Zu der Zeit, als Link seine nackten und regennassen Füsse durch den Vorhang zurück ins Schlafgemach setzte, stolperte ein Mann mittleren Jahres aus der kleinen Gastlichkeit inmitten Kakarikos. Er blieb kurz stehen und atmete tief durch die Nase ein und aus, um den weinschweren Kopf zu ordnen. Dann setzten sich seine Beine langsam in Bewegung.

Leise vor sich hin pfeifend fuhr er mit seiner linken Hand in die Westentasche. Dort klimperte es übermütig und ein freches Grinsen legte sich auf seine Mundwinkel. Er, Jarko Golsen vom Unterdorf, hatte das monatliche Fingerhakeln gewonnen. Die Mühen und Anstrengungen der letzen Tage waren nun von Erfolg gekrönt worden. Die vielen schmerzende Fingerübungen gehörten der Vergessenheit an. Zuletzt hatte er sogar dem altersschwachen Pferd der Familie den Schwanz verknotet, um es dann - nur mit seinem kleinen Finger - sieben Schritte rückwärts schreiten lassen.

Jarkos Gedanken kreisten um Tanja, der Schankmaid der kleinen Kneipe. Nicht, dass er seiner Frau jemals untreu war... dazu war er viel zu gutmütig und wohl auch ein wenig ängstlich. Aber dieses junge Mädel, dass mit scheinbar spielender Leichtigkeit in jeder Hand drei grosse Weinkrüge stemmte... das konnte einem Mann in den besten Jahren schon die Sinne rauben. Zumal einem Mann, der trunken vom Wein, benebelt vom Pfeifen-Rauch und angeregt von Gesprächen war.

Er wollte die unzüchtigen Gedanken aus seinem Kopf schütteln. Schliesslich war Tanja ihres Zeichens Enkelin von Sahasrahla, dem Ältesten des Dorfes. Ein gutmütiger, weiser, alter Mann zwar, aber es wurde gemunkelt, dass er über Zauberkräfte verfügte. Und wer wollte sich in diesen Zeiten schon mit einem Zauberer anlegen.

Ein Lichtblitz erlöste ihn schliesslich von seinem nächtlichen Verlangen. Langsam wandte er seinen Kopf gen Norden... und seine Unterlippe fing an zu zittern. Rot... der ehemals saftig grüne Wald war... flammenrot. Die Gedanken an Tanja waren vergessen. Er wollte etwas sagen, schreien, um Hilfe rufen, aber die Stimme versagte ihm den Dienst. Wie gebannt starrte er in den feuerroten Himmel über dem Wald.

Und dann sah er sie. Riesige Kugeln wie von flüssigem Feuer schienen sich aus den glutfarbenen Wolken zu lösen. Es war kaum einzuschätzen, wie gross die Geschosse waren. Sein Hirn versuchte die gewaltigen fliegenden Ungetüme irgendwie zu verarbeiten und spielte ihm zusammenhangslos Bilder von Bauer Johannsens Kürbisgarten vor. Die Flammenbestien kamen näher und näher... und fielen... fielen nieder auf die Bäume, die Gräser, zermalmten Pflanzen wie Tiere. Funken stoben durch die Luft. Atemlos sah er dem grausamen Schauspiel zu und korrigierte sich in Gedanken... die fallenden Todesbringer mussten mindestens von der Grösse eines Hauses sein.

Jetzt erst rannte er los. Seine Füsse schienen die Hitze aus dem Wald zu spüren, denn sie berührten den Boden kaum. Es gab nur einen Ort, wo er jetzt hin musste. Mitten im Dorf stand ein alter Wetterhahn. Er war alt und drehte sich auch nicht mehr richtig. Bei stürmischem Wetter quietschte das rostige Gestänge leise im Wind. Aber niemand in Kakariko hätte es jemals gewagt, Hand an das alte Gerät zu legen. Es gab eine uralte Legende, die sich um den Hahn rankte. Einst hatte der Held Hyrules das metallene Tier lebendig werden lassen um damit wie von Geisterhand die Weiten Hyrules zu überwinden. Und so war es zu einer Tradition geworden, alle Versammlungen, alle Abstimmungen und alle Feste der Einwohner rund um den Platz mit dem geflügelten Heldenhelfer abzuhalten. Es gab einem ein wenig Trost inmitten der Unbilden des Landes. Der Hahn war schon immer da gewesen... als man geboren, als man geliebt, als man gelebt... und er würde auch noch stehen, wenn man sich zur letzten Ruhe begab.

Jarko konnte das Stimmengewirr schon von Weitem hören. Kakarikos Einwohner waren wie aufgeschreckte Hühner aus ihren Häusern gekommen. Den meisten konnte man ansehen, dass sie mitten im Schlaf überrascht worden waren. Nur im Abendmantel und mit Sandalen an den Füssen standen sie in Grüppchen herum. Kinder waren herausgezerrt worden aus ihren Betten. Hunde und Katzen bellten und miauten um die Wette. Ein alter Wolfshund sass an einem Busch und heulte den inmitten der hellichten Nacht nicht sichtbaren Mond an. Die Menschen standen dicht beieinander, wie um sich Trost zu spenden.

"Wir müssen löschen!" Ein kleiner Junge riss mit seinem Schrei die Leute aus ihrer Lethargie. Zuerst liefen sie wie wild durcheinander, kurze Zeit später aber klang die laute Stimme von Darkon, dem ältesten Sohn des Bürgermeisters, über den Platz. "Kette bilden!", "Behälter herbringen!" schmetterte es durch die Strassen Kakarikos. Und schon begann sich die Menge zu ordnen, bildeten sich schnell die ersten menschlichen Ketten - vom Brunnen zum Waldesrand. Eimer für Eimer, Schüssel für Schüssel wurde gefüllt, gereicht, weitergereicht und den Flammen wie zum Trotz vorgeworfen.

Plötzlich hielt die Menge inne. Dann stoben diejenigen, die dem Wald am nächsten waren, zurück. "Da bewegt sich etwas!" rief eine Frau nach hinten, stolperte rückwärts und fiel über einen Stein in Jarkos Arme, der sie sorgsam auffing und behutsam wieder auf ihre Füsse stellte. Jarko besah sich aufmerksam den Waldrand. Und dann kamen sie. Einer nach dem anderen.

Zwischen den Rauchschwaden zwängten sich hustend die kleinen Waldbewohner in ihren grünen Joppen, Hüten und Strümpfen ins Freie. Die Kokiri, das Volk des Waldes, verliess die sonst so schützende Hülle. Ein kleines Mädchen der Kokiri - später würde sie von sich Reden machen als Salia, die Weise - sah vom Wald zu den Menschen, dann wieder zum Wald. Dann rief sie ihren Gefährten in der ihnen eigenen Sprache etwas zu. Sofort verteilten sich die immer noch angeschlagenen Kokiri und füllten die Lücken aus, die Kranke und Kinder mittlerweile in den Ketten der Wassertragenden hinterlassen hatten. Noch vehementer wurden nun die Löscharbeiten fortgesetzt.

Als Jarko kurz innehielt - einen Wassereimer in jeder Hand - um den schmerzenden Rücken zu strecken, wanderte sein Blick über die angerichteten Zerstörungen. Sein Herz wurde ihm schwer, als er an das viele Leben im Wald dachte. Hier war es, wo er das erste Mal seine Frau genommen hatte. Hier war es, wo er mit seinen Söhnen eine Baumhütte gebaut hatte. Hier war es, wo er manchen Abend die nötige Ruhe und Gelassenheit gefunden hatte.

Die Flammen schlugen nun nicht mehr ganz so hoch wie zu Beginn des Feuerhagels. Der Beschuss aus dem Himmel selber hatte aufgehört und am Morgen würden auch die letzten roten Glutherde der Vergangenheit angehören. Kakariko war gerettet... auch wenn der Wald nur noch ein grosses schwarzes Ungetüm sein würde. Noch traute sich Jarko nicht die auf den Lippen sitzende Frage zu stellen, wer für diese Tat verantwortlich war. Woher sollte er auch ahnen, dass er in Kürze eben jener Kreatur Auge in Auge gegenüberstehen würde. Auch traute er sich nicht zu fragen, was nun mit den Kokiri werden sollte, die ihres Lebensraumes beraubt waren? Er wischte sich über die russbeschmierten Augenlider und fuhr sich durch die ascheverklebten Haare. Seufzend widmete er sich wieder seiner Arbeit... Eimer um Eimer wanderte durch seine Hände... irgendwann nahm er die schmerzenden, schwielenbedeckten Hände nicht mehr wahr.

Aber noch war die Nacht nicht zu Ende... noch gönnten die Götter Hyrules dem Land nicht den nächtlichen Schlaf. Auch anderortens erhoben sich graue Gedanken in den nun wieder pechschwarzen, sternenlosen Himmel...