Squall verzichtete auf eine Antwort und zog lieber die Löwenherz, die stärkste Gunblade der Gegenwart. Seit Irvine bei der letzten Schlacht gegen den Monsterbeschwörer, Quistis’ Vater, von einem Stahlgiganten niedergestochen worden war, weil er Selphie hatte beschützen wollen, hegte er einen unversöhnlichen Hass gegen die schwergepanzerten Monster. Er hatte auch nicht vor, Irvine abzuhalten. Schließlich waren die anderen Gegner auch nicht einfach.
„Meteor!“
Der Kometenzauber von Rinoa ließ die drei Monster aufbrüllen. Irvine hob grimmig seine Waffe und schoss dem Stahlgiganten direkt in den Sehschlitz. Das Monster zuckte nicht einmal mit der Wimper, solange es nicht am Ende seiner Lebenspunkte war, würde dieses genmanipulierte Scheusal nichts von seiner Kraft verlieren. Aber die „Verlangsamen“-Wirkung setzte ein und machte seine Bewegungen zähflüssig wie Honig. Irvine grüßte das Monster spöttisch mit zwei Fingern am Cowboyhut.
Squall hielt sich nicht mit ihm auf, sondern fing an, Kaktor zu beschwören. Da die seltsame GF etwas Zeit brauchte, griff zwischendurch die Drachen-Isolde an und versetzte Rinoa einen schmerzhaften Hieb, den diese aber kommentarlos hinnahm. Auch das Chimära-Hirn wandte sich Rinoa zu und belegte sie mit „Schweigen“. Squall schürzte ärgerlich die Lippen. Wenn er nicht wüsste, dass diese Viecher nur wenig intelligenter waren als die Steine der Häuser hier, dann hätte er gewettet, sie wollten verhindern, dass Rinoa ihre starken Zauber einsetzte. Seit sie die Hexenkräfte von Edea geerbt hatte, war ihre Zauberkopplung auch ohne starke Zauber ungewöhnlich durchschlagend, selbst wenn sie die Hexenkraft noch nicht willentlich freigesetzt hatte. Aber dazu waren diese Biester zu dumm, beruhigte er sich.
Grüne Wolken stiegen aus dem Boden und Squall tauschte seinen Platz mit Kaktor, der seinen Stachelangriff über die drei Monster ergehen ließ. Rinoa stopfte sich rasch etwas Echo-Kraut in den Mund und blickte die drei Gegner an. Jetzt war sie wütend. Irvine zauberte etwas verspätet Melton auf den Stahlgiganten, der sich kurz krümmte, als sein Schutz weggerissen wurde. Das Monster war nun jedoch auch bereit zum Kampf, richtete sich auf – und griff wiederum Rinoa an!
Langsam wurde das Verhalten der Gegner Squall unheimlich, aber er ließ sich nichts anmerken. Statt dessen wandte er Vigra an und heilte seine Gefährtin. Rinoa warf ihm einen hilfesuchenden Blick zu, aber er konnte ihr nicht sagen, was das bedeutete. Vielleicht ja doch nur ein Zufall, redete er sich ein. Die Drachen-Isolde kam wieder nach vorn und schlug abermals nach Rinoa, die sich jedoch rechtzeitig ducken konnte. Irvine sah sie auch mit großen Augen an, konzentrierte sich jedoch dann wieder und schoss dem Stahlgiganten in den Bauch. Der eiserne Riese zischte, zeigte aber keinen Schmerz.
Das Chimära-Hirn wechselte seinen Kopf und ließ Aqua diesmal über Squall hereinbrechen. Fast war er froh darüber. Trotzdem zog er bei nächster Gelegenheit das Beben des Stahlgiganten und schickte ihn damit ins Jenseits. Auch die anderen beiden Monster waren davon benommen und bemerkten daher den Ultima-Stein von Rinoa zu spät. Auch das Chimära-Hirn gab seinen Geist auf. Bevor die Drachen-Lady noch einmal zum Zuge kam, rannte Squall auf sie zu, riss seine Gunblade hoch und versenkte sie tief im Körper des Untiers. Dieses brüllte noch einmal schmerzlich auf, wankte kurz und stürzte zu Boden. Nach den traditionellen Kampfgesten der drei waren die Monster schon verschwunden.
„Was war das eben, Rinoa?“, fragte Squall sofort, während er sich noch misstrauisch umsah. „Wieso hatten es diese Biester so massiv auf dich abgesehen?“
Auch Rinoa sah unsicher aus. „Ich habe keine Ahnung, Squall“, beteuerte sie. „Vielleicht war es ja doch nur ein Zufall. Immerhin haben wir den dreien ja auch nicht sehr viel Zeit für Angriffe gelassen.“
„Ja, ja, und ich hab einen Grendel als Haustier“, unkte Irvine, der ebenfalls seine Exetor noch nach vorn streckte. „Das war doch kein Zufall. Viermal hintereinander auf dich! Das ist doch nicht normal! Ich geh jede Wette ein, dass der nächste Angriff wieder gegen Rinoa gerichtet gewesen wäre!“
„Du hast ja wahrscheinlich Recht“, räumte Squall ein. „Aber momentan können wir nichts tun. Sehen wir lieber zu, dass wir die Stadt monsterfrei bekommen. Wir können das ja später noch genauer untersuchen.“
Sie gingen langsam die Straßen ab, immer auf einen Hinterhalt gefasst, aber kein anderes Monster zeigte sich. Squall fragte sich langsam, ob das tatsächlich die einzigen gewesen waren, aber im selben Moment flog vor ihnen eine Tür auf und ein Qual sprang heraus. Das Tigermonster mit den Säbelzähnen fauchte sie einen Moment lang an, suchte dann aber zu ihrer Überraschung das Weite. Mit ziemlichem Tempo nahm es Kurs auf die Küste.
„Was sollte das denn eben?“, fragte Irvine ziemlich verdattert. Wäre er nicht selbst perplex gewesen, hätte Squall das Gesicht seines Freundes eines seiner seltenen Grinsen entlockt. „Wieso ist dieses Vieh einfach abgehauen?“
„Wir sollten uns lieber fragen, was es in diesem Haus gemacht hat, Jungs“, mischte sich Rinoa ein. „Vielleicht ist ja jemand verletzt.“
Schuldbewusst straffte sich Squall und betrat das Haus. Es war das des alten Malers, fiel ihm jetzt auf. Im Inneren herrschte ein ziemliches Chaos, aber das war auch das letzte Mal so gewesen, als sie hier Halt gemacht hatten. Man merkte nur, dass ein Monster hier herinnen gewesen war, weil die Staffelei umgestoßen und das Bild darauf mit Krallen zerstört worden war. Der Junge, der früher immer die Bilder des Malers mit seinen eigenen „Kunstwerken“ verschönert hatte, saß mit bleichem Gesicht da.
„Was ist hier passiert, Junge?“, fragte Squall ernst. „Hat dir dieses Monster etwas angetan?“
„N-nein“, stammelte er, hielt jedoch seinen Blick noch immer auf die Staffelei gerichtet. „A-aber was wird er sagen, wenn er das sieht?“
„Der Maler wahrscheinlich“, flüsterte Irvine Squall zu. „Rinoa, sprich lieber du mit ihm. Ich glaub nicht, dass er momentan auf uns hört.“
Die Hexe nickte und hockte sich vor den Jungen hin. Als sie seine Hand nahm und er aufblickte, lächelte sie ihn an. „Was hat der Qual hier drinnen gewollt, Kleiner?“, fragte sie. „Sag uns, was du weißt, dann können wir dir wahrscheinlich helfen.“
Squall wollte noch weiter zuhören, aber auf einmal hörte er, wie hinter ihm jemand das Haus betrat. Er drehte sich um und sah den alten Maler, der sie beide misstrauisch musterte.
„Was machen Sie in meinem Haus, häh?“, wollte er wissen. „Wer hat Sie hier reingelassen?“
„Die Tür war nicht abgeschlossen, Meister!“, verkündete Irvine. „Hätte allerdings auch keinen Unterschied gemacht, wenn!“ Er grinste, als er unmerklich seine Waffe hob.
„Lass das, Irvine“, ging Squall dazwischen. „Du erschreckst den Mann doch zu Tode. Es tut mir Leid, aber bei Ihnen hat ein Qual eingebrochen“, wandte er sich an den alten Mann. „Als wir kamen, sprang er gerade heraus und suchte das Weite, in Richtung der Forschungsinsel.“
„Mein Gott“, rief der alte Mann, „ist dem Jungen etwas passiert?“ Er versuchte sich an den beiden vorbeizudrängen, aber Squall hielt ihn zurück.
„Er hat nur einen Schreck abbekommen, keine Sorge“, beruhigte er. „Meine Freundin kümmert sich grade um ihn. Lassen Sie ihr bitte noch etwas Zeit.“
„Vertrauen Sie ihm ruhig“, riet Irvine mit seinem bekannten schiefen Grinsen. „Er ist der große Squall Leonhart und lügt nicht. Und ihr Kleiner ist bei seiner Freundin Rinoa in den besten Händen.“
„Squall Leonhart?“ Der alte Mann schluckte, wirkte aber trotzdem erleichtert. „Und Rinoa Heartilly? Die letzte Hexe? Und Sie sind vermutlich Irvine Kinneas, der Galbadianer?“
„Yupp“, bestätigte Irvine und lüftete kurz den Hut. „Ich geh mal und seh’ in den anderen Häusern nach, Squall. Kann ja sein, dass noch mehr solche Viecher rumlaufen.“ Mit diesen Worten verschwand er durch die Tür, lud noch einmal dramatisch seine Waffe durch und ging die Straße entlang, immerfort „Putt-putt- putt“ murmelnd. Fast hätte Squall gelächelt, aber er beließ es bei einem Augenrollen.
„Sagen Sie, haben Sie irgendetwas Wertvolles im Haus?“, fragte er den alten Mann. „Etwas Wertvolles für ein solches Monster, meine ich.“
„Nein, nicht, dass ich wüsste“, verneinte der Mann, während er seinen Blick über die Einrichtung schweifen ließ. Das einzig Wertvolle hier drin waren meine Bilder, aber dafür hatte dieses Biest ja keinen Sinn, wie man sieht.“
„Ein ziemlich scharfer Kritiker, stimmt“, bemerkte Squall, ohne eine Miene zu verziehen. „Sonst war hier drin nichts?“
„Nein, eigentlich nicht... außer, warten Sie mal, einen Draw-Punkt gab es doch auch. Ich hab ihn zwar nie benutzt, aber er war da. Vita, glaube ich. Aber wieso sollte so ein Monster einen Draw-Punkt brauchen?“
„Ich weiß es nicht“, gestand Squall. „Aber wir werden...“
„Junge!“, rief der alte Mann auf einmal aus. „Ist dir auch nichts passiert?“ Tatsächlich war der kleine Nachwuchs-Maler plötzlich an Squall vorbeigerannt und hatte sich an die Füße des Alten gehängt. Er hatte nun wieder etwas mehr Farbe als vorhin.
„Es geht ihm wieder gut“, teilte ihm Rinoa mit, die sich hinter ihn gestellt hatte. Auch ihr Gesicht war ungewohnt ernst. „Aber stell dir vor, was er mir für eine Geschichte erzählt hat: Als der Qual hier hereinkam, hat er keinen Blick für den Jungen verwendet, sondern hat das Bild zur Seite gefegt und den Draw-Punkt freigelegt. Und dann hat es die Zauber gezogen!“
„Ja, der Maler hat mir auch schon so etwas erzählt“, flüsterte er zurück. „Aber wie sollte ein Qual einen Draw-Punkt leeren können? Dafür ist diese Monstergattung doch nie und nimmer intelligent genug.“
Rinoa zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich weiß auch nicht, was das soll“, gab sie zu. „Aber ich finde, wir sollten so schnell wie möglich die Forschungsinsel aufsuchen. Wenn wir irgendwo Antworten finden, dann dort.“
„Du hast Recht.“
Die beiden gingen an dem alten Maler und seinem kleinen Schüler vorbei, die sich nicht stören ließen (der Kleine erzählte dem anderen gerade, wie er todesmutig gegen drei, nein vier Quale angetreten war) und schlossen die Tür.
„Irvine!“, rief Squall laut. „Hast du was gefunden?“
Aus einem der Häuser weiter unten tauchte Irvines Kopf auf. „Ein paar nette Mädchen, wenn du schon fragst“, gab er zurück. „Aber sag’s Sephie nicht.“
„Lass das, Irvine“, ärgerte sich Rinoa. „Waren noch weitere Monster in der Nähe?“
Schlagartig wurde der Scharfschütze wieder ernst und rannte zu ihnen hinauf. „Nicht hier herunten, nein“, antwortete er. „Aber ein paar Leute haben mir gesagt, dass sie einen Galchimesära zum Sendeturm raufhoppeln haben sehen. Und die drei am Marktplatz habt ihr ja gesehen.“
„Im Haus des Malers, am Marktplatz und am Sendeturm“, murmelte Squall. „Überall in Dollet, wo sich ein Draw-Punkt befindet.“
„Willst du damit etwa sagen, diese Viecher hatten es nur auf die Zauber abgesehen?“ Irvine sah ihn zweifelnd an. „Ich würde mich wundern, wenn sie überhaupt wissen, was ein Draw-Punkt ist, aber dass sie ihn benutzen können, bezweifle ich stärkstens.“
„Aber der Junge da drin hat behauptet, dass der Qual von vorhin den Vita-Draw-Punkt geleert hat“, gab Rinoa zu bedenken. „Und ich glaube nicht, dass er phantasiert hat.“
Irvine sah sie skeptisch an, sagte aber nichts. „Ist der Galchi schon wieder heruntergekommen? Dann können wir ja sehen, ob er Zauber im Inventar hat, die dort nicht hingehören.“
„Ich schätze, das Ding ist an uns vorbeigeschlüpft, als wir gerade mit seinen drei Freunden beschäftigt waren“, vermutete Squall. „Es dauert nicht lange zum Sendeturm und zurück, und da auch der Qual vor uns davongerannt ist, könnte uns der Galchimesära sehr wohl auch umgangen haben.“
„Möglich“, stimmte Rinoa zu. „Aber was machen wir jetzt?“
„Auf jeden Fall sollten wir uns mal auf der Forschungsinsel umsehen. Wir sind gekoppelt, also kann uns fast nichts passieren“, schlug Irvine vor und legte einige neue Patronen in sein Monstergewehr ein.
„Mit dieser Idee sind wir nicht allein“, sagte Squall leise. „Schaut mal zur Insel.“