„Ja“, bestätigte der Junge, trat auf sie zu und legte seine Stirn auf die ihre. Einige Sekunden lang genossen sie das Gefühl der Zweisamkeit, dann flüsterte der Gunblade-Kämpfer: „Aber wenn du jemals etwas darüber verlauten lässt, dass du uns vor Odin lächerlich gemacht hast, verschwinde ich auf Niemehrwiedersehen!“
„Das schaffst du nicht“, widersprach Rinoa und legte ihre Hände um Squalls Schultern. Ihre Augen blickten zugleich sanft und doch neckisch. „Und du weißt das, mein Hexenritter, mein Liebster, mein Squall.“ Sie zog ihn zu sich herunter und küsste ihn.
Unterbrochen wurden sie erst, als sie Odin erschrocken keuchen hörten. Verwundert sahen die beiden zu der GF hin, die anscheinend schon wieder mit Hyne kommunizierte (wenigstens hatte sie den Anstand gehabt, ihnen nicht zuzusehen). „Wie konnte das geschehen, Herrin?“, fragte Odin mit weit aufgerissenen Augen. „Es ist doch unmöglich, dass jemand Ultima Weapon und Eden besiegte. Außer...“ Seine Augen wanderten zu Squall und Rinoa.
Die beiden sahen sich an und nickten. Die GF erklärte ihnen jedoch nichts, sondern murmelte nur: „Also doch.“ Dann lauschte sie weiterhin ihrer Herrin. „Ich verstehe. Ich werde tun, was Ihr gesagt habt, Mutter.“
„Mutter?“, wisperte Rinoa Squall zu, aber der konnte nur mit den Schultern zucken. Wer wusste schon, wie die GF wirklich entstanden waren, ob Hyne sie erschaffen hatte wie der Monsterbeschwörer seine „Kleinen“ oder ob sie... Squall verdrängte den Gedanken.
Einen Moment lang sah Odin die beiden Menschen streng an, dann steckte er das erste Mal, seit Squall ihn kannte, den „Eisenschneider“ weg und ritt zu ihnen heran. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte Squall geschworen, dass die GF verlegen wirkte.
„Stellt euch bitte neben mich, Menschenkämpfer“, bat er mehr, als er befahl. „Ich möchte mit meinen Brüdern und Schwestern reden“, erklärte er, als die beiden sich nicht rührten. „Dazu muss ich euch berühren, denn ihr seid ihre Gebieter.“
Squall trat zögernd einen Schritt nach vor und hielt Odin seine Faust hin. Auch Rinoa folgte ihm nach, aber sie bot ihm den Kopf an. Die erste GF legte seine mächtigen Pranken auf beides und schloss die Augen. Squall wusste nicht, was er erwartet hatte... aber dass er nichts spüren würde, sicher nicht. Er kam sich wie ein Zuhörer bei einer Konversation in einer fremden Sprache vor. Nach einer Minute nahm Odin seine Hände wieder weg.
„Eden ist nicht bei euch“, stellte sie fest. „Haben die anderen Krieger sie gekoppelt?“
„Ja, Selphie, glaub ich“, antwortete Rinoa, mehr an Squall gewandt als an die GF. „Wieso?“
Odin blickte streng. „Weil sie sich verantworten muss“, antwortete er. „Es war ihre Aufgabe, Ultima Weapon bei einer wichtigen Mission zu unterstützen, obwohl die Weapon ein blutrünstiges Monster war. Sie hat versagt, trotz ihrer ungeheuren Kräfte.“
„Aber sie konnte nichts dafür“, begehrte Squall auf. Er war selbst überrascht darüber, dass er ein Wesen, das er nicht annähernd verstand, verteidigte. Und die anderen GF auch, aber anscheinend stieg ihre Freundschaft ihm gegenüber etwas. „Wir haben sie gedrawt!“
„Das ist nicht eure Angelegenheit, Menschenkrieger“, entschied Odin. „Nicht einmal meine. Die Göttin Hyne wird entscheiden, was mit ihr geschehen soll. Aber sie ist eine gnädigere Herrin als ich.“ Die Andeutung eines Lächelns huschte über seine versteinerten Züge. „Aber genug damit. Ich muss euch vor einer großen Gefahr für die Welt warnen. Eine Gefahr, die wir eigentlich sicher gebannt glaubten.“
„Hat das vielleicht etwas mit den Monstern in Dollet und den verschwundenen Zaubern zu tun?“, fragte Rinoa. Sie sah interessiert aus.
„Rinoa, vergiss nicht, dass wir heiraten wollen“, erinnerte Squall sie nachdrücklich. „Ich werde nicht zulassen, dass du dich vorher wieder in ein Abenteuer stürzt.“
Sie winkte ab. „Ist ja gut, du Spielverderber. Aber wir müssen die anderen warnen, schon vergessen? Und die können jede Info brauchen.“
„Zauber?“, fragte Odin dazwischen. Er wirkte verwirrt. „Was meint ihr damit?“
Squall erzählte in kurzen Worten, was ihnen in Dollet widerfahren war. Auch die Tatsache, dass sie den Kampf nur mit der KI-Fusion hatten gewinnen können, ließ er nicht aus. Aber Odin schien eher an der Forschungsinsel interessiert zu sein. Squall erklärte ihm, dass die Insel ein riesiger Draw-Punkt war, der früher weit draußen im Meer gewesen war und jetzt in der Welt umherschipperte. Rinoa machte einige Zwischenbemerkungen, wenn sie fand, dass er zu trocken erzählte. Odin lächelte jedoch nicht.
„Dann besitzt er noch mehr Macht, als wir glaubten“, meinte Odin am Ende. Er sah betroffen aus. Squall hätte gewettet, dass die GF keine solche Miene beherrschte. „Wie konnte es nur dazu kommen? Nun, jetzt ist es geschehen.“ Die Gestalt straffte sich wieder sichtbar. „Jetzt müsst ihr von meinem kleinen Bruder erfahren... der möglicherweise das Verhängnis eurer Welt sein wird.“
„Kleiner Bruder?“ Rinoa blinzelte. „Weißt du, wie lächerlich sich das anhört?“
Odin sah sie kalt an. „Wenn du jemanden lächerlich nennst, der aus eigener Kraft den Centra-Kontinent entvölkerte, dann bitte.“
„WAS? Das war eine GF?“, entfuhr es Squall. „Wieso habt ihr ihn nicht aufgehalten?“
„Haben wir“, entgegnete Odin. Sein Pferd scharrte nervös. „Aber es war schon fast zu spät. Condenos hatte bereits fast alle menschlichen Siedlungen zerstört. Die Herrin konnte es zuerst nicht glauben, deshalb rief sie uns sehr spät. Daher war der Kontinent schon verwüstet, als wir ihn bändigen konnten. Nur wenige Menschen schafften es, in Esthar eine neue Heimat aufzubauen. Nun, Hyne verurteilte Condenos natürlich auf das Schärfste, aber sie hätte ihn gehen lassen. Ich war es, der beschloss, unseren Bruder unter dieser... Forschungsinsel einzusperren, bewacht von einem starken Wächter.“
„Und wir haben ihn erlöst. Das wolltest du doch damit sagen, oder?“, fragte Rinoa. Ihr Blick war angriffslustig.
„Das war verhängnisvoll“, stimmte Odin zu. „Aber ihr wusstet nichts davon. Ich hätte euch damals aufhalten müssen, aber ihr hattet mich noch nicht besiegt. Wäre ich bei euch gewesen, hätte ich euch gewarnt. Und nun zieht Condenos in der Welt umher, zusammen mit dieser Insel, und saugt die Zauber der Welt ab.“
„Aber warum tut er das?“ Squall hatte sich wieder beruhigt. Diese Sache war die eines Kämpfers, und der musste Ruhe bewahren. „Was hat er davon?“
Odin schloss die Augen. „Was er immer vorhatte. Er will eure Rasse vernichten, weil Hyne uns erschuf, um euch zu dienen.“ Er beachtete das Keuchen der beiden Menschen nicht, sondern sprach weiter. Es war ihm augenscheinlich unangenehm, so etwas zuzugeben. „Condenos hat niemals akzeptiert, dass es nur deshalb GF gibt, um den Menschen ein Überleben zu garantieren. Er bildet sich ein, weil wir schon vor euch existierten, sei es nicht recht, dass wir euch helfen und damit den Lauf der Natur stören.“
„Du meinst also, er will die Menschheit auslöschen, indem er sämtliche Zauber drawt?“, fragte Squall ungläubig. „Das ist doch Irrsinn! Tausende werden sterben und ihm ist das egal?“
„Es ist seine Weltanschauung“, erklärte Odin. Seine Stimme war fest wie gewohnt, aber ein Unterton von Trauer schwang darin mit. „Er hält es für das Richtige. Und das macht ihn noch gefährlicher, als seine Kräfte und Zauber ihn machen. Er wird bis zum Ende kämpfen.“
„Stimmst du ihm zu, Odin?“, fragte Rinoa leise. Beide Köpfe, Squalls und Odins, ruckten zu ihr herum. Beide verwundert. Sie jedoch sah die GF unbeirrt an. „Glaubst du auch, dass wir nur eine Missgeburt sind?“
Odin war einen Moment lang sprachlos. Dann fing er sich wieder. „Noch vor einem Jahrzehnt hätte ich nicht gewusst, was ich darauf antworten sollte“, gestand er. „Aber jetzt, wo es starke Krieger wie euch gibt... nein. Ihr habt bestätigt, was die Herrin vorhersagte: Irgendwann wird die Menschheit in der Lage sein, sich ohne unsere Hilfe gegen ihre natürlichen Gegner zu behaupten. Ich glaube, ihr seid die Hoffnung eures Volkes, kleine Menschenkrieger.“ Squall glaubte nicht recht zu sehen, als Odin ihnen einen Moment lang ein ehrliches Lächeln zeigte. Dann zog er den Eisenschneider wieder. „Geht jetzt, Krieger der neuen Menschengeneration“, befahl er. „Unser Bruder muss aufgehalten werden, um jeden Preis. Und diesmal wird nicht einmal die Herrin ihn vor seinem Tod bewahren können.“ Sein Gesicht war stählern, die Augen funkelten. „Diesmal wird Condenos nicht überleben!“
„Odin... wirst du uns wieder begleiten?“, fragte Squall. Er versuchte, so selbstbewusst wie möglich auszusehen, aber das war nicht einfach. „Oder müssen wir wieder kämpfen?“ Er legte die Hand auf die „Löwenherz“.
„Kämpfen? In einem solchen Augenblick soll ich die letzte Hoffnung der Menschen gefährden?“ Odin schnaubte und sein Pferd tat das Gleiche. Rinoa kicherte leise. „Du scherzt wohl. Natürlich werde ich euch wieder begleiten, schließlich ist es einer der unseren, den ihr bekämpfen müsst.“ Kurz lächelte er wieder. „Ich kann euch schwächliche Menschen doch nicht unbeschützt einer solchen Gefahr entgegenschicken!“ Sein Pferd bäumte sich auf und der „Eisenschneider“ blitzte einmal auf, bevor die oberste GF verschwand.