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Ritter
Das erste, das Zuris ins Auge stach, war ein großer Kopf, der aus einem wenig beleuchteten Platz an der Wand ragte. Bis jetzt hatte er nicht einmal gewusst, dass es solch große Tiere auf der Welt gab. Er musste schlucken bei dem Gedanken, dass er die Dorfbewohner vor Dingen hatte schützen wollen, denen er sich nicht einmal bewusst war. Möglicherweise war das Eindringen dieser Kreatur mit dem menschlichen Körper doch nicht auf Schwachstellen in seiner Barriere zurückzuführen. Schließlich sollte sie laut Pedor´s Vision auch hier auftauchen, obwohl das Gasthaus eine unsichtbare Wand von unglaublicher Stärke umgab. Doch lange konnte der junge Magier seinen Gedanken nicht nachhängen. Er machte ein paar Schritte in den Raum, um einen bessere Überblick zu haben und Pedor, der schon ganz unruhig zu werden schien, vorbeizulassen. Der kümmerte sich kaum um die seltsamen und exotischen Gegenstände, die links und rechts an der Wand angeordnet waren, sondern steuerte direkt auf ein Objekt zu, dass sich an der hinteren Wand befand. Es war etwa hüfthoch und ziemlich stark verziert. Zuris allerdings konnte seine Aufmerksamkeit nicht so gut konzentrieren. Mit offenstehendem Mund betrachtete er Dinge, von denen er sich nicht eines im Traum hätte vorstellen können. Er drehte den Kopf und konnte sehen, dass die Amazone nicht minder beeindruckt war. Sie schaute zu dem Gastwirt, der mit einer Laterne, die er aus einem Schränkchen neben der Türe genommen hatte, vor einer Vitrine stand und lächelte. Die Kriegerin senkte ihren Blick, schüttelte den Kopf und lachte leise.
„Ursec, ich kenne dich schon so lange, aber ich hätte nie gedacht, dass du in deinem Keller ein Privatmuseum hast. Wo hast du bloß diese ganzen Sachen her? Mein Gott,“ sagte sie, ging ein paar Schritte auf ein Objekt in der Ecke zu und drehte sich wieder um, „du hast sogar einen Zeremoniendolch der alten Magier. Ich kenne einen Amazonenstamm, der alles dafür geben würde, solch ein Kostbarkeit nur einmal anfassen zu können.“
„Na los, du darfst ihn ruhig mal rausnehmen.“
Fioxa blieb der Mund offen stehen. Sie fühlte sich wie ein kleines Kind, dem gerade sein Herzenswunsch erfüllt wurde. Nach einem dankbaren Nicken zu Ursec hob sie langsam das kalte Metall gegen das Licht und betrachtete die Waffe von allen Seiten. Diese Dolche galten seit langem als verschollen. Die Kriegerin kannte viele Sammler und Magier, die für diesen Dolch töten würden. Und ausgerechnet der Mensch, von dem sie es am wenigsten erwarten konnte, hortete solche Schätze in seinem Keller. Behutsam legte sie das Schmuckstück zurück unter das Glas. Die magisch behandelten Teile des Dolches leuchteten immer noch im Dunkeln, selbst nach so vielen Jahren. Fragend blickte sie Ursec an, der die Laterne mittlerweile an Zuris übergeben hatte, damit er sich besser umsehen konnte. Dieser Raum schien noch nie das Tageslicht gesehen zu haben, und nach Fioxa´s Einschätzung waren sie mindestens zehn Meter unter der Erde. Lediglich ein paar Kerzen erhellten den Raum in dem Maße, dass man den Ausgang wiederfinden konnte und über nichts stolperte. Die Dunkelheit, die diese Kunstwerke umgab, schien ihnen den Glanz zu nehmen, und tauchte sie in ein Zwielicht, das ihnen den gleichen Wert zumaß wie dem Ramsch auf einem Händlerkarren. Die Schatten der Anwesenden tanzten über die Wände wie Geister aus längst vergangenen Epochen. Zuris hob die Laterne über seinen Kopf, um eine Art Maske zu erhellen, die auf einem hohen Sockel thronte.
„Was... was sind das alles für Sachen? Die meisten dieser Gegenstände hab ich noch nie gesehen.“
Ursec lächelte verständnisvoll.
„Mein Onkel hat zu Lebzeiten seltene Stücke aus der ganzen Welt zusammengetragen. Diese Pflanze zum Beispiel, „er wies auf eine getrocknete Blume, die mit Glas auf ein Stück Samt gedrückt worden war, “stammt aus einer Gegend jenseits des Hierala-Gewässers. Ihr werden viele heilende Kräfte nachgesagt, wenn sie mit den richtigen Ingredienzen vermischt wird und sie ist nur an sehr speziellen Orten zu finden. Als er dann des Reisens müde wurde, ließ er dieses Gasthaus bauen und hat diesen Raum gleich mit anlegen lassen. Hier konnte er dann für den Rest seines Lebens seine Errungenschaften bewundern und wusste sie sicher vor unliebsamen Besuchern. Schließlich kannte niemand in dieser Gegend seine frühere Leidenschaft. Als ich seine Gaststätte erbte, vertraute er mir sein Geheimnis und alle diese wundervollen Schätze an. Ich nahm an, in einer Notsituation wie dieser hätte mein Onkel nichts dagegen, dass wir uns hier unten etwas umsehen.“
Die Amazone nickte und ließ ihren Blick noch einmal durch den Raum schweifen. Pedor murmelte vor sich hin und fuhr mit der Hand über die Reliefschnitzereien auf diesem seltsamen Objekt, das wie ein ausgehöhlter Pilzfuß auf Rädern aussah. Als die Amazone ihn erblickte, bekam ihr Gesicht einen sorgenvollen Ausdruck.
„Pedor hör mal, wie weit in die Zukunft reichte deine Vision eigentlich? Ich meine, vielleicht ist dieses Wesen bereits oben im Haus, und wir sitzen hier in der Falle...“
Das Sektenmitglied reagierte nicht sofort, sondern bewegte sich in der Hocke um das Objekt herum und ließ es ein Stück nach vorne rollen. Ursec begann an der Richtigkeit seiner Entscheidung zu zweifeln, Pedor diesen Raum gezeigt zu haben. Es war ihm nicht Recht, dass dieser Kerl an einem Vermächtnis seines Onkels herumspielte, allerdings hatte er immer noch Respekt vor der Sekte und ihrer Macht, weswegen er versuchte, seiner Freundin seinen Unmut mimisch zu vermitteln.
„Keine Ahnung, vielleicht ein paar Tage, woher soll ich das wissen?“ kam die patzige Antwort.
„Denk nach, das ist wichtig, Schließlich müssen wir wissen, wieviel Zeit uns noch für Gegenmaßnahmen bleibt. Wie lange dauerte es denn das letzte Mal, bis sich die Vision bewahrheitete?“
Pedor stoppte in der Bewegung. Er blickte sich um und stand langsam auf, in seinen Augen blitzte es.
„Woher willst du das wissen? Woher willst du wissen, dass das nicht meine erste Vision war?“
„Du hast mir ein wenig zu ruhig regiert, für einen Menschen, der gerade ein solch außergewöhnliches Erlebnis hatte. Das kann ich mir nur so erklären, dass du so etwas schon einmal durchgemacht haben musst.“
„Du kennst mich doch überhaupt nicht. Woher willst du wissen, wie ich reagiere?“
Pedor wandte sich mit einer unwirschen Geste ab.
„Schon gut, ich werd oben Ausschau halten. Falls mir was Verdächtiges auffällt, rufe ich euch.“
Zuris übergab dem Wirt die Messinglaterne und hastete Richtung Ausgang. Fioxa allerdings hielt ihn zurück.
„Einen Augenblick mal. Wenn dieses Ding wirklich hinter dir her ist, solltest du nicht alleine hochgehen.“
Mit einem Blick forderte sie Ursec auf, den jungen Magier zu begleiten. Der schaute an der Kriegerin vorbei und flüsterte:
„Soll ich euch beide wirklich alleine lassen..?“
„Ja, alter Knabe. Wenn du um deine Freundin besorgt bist, dann bleib doch hier und beschütze sie. Sie würde sich bestimmt viel sicherer fühlen.“
Ursec seufzte genervt.
„Schon in Ordnung, er wird keine Dummheit machen. Er weiß, dass wir jetzt zusammenhalten müssen.“
Aber Fioxa war sich dessen gar nicht so sicher, wie sie nach außen tat. Der Gastwirt nickte, stellte die Laterne neben die Tür und folgte Zuris, der bereits vorgegangen war.
„Wer sagt denn, dass ich auf euch angewiesen bin? Bis jetzt habe ich mich immer alleine durchs Leben schlagen können. Es gibt keine Situation, die ich nicht meistern kann.“, nahm das Sektenmitglied das Gespräch wieder auf, nachdem er ein paar Minuten das altertümliches Objekt betrachtet hatte.
„Ich werde dich daran erinnern, wenn du Auge in Auge dem Wesen aus deiner Vision gegenüberstehst. Was ist das überhaupt für ein Gegenstand, an dem du da die ganze Zeit rumfingerst?“
„Ich hatte eigentlich angenommen, dass deine Kenntnisse über Kriegsgerät etwas tiefer gehen.“
Mit leuchtenden Augen fuhr er über die Ornamente.
„Dieses Schmuckstück ist eine Kanone aus dem zweiten Arris´schen Krieg. Dieses Ding hat wahrscheinlich mehr Leben auf dem Gewissen als wir beide zusammen.“
„...sehr interessant. Sind die Arris nicht ein Volk der Künstler und Denker? Kaum vorstellbar, dass sie ihre Energie früher für die Entwicklung solcher Waffen verschwendet haben...“
„Was heißt hier verschwendet? Diese Waffe ist ein Kunstwerk. Sieh dir nur diese Schnitzereien an. Sie verstanden es eben, Kunst und Eroberung auf faszinierende Weise zu verbinden.“
Die Amazone zog eine Augenbraue hoch und kniete sich zu der Laterne herunter. Ein beißender Schmerz ließ sie einen Seufzer ausstoßen. Mit den Fingerspitzen fuhr sie an den Verband und musste feststellen, das die Wunde wieder angefangen hatte zu bluten. Ironie klang in ihre Stimme mit, als sie antwortete.
„Wie schön. Ihre beneidenswerten Opfer haben ihren letzten Atemzug bestimmt auf einen Jubelschrei verwandt.“
Sie beleuchtete den hinteren Teil des Zimmers und bemerkte die funkelnden Augen, aus denen sie der Tierkopf anstarrte. Ursec´s Onkel musste die Augenhöhlen mit Bernstein oder ähnlichem verschlossen haben. Der Schatten des ausgestopften Kopfes tanzte wild über die blasse Kellerwand. Fioxa fiel erst jetzt auf, das sie ein leichter eiskalter Windhauch umstreichelte. Sie machte ein paar Schritte auf die Wand zu, an der ein alter Schild und ein paar Felle hingen. Wie nebenbei stellte sie die Frage:
„Wie funktioniert denn dieses einzigartige Stück Kunstgeschichte eigentlich? Ich nehme nicht an, dass man es wie eine Armbrust spannen kann..?“
Pedor lachte laut.
„Nicht doch, die Kriegstechnologie der Arris war ihrer Zeit weit voraus. Wie schade, dass sie die meisten ihrer Errungenschaften vernichtet haben, nachdem sie den Frieden als erstrebenswerter erachtet hatten als die Expansion ihres Reiches. Deshalb ist es heute extrem selten, ein Stück aus dieser Zeit zu Gesicht zu bekommen, vor allem in einem solch guten Zustand...“
Die Kriegerin tastete mit der Hand nach dem Luftstrom.
„Können wir es gegen unseren potentiellen Feind einsetzten?“
„Gute Frage.“
Er tippte eine unscheinbare Stelle am hinteren Teil der Waffe an und eine Klappe sprang auf.
„Oh oh.“
„Was heißt?“
„Dass diese hier nicht geladen ist.“
Pedor zog nach einigen Mühen ein verstaubtes schwarzes Stück Dreck aus dem Inneren der Kanone. Er wischte den Ruß ab und drehte es in der Hand. Fioxa bemerkte den ehrfürchtigen Ausdruck in seinem Gesicht und stellte sich vor, wie er wohl gerade nachrechnete, wie viele Leben dieses Ding ausgelöscht hatte. Diese Vorstellung ließ sie schaudern und sie drehte sich um. Dabei fuhr sie aus Versehen mit ihrem Speer an eine Stelle an der Wand, wonach ein schnarrendes Geräusch ertönte. Pedor sah erschrocken hoch, als sich die Wand neben ihm öffnete. Fioxa sprang ein Stück zur Seite, um der aufschwingenden Geheimtür auszuweichen.
„Das ist ja mal interessant. Ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt, wie sie wohl dieses Schmuckstück hier herunter gebracht haben. Die Treppe ist jedenfalls nicht breit genug...“
Fioxa trat hinter der Wand hervor und hielt die Laterne in die entstandene Öffnung. Zwei Meter hinter dem Eingang verschluckte die Dunkelheit die schwachen Lichtstrahlen. Ein leichter Wind wirbelte eine milchige Staubwolke in den Raum, die den Geruch von Jahrhunderten verströmte. Pedor ließ den Munitionsmüll fallen und griff nach der Laterne, die die Kriegerin geschickt zur Seite schaukeln ließ. Mit unwirschen Gesten verkündete er:
„Ich will diese Höhle erkunden. Vielleicht führt sie jenseits der Barriere an die Oberfläche.“
„Ja, schon möglich. Aber warum sollte ich dich alleine gehen lassen?“, fragte Fioxa, die Laterne immer noch außer Reichweite des Kämpfers haltend.
„Na zum Beispiel, weil wir die beiden da oben nicht alleine lassen können. Die haben doch keine Chance, wenn sie angegriffen werden. Und außerdem verstehst du dich besser mit ihnen als ich. Also ist es nur logisch, dass ich gehe.“
Sie überlegte kurz. An seinen Ausführungen war was dran. Was hatte sie eigentlich zu verlieren? Falls Pedor nicht mehr zurückkommen sollte, führte die Höhle wahrscheinlich in die Freiheit, und sie konnten entkommen. Falls er zurückkommen sollte, konnte er sie beim bevorstehenden Kampf unterstützen. In jedem Fall war sie diese Nervensäge für eine gewisse Zeit los. Sie drückte ihm die Lichtquelle in die Hand und machte eine nickende Kopfbewegung zur Seite.
„Vielen Dank auch, euer Großzügigkeit!“
Pedor stapfte los und Fioxa beobachtete das ersterbende Licht, bis es um eine Ecke verschwand. Auf dem Weg zur Tür erwischte sie sich dabei, wie sie anfing, sich Gedanken zu machen. Was, wenn das Licht durch einen Windstoß ausging? Oder wenn er sich verlaufen sollte? Immerhin war nicht gesagt, dass dieser Stollen ausschließlich an die Oberfläche führte. Ach was, dieser Mann hatte schon ganz andere Situationen in seinem Leben gemeistert, erinnerte sie sich. Er schien zwar oft das Gemüt eines kleinen Kindes zu haben, aber er war immerhin ein berühmter Krieger. Damals jedenfalls galt er als Held. Er wird schon auf sich aufpassen können.
Trotz dieser Gedanken konnte die Amazone ihre Zweifel nicht ganz zerstreuen.
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