„Rinoa, du weißt, dass der Direktor es nicht aussprechen wollte.“
„Und du weißt, dass er damit Recht hatte“, entgegnete das schwarzhaarige Mädchen heftig und riss sich aus den stützenden Händen des Schulsprechers frei. „Wir sind eine Gefahr für alle, die um uns herum sind.“
„Rinoa, bitte beruhige dich. Ich gebe zu, dass das jetzt zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt passiert ist, aber...“
„Ungünstigster Zeitpunkt?“ Die junge Hexe lachte gequält auf. „Jedes Mal, wenn wir uns nähergekommen sind, ist irgendetwas dazwischengekommen! Erst Artemisia, die wir besiegen mussten, dann der Monsterbeschwörer, der Esthar vernichten wollte und jetzt, so kurz vor unserer Hochzeit, das! Es scheint so, als hätte der Himmel beschlossen, dass wir niemals Frieden finden sollen...“
Weiter konnte sie nicht sprechen, als Squall hart ihren Arm packte und sie fest an sich heranzog. Sie schrie auf und sah ihn verstört an. Sein Blick war eisig, härter als seine Gunblade. Im ersten Moment fürchtete sie sich vor ihm.
„Wenn du noch ein Wort in diese Richtung sagst, gebe ich dir eine Ohrfeige!“, drohte er. „Schön, unser Leben war sehr ereignisreich. Und wir haben einen Beruf, in dem man auf Überraschungen trifft. Aber nach jeder bösen Überraschung sind wir uns näher gekommen. Haben wir uns nicht nach Artemisia zum ersten Mal geküsst? Leben wir nicht seit dem Kampf mit Feyjar Trepe zusammen?“ Er machte eine Pause, in der er seinen Griff lockerte, sodass er nicht mehr schmerzte, aber noch immer fest genug war, um sie hier zu halten, bis er fertig war. Sein Blick wurde weicher, und Rinoa sah jetzt erst, dass auch in seinem Schmerz lag.
„Glaubst du, ich fühle mich gut, weil das ausgerechnet jetzt passiert ist?“, fragte er leise. „Bei dem Gedanken, unsere Hochzeit verschieben zu müssen, möchte ich am liebsten losschreien und die nächstbeste Wand einschlagen. Aber ich schwöre dir, und wenn ich gegen Hyne persönlich antreten muss: Ich werde dich zur Frau nehmen, Rinoa! Und nichts auf der Welt, kein Monster, keine seltsamen Kräfte oder sogar dein Vater, kann mich davon abhalten!“
Rinoa hatte dem ungewohnten Wortschwall sprachlos gelauscht. Impulsiv schmiegte sie sich an Squalls Brust und drückte sich so fest an ihn, wie sie nur konnte. Der Junge war selbst etwas überrascht über seinen Wutausbruch, aber er ließ sich nichts anmerken und legte ebenfalls seine Arme um seine geliebte Hexe. Sein Kinn lag auf ihrem Kopf und seine Hand strich behutsam über ihren Rücken.
„Squall“, flüsterte Rinoa nach einer Weile. „Du hast Recht, ich darf mich nicht so gehen lassen. Wir werden zu Professor Odyne fliegen, und er wird wissen, was in diesem Fall zu tun ist. Dann werden wir diesen blöden Fall mit der Forschungsinsel den anderen überlassen und uns nur noch auf die Heirat konzentrieren. Und wenn uns jemand dreinreden will, dann nehmen wir die Ragnarok, ernennen einen unserer Freunde zum Captain und lassen uns von ihm trauen!“
„Na eben“, meinte Squall. „Jetzt bist du endlich wieder die dickköpfige, sture Rebellin, die aus meiner freundlosen Existenz ein Leben gemacht hat.“
Rinoa lächelte ihn glücklich an, zog seinen Kopf herunter und küsste ihn sanft auf den Mund. Der Kuss war nicht so fordernd wie sonst meistens, aber Squall war mehr als bereit, sämtliche Küsse der Welt mit diesem Mädchen durchzuprobieren. Als sie sich schließlich voneinander lösten, grinste er kurz.
„Wenn ein paar Worte solchen Lohn einbringen, sollte ich vielleicht ab jetzt mehr reden.“
„Und ich sollte mir vielleicht angewöhnen, nachzudenken, bevor ich mich in eine meiner Launen hineinsteigere, mein grüblerischer, mutiger Ritter“, bemerkte Rinoa. Sie gab ihm noch einen kurzen Kuss, der jedoch nicht weniger zärtlich war wie der vorige und löste sich von ihm. Von irgendwoher hatte sie plötzlich wieder eine spitzbübische Miene hervorgezaubert.
„Also, fliegen wir jetzt nach Esthar? Ich möchte so bald wie möglich Klarheit über diese blöde Kraft haben! Ich denke nicht daran, auch nur eine Sekunde unserer Hochzeitsfeier dafür zu opfern!“
„Die Ragnarok steht schon bereit“, erklärte Squall und nahm sie bei der Hand. „Und Professor Odyne erwartet uns bereits.“
„Worauf warten wir dann noch?“

Cifer polierte gerade gelangweilt seine Gunblade, als sich die riesige Gestalt der GF schließlich wieder regte. Sofort sah er auf.
„Das ist weit genug“, erklärte Condenos, der sich ihnen als GF zu erkennen gegeben hatte. „Wartet noch einen Augenblick.“
Während die halb tierisch, halb menschlich anmutende Gestalt noch einige ihnen unbekannte Maschinen bediente, stand Rai-jin auf und sah kurz hinaus. „Wir haben irgendwo an einem Strand angelegt“, meldete er, als er zurückkam. „Ich schätze, dass es mal Centra ist, wie er gesagt hat, aber es kann natürlich auch woanders sein.“
„Es ist Centra“, knurrte die GF, ohne von den Kontrollen aufzusehen. „Das ist der nächste wichtige Kontinent auf meiner Liste.“
„Willst du alle Kontinente abklappern?“, fragte Cifer, immer noch polierend. Er gab sich ebenso desinteressiert wie ihr mysteriöser Gastgeber selbst.
„Ja“, erwiderte dieser kurz abgebunden. Nach einigen weiteren Eingaben richtete er sich schließlich auf. „Fertig.“
„Womit?“, wollte Fu-jin wissen.
„Das behalte ich vorläufig für mich.“ Condenos drehte sich um und musterte die drei Kämpfer finster. Cifer stand langsam auf, schwang seine Gunblade probeweise durch die Luft und erwiderte den Blick kalt. Rai-jin und Fu-jin nahmen hinter ihm Aufstellung.
„Sehen wir uns einmal die Fakten an.“ Die GF zeigte ein düsteres Lächeln. „Ich kann euch vermutlich nicht besiegen, da eure immense Stärke nicht von Zaubern herrührt, das heißt, ich kann euch nicht schwächen. Und alle drei zusammen seid ihr mir auf jeden Fall überlegen. Andererseits werdet ihr mich nicht töten.“
„Warum sollten wir nicht?“ Cifer grinste und ließ seine Gunblade in der Hand hin- und herschwingen.
„Weil ihr jemanden gesucht habt, als ihr die Forschungsinsel betreten habt. Jemanden, der euch bei etwas hilft, was ihr allein nicht schafft.“
„Richtig“, gab Fu-jin zu. Ihr Wurfstern blieb allerdings drohend erhoben.
„Gut. Da ihr ja im Vorteil seid, schlage ich vor, dass ihr mir erklärt, wobei ihr Hilfe braucht. Und nebenbei auch, wieso ihr so unnatürlich stark seid.“
Als Rai-jin seinen Kampfstab fester packte, hielt Cifer ihn mit der Hand zurück und trat einen Schritt vor. „Na schön“, sagte er. „Einer muss ja anfangen, sonst sitzen wir in einem Jahr noch hier. Aber wenn ich mit dem Erklären fertig bin, erwarte ich deinerseits auch einige Antworten, denn wie schon gesagt:“ Sein Grinsen wuchs. „Wir sind stärker als du!“
Condenos’ Miene blieb unbewegt, aber er machte mit seiner Pranke eine auffordernde Geste und forderte: „Beginnt!“
Cifer begann zu reden, wobei er immer wieder von Rai-jin und Fu-jin ergänzt wurde. Er gab zunächst eine Zusammenfassung dessen wider, wie die Welt heute aussah. Dass einige wenige Menschen die Kräfte der GF nutzten, um wirksam gegen die Monster des Planeten und gefährliche Menschen vorgehen zu können. Dass diese SEEDs mächtig genug waren, um Hexen wie Artemisia und Monster wie Ultima Weapon zu besiegen. Und dass der Rest der Menschheit statt dessen auf normale Magie und hochtechnische Waffen angewiesen war, die jedoch nichts gegen die Kräfte der SEEDs waren.
Dann schilderte er, wie Squall und seine Freunde immer mehr GF und immer stärkere Zauber gesammelt hatten, um gegen Artemisia vorgehen zu können. Dass er, Cifer, zusammen mit Fu-jin und Rai-jin der Hexe gedient hatten und von ihr gewaltige Kräfte verliehen bekamen. Des weiteren erzählte er, dass sie dennoch wieder und wieder von den SEEDs geschlagen wurden, weil diese dank der Kopplungen und Fähigkeiten der GF zu stark geworden waren.
Zähneknirschend berichtete er, wie er nach dem Ende von Artemisia dem Monsterbeschwörer seine Hilfe anbot. Dass der Mann ihn hintergangen hatte und dass sie schließlich zusammen mit den SEEDs gegen eine tausendfache Übermacht von Monstern angetreten waren. Und dass sie nur durch ihre geballten Kräfte die gesamte Monsterhorde vom Antlitz dieser Erde gefegt hatten.
Condenos sah sehr nachdenklich aus, als Cifer geendet hatte, allerdings war seiner Miene immer noch nichts zu entnehmen, ob diese Nachrichten gut oder schlecht für ihn waren. „Wenn ich recht verstehe“, ergänzte er schließlich, „wollt ihr, dass ich euch dabei helfe, diese SEEDs zu töten, ist das richtig?“
„Nicht ganz“, verneinte Cifer. Er überkreuzte die Arme. „Alles, was ich will, ist, dass Squall Leonhart mir einen fairen Kampf liefert. Meinetwegen mit GF, aber ohne seine Kopplungen, die ihn derart mächtig machen. Ich will, dass jeder sieht, dass der große Held ohne seine Zauberkopplungen ein Nichts ist. Ich will ihn besiegen und damit alle Demütigungen rächen!“
„Ah ja, ich habe begriffen.“ Als Condenos lächelte, funkelte sein Raubtiergebiss im Schein der Lichtsäule. „Wenn das alles ist, was ihr von mir wollt, dann sollten wir keine Schwierigkeiten bekommen. Da sich die SEEDs mir vermutlich entgegenstellen werden, ist es natürlich auch mein Ziel, sie zu schwächen und zu besiegen.“
„Schön, das zu hören.“ Cifer nickte. „Aber jetzt beantworte DU uns doch einmal ein paar Fragen. Erstens: Warum sammelst du überall die Magie der Welt ein?“
Die GF hob die Pranke und tätschelte die Außenhülle der Lichtsäule. „Weil ich eure Rasse zutiefst verabscheue“, gestand das Wesen unverblümt. „Als unsere Mutter Hyne...“
„Hyne?“ Fu-jin riss die Augen auf.
Condenos funkelte sie an, sprach aber weiter. „Ja, Hyne, die ihr Menschen als Göttin verehrt. Sie war die Schöpferin der GF. Wir liebten und verehrten sie als unsere Mutter... bis sie uns befahl, den Menschen zu dienen und ihnen im Kampf gegen die Monster zu helfen.“ Er ballte vor Wut die Fäuste. „Meine Geschwister ordneten sich ihrem Wunsch unter. Alle, Eden, Leviathan, Shiva, Doomtrain, selbst Odin und der kleine Boko befolgten ihren Willen! Aber ich nicht. Mir war als einzigem von uns klar, dass wir in den Lauf der Natur eingriffen! Die Menschen waren schwach und wären bald von der Erde verschwunden, von stärkeren Gegnern ausgemerzt worden... aber Mutter ließ sich von ihren Bitten und Wehklagen rühren und schickte uns, um eurem Geschlecht beizustehen.“
Ein furchterregendes Knurren kam aus der Kehle der GF und ihre Muskeln spannten sich. Die drei Kämpfer hoben ihre Waffen höher und machten sich auf einen Angriff gefasst, aber er kam nicht. Statt dessen gewann Condenos die Ruhe wieder zurück und sprach weiter.
„Wie lange habe ich versucht, Hyne umzustimmen“, sinnierte er. „Sicher Jahrzehnte lang. Ich sprach auch mit meinen Brüdern und Schwestern, aber niemand hörte auf mich. Schließlich hatte ich genug, und ich versuchte, die Geschichte allein in Ordnung zu bringen. Ich sammelte in aller Heimlichkeit Zauber in aller Welt, mit denen ich schließlich den Kontinent Centra angriff, auf dem die Menschen damals wohnten.“
Sein Blick wurde hellrot. „Ah, damals war ich wie ein Racheengel! Städte entflammten, Felder wurden verwüstet, fruchtbarer Boden in Steinwüste verwandelt! Mir war klar, dass ich dafür würde büßen müssen, aber ich hoffte, Mutter Hyne würde ihren Fehler einsehen, wenn die Menschheit erst ausgelöscht war und die Natur wieder ihren normalen Lauf nahm. Aber ich war zu langsam. Meine Geschwister fanden und bändigten mich in dem Moment, als ich die letzten Reste des Menschenvolkes gerade zur Küste jagte! Sie brachten mich zurück und Hyne verurteilte mich dazu, auf ewig in einer Höhle unter dem Meer gefangen zu sein, bewacht von einem unsagbar starken und wilden Monster und meiner eigenen Schwester, Eden!