den letzten Satz aus der Suite noch mitzubekommen:
„Und bring hier bloß keine Speisen niederer Qualität vorbei, sonst beschlagnahme ich den ganzen Laden!“
Der Wein hatte wohl auch keinen guten Einfluss. Er lockerte nur seine Zunge für noch mehr Unverschämtheiten. Der Wirt seufzte und stieg die Treppe hinab. Als wenn man mit den Dämonen nicht schon genug zu schaffen hätte.
„Was soll das heißen, es ist kein Essen mehr da??“
„Jetzt fang du nicht auch noch an! Es ist eben nichts mehr da... bis auf ein halbes Fass Bier.“
Mittlerweile war es abend geworden und der letzte Gast war gegangen. Nachts wollte sich keiner mehr auf der Straße aufhalten, obwohl das eigentlich keinen großen Unterschied im Bezug auf die Gefahr durch die Monster machte. Am Tage sah man wenigstens, was einen da anfiel. Das Ergebnis war aber stets dasselbe. Peppi war als letzter gegangen und hatte auf seinem Weg nach draußen so etwas wie „Geitschhalsch“ gemurmelt, bevor ihm ein paar Stühle in den Weg gelaufen sind.
Fioxa und Ursec saßen an einem Tisch in der Ecke und redeten über alles Mögliche, vor allem über die Vergangenheit. Doch irgendwann kam das Gespräch auch auf die Verpflegung des Fremden.
„Kannst du mir das mal erklären? Soweit ich mich entsinne, quoll deine Speisekammer immer über. Ich kann mich noch erinnern, dass ich vor fünf Jahren hier den besten Salat weit und breit genossen habe... jeden Tag.“
Der Wirt machte eine unwirsche Geste.
„Seit heute - ja verflixt, erst seit heute - ist ein Angehöriger der Klingensekte Gast in meinem Hause. Er hat das beste Zimmer bekommen und die besten Speisen, doch er war nie zufrieden. Tja und irgendwann... hatte ich eben nichts mehr, was ich ihm hätte anbieten können. Zum Glück ist er eingeschlafen und bis jetzt nicht wieder aufgewacht. Außerdem bleiben manchmal die Nahrungsmittellieferungen aus. Ich will mal gar nicht wissen, was mit den armen Teufeln passiert ist, die den Transport begleitet haben.“
Ursec machte ein saures Gesicht.
„Was ist das für eine Welt, Fioxa? In der jeder nur auf seinen Vorteil bedacht ist und andere ausnutzt? In dieser schweren Zeit... sollten wir da nicht alle zusammenhalten? Aber dieser Kerl - ihm scheint das alles egal zu sein.“
Er knallte den Krug auf den Tisch, den er bis eben noch in der Hand gehalten hatte. Fioxa fasste ihn am Arm.
„Hör mal, alter Freund. Ich rede morgen mal mit ihm. Ich werde ihn bestimmt zur Vernunft bringen können... auf die eine oder andere Weise. Lass das mal meine Sorge sein.“
Er zögerte kurz, bevor er den Krug leerte und sprach:
„Also gut. Aber versprich mir ihn nicht zu verärgern. Vielleicht macht er sonst seine Drohungen wahr, wenn er sich nach der Sauferei noch daran erinnert.“
„Kein Problem. Ich verspreche, ich werde einfach sehr diskret vorgehen, wie immer.“
Dieser Satz kam nicht ohne einen sarkastischen Unterton über ihre Lippen. Ursec kannte jedoch seine Freundin und wusste, dass sie ihn nicht in Schwierigkeiten bringen würde; jedenfalls nicht absichtlich. Mit einem Augenzwinkern sagte er:
„Das Fenster habe ich grade erst gesäubert. Wenn du ihn also morgen diskret behandelst, achte bitte darauf, dass es heil bleibt.“
Die Kriegerin erwiderte nichts darauf, konnte sich aber ein Lächeln nicht verkneifen. Sie schaute sich um. Auf jedem Tisch brannte eine Kerze, und auf einigen standen noch vereinzelt Krüge, die auf den Abwasch warteten. Es sah fast so friedlich aus wie damals. Aber der Frieden war trügerisch. Ihr Speer, den sie schon seit ihrer Jugend mit sich herumtrug, lehnte am Türrahmen der Eingangstür, für den Fall der Fälle. Von draußen hörte man nur normale Tiergeräusche und das Heulen des Windes im Dachgiebel. Vielleicht schlafen die Monster ja auch manchmal, dachte sie. Irgendwie beruhigte sie dieser Gedanke. Ursec stand auf und sammelte die Krüge ein. Die Amazone verfolgte ihn mit ihrem Blick. Der Wirt hielt kurz inne und betrachtete ihre Waffe.
„Weißt du noch, als ich dich damals zum Fischen mitgenommen habe? Du hast alleine mit dem Speer vier Forellen erlegt. Ich war schwer beeindruckt.“
Das Lächeln auf seinem Gesicht wich sogleich einem wehleidigen Ausdruck, als er mit seiner Tätigkeit fortfuhr.
„Heute allerdings gibt es keine Fische mehr in diesem Fluss. Nein, das ist nicht ganz richtig. Es gibt immer noch diejenigen, die einen anspringen um einem die Kehle durchzubeißen. Warum tragen diese Wesen so viel Böses in sich?“
Der Wirt wischte mit einem Baumwolltuch durch die Krüge, bevor er sie in den Schrank zurückstellte. Die Amazone hörte weiter aufmerksam zu, obwohl ihr dieses Thema nicht behagte. Sie hatte seine rauhe Stimme immer als sehr beruhigend empfunden, aber diesmal spürte sie eine wachsende Unruhe in sich. Es war müßig, darüber zu reden. Man musste jeden Tag ums überleben kämpfen, einen Krieg führen gegen einen Feind, von dem man kaum etwas wusste. Daran änderte auch ein Gespräch nichts. Aber vielleicht half es ihm, wenn er ihr von seinen Sorgen erzählen konnte.
„Wenn diese Energiebarriere dieses Wirtshaus nicht schützen würde, hätte ich meinen Laden sicher schon längst schließen müssen. Ich wünschte, die Sonne würde morgen aufgehen und alle dunklen Kreaturen und bösen Wesen mit ihrem Antlitz vertreiben... einschließlich diesem Schmarotzer da oben. Ich weiss wirklich nicht, wie lange ich hier die Stellung noch halten kann.“
Er schloss die Türen des Schrankes wieder. An einer Schranktür war das Scharnier defekt, weshalb sie nicht mehr richtig schloss und quietschend wieder ein Stück aufging.
„Wundert mich sowieso, dass es noch so viele Menschen bis hierher schaffen. Sogar der alte Peppi ist nicht mehr jeden Tag hier, so wie früher.“
Fioxa stand auf und setzte sich an die Theke. Der Wirt lehnte sich an den Schrank und brummelte leise. Der Zauberstab des Fremden lag neben der Amazone. Er fiel dem vermeintlichen Magier aus der Hand, als sie ihn in den Stuhl hatte fallen lassen. Ihr lief ein Schauer über den Rücken. Der Totenkopf schien sie direkt anzustarren, als wenn sie in das Antlitz des Todes blicken würde. Sie tippte den Stab an, so dass er zur Seite rollte.
„Wer ist eigentlich dieser seltsame Mann, dem du geholfen hast?“
Fioxa schaute, als wenn sie gerade aus einem wichtigen Gedanken gerissen worden wäre.
„Ich habe keine Ahnung. Ich weiss nur, dass er Hilfe benötigte, das reicht mir als Grund aus, die meine anzubieten. Wir werden wohl erst Näheres erfahren, wenn er wieder zu Kräften gekommen ist.“
Sie konnte ihren Blick nicht von dem Stab abwenden und tippte ihn noch mal an, so als wenn seine Nähe ihr ein unbehagliches Gefühl bereiten würde.
„Vielleicht kann er sogar die Barriere verstärken...“
Ursec schien den letzten Satz gar nicht gehört zu haben. Nach einer Weile fragte er:
„Kannst du dir denken, wo er herkommt? Ich habe schon lange keinen Druiden mehr in dieser Gegend gesehen. Der letzte der hier war, ist plötzlich verschwunden. Seitdem gibt es diese Barriere.“
Fioxa lächelte verständnisvoll.
„Ich denke mal, das war eher ein Magier der alten Schule, genauso wie unser Freund da oben. Jedes Dorf hat einen, der es beschützt und für das Wohlergehen der Bewohner sorgt.“
Der Wirt machte große Augen.
„Aber wenn er hier ist... was ist dann mit seinem Dorf?“
Eine vielsagende Stille breitete sich im Raum aus. Ursec bekam wieder diesen besorgten Gesichtsausdruck und fragte mit beschwörender Stimme:
„Fioxa, mein Gott, was ist da draußen los? Erzähl mir die Wahrheit, wie schlimm ist es?“
Die Amazone hielt kurz inne, bevor sie antwortete: „Es gibt ein paar... neue Regeln. Regeln, die ich für mich aufgestellt habe, um zu überleben. Erstens: Halte dich, soweit möglich, von dichten Wäldern fern. Zweitens: Reise immer am Tag und niemals, wenn du müde oder unkonzentriert bist. Drittens: Stufe jedes Geräusch, so vertraut es auch ist, zunächst als Bedrohung ein...“
Sie stockte, als sie den Gesichtsausdruck ihres Freundes bemerkte uns entschied, ihn nicht noch weiter zu beunruhigen.
„Wenn die Umstände sogar dich dazu zwingen, deine Lebensgewohnheiten umzustellen, muss es schlimmer sein, als ich dachte. Welchen Grund mag es für all das geben?“
Die Kriegerin wollte ihrem Freund Hoffnung machen, obwohl sie selbst davon nicht mehr allzu viel in sich trug. Doch dann entschied sie sich doch, ihm schonungslos das zu erzählen, was sie wusste; schließlich hatte er ein Recht darauf zu erfahren, wie die Dinge standen:
„Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Es gibt nur Gerüchte. Gerüchte, weshalb es auf einmal so viele Monster gibt oder warum die Tiere so aggressiv geworden sind. Vieles klingt sehr unglaubwürdig. Es gibt Leute, die wollen gesehen haben, wie ein Himmelskörper irgendwo auf dem südlichen Kontinent eingeschlagen ist und sehen dort die Quelle für die Veränderungen. Andere glauben an Rache. Die Rache, die Mutter Natur ihren fehlgeleiteten Geschöpfen, den Menschen, angedeihen lässt.“
Sie stockte kurz, als sie ein Geräusch von draußen gehört zu haben glaubte. Dann fuhr sie fort:
„Wieder andere glauben fest, dass die Himmelsmagier zurück sind und wieder mit ihren schrecklichen Experimenten begonnen haben... Es sind alles reine Spekulationen. Jeder, den ich bis jetzt getroffen habe, erzählt eine andere Geschichte. “
Die Amazone rang sich ein Lächeln ab. Der Wirt nahm diese Informationen scheinbar ungerührt zur Kenntnis. Sie fasste seine Hand und ihr Gesicht nahm einen festen Ausdruck an.
„Es wird wieder so wie früher, das weiß ich, dafür kämpfe ich! Diese dunkle Zeit ist nur eine weitere Episode der Geschichte der Menschheit. Wir werden auch das überleben. Und außerdem kann es ja wohl nur noch besser werden....“
Sie stand auf, nachdem sie die Reaktion ihres Freundes abgewartet hatte. Der allerdings sagte nichts mehr, sondern wischte sich mit dem Tuch die Nase. Aber als sie gerade auf dem Weg zur Tür war, klopfte der Wirt mit dem Krug auf die Theke und rief „Sperrstunde“ und etwas leiser fügte er mit einem Lächeln hinzu:
„Ich bin froh, das du hier bist. Es geht nichts über einen guten Freund in diesen Tagen.“
Die Amazone zog kurz die Mundwinkel nach oben, nahm ihren Speer und begab sich auf ihr Zimmer, während der Wirt die Kerzen löschte. Die Wahrheit war allgegenwärtig. Und sie änderte sich nicht, auch wenn man sie in wunderschöne Sätze packte.
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