Die roten Augen vergrößerten sich und wurden dann augenblicklich zu schmalen Schlitzen. „So, du kennst meinen Namen.“ Seine Stimme klang wie die Hölle selbst, auf der einen Seite verführerisch und fast einschläfernd, auf der anderen hart wie der Tod. „Woher?“
„Von Odin“, entgegnete Quistis und überlegte fieberhaft, wie sie Irvine und Selphie gleichzeitig erwecken konnte. Aber ihr fiel kein Weg ein, ganz zu schweigen davon, dass sie dann hilflos mit ihren lächerlichen paar Lebenspunkten gewesen wären. „Wir haben ihn von den Toten zurückgeholt! Und er wird bald hier sein, um gegen dich zu kämpfen!“
Das war eine glatte Lüge. Sie wusste nicht, ob Odin kommen würde, obwohl sie es annahm. Aber Condenos schien ihr zu glauben. „Ja, das wird wohl unvermeidbar sein, wenn er wieder lebt“, murmelte die GF. Klang ein Unterton von... Trauer in ihrer Stimme? „Aber damit werde ich mich befassen, wenn es soweit ist.“ Er hob die Hand wie vorher, als er ihre Freunde ausgelöscht hatte.
Quistis reagierte ganz instinktiv: „Weißer Wind!“ Ihre Lebenspunkte waren plötzlich wieder voll aufgefüllt und sie stellte sich in Kampfpose.
„Das wird dir nichts nützen“, meinte Condenos mit kalter Stimme. „Du bist sehr tapfer und stark für einen Menschen und das respektiere ich... aber ich lasse nicht zu, dass du dem natürlichen Lauf der Dinge zuwiderhandelst! BOTE DES INFERNOS!“
Quistis versuchte, ihr Gesicht zu schützen, aber das war völlig sinnlos. Die monströse Kraft des GF-Angriffs zerrte an ihr wie an einer Puppe, nun, da sie ihre Kraft nicht mehr aufteilen musste. Beiläufig bemerkte sie, dass das Felsendach den Druck dieser Kraft ebenfalls nicht mehr aushielt und zum Teil auf Condenos herabstürzte, aber die GF blieb ohne einen Kratzer stehen. Die junge Frau dachte noch einmal bitter, dass sie zu gerne gesehen hätte, was aus Eclisa geworden wäre, dann schrie sie auf und fiel leblos zu Boden. Die „Königinnenwaffe“ fiel neben ihr klappernd hin, eine nun nutzlose Waffe.
Condenos senkte seine Hand, klopfte sich den Felsenstaub von der Schulter und ging mit langsamen Schritten auf die Leiche der jungen Frau zu. Er blieb vor ihr stehen und senkte den Blick. „Es hätte nicht so kommen müssen“, flüsterte die gewaltige Gestalt ungewohnt leise. „Wärst du von der Insel weggeblieben, hättest du überleben können, denn du warst stark genug, um den Monstern der Welt zu trotzen. Aber du hast mir keine Wahl gelassen. Und auch deine anderen Freunde müssen nun sterben.“ Gerade wollte er über die junge Frau hinwegsteigen, als er das Knistern unter sich hörte. Voll böser Vorahnung sah er zu Boden.
Und sprang gerade rechtzeitig beiseite, als die Flammen meterhoch aus dem Boden schossen. In allen Regenbogenfarben strahlende Federn erhoben sich aus der festen Erde und mit einem triumphierenden Laut erschien Phönix. Die unkoppelbare Kraft der GF entfachte das Feuer des Lebens in den leblosen Körpern von Irvine, Quistis und Selphie und trieb Condenos noch weiter zurück. Aber im Gegensatz zu allen anderen Gelegenheiten verschwand der Feuervogel diesmal nicht, sondern flatterte weiter hinter den wiederbelebten Helden in der Luft. Seine brennenden Augen fixierten Condenos.
„Phöööönix?“, fragte Selphie verwirrt. „Waaaaas machst du denn hier?“ Sie reichte Irvine die Hand und ließ sich von ihm hochziehen. „Normalerweise haust du doch gleich wiiiiieder ab!“
„Das hat wahrscheinlich mit ihm da vorn zu tun“, stellte Quistis grimmig fest. Sie sah Condenos herausfordernd an. „Nicht wahr?“
Die GF hörte sie nicht einmal. „Phönix?“, fragte sie, völlig überflüssig. „Willst sogar du mich angreifen? Du, der Hüter des Lebens?“ Er nahm die Hände herunter und streckte die Handflächen nach oben. „Ich möchte aber nicht gegen dich oder die anderen kämpfen. Bitte stellt euch mir nicht in den Weg. Es ist bald vorbei.“
Die flammenden Augen des Phönix zeigten keine Regung. Er flatterte noch immer im selben Tempo über den Helden. Und doch wussten sie, dass er jedes Wort von Condenos verstanden hatte. Aber er schien sich nicht zu einer Antwort herablassen zu wollen.
Condenos seufzte, als hätte er dies erwartet. „Phönix, ich habe dich nie sehr gemocht, weil deine Kraft das natürliche Gleichgewicht stört“, gab er zu. Die Augen waren nun lediglich orange. „Aber ich habe dich immer akzeptiert, weil unsere Herrin dich geschaffen hat, ebenso wie mich. Ich möchte dich nicht töten müssen. Geh mir aus dem Weg.“
Wieder keine Antwort.
„Versuch’s nicht weiter, du Kraftprotz!“, rief Irvine und lud die Exetor. Aber man sah ihm seine Nervosität an. „Phönix weiß, dass die Menschheit ein Recht auf Existenz hat. Er wird nicht auf dich hören!“ Etwas leiser fügte er „Oder?“ hinzu. Er sah zu dem Feuervogel hinauf. Dieser hatte seinen Kopf gesenkt und starrte Irvine an. Dann gab er plötzlich ein Kreischen vor sich und nickte. Seine Augen glühten auf, als er wieder zu Condenos hinsah.
„Du willst wirklich gegen mich kämpfen, Phönix?“, fragte dieser und diesmal war sich Quistis sicher, dass seine Stimme traurig klang. Dennoch hob er die Hand zu der ihr schon wohlbekannten Geste. Hastig trank sie ein Elixier, obwohl sie wusste, wie nutzlos das war. „Dann bleibt mir leider keine Wahl, mein Bruder. Selbst mit diesen Menschen hast du keine Chance gegen mich. Es tut mir Leid.“
„Aber die SEEDs sind nicht seine einzige Unterstützung!“, erklang auf einmal eine düstere Stimme. Und mit ihr tauchte Diabolos vor ihnen auf. Der Schattenbote funkelte die abtrünnige GF an und zischte. „Auch ich helfe ihnen!“
„Diabolos?“ Jetzt sah Condenos wirklich erschrocken aus. „Du auch? Selbst mein eigener Zwilling greift mich an?“
„Zwilling?“, keuchten die SEEDs gleichzeitig, aber niemand hörte auf sie.
„Wieso tust du das, Diabolos?“, fragte Condenos, und man hörte regelrechte Qualen aus seiner Stimme. „Ich weiß noch, dass du der einzige warst, der mich damals vor unserer Herrin Hyne verteidigt hat und dafür in die Wunderlampe eingeschlossen wurde. Hat diese Zeit Rachegelüste in dir geweckt, Bruder?“
„Ach, SO kam er in die Wunderlampe“, murmelte Quistis. „Jetzt verstehe ich. Möchte wissen, wie Cid an die Lampe gekommen ist...“
Diabolos, der ebenso wie Phönix in der Luft flatterte, wobei seine schwarzen Schwingen den SEEDs Windstöße entgegenschleuderten, schüttelte den Kopf. Seinem Gesicht war keine Regung zu entnehmen. „Ich hasse dich nicht, Condenos“, erwiderte er. „Ich habe lediglich erkannt, dass es Menschen gibt, die es wert sind, beschützt zu werden.“
„Aber das weiß ich doch auch!“, rief Condenos inbrünstig. „Und jeder Mensch erhält durch mich die Chance, seine Kraft zu beweisen.“
Diabolos schüttelte den Kopf. „Du verstehst noch immer nichts. Was ist mit neugeborenen Kindern? Und Kriegern, die zu alt sind zum Kämpfen? Was ist mit den gebärenden Weibchen der Menschengattung oder denen, die keine Waffen besitzen? Sie alle finden durch dich den Tod, ohne sich wehren zu können! Nein, sag nichts“, wehrte er ab, als Condenos etwas sagen wollte. „Du kannst mich nicht mehr umstimmen. Die SEEDs haben mir die Zukunft der Menschheit gezeigt. Für sie werde ich kämpfen, wie die Herrin es uns angewiesen hat!“
„Mann, die sind ja richtig gesprächig, wenn sie was zu sagen haben“, raunte Irvine Selphie zu und das Mädchen kicherte leise. Dann wurden sie allerdings gleich wieder ernst, als Diabolos und Condenos sich lautlos musterten. Dann hob Diabolos langsam die Hand und eine schwarze Kugel formte sich in seinen Händen. Condenos sah schweigend zu, während die Gravitation in der Kugel immer weiter zunahm. Einen Moment lang zögerte Diabolos noch, dann warf er. Aber als die Nachwirkungen vorbei waren, stand Condenos immer noch auf seinem Platz.
„WAS?“, schrie Diabolos erschrocken. „Wie kann das sein? Mein Angriff hat dir rein gar nichts ausgemacht?“
„Ja, da staunst du, was, Bruder?“ Condenos’ Stimme klang trotz seiner Trauer triumphierend. „Ich wusste, dass ihr gegen mich kämpfen würdet, auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte. Darum habe ich das getan, was ihr niemals gewagt habt. Ich habe die Grenzen der GF erweitert.“ Er breitete die Arme aus und weitere Blitze knisterten in seinem Fell. Plötzlich ging Wind von ihm aus. „ICH HABE ZAUBER MIT MIR SELBST GEKOPPELT!“
Phönix stieß ein so hohes Kreischen aus, dass die SEEDs unter ihm zusammenzuckten. Diabolos starrte seinen Zwillingsbruder fassungslos an. Er schien nicht begreifen zu wollen, was Condenos gerade gesagt hatte.
„He, was ist los?“, fragte Selphie. „Ist es verboten, dass eine GF selbst Zauber koppelt?“
„Nicht nur einfach verboten, Mensch“, erklang eine düster klingende Stimme hinter ihr. Als sie sich hastig umdrehte, stand Cerberus hinter ihr, der dreiköpfige Höllenhund. Seine Zähne waren gefletscht. „Er hat damit das oberste Gebot unserer Herrin gebrochen. Damit hast du endgültig dein Todesurteil unterschrieben, Condenos! Nicht einmal die Herrin könnte dich jetzt noch vor uns retten!“
Um ihn herum tauchten weitere GF aus dem Nichts auf. Shiva und Ifrit, Quetzacotl, Siren, Pandemona, Kaktor, die Brothers, Carbuncle, Tombery, sogar der kleine Boko erschienen plötzlich und stellten sich neben Diabolos.
„He!“, rief Quistis. „Was ist mit den anderen? Wieso sind sie nicht da?“
Sie hatte diesen Satz kaum ausgesprochen, als der übriggebliebene Teil des Felsendaches plötzlich von einer starken Druckwelle erfasst und aufs Meer hinausgewirbelt wurde. Ein weiterer gigantischer Feuerball, denn diese waren verantwortlich für die Druckwelle, ließ die Felsen mitten im Flug verglühen.
„Nur keine Sorge, Mensch“, entgegnete Tombery mit seiner hohen Stimme, während einige fliegende Gestalten sich langsam am Himmel abzeichneten. „Leviathan, Bahamut, Eden, Alexander und Doomtrain hatten hier drinnen keinen Platz, deshalb warten sie draußen, aber Bahamut war ja so freundlich, die Decke zu öffnen. Nur keine Sorge, Condenos, du wirst auch IHREN Zorn zu spüren kriegen! Und Odin... hielt es nicht für angemessen zu kommen.“
„Nicht angemessen?“, echote Irvine. „Soll das heißen, er hilft euch nicht? Ich dachte, er wäre der stärkste unter euch!“
„Jetzt beleidigst du uns, Mensch“, entgegnete Siren, aber ihre Stimme wirkte amüsiert. „Keine Sorge, Condenos wird uns dennoch nicht entkommen.“ Sie drehte sich um und sah ihrem Bruder fest in die Augen. „Jetzt wirst du unseren Zorn am eigenen Leib erfahren, der dir beim letzten Mal durch die Herrin erspart blieb!“
„Ach?“, spöttelte Condenos und spannte seine durch Zauber gestärkten Muskeln an. Er wirkte noch immer verunsichert, ließ aber keine Sorge wegen des Kampfes aufscheinen. „Wollt ihr etwa alle auf einmal gegen mich kämpfen? Das nützt nichts! Ich bin stärker als ihr alle zusammen! Und wenn ihr mir keine andere Wahl lasst...“ Seine Miene wurde hart. „Tja, dann muss ich euch töten! Ihr wisst, dass ich stark genug dazu bin!“
„Wir sind nicht so verrückt, dich einzeln anzugreifen!“, antwortete Diabolos. Er klang angewidert. „Nicht, nachdem du den Frevel begangen hast, dich mit Zaubern zu koppeln! Du wirst durch etwas sterben, dass erst nach deiner Einkerkerung von Odin eingeführt wurde.“
„Wovon reden die?“, fragte Irvine leise. „Können die nicht Klartext reden?“
„Vielleicht reden sie ja nur so geschwollen, weil sie uns beeindrucken wollen?“, flüsterte Selphie zurück.
„Ha! Keine eurer Kräfte reicht aus, um mich zu besiegen!“, rief Condenos, obwohl seine Stimme nun weiter an Festigkeit verloren hat. „Selbst wenn ihr mich alle gleichzeitig angreift, was ich nicht für möglich halte, bräuchtet ihr jemanden, der die Energie bündelt! Und der einzige, der das könnte, Odin, ist nicht da!“
„Nein, ist er nicht“, erklang eine dunkle Stimme vom Eingang der Höhle her. Die SEEDs und Condenos fuhren gleichzeitig herum und sahen dorthin. „Ich werde gegen dich kämpfen!“