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Thema: Das Geheimnis der Forschungsinseln

  1. #1

    Das Geheimnis der Forschungsinseln

    by G. Girlinger

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    Was bisher geschah

    Bei der „Träne des Mondes“, die die Esthar-Hexe Adell wieder zur Erde brachte, kam auch etwas anderes vom Mond zur Erde: eine Kapsel, die einen Passagier beherbergte, den Adell selbst hinaufverbannt hatte. Als Squall und seine Freunde die Kapsel fanden, stellten sie fest, dass der ominöse Reisende in der Lage war, die Monster des Planeten zu kontrollieren. Auch Cifer erfuhr davon und suchte den Monsterbeschwörer auf. Er erklärte ihm die Gefahr, die von Squall und seinen Freunden ausging und verlangte dafür die Chance, gegen Squall antreten zu dürfen. Inzwischen entdeckten die SEEDs, dass der Mann vom Mond nur ein Ziel hatte: Esthar, die Stadt, in der Laguna Loire herrschte, zu zerstören!
    Als sie das Versteck des Monsterbeschwörers in den Bergen rund um Esthar ausfindig machten, wurden sie von ihm gefangengenommen. Auch Cifer mitsamt Fu-jin und Rai-jin wurden eingesperrt, da der Beschwörer keinen Nutzen mehr in ihnen sah. Nur Quistis wurde von ihm verschont. Er erklärte er, dass er Feyjar Trepe war, Quistis’ Vater, den Adell verbannt hatte, weil ihm seine Fähigkeit, Monster zu kontrollieren, zu gefährlich wurde. Quistis stellte sich auf seine Seite und die SEEDs entkamen nur knapp, als sie gegen eine Hundertschaft von Monstern antreten mussten.
    Jeder von ihnen suchte noch einmal einen Platz auf, den er besonders liebte, um sich für den Endkampf um Esthar vorzubereiten. Auch die Gardens wurden benachrichtigt, auch wenn der Galbadia-Garden eigentlich den Befehlen von Deling City gehorchte, die in Esthar einen Konkurrenten sahen. Schließlich standen die SEEDs zusammen mit Cifer und seinen Freunden zusammen der Monsterarmee von Feyjar Trepe gegenüber. Laguna versuchte noch einmal, ihn zur Vernunft zu bringen, aber er ließ sich nicht beirren.
    Im Kampf waren die Krieger zunächst erfolgreich, aber nach und nach gewannen die Monster die Überhand. Quistis war beunruhigt, weil sie eigentlich ihre Freunde nicht sterben sehen wollte, aber erst, als Edea auf dem Schlachtfeld erschien, erkannte sie ihren großen Fehler. Sie stellte sich dem Monsterbeschwörer mit einer neuen GF, die er selbst vom Mond mitgebracht hatte. Der „Seraphim“ tötete Feyjar, aber Selphie leistete den größten Teil: Als sie sah, wie Irvine niedergestochen wurde, sprach sie ihren Zauber „The End“, der auf der Stelle alle Monster tötete. Beim nachfolgenden Fest gestanden sich unter anderem Selphie und Irvine ihre Liebe und Quistis zog zu Edea, ihrer Ziehmutter, ins Waisenhaus. Diese Geschichte spielt 6 Monate nach diesen Geschehnissen. Unsere Helden haben sich einige Zeit vom Garden beurlauben lassen, um auszuspannen.

    Kapitel 1:

    „Entschuldigen Sie bitte“, erklang die piepsige Stimme direkt hinter ihm. Der großgewachsene, braunhaarige Junge in Lederkluft drehte sich um und sah stirnrunzelnd auf das kleine Mädchen hinunter, welches ihn scheu anguckte.
    „Ja?“, fragte er so freundlich wie möglich, aber der gewohnt finstere Ausdruck seines Gesichtes machte den Effekt gründlich zunichte. Das Mädchen zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen.
    „Jetzt verängstige doch nicht immer die Leute, Squall!“, rügte ihn das schwarzhaarige Mädchen, welches sich bei ihm eingehenkt hatte. „Man kann sich mit dir ja nirgends mehr sehen lassen, wenn du überall so eine Weltuntergangsstimmung verbreitest!“ Aber das Lächeln, das sie Squall zuwarf, bewies, wie wenig ernst sie diese Worte meinte.
    „Was möchtest du denn, Kleine?“, wandte sich nun Rinoa an das kleine Mädchen, wobei sie in die Knie ging, damit die sicher noch keine 10 Jahre alte Göre ihr ins Gesicht sehen konnte, ohne sich das Genick zu brechen. Ihr sanftes Lächeln, welches stets ihre gesamte Umgebung bezauberte, verfehlte auch jetzt seine Wirkung nicht: Das Mädchen beruhigte sich wieder.
    „Ich... ich hätte gern... ein Autogramm von Ihnen beiden,... wenn es Ihnen nichts ausmacht...“, stammelte die Kleine, die offenbar jetzt erst bemerkte, wie schwer es war, berühmte Persönlichkeiten anzusprechen. Sie senkte den Blick, als sie merkte, dass sie rot wurde.
    Squall verzog kurz die Lippen, während er in Gedanken eine Rechnung aufstellte, wie viele Personen, darunter meist solche Kinder wie dieses hier, Rinoa und ihn heute schon um ein Autogramm angefleht hatten. Aber er beherrschte sich, schon seiner Freundin zuliebe. Die bekannteste Hexe der Welt hatte darauf bestanden, dass ihr stolzer Hexenritter sie heute auf einen Stadtrundgang durch Dollet begleitete, also musste er sich eben zusammenreißen.
    „Na, sag das doch gleich“, strahlte Rinoa das Mädchen an und nahm ihr den Schreibblock und die Füllfeder aus der Hand. „Bevor Squall noch auf den Gedanken kommt, dass du ihn mir ausspannen willst.“ Ohne auf das amüsierte Schnauben hinter ihr zu achten, schrieb sie mit ihrer schwungvollen Handschrift ihren Namen auf das Blatt.
    „Lass das, Rinoa“, bemerkte Squall ärgerlich, als das Mädchen ihn furchtsam anstarrte. „Du machst ihr noch mehr Angst, als sie bereits hat.“ Er ging in die Knie, nahm den Schreibblock von Rinoa entgegen und setzte seine etwas fahrige Unterschrift unter die ihre. Einen Moment lang betrachtete er prüfend sein Werk, dann ergriff er die Hand des Mädchens und legte den Block hinein. Er lächelte ihr ermutigend zu, aber wie immer gelang es ihm nicht so gut wie seiner Freundin. Das Mädchen nickte ihm zu und verschwand in der Menge.
    „Wir sollten einmal was gegen deinen Gesichtsausdruck unternehmen, Squall“, verkündete Rinoa kichernd, während sie sich wieder bei ihm unterhakte. „Für den Schulsprecher und Kampfführer eines Gardens mag diese ernste Miene ja genau die richtige sein, aber privat wird niemand wagen, dich anzusprechen.“
    Squall schnaubte kurz und berührte Rinoas Wange. „Kann dir doch ganz recht sein, nicht wahr?“, fragte er leise. „Dann kann mich keiner dir wegnehmen.“
    Rinoa sah ihn belustigt an. „Wer weiß, vielleicht finde ich mir ja hier einen neuen Freund, Auswahl genug gibt’s ja. Oder weißt du einen Grund, warum ich bei dir blei...“
    Squall verschloss ihr die Lippen mit einem Kuss, den Rinoa sofort erwiderte. Natürlich hatte sie das erwartet. Vor ein paar Wochen wäre es ihm noch peinlich gewesen, mitten auf der Straße jemanden zu küssen, aber inzwischen kannte ohnehin beinahe jeder auf dieser Welt ihre Gesichter und ihre Geschichte, also konnte auch niemand etwas dagegen sagen. Außerdem hatte Rinoa, wenn es um Küsse ging, ungefähr so viel Scheu wie ein Baby vor einem neuen Spielzeug. Und seltsam: Er hatte mit dem Vergleich mit einem Spielzeug nicht einmal etwas einzuwenden.
    „Reicht das als Grund aus?“, fragte er leise, während er ihr mit der Hand durchs lange Haar fuhr.
    „Danke, vorläufig genügt das“, meinte sie grinsend. „Aber später sollten wir das noch einmal nachprüfen, meinst du nicht?“
    Squall sah auf die Uhr. „Was genau meinst du mit später?“
    „Jetzt“, verkündete sie und presste ihre Lippen wieder auf die seinen. Squall genoss Rinoas Offenherzigkeit, die er selbst niemals gekannt hatte. Seit er dieses Mädchen getroffen hatte, lernte er jeden Tag, was es hieß, das Leben auszukosten. Und um nichts in der Welt würde er dieses Gefühl wieder aufgeben.
    „Irviiiie! Die Batterien sind schon wieder aaaaalle!“, ertönte plötzlich eine höchst amüsierte und kindliche Stimme hinter ihnen in einer Lautstärke, die sämtliche Nebengeräusche wie Autos, Radios und andere Leute mühelos übertönte.
    „Ach, das ist genug. Du hast jetzt mindestens drei Minuten Video für deine Garden-Homepage. Lass den beiden doch wenigstens etwas Privatsphäre.“
    „Aaaaaber es war doch ein so schöööner Anblick, findest du nicht?“
    Höchst ungern löste sich Squall von Rinoa und versuchte, die beiden jungen Kämpfer, die hinter ihm standen, möglichst streng anzusehen. Nicht, dass das die beiden sehr beeindruckt hätte. Selphie war ohnehin noch damit beschäftigt, ihren Film zu begutachten, auf dem sie gerade seinen und Rinoas Kuss aufgenommen hatte und Irvine blickte ihn mit seinem unschuldigsten Lächeln an.
    „Hat euch Mama nicht beigebracht, dass man seine Vorgesetzten nicht in Privatsituationen filmt?“, fragte er, während er den Griff auf seine Gunblade Löwenherz legte.
    „Müsstest du doch eigentlich selbst wissen“, erwiderte der Scharfschütze gelassen grinsend. „Sie hatte genug damit zu tun, dich daran zu hindern, die ganze Welt nach Ell abzusuchen, weißt du nicht mehr?“
    Vor vielen Jahren hatten Squall, Irvine selbst, Selphie, Quistis, die jetzt wieder dort wohnte, Xell und Cifer in einem Waisenhaus gelebt, das die Hexe Edea geleitet hatte. Außerdem hatte es ein Mädchen dort gegeben, das für sie alle wie eine große Schwester gewesen war: Ellione. Als sie auf einmal verschwunden war, war das besonders für Squall schlimm gewesen, der dadurch den einzigen Menschen verloren hatte, dem er wirklich vertraut hatte. Seit damals hatte er sich von der restlichen Menschheit abgeschottet und mit niemandem eine Beziehung geknüpft, und sei sie auch nur freundschaftlich. Bis zu jenem schicksalhaften Tag, als er Rinoa kennen gelernt hatte.
    Infolge vieler Verwirrungen hatten sie sich alle wiedergefunden, um gegen ihren ehemaligen Kameraden Cifer und die Hexe Artemisia zu kämpfen, die alles Leben mittels eines gigantischen Zeitzaubers hatte auslöschen wollen. Und Squall hatte dabei gelernt, dass es nur noch Schmerz einbrachte, wenn man sich vor anderen Menschen verschloss. In Momenten wie diesen allerdings wünschte er sich seine kaltschnäuzige Art zurück. Nach außen hin hatte er sie bewahrt, aber die Tatsache, dass er nicht fähig war, Irvine böse zu sein, zeigte ihm, wie sehr er sich verändert hatte.
    „Irviiine!“, krähte Selphie fröhlich. Squall konnte sich kaum an ein Dutzend Momente erinnern, in denen er dieses braunhaarige Mädchen ernst erlebt hatte. Und wenn noch so schreckliche Dinge passierten, Selphie betrachtete es als ein Spiel. Vielleicht war dies das größte Geschenk, welches ein Mensch bekommen konnte. „Der Film ist wirklich guuut geworden! Wir müssen sofort zum Garden...“
    Sie hatte nicht auf Rinoa geachtet, welche die Finger ihrer rechten Hand gespreizt hatte. „Blenden!“, flüsterte die Hexe so leise, dass nur Squall es hören konnte. Und im selben Moment wurden die Aufnahmen schwarz, von einem plötzlichen hellen Licht unbrauchbar gemacht.
    „Das waaar gemein!“, heulte Selphie auf. „Weeeer war das? Jetzt kann ich das Zeug nicht mehr veröffentlichen.“ Sie bot einen so mitleiderregenden Anblick, dass Irvine sie tröstend an sich drückte. Impulsiv schlang sie ihre Arme um ihn.
    „Macht doch nichts, Sephie“, behauptete er. „Irgendwann klappt’s schon noch. Es kann nicht lange dauern, bis sich die beiden da wieder küssen. Du weißt doch, dass sie süchtig danach sind. Wir kriegen schon irgendwo einen neuen Film.“
    Squall gab ein kurzes „Pah“ von sich und Rinoa kicherte leise in sich hinein, als Selphie schniefend und mit einem Verwundetes-Reh-Blick zu Irvine aufsah. Dann, von einem Moment auf den anderen, zauberte sie von irgendwoher ein Lächeln auf ihre Züge. Sie strahlte ihn an wie eine ganze Honigkuchenpferdfabrik.
    „Danke, Irvie“, rief sie und kuschelte sich an den Scharfschützen. „Duuuu bist der Einzige, der mich versteht.“ Irvine schloss die Augen und legte sein Kinn auf die Haare des Mädchens. Noch vor einem halben Jahr hätte niemand auch nur ein Gil darauf gewettet, dass der größte Casanova zwischen Galbadia und Esthar sich ernsthaft in dieses kindische Mädchen verlieben könnte. Aber seit der letzten Schlacht mit dem Monsterbeschwörer, in der Irvine beinahe gestorben wäre, hatten sie sich endlich gefunden. Und Squall erkannte neidlos an, dass sie ein mindestens so schönes Paar abgaben wie Rinoa und er selbst.

  2. #2
    „Kann ich euch denn nicht ein einziges Mal allein lassen“, beschwerte sich in diesem Moment eine schlecht geschauspielert ärgerliche Stimme über ihnen, „ohne dass ihr euch bei meiner Rückkehr in den Armen liegt? Man möchte meinen, ihr würdet erfrieren, so fest drückt ihr euch.“
    Rinoa blickte auf und rief: „Komm schon, Xell, gib doch wenigstens zu, dass du auf uns eifersüchtig bist, weil du Reeval nicht mitnehmen durftest! Los, komm runter da.“
    Der blonde Faustkämpfer murmelte ein nicht sehr überzeugendes „Pah“ in seinen nicht vorhandenen Bart, dann sprang er von der Brücke, die eine Spielhölle und das Privatbüro des Besitzers miteinander verband, hinunter. Er war tatsächlich etwas traurig, dass die junge Bibliothekarin, mit der er nun schon seit der Krise mit Quistis’ Vater ging, im Garden geblieben war, aber bevor er das vor diesen Liebeskranken, die sich seine besten Freunde schimpften, zugab, legte Selphie ein Schweigegelübde ab!
    „Du wirst ja langsam richtig süchtig nach Triple Triad, Xell!“, kommentierte Squall stirnrunzelnd. „Ich hoffe, du hast nicht schon wieder deinen gesamten Sold verspielt.“
    „Sag mal, hast du denn überhaupt kein Vertrauen zu mir, Squall?“, erkundigte sich der Faustkämpfer gekränkt. „Natürlich hab ich wieder einige neue Karten bekommen, den GF sei Dank.“ Grinsend zeigte der Faustkämpfer einige Karten der stärksten Monster vor. „Nicht, dass ich sie brauchen würde, nachdem wir bereits alle GF- und Charakterkarten besitzen, aber Spaß macht’s trotzdem.“
    „Irgendwann wirst du noch einmal auf jemanden treffen, der dir diese Karten wieder abgewinnt“, prophezeite Rinoa. „Und dann möchte ich nicht in deiner Haut stecken. Du weißt genau, wie lange wir gebraucht haben, all diese Karten zusammenzubekommen!“
    Xell winkte ab. „Keine Sorge“, meinte er selbstsicher. Dann blickte er über Squalls Schulter und stöhnte auf. „Oh nein. Kommt mal, helft mir, die beiden zu trennen. Das ist ja voll peinlich, ihr zwei!“
    Sogar auf Squalls Lippen stahl sich ein Lächeln, als er zu Selphie und Irvine hinsah, die sich unbeobachtet geglaubt hatten (was angesichts einer vollen Einkaufsstraße eigentlich ein Paradoxon war) und einen innigen Kuss angefangen hatten. Sie ließen sich auch nicht von Xell stören, der versuchte, die beiden auseinander zu schieben.
    „Sind sie nicht süß?“, flüsterte ihm Rinoa zu. „Wenn bloß WIR eine Kamera mithätten. Dieses Video würde sämtlichen Mädchen des Balamb Garden das Herz brechen.“
    „Denkst du denn wirklich, dass sich noch jemand ernsthaft Hoffnungen wegen Irvine macht?“, fragte Squall mit einem nachdenklichen Blick auf seine drei Freunde. „Ich hab’ Selphie und ihn in den letzten Tagen kein einziges Mal allein gesehen.“
    „Stimmt“, bekräftigte Rinoa, während sie ihn umarmte. „Die beiden werden uns immer ähnlicher, findest du nicht?“
    Ohne ein weiteres Wort strich der Hexenritter das Haar seiner Schutzbefohlenen zur Seite und gab ihr einen leichten Kuss auf die Stirn. „Hoffentlich nicht“, meinte er. „Der Gedanke an einen bitterernsten Irvine und eine hexende Selphie macht mir Angst.“
    Hinter ihnen hörten sie Xell fluchen. „Bei Hyne!“, rief er aus. „Jetzt fallt mir ihr beide auch noch in den Rücken? Bin ich denn hier völlig allein unter Verrückten?“
    Keines der beiden Pärchen hörte auf ihn.

    „Eisga!“
    Der Kältezauber brachte die Lebenspunkte des Behemoth beinahe zum Nullpunkt. Dennoch ließ sich das violette Monster nicht aufhalten, das Wort „Aufgabe“ war in seinem kleinen Hirn nicht gespeichert. Als es vor Wut und Schmerz aufbrüllte, entfaltete sich seine animalische Zauberkraft und ein plötzlicher Meteorregen ging auf Cifer, Fu-jin und Rai-jin nieder. Viele andere Menschen wären spätestens jetzt draufgegangen, aber der Gunblade-Kämpfer und seine Freunde besaßen Kräfte, von denen normale Leute nur träumen konnten.
    „Autsch!“, brummte Rai-jin, ein braungebrannter, stämmiger Junge mit einem Körper, der mehr Muskelpakete aufwies wie mancher Preisboxer. „Das tut verdammt mal weh, du Vieh!“
    Er schwang seinen Kampfstab, unter dessen Gewicht die meisten Leute zusammengebrochen wären, wie einen Spazierstock durch die Luft und verpasste dem Monster einen gewaltigen Hieb, der es taumeln ließ.
    „Flare!“
    Die Antimaterie-Explosion verformte die Umrisse des violetten Wesens und fügte ihm wiederum schweren Schaden zu, aber es hielt dennoch stand. Fu-jin, die grauhaarige junge Frau mit der Augenklappe, wich wieder zurück. Aus ihrem Gesicht war nicht abzulesen, ob sie verärgert war, weil dieses Monster noch stand, aber der feste Griff um ihren Wurfstern verriet ihren Frust.
    Einige Sekunden verstrichen, ohne dass sich die Gegner angriffen, aber dann sprang Cifer, der Gunblade- Kämpfer vor, schwang seine tödliche Waffe nach hinten und ließ sie auf den Kopf des Behemoth niederfahren. Als er wieder zurücksprang, brüllte das Wesen noch einmal auf, taumelte und fiel zu Boden. Sobald es ihn berührt hatte, verschwand es, als hätte es nie existiert.
    Cifer schwang seine Gunblade einige Male umher, um der alten Tradition des Balamb-Garden wegen, dann nahm er dankbar das Hi-Potion an, welches Fu-jin ihm reichte. Es langte bei weitem nicht, um seine Lebensgeister wieder völlig aufzufüllen, aber es heilte die schlimmsten Wunden, die er davongetragen hatte. Missmutig warf er die leere Flasche weg.
    „Gut, das mal war der letzte!“, bemerkte Rai-jin, der die Leiche des Behemoth durchsuchte. Man wusste nie, ob nicht ein solches Monster etwas Brauchbares rumschleppte. „Jetzt können wir mal wieder nach Deling City zurück und unsere Belohnung abzuholen!“
    „Ja, ja“, murmelte Cifer lustlos, während er in Richtung Stadt sah. Richtig, wenn er das Kopfgeld, oder bei solchen Viechern wohl eher Fratzengeld wollte, das wartete bei einem kleinen Bauern in Deling City, auf dessen Feld sich der Behemoth rumgetrieben hatte. Nicht, dass es sonderlich viel wäre, aber man musste von etwas leben. Andererseits...
    „Bedrückt?“, wollte Fu-jin in ihrer typisch knappen Art wissen. Sie blickte ihn mit ihrem einzelnen Auge besorgt an, während sie ein weiteres Potion trank. Sie hatte das Monster schlimmer erwischt als Rai-jin und ihn. „Warum?“
    „Habt ihr nicht gesehen, was vorhin grade über uns weggefegt ist?“, fragte er aggressiv. Er hatte seine Gunblade noch immer in der Hand.
    „Na sicher“, antwortete Rai-jin, der einen tragbaren Schutzschild in den Händen balancierte. „Die Ragnarok. Squalls Raumschiff. Was ist daran mal so schlimm?“
    „Angst?“, fragte Fu-jin vorsichtig. Gleich darauf trat sie einen Schritt zurück, als Cifer wütend die Gunblade schwang.
    „Natürlich nicht“, schnappte er. „Ich habe keine Angst vor Squall und seiner Bande!“
    „Was dann?“, erkundigte sich Rai-jin und kratzte sich am Kopf. „Willst du dich mal mit ihm duellieren? Vor allen Leuten?“
    Cifer stieß ein bitteres Lachen aus und steckte endlich sein Schwert weg. Er warf der Silhouette von Deling City einen feindseligen Blick zu. „Ja“, gab er zu. „Natürlich möchte ich mich mit ihm duellieren. Squall war der einzige Gegner, mit dem man einen vernünftigen Kampf führen konnte. Er nahm jedes Duell ernst und gab immer sein Bestes.“
    „Und?“, wollte Fu-jin wissen. „Wo Problem?“
    „Versteht ihr denn nicht?“, rief er. Er ballte die Faust und stampfte mit dem Fuß auf. „Solange er mit seinen verfluchten GF antritt, kann ich nicht gegen ihn gewinnen! Diese überirdischen Energiespender machen ihn so mächtig, dass ich keine Chance mehr gegen ihn habe!“
    „Ach so“, meinte Rai-jin nickend. „Du möchtest mal einen Kampf ohne GF-Kräfte?“
    „Nichts wünsche ich mir so sehr wie das!“, bestätigte Cifer und verschränkte die Arme. Wütend blickte er seine beiden Freunde an. „Aber dieses Weichei würde niemals ohne diese Schutzengel gegen mich kämpfen. Ich gebe ja zu, dass er keinen Grund hat, mir zu vertrauen, aber wenn ich mich nicht mit ihm messen kann, drehe ich durch! Ewig diese idiotischen Aufträge, das hält doch keiner aus!“
    „Stark sein“, empfahl Fu-jin und bot ihm ein Potion an.
    „Lass stecken, Fu-jin“, entgegnete Cifer. „Ich bin stark. Ich bin stärker als alle anderen. Aber diese GF vermiesen den Wettkampf! Es muss doch irgendeinen Weg geben, um sie aus dem Spiel zu werfen! Egal welchen!“
    „Hmmmm“, machte Rai-jin, während er den Schutzschild in seinem Rucksack verstaute. „Vielleicht sollten wir mal mit Professor Odyne reden. Der weiß viel über Magie.“
    „Hexen!“, warf Fu-jin ein. Auch sie schien angestrengt nachzudenken.
    „Genau“, bekräftigte Cifer, während er einen Stein wegkickte. „Der Typ weiß alles über Hexen, aber nicht über GF. Außerdem glaube ich nicht, dass er uns so bereitwillig Auskunft geben würde. Wir haben zwar geholfen, die Stadt zu verteidigen, aber man misstraut uns immer noch dort.“
    Rai-jin zuckte mit den Schultern und verschloss den Rucksack. „Na, dann kann ich dir mal auch nicht weiterhelfen“, meinte er bedauernd. „Am besten wird mal sein, wenn du die ganze Sache auf sich beruhen lässt.“
    „Du hast leicht reden“, brummte Cifer. „Aber wahrscheinlich hast du Recht. Es gibt keinen Weg, einen fairen Kampf zwischen Squall und mir zu erzwingen.“
    „Moment“, unterbrach Fu-jin ihr Gespräch. Ihre Miene wirkte triumphierend. „Möglichkeit!“
    Sie erklärte ihren Plan.
    „Und du meinst, das bringt uns was?“, fragte Cifer skeptisch. Man konnte ihm allerdings ansehen, dass ihm auch nichts Besseres einfiel. „Na schön. Was anderes haben wir ohnehin nicht zu tun. Also, auf geht’s.“
    „Und was ist mit dem Geld in Deling City“, begehrte Rai-jin auf. „Lassen wir das mal einfach so zurück?“
    „Vergiss die lausigen Kröten. Wenn an Fu-jins Idee tatsächlich was dran ist, dann werden wir bald mehr Spaß haben, als wir uns für Geld kaufen können!“

    „Nein, Aniery! Lass das!“, rügte Quistis und blickte den etwa zehnjährigen Jungen vorwurfsvoll an. „Gib Veshore sofort sein Schwert zurück, sonst hast du drei Tage lang Hausarrest!“
    „Ach“, murmelte Aniery unzufrieden. Er stammte aus Esthar, wie die meisten der Kinder in Edeas Waisenhaus. Bei dem Kampf gegen Quistis’ Vater vor einem halben Jahr waren zu viele Menschen gestorben, auch ihre Phönix-Federn hatten nicht alle Toten wiederbeleben können. Viele Kinder aus Esthar hatten ein Elternteil verloren und manche, wie Aniery, sogar beide. Allerdings zeigte er seinen Schmerz nicht. Fast wie Squall, dachte Quistis. Allerdings wie ein Squall mit der Angriffslust von Cifer.
    „Aber ich will auch ein Schwert haben! Ich will mal ein SEED werden und die Monster umbringen, die Mama und Papa getötet haben!“ Wild fuchtelte er mit der Plastikklinge herum und schaffte es beinahe, sich selbst zu treffen. „Außerdem muss doch einer das Waisenhaus beschützen, wenn wir angegriffen werden! Und Veshore taugt nicht dazu. Er ist noch zu klein für so eine Waffe.“
    „Das ist noch lange kein Grund, ihm sein Spielzeug wegzunehmen“, erwiderte Quistis unnachgiebig. Natürlich kannte jedes Kind im Waisenhaus Squall und Rinoa, das Traumpaar des Balamb-Garden, und auch die Namen von Quistis’ anderen Freunden waren gut bekannt und wurden nur zu oft bei Spielen verwendet, aber niemand außer Edea und ihr wusste, dass ihr Nachname Trepe lautete und dass sie SEED gewesen war.

  3. #3
    Vor einem halben Jahr hatte Quistis eine falsche Entscheidung getroffen, als sie sich auf ihres Vaters Seite geschlagen hatte. Viele Menschen waren gestorben, weil sie so lange gezögert hatte, sich gegen Feyjar Trepe zu stellen. Es war ihr zwar von Direktor Cid das Angebot unterbreitet worden, sie wieder im Garden aufzunehmen, als Anfängerin zwar, aber immerhin. Aber sie hatte abgelehnt. Sie wusste, dass viele Leute sie verachteten für das, was sie getan hatte. Darum hatte sie den Vorschlag ihrer Ziehmutter Edea, zu ihr ins Waisenhaus auf Centra zu ziehen, mit Freuden angenommen.
    Allerdings hatte sie auch gelernt, dass kleine Kinder mindestens so anstrengend sein konnten wie ein Tag auf der Insel „Tor zur Hölle“. Mit sanfter Gewalt packte sie Anierys Hand und nahm ihm das Schwert weg. Der Junge protestierte und versuchte, es wiederzuerlangen, aber sie ließ ihn nicht los.
    „Ich weiß, dass du kämpfen lernen willst, Aniery“, sagte sie beruhigend. „Aber wenn du wirklich ein SEED werden willst, dann musst du auch wissen, dass SEEDs niemals schwächeren Menschen etwas wegnehmen dürfen, sofern sie nicht angegriffen worden sind. Also?“
    Aniery hörte auf mit seinem Gezeter und sah sie groß an. Dann senkte er den Kopf und murmelte eine Entschuldigung. Quistis streichelte ihm den Kopf und lächelte. Ja, anstrengend waren Kinder wirklich. Aber sie waren es wert.
    „Du musst dich nicht bei mir entschuldigen, sondern bei Veshore“, erklärte sie. „Bring’ ihm das Schwert zurück. Und das nächste Mal fragst du ihn, ob er es dir leiht. Ich habe das Gefühl, dass er es ohnehin nicht oft benützt.“
    Aniery nickte, nahm das Schwert mit ernstem Gesichtsausdruck entgegen (wie ein Ritter auf einer Mission, dachte sie belustigt) und ging in ein Zimmer am Ende des Ganges, aus dem leises Schluchzen drang. Kurz darauf hörte das Schluchzen auf. Der kleine Veshore war ebenfalls aus Esthar. Er war 6 Jahre alt und nicht Vollwaise wie die anderen Kinder. Sein Vater lebte zwar noch, aber nach dem Tod seiner Mutter war er in so tiefe Depressionen versunken, dass man seinen Sohn zum Waisenhaus gebracht hatte. Allerdings hatte er viele Spielsachen ins Waisenhaus mitgebracht und teilte sie im Allgemeinen auch gern mit den anderen Kindern. Nur das Schwert gab er nicht gern her. Natürlich war auch sein Held Squall Leonhart, der mächtige Hexenbezwinger.
    Quistis stand auf und wunderte sich nicht zum ersten Mal darüber, wie viele Erinnerungen sie an ihre eigene Zeit im Waisenhaus hatte. Und wie sehr sich ihre Kindheitserinnerungen mit denen dieser Kinder überschnitten.
    „Quistie!“, erklang eine Mädchenstimme hinter ihr. Gleichzeitig vernahm sie ein Zupfen an ihrem Rock.
    „Was ist denn, Eclisa?“, fragte sie das schwarzhaarige Mädchen hinter ihr. Dieses hielt mit leuchtenden Augen eine Zeichnung hoch. Sie liebte das Malen und war auch ziemlich gut darin. Obwohl ihre Bilder meist etwas düster waren (kein Wunder, immerhin hatte sie ihre Eltern durch die Rakete verloren, die den Trabia- Garden getroffen hatte), hatten sie eine eigene Schönheit. Viele Wände des Waisenhauses waren mit ihren Zeichnungen vollgeklebt.
    „Hängst du mir wieder meine Zeichnung auf?“, fragte sie mit dem bittend-fordernden Ton, zu dem nur kleine Kinder fähig sind.
    „Natürlich“, sagte die ehemalige SEED-Ausbilderin lächelnd. „Wie heißt es denn?“ Das Bild zeigte, soweit sie erkennen konnte, einen Mann und eine Frau in dunklen Anzügen, die über einem bunten Haus schwebten.
    „Das sind Mama und Papa, die mich beschützen“, verkündete die Kleine stolz. „Ich sehe sie oft im Traum, wie sie über meinem Fenster schweben und mir gute Nacht wünschen.“
    „Ja, das kann schon sein“, meinte Quistis und wuschelte ihr durch die Haare. „Gut, ich hänge es in Mama Edeas Zimmer auf. Sie findet es bestimmt auch hübsch. Kannst du inzwischen nachsehen, was die anderen Mädchen so machen?“
    „Die sind sicher wieder draußen am Strand und bewerfen sich mit Bällen“, klagte Eclisa. „Aber ich will nicht dort runter, sonst bewerfen sie mich auch wieder.“
    „Sie wollen doch nur spielen, Eclisa“, wandte Quistis ein und zwickte dem Mädchen sanft in die Wange. „Willst du nicht mitspielen?“
    „Nein, ich mag Malen viel lieber“, erwiderte sie trotzig.
    „Na gut, dann zeichne eben“, gab Quistis nach. „Aber wenn ich wiederkomme, gehen wir beide runter zum Strand und spielen bei den anderen mit, ja?“
    „Okay. Aber du musst mitgehen. Du darfst nicht wieder weglaufen, sobald ich unten bin!“
    „Ich schwöre bei Squall Leonharts Gunblade, dass ich dich nicht alleine lasse.“
    „Gut. Dann geh ich jetzt wieder malen. Danke, Tante Quistie!“
    Tante? Noch vor einem halben Jahr hätte sie jeden zum Kampf herausgefordert, der sie Tante nannte. Aber jetzt... Kinder konnte man einfach nicht besiegen, zumindest nicht mit Worten. Das hatte sie schon bei Selphie gesehen.
    Selphie... manchmal vermisste Quistis das lebenslustige junge Mädchen, das sie während ihrer schweren Aufgaben immer aufgeheitert hatte. Und Irvine Kinneas, ihren neuen Freund, natürlich auch. Vielleicht konnte Edea ihr ja sagen, ob die beiden noch immer zusammen waren. Irgendwie hoffte sie es. Auch Xell, den draufgängerischen Faustkämpfer konnte sie sich gut vorstellen, wie er sich laut darüber beschwerte, dass das Liebespaar immerzu aneinander klebte. Und natürlich Squall und Rinoa, die sich in den Armen hielten, die Hexe und ihr Ritter, die beiden größten Legenden dieser Welt. Und ihre Freunde.
    Nicht, dass sie das ewige Kämpfen sonderlich vermisste. Natürlich, sie hatte im Garden nicht viel anderes gelernt, außer das Ausbilden von weiteren SEEDs, und etwas, was man sein ganzes Leben lang getan hatte, legte man nicht einfach zur Seite. Aber sie hatte auch die Ruhe und das beschauliche Leben im Waisenhaus schätzen gelernt. Was sie wirklich vermisste, waren ihre Freunde. Sie wusste, dass die Gruppe sie sofort wieder willkommen heißen würde, egal, was sie getan hatte, aber noch war sie nicht soweit. Irgendwann einmal würde sie vielleicht zu ihnen zurückkehren. Aber jetzt hatte sie andere Aufgaben. Hier.
    „Was hast du, Quistie?“, erklang plötzlich eine sanfte, tiefe Frauenstimme neben ihr. „Wieso weinst du?“
    Quistis blinzelte ein paar Mal und lächelte ihrer Ziehmutter zu. „Hallo, Mama“, grüßte sie. „Du bist schon aus Esthar zurück? Ich dachte, du würdest länger fortbleiben.“
    „Kiros und Ward haben sich erboten, mich herzufliegen“, antwortete die ehemalige Hexe. Ihr Blick war noch immer fragend. „Sie schienen froh zu sein, einmal aus der Residenz rauszukommen. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet.“
    „Ach, es ist nichts“, behauptete Quistis schnell. „Ich musste nur gerade wieder an Squall und die anderen denken. Sie fehlen mir.“
    „Das ist nur verständlich, nach allem, was ihr zusammen durchgemacht habt. Warum fährst du nicht einmal in die Stadt, um nach ihnen zu sehen? Heute waren sie zwar nicht da, aber ich bin sicher, wenn du mitkommst, werden auch sie kommen.“
    „Nein,... noch nicht“, wehrte die ehemalige Kämpferin ab. Der Gedanke war verlockend, aber... „Vielleicht, wenn ich mir selbst verziehen habe. Bis dahin habe ich hier sicherlich genug zu tun.“
    „Komm her“, sagte Edea und zog ihr Kind an sich. „Ich weiß doch, wie schwer es für dich ist, Quistie. Aber glaub mir, du wirst es überstehen. Du bist stärker, als du denkst.“
    „Danke, Mama“, flüsterte Quistis, während sie ihre Mutter ebenfalls fest umarmte.
    „Weißt du eigentlich schon das Neueste?“, fragte Edea, als sie sich voneinander gelöst hatten. „Laguna hat mir gesagt, dass Squall und Rinoa heiraten wollen!“
    „Wirklich?“
    Quistis riss die Augen auf. Nicht, dass das überraschend kam, aber schon so bald...
    „Wann denn?“
    „Schon in den nächsten zwei Wochen, glaub ich. Möchtest du nicht wenigstens bei diesem Fest dabei sein? Die beiden würden sich freuen, und du weißt das.“ Edea blickte sie erwartungsvoll an, aber bevor Quistis antworten konnte, drang Eclisas helle Stimme in den Raum.
    „Tante Quistie!“, rief sie. „Wann gehen wir denn jetzt an den Strand? Oder willst du nicht mehr?“ Man konnte einen hoffnungsvollen Ton aus ihrer Stimme heraushören.
    „Tut mir Leid, Mama“, wehrte Quistis grinsend ab, „aber die Pflicht ruft. Ich werde mir die Sache überlegen, versprochen.“
    „Nun, das ist immerhin etwas. Aber sag den Kleinen, sie sollen bald raufkommen, das Essen ist bald fertig.“ Edea drohte ihr mit dem Finger. „Und wehe, du vergisst diesen Auftrag wieder wegen Ballspielen!“
    „Ach, Mama.“ Quistis zog einen Schmollmund. „Du weißt genau, dass sie immer unausstehlich werden, wenn man sie vom Spielen wegholt. Immer überlässt du mir die gefährlichsten Arbeiten!"
    „Was glaubst du, warum ich einen SEED im Haus haben wollte?“, fragte Edea mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen. „Los jetzt, du bist ein großes Mädchen und hast dich schon viel schlimmeren Gegnern gestellt.“
    Quistis drehte sich gehorsam um und ging, aber Edea vermeinte, den Satz „Du hast ja keine Ahnung“ gehört zu haben. Sie lächelte. Auch wenn ihr starkes Mädchen sich noch lange Vorwürfe machen würde, tat ihr das Waisenhaus gut. Vielleicht kam sie ja tatsächlich auf die Hochzeit von Squall und Rinoa. Es wäre schön, wenn ihre Kinder wieder einmal an einem Ort versammelt zu sehen.

    „Hast du auch wirklich alle Leute erreicht? Auch Xells Eltern in Balamb? Und die beiden Gardens?“
    „Ellione“, stöhnte Laguna Loire, der Präsident Esthars, der größten und wahrscheinlich auch mächtigsten Stadt dieser Welt. Aber all die Macht, die er durch dieses Amt hatte, half ihm nicht, wenn es um seine Familie ging. „Du machst dir über diese Hochzeit noch mehr Sorgen als ich. Immerhin ist es mein Sohn, der heiratet.“
    Dieses Argument ließ die braunhaarige junge Frau nicht gelten. „Und ich habe geholfen, ihn aufzuziehen“, belehrte sie ihren Ziehvater mit erhobenem Finger. „Außerdem hat Rinoa mir geholfen, meine Kräfte besser zu verstehen. Ich mag die beiden mindestens so sehr wie du!“
    „Na schön, na schön“, gab Laguna nach. Ellione in einem Wortduell zu schlagen war für ihn ungefähr so wahrscheinlich, wie einen Archeodinos als Haustier zu haben. „Ich gebe mich geschlagen. Ja, alle wurden verständigt. Außerdem sind die Blumenbestellungen zweifach abgesichert, die Kirche wurde bereits dreimal auf statische Fehler überprüft und die Ringe haben die beiden selbst in Verwahrung. Zufrieden?“
    „Nein“, antwortete die Beinahe-Hexe schmollend. „Es muss doch noch irgendetwas geben, was du übersehen hast! Hast du deinen neuen Anzug schon bestellt?“
    „Ja“, antwortete Laguna seufzend. „Sogar schon anprobiert, obwohl ich mir in dem Ding wie ein Idiot vorkomme. Mit etwas Glück wird das ja die letzte Feier sein, auf der ich ihn tragen muss. Lass dir also nicht einfallen, auch noch zu heiraten, ja?“
    Ellione lächelte ihn liebevoll an. Es war ihr schon lange klar, dass Laguna sich trotz aller gegenteiligen Bemerkungen wünschte, dass auch sie eine Bindung fürs Leben einging. Aber das war eben noch nicht eingetreten. Außerdem mochte sie ihren Onkel, eigentlich eher Vater, viel zu sehr, als dass sie ihn schon verlassen wollte.
    „Na schön“, gab sie nach und stand auf, nicht, ohne ihren Vater noch kurz zu umarmen. „Dann werde ich eben selbst nachsehen, was du wieder alles vergessen hast. Es macht dir doch nichts aus, wenn ich bei Gelegenheit ein bisschen shoppen gehe, oder? Ich brauche schließlich noch passende Schuhe zu meinem Kleid.“

  4. #4
    „Ich bin mir nicht sicher, ob der Finanzapparat von Esthar das überstehen wird, aber meinetwegen geh. Dann kann ich endlich vernünftig arbeiten“, brummte der alternde Journalist und Ex-Soldat. „Ich habe nämlich noch einen Job außerhalb meiner Familie, weißt du?“
    „Aber keinen so wichtigen“, erwiderte Ell frech und verschwand durch die breite Eingangstür. „Bis später, Onkel Laguna!“
    Weg war sie. Laguna lehnte sich zurück und fuhr sich mit den Händen über die Augen. Wenn er von vornherein gewusst hätte, wie anstrengend Kinder waren, wäre er sofort aus Winhill abgehauen, nachdem er wieder gesund gewesen war. Nein, korrigierte er sich säuerlich lächelnd. Das hätte Ell nicht zugelassen. Er setzte sich wieder auf und beugte sich über die unzähligen Petitionen, Berichte und Anfragen, die vor ihm lagen.
    Es war erstaunlich, aber die bevorstehende Hochzeit von Squall und Rinoa verursachte bei ihm mehr Papierkram als die Rückkehr von Adell. Wenn er alles unter einen Hut bringen wollte, würde er wahrscheinlich erst hier rauskommen, wenn die Urenkel der beiden schon im Grab verfaulten. Aber Ell hatte ja Recht, auch wenn er es nicht zugab, es kamen immer wieder neue Dinge zum Vorschein, die er nicht beachtet hatte. Zum Beispiel die Tatsache, dass die Einladung für Oberst Carway, Rinoas Vater, noch immer in der Schublade seines Schreibtischs lag.
    Er grinste kurz. Der Oberst und er hatten sich nie leiden können. Laguna wunderte es, dass er überhaupt der Hochzeit zugestimmt hatte, immerhin waren seine Tochter und Lagunas Sohn noch ziemlich jung. Aber vielleicht lernten sie sich ja noch besser kennen. Nicht allerdings, wenn es nach Laguna ging. Er hatte schon hier genug um die Ohren, da musste er sich nicht auch noch mit einem griesgrämigen, galbadianischen Militär rumschlagen. Aber er würde dem Oberst die Karte schicken müssen, sonst würde Rinoa ihn bei lebendigem Leibe häuten, oder noch schlimmer, ihn mit ihrem enttäuschten Blick ansehen.
    Der Präsident von Esthar öffnete die Schublade und nahm die mit Goldrändern versehene Karte heraus, auf der ein Bild von Rinoa und Squall war, die sich umarmten. Darüber war in so verschnörkelter Schrift, dass er kaum die Groß- von den Kleinbuchstaben trennen konnte, der Name des Obersts und die Aufforderung zum Kommen abgebildet. Laguna fischte einen der türkisfarbenen Umschläge unter dem Zettelwirrwarr hervor und versenkte die Karte darin.
    Dann starrte er nachdenklich auf seinen Computer. Da Carway der Vater der Braut war, verlangte die Tradition wohl, dass er ihm außer der Einladung noch ein paar aufmunternde Worte mitschickte. Laguna hielt sich für einen guten Schreiber, aber ihm wollte partout nicht einfallen, was er dem Oberst mitteilen wollte. Schließlich beugte er sich vor und tippte:

    Sehr geehrter Oberst Carway!

    Da, wie Sie zweifellos erfahren haben dürften, Ihre Tochter am 24. dieses Monats heiraten wird, sehe ich mich in meiner Eigenschaft als Präsident Esthars gezwungen, Sie einzuladen. Wir beide wissen sehr gut, dass wir uns niemals wirklich mögen werden, aber dennoch bitte ich Sie, wenigstens so zu tun, als ob Sie meinen Sohn Squall Leonhart in Ihrer Familie akzeptieren, Rinoa zuliebe.
    Ob Sie in Jeans und Hawaiihemd kommen oder im Anzug, ist mir persönlich egal, aber da ich mich selbst in ein schwarzes Monster von Zweiteiler zwängen muss, ersuche ich Sie um Solidarität. Es ist nicht nötig, dass Sie etwas mitbringen, wenn Sie aber noch irgendwo ein Lächeln im Tresor liegen haben, wäre nun der richtige Zeitpunkt es hervorzuholen.
    Dass der Brautvater Rinoa zum Altar führen wird, ist Ihnen wahrscheinlich klar, also versuchen Sie bitte wenigstens glücklich auszusehen. Als ich das letzte Mal mit Rinoa sprach, erwähnte sie, dass sie sich wünschen würde, wenn Sie auch nach der Feier noch bleiben könnten. Glauben Sie mir, dass ich auch nicht begeistert bin von der Tatsache, dass wir beide nebeneinander auf dem Hochzeitsfoto zu sehen sein werden, aber machen wir beide das Beste daraus und gönnen unseren Kindern ihr Glück.

    Mit besten Grüßen

    Laguna Loire

    Er zögerte kurz, entschied sich aber dagegen, „Präsident von Esthar“ unter seinen Namen zu setzen. Das Schreiben war ohnehin nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Er erlaubte sich ein kurzes Grinsen, als er es noch einmal durchlas. Der Oberst war immer direkt,... also dürfte ihm der unverhüllte Stil des Briefes zusagen.
    Er betätigte die Druck-Taste, wartete, bis der Brief vor ihm lag und steckte ihn zu der Karte ins Kuvert, welches er in seiner Brusttasche versenkte. Er würde ihn noch heute nach Deling City schicken lassen, aber vorher musste er das Chaos auf seinem Schreibtisch etwas lichten. Er nahm das nächste Blatt zur Hand und runzelte gleich darauf die Stirn. Schon wieder Crannox Jeed! Der Mann wurde langsam lästig. Er unterstellte Laguna doch glatt, diese Hochzeit wäre von ihm erzwungen worden, um die Beziehungen zu Galbadia zu verbessern. Ob Laguna das Wohl seines Sohnes denn gar nicht am Herzen läge!
    Wütend zerknüllte er das Papier und warf es in den Papierkorb. Als ob es an der gespannten Beziehung zwischen den beiden Großmächten etwas ändern würde, nur weil Squall und Rinoa heirateten. Rinoa wurde von vielen Leuten in Galbadia ohnehin als Verräterin gebrandmarkt, weil sie gegen Artemisia gekämpft hatte, die auf Seiten der Galbadianer gewesen war. Zwar hatte sie die Galbadianer ebenso wie den Rest des Lebens vernichten wollen, aber das scherte die Leute nicht. Diesem Intriganten von Jeed ging es doch nur darum, Lagunas Antworten zu zerlegen und sie als Propaganda in seinem Wahlkampf zu verwenden. Seit er sich in den Kopf gesetzt hatte, Laguna als Präsident Esthars abzulösen, war Jeed zu einer regelrechten Landplage geworden.
    Irgendwann würde er sich darum kümmern, das versprach Laguna sich im Stillen. Aber jetzt hatte er andere Sorgen. Wenn sich jedes Papier so schnell erledigen würde wie Jeeds, dann hätte er mehr Freizeit, aber leider gab es auch Leute, die er ernstnehmen musste. Also beugte sich Laguna Loire wieder unter das Joch der Präsidentschaft.

    Als Crys die Vorhalle des Balamb Garden betrat, staunte sie nicht schlecht. Im Gegensatz zum Galbadia- Garden, in dem sie die letzten Jahre ausgebildet worden war, war es hier fast gemütlich, nicht so zweckmäßig und streng. Der Springbrunnen, die farbenfrohe Gestaltung, die runden Windungen der Wände... alles war irgendwie entspannend. Auch die Schüler, die herumschlenderten, wirkten eher, als wären sie in einem Erholungsheim als in einer Kampfakademie.
    „Hier sieht’s ja aus wie in einem Ferienclub!“, kleidete ihr männlicher Begleiter neben ihr ihre Gedanken in Worte. „Haben die hier denn nichts zu tun?“
    „Liegt wahrscheinlich daran, dass sie sich auf die Hochzeit ihres größten Idols vorbereiten“, bemerkte ein weiterer männlicher Schüler des Galbadia-Gardens, der mit ihr hierher gekommen, etwas abwertend. „Da lassen sie das Training wahrscheinlich ruhen.“
    „Egal, was ihr von ihnen haltet, fangt hier ja keinen Streit an, ist das klar?“, warnte Crys und funkelte die beiden an. „Wir sind hier, weil wir mit ihnen auf die Hochzeit fahren wollen, und nicht, weil wir sie testen wollen.“
    „Nicht mal, wenn sie sich ebenfalls an uns austoben wollen?“, fragte der Junge links neben ihr. Außer ihr, den beiden Jungs und drei weiteren Mädchen wollte niemand aus dem Galbadia-Garden zur Hochzeit des wohl bekanntesten Paares dieser Welt kommen. Für die meisten Schüler aus Galbadia war Rinoa Heartilly eine Verräterin, die gegen die Interessen des Staats gehandelt hatte und Squall Leonhart der Mann, der ihren Traum von der Weltherrschaft zerstört hatte. Nur diese Handvoll wollte die beiden Kämpfer und ihre Freunde, welche die mächtige Hexe Artemisia besiegt hatten, sehen.
    „Auch dann nicht, zumindest nicht offen. Was ihr in der Trainingshalle anstellt, soll mir egal sein, solange niemand zu Schaden kommt. Immerhin bin ich für euch verantwortlich.“
    „Ich glaube, du solltest dir eher Sorgen um die Balamb-Schüler machen, Crys“, warf eins der Mädchen grinsend ein. „Marett hat Recht, die hier sehen nicht so aus, als könnten sie besonders gut kämpfen.“
    „Schon, aber immerhin wurden Leonhart, Dincht und Trepe auch hier ausgebildet“, warf ein anderes Mädchen ein.
    „Ja, und Cifer Almasy auch, wissen wir“, erwiderte der Junge, der Marett hieß. „Aber Irvine Kinneas wurde bei uns ausgebildet und ist nicht schlechter als sie. Du weißt doch ganz genau, dass Kinneas bei uns war, nicht, Crys?“
    Die Angesprochene errötete ein bisschen und knuffte den Jungen in die Rippen. „Lass das“, murmelte sie. „Die Sache ist lange her. Außerdem ist er ja angeblich mit Tilmitt zusammen.“
    „Was sollen wir denn jetzt hier anfangen?“, meldete sich der zweite Junge zu Wort. „Sollten wir uns nicht wenigstens beim Direktor melden?“
    Crys straffte sich. „Sicher. Kommt, gehen wir mal zu diesem Wegweiser. Vielleicht kann man da rauslesen, wie man zu Direktor Cid gelangt.“
    Fünf Minuten und eine enge Aufzugfahrt später standen sie vor Direktor Cids Bürotür. Der dritte Stock war wegen der Schneckenhausform des Balamb-Garden viel kleiner als die unteren Teile, also bewohnte der Direktor die ganze Etage selbst. Ein Luxus, den sich der galbadianische Direktor nie gegönnt hätte. Er wollte immer sofort zu Kontrollgängen aufbrechen können. Die Tür war nicht sehr dick, also konnte man leise hören, was drin gesprochen wurde. Crys war etwas unwohl bei dem Gedanken, jemanden zu belauschen, aber da die anderen kein Geräusch machten, war sie wenigstens nicht allein.
    „... also alles bereit, Niida?“ Vermutlich der Direktor, der tiefen Stimme nach.
    „Jawohl. ... warten nur noch auf... galbadianischen... Direktor.“
    „Sehen Sie mal... ob sie schon ange... sind!“
    „Natürlich. Wiedersehen, Direktor.“
    Crys konnte gerade noch zurücktreten, als die Tür aufgestoßen wurde. Der junge Mann, der herauskam und sie beinahe umrannte, war anscheinend ebenso überrascht wie sie, fing sich aber rasch wieder.
    „Ah, ihr seid die Galbadianer, was? Direktor Cid, die Gäste sind schon da!“, rief er nach hinten. Dann wandte er sich an Crys. „Ihr könnt rein. Keine Angst, Cid hat noch nie jemanden gefressen. Jedenfalls nicht, wenn ich dabei war. Tschüss!“ Sein Lächeln sah echt aus.
    „Danke“, meinte Crys und machte ihm Platz. Der Junge war etwas größer als sie, hatte fast die selbe Haarfarbe wie Irvine und wache Augen. Jemand, der einen zweiten Blick wert war, entschied sie.
    „Mach schon, Crys“, flüsterte eins der Mädchen ihr zu. „Du kannst dich später nach ihm erkundigen, jetzt sollten wir erst mal reingehen.“
    „Schon gut“, gab sie zurück und trat mit schnellen Schritten ins Zimmer des Direktors. Es war sehr hell, da durch die Luke, die auf die Steuerungszentrale führte, viel Licht hereinfiel. Direktor Cid selbst saß an seinem Schreibtisch, ein schon älterer, etwas untersetzter Mann, den man eigentlich gar nicht in einer Kampfakademie vermutete. Crys erinnerte sich jedoch an ihre militärische Ausbildung und ließ ihren Blick nicht zu lange auf dem Mann ruhen. Statt dessen wartete sie, bis ihre Mitschüler neben ihr angetreten waren und vollführte dann den galbadianischen Militärgruß.
    „Die Schüler des Galbadia-Garden melden sich zur Stelle, Direktor“, deklamierte sie im Befehlston. Die anderen nahmen Haltung an. „Wir sind bereit zur Abreise.“
    „Schon gut“, verkündete Cid und stand auf. Er sah auch so nicht viel größer aus. Aber er musterte sie mit einem Ernst, der große Erfahrung verhieß. „Es sind auch so noch ein oder zwei Dinge zu erledigen, bevor wir abheben können. Willkommen im Balamb Garden! Ich bin hier der Direktor, aber ich denke, wir werden uns kaum mehr als ein- oder zweimal sehen, also behalten Sie Ihre Namen ruhig für sich. Es wurden schon einige Zimmer für Sie bereitgestellt, nichts Besonderes, aber ich vermute, Sie sind nichts anderes gewöhnt. Wenn Sie irgendwelche Sorgen haben sollten, wenden Sie sich bitte direkt an die Schüler, vermutlich wird man Ihnen dann schneller helfen können, als wenn Sie sich extra zu mir heraufbemühen. Haben Sie irgendwelche Fragen?“
    Crys war erstaunt. Offenbar wusste Cid, dass in Galbadia nicht sehr viel Wert auf große Worte gelegt wurde. Sie trat einen Schritt vor und fühlte, wie sein Blick sich auf sie richtete.
    „Ist das Hochzeitspaar derzeit im Garden, Sir?“, fragte sie angespannt.
    „Nein, bedaure“, entgegnete Cid und schüttelte den Kopf. „Die beiden sind mit Irvine Kinneas, Selphie Tilmitt und Xell Dincht ausgerissen, um sich etwas Ruhe zu gönnen. Seit ihre Hochzeit bekannt wurde, hatten sie keine Minute Ruhe mehr. Ich weiß auch nicht genau, wann sie zurück sein werden. Kennen Sie sie persönlich?“
    „Nur Kinneas“, antwortete Crys und überhörte das unterdrückte Gekicher hinter ihr. „Gibt es Bereiche im Garden, in denen wir uns nicht aufhalten dürfen?“
    Cid runzelte die Stirn. „Dürfen? Nun, grundsätzlich dürfen Sie sich meinetwegen überall frei bewegen, aber ich würde Ihnen dringend abraten, ohne Verletzung auf der Krankenstation herumzulungern. Unsere Chefärztin ist sehr energisch, wenn es um dieses Thema geht. Des weiteren rate ich Ihnen, nicht die unteren Ebenen des Gardens oder die Trainingshalle ohne Waffen zu betreten. Vor allem auf der MD-Ebene tummeln sich einige ziemlich starke Monster, mit denen auch Squall und seine Freunde Schwierigkeiten hatten. Ansonsten können Sie überall hin, solange Sie den Unterricht nicht behindern.“
    „Selbstverständlich“, gab Crys zurück. „Dann bitte ich um die Erlaubnis, uns zurückziehen zu dürfen, Direktor.“
    „Erteilt“, meinte Cid mit wegwerfender Handbewegung. „Bitte fühlen Sie sich wie zuhause.“ Er setzte sich wieder hin.
    Crys salutierte noch einmal und gab den anderen ein Handzeichen, aus dem Zimmer zu gehen. Als sich die Tür wieder geschlossen hatte, atmeten alle erleichtert auf. Das war viel unspannender gewesen, als sie erwartet hatte.
    „Tja, was machen wir jetzt, wo wir wissen, dass wir alles machen dürfen?“, fragte Marret. „Ich glaube, ich werde mir erst mal mein Zimmer ansehen. Mal sehen, was die hier für eine Einrichtung haben. Wer kommt mit?“
    Zwei der Mädchen wollten mitgehen, die anderen entschlossen sich, erst einmal die Mensa zu besuchen und den bekannten Hot Dog zu probieren.
    „Vielleicht kommen Leonhart und seine Kumpane ja auch dorthin, wenn sie zurückkommen“, äußerte das dritte Mädchen hoffnungsvoll. Crys verdrehte die Augen. Sie glaubte zu wissen, wieso diese Studentin mitgekommen war. Aber sie musste sich an der eigenen Nase fassen, ermahnte sie sich, als sie sich bei dem Gedanken an diesen Jungen im Direktorzimmer ertappte, Niida. Vielleicht sahen sie sich ja noch mal.

  5. #5
    Mithrandir: Morgen gibt's mehr .

    cotillon: Wann kommts den nun?
    Ich freu mich schon drauf.
    mfg
    cotillon

  6. #6
    Kapitel 2

    „Was um Himmels Willen soll ich denn mit noch einer Schlangenhaut anfangen, Squall?“, stöhnte Xell, nachdem er die Überreste der Heckenschlange durchsucht hatte. Die Berge um Dollet wimmelten von diesen Viechern, und Squall hatte sich wieder mal von den Bewohnern breitschlagen lassen, für etwas Ruhe zu sorgen.
    „Du könntest ja eine Tasche draus machen lassen“, schlug Rinoa vor, während sie ihre Waffe vom Arm nahm. „In den Großstädten gibt’s sicher genug Händler, die Lederhandtaschen verkaufen würden. Hast du überhaupt schon ein Geschenk für mich?“
    „Das werde ich dir gerade auf die Nase binden“, antwortete der Faustkämpfer, während er die Schlangenhaut genauer besah. Offenbar dachte er tatsächlich über Rinoas Vorschlag nach. „Außerdem glaube ich nicht, dass du am 24. Augen für Geschenke haben wirst!“
    „Schluss jetzt, Xell!“, befahl Squall, der sich langsam etwas überflüssig vorkam. „Brauchst du denn das Geld wirklich so dringend, dass du Items verkaufen musst? Hast du vielleicht doch Geld verloren?“
    „Quatsch!“, entgegnete dieser, wurde aber ein bisschen rot. „Höchstens ein paar Hundert Gil. Meinst du nicht, wir sollten vielleicht mal nach Irvine und Selphie Ausschau halten? Am Ende werden sie noch von einem Monster getötet, weil sie es vor lauter Küssen nicht bemerkt haben.“
    Rinoa grinste. „Seit wann sorgst du dich denn so sehr um die beiden?“, fragte sie wie beiläufig. „Heute morgen warst du noch froh, als sie weggingen.“
    „Dass ich sie nicht mehr mit aneinanderklebenden Lippen sehen kann, heißt noch lange nicht, dass ich ihnen den Tod wünsche“, meinte Xell und stand auf. „Ich seh’ mal nach, ob ich sie finden kann. Geht ihr inzwischen zurück auf die Ragnarok.“
    Squall runzelte die Stirn, als der blonde Junge sich entfernte. „Er hört sich langsam an wie ein Kommandant“, bemerkte er ernst. „Ich glaube, er will mir meine Führungsposition streitig machen, findest du nicht?“
    Rinoa hob den Zeigefinger und sah ihn herausfordernd an. „Du musst aber auch zugeben, dass du deine Pflichten als Schulsprecher arg vernachlässigt hast“, stellte sie grinsend fest. Sanft nahm sie Squalls Hand und zog ihn Richtung Luftschiff. „In den letzten Wochen hat Xell dich viel öfter vertreten als im ganzen Jahr zuvor!“
    „Kunststück“, brummte Squall ein bisschen eingeschnappt. „Wer hat mich denn in letzter Zeit dauernd in Beschlag genommen? Du!“
    „Jetzt sag bloß nicht, dass ich dir lästig werde?“ Rinoa sah ihn mit ihrem Verletztes-Reh-Blick an. Squall stöhnte leise. Das war unfair! „So kurz vor unserem wichtigsten Tag im Leben willst du mich verstoßen? Du herzloses Monster!“
    Sie legte dramatisch ihre Hand an die Stirn und tat so, als würde sie davonlaufen. Squall tat ihr aber diesmal nicht den Gefallen, sie an der anderen Hand zu packen. Stattdessen schnappte er sich ihre Beine und warf das Mädchen, welches überrascht aufschrie, zu Boden. Unter halb wütendem, halb belustigtem Gezeter drehte er Rinoa auf den Rücken und hielt sie an beiden Armen fest. Sanft legte er sich auf ihren zierlichen Körper und flüsterte ihr ins Ohr.
    „Ich habe ein Herz“, wisperte er. „Spürst du, wie es schlägt? Und jeder einzelne Schlag gehört dir, Rinoa. Ich liebe dich.“
    Das schwarzhaarige Mädchen lächelte und schlang ihre Arme um seinen Hals. „Ich dich auch, Squall, mein Hexenritter“, flüsterte sie – und warf den Jungen plötzlich mit einem Ruck zur Seite. Bevor er reagieren konnte, lag sie bereits auf ihm und grinste ihn spitzbübisch an. „Aber ich werde nie ein zahmes Kätzchen sein, das all deine Späße mitmacht!“ Sie packte seine Arme und hielt sie am Boden. Natürlich hätte Squall sie abschütteln können, auch ohne Stärke-Kopplung, aber wer hätte das in seiner Situation schon gewollt?
    Er bemerkte erst, dass jemand anderer zugegen war, als das Gekicher lauter wurde. Rinoa beendete ihren Kuss und stand auf, nicht, ohne seine Narbe an der Stirn noch einmal liebevoll nachzufahren. Als er sich aufsetzte, saß Selphie bereits auf einem Stein einen Meter neben ihm und starrte Rinoa und ihn wie gebannt an. Irvine hatte seine Arme um sie geschlungen und kniete hinter ihr.
    „Wie lange seid ihr schon da?“, fragte Squall resignierend. Es wurde langsam zur Gewohnheit, dass er und Rinoa beobachtet wurden.
    „Leeeeider grade erst gekommen“, behauptete Selphie, ohne ihren Blick von ihm abzuwenden. „Ihr hättet eeeeuch ruhig mehr Zeit lassen können!“
    „Wieso? Wolltet ihr Nachhilfe?“, erkundigte sich Rinoa, während sie ihrem geliebten Hexenritter eine Hand zum Aufstehen reichte.
    „Nein, aber wir spielen Jury“, behauptete Irvine feixend, während er aufstand. „Ein paar Schüler haben uns gebeten, eure romantischsten Szenen auf der Garden-Homepage zu beschreiben. Wollt ihr uns nicht noch was zeigen?“
    Squalls Schnauben ging in Selphies Gekicher unter. Im selben Moment hörte er Xells schnell näherkommende Schritte. Anscheinend war der Faustkämpfer auf etwas Interessantes gestoßen.
    „Xell, Alter!“, begrüßte Irvine ihn. „Du hast schon wieder das Beste verpasst!“
    „Xell, was hast du?“, wollte Rinoa beunruhigt wissen. Ihr war der fassungslose Ausdruck im Gesicht des Jungen aufgefallen. „Ist was passiert?“
    „Leute“, keuchte Xell, während er stehen blieb, „ihr werdet nicht glauben, was grade in Dollet vor Anker gegangen ist!“
    „Waaas denn?“, fragte Selphie aufgeregt. „Vielleicht ein galbadianisches Kriiiiegsschiff?“
    „Unsinn“, meinte Irvine. „Tut mir Leid, Sephie, aber das hätten wir beim Herfliegen bemerkt. War’s ein Fahrzeug aus Esthar?“
    „Nein“, wehrte Xell immer noch schnaufend ab. „Weit daneben. Da unten ist die Forschungsinsel! Sie hält auf den Hafen von Dollet zu!“
    „Ist dir zufällig ein Konfus zaubernder Galchimesära über den Weg gelaufen?“, fragte Squall stirnrunzelnd, aber er hatte auch bemerkt, dass Xell es ernst meinte. „Na schön. Hast du jemanden gesehen, der sie steuert?“
    Xell schüttelte den Kopf. „Nein. Aber die Leute in Dollet sind in Panik! Wir müssen ihnen helfen, Squall!“
    „Schon gut, Xell, beruhige dich“, wandte Rinoa ein. „Hat ein Monster die Bewohner angegriffen?“
    „Nein, bis jetzt noch nicht.“
    „Aaaaber Chef!“, begehrte Selphie auf. „Vielleicht passiert daaaas noch, wenn wir nicht eingreifen! Wir müssen den Leuten helfen!“
    „Selphie hat Recht, Squall“, bekannte Irvine und legte ernst seine Hand auf ihre Schulter. „Es könnte gefährlich für die Leute werden.“
    „Schön, ihr habt wahrscheinlich Recht“, gab Squall nach. „Selphie, Xell, ihr beide lauft zur Ragnarok und untersucht die Lage aus der Luft! Irvine, Rinoa und ich sind gekoppelt, wir besuchen die Stadt und sehen nach, was wir ausrichten können. Los!“

    „Tante Quistie! Fang!
    Quistis konnte gerade noch dem Ball ausweichen, der sonst in ihrem Gesicht gelandet wäre. Das Mädchen, das ihn geworfen hatte, Tinill, sah enttäuscht drein.
    „Jetzt musst du ihn aber wieder holen! Du hast ihn nicht gefangen!“
    „Moment, ich bin schon unterwegs“, beruhigte Quistis. „Los, Eclisa, geh noch ein bisschen spielen. Wir müssen ohnehin bald wieder rauf zum Essen.“
    Das Mädchen sah sie missmutig an, ging aber langsam auf die anderen spielenden Kinder zu. Quistis hoffte, dass Eclisa trotz allem etwas Spaß am Spielen finden würde. Was sollte denn aus ihr werden, wenn sie die ganze Zeit nur drinnen hockte und malte?
    Suchend blickte sie sich um. Der Ball war von den Felsen abgesprungen und im hinteren Teil des Strandes gelandet, der nur schwer zugänglich war. Viel hätte nicht gefehlt und er wäre im Meer gelandet. Quistis sah unbehaglich zu den Kindern hin. Um da schnell hinunter- und wieder heraufzukommen, müsste sie ihre wirklichen Kräfte einsetzen, die sie bisher immer vor den Kindern verborgen hatte. Sie besaß noch immer Tombery, die kleine GF, die Squall Edea mitgegeben hatte, als er erfuhr, dass Quistis bei ihrer Ziehmutter wohnen wollte. Und Zauber hatte sie mehr als genug. Aber wenn die Kinder sie sahen...
    Egal. Sie entschied, darauf zu vertrauen, dass die Kinder zu beschäftigt waren. Schnell koppelte sie Tombery, dessen Geist anscheinend ziemlich überrascht war, dass er wieder mal gebraucht wurde. Meteor, Seuche, Vigra, Tornado, Eisga, Holy... eine Minute später war Quistis wieder für jeden Kampf bereit. Kraft, die sie schon lange nicht mehr verspürt hatte, durchströmte sie. Aber sie benötigte sie nur für kurze Zeit. Sie sah sich noch einmal um und sprang dann mit einem großen Satz hinunter an den verlassenen Strand. Sie hob den hellblau-roten Ball auf, mit dem schon sie und Xell miteinander gespielt hatten und hüpfte von Stein zu Stein, bis sie wieder oben war.
    Gut, anscheinend hatte niemand etwas gemerkt. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihr Bein wehtat. Sie zog ihren schwarzen Stiefel aus und besah es genauer. Offenbar hatte sie sich gestoßen, ohne dass sie es bemerkt hatte. Es blutete nicht stark, eigentlich nur ein Kratzer, aber sie verspürte das Verlangen, einen Zauber einzusetzen. Sie hatte so lange keine Magie mehr gewirkt. Verstohlen warf sie einen Blick zu den Kindern hin. Offenbar waren alle, selbst Eclisa, damit beschäftigt, eine Sandburg zu bauen.
    „Vita!“, murmelte sie.
    Weiße Funken umtanzten sie kurz, dann trat die Wirkung des Heilzaubers ein und ihre Haut schloss sich wieder. Zufrieden zog sie ihren Stiefel wieder an. Dann nahm sie den Ball in die Hand und ging zu den Kindern hinunter.
    „Hier, Tinill“, rief sie fröhlich. „Dein Ball!“
    Tinill quietschte erfreut, sprang auf und zertrampelte dabei die halbe Burg. Einige der Kinder sahen sie deswegen sauer an, aber als sie den Ball wieder in Händen hielt und damit zu werfen begann, gesellten sie sich wieder zu ihr. Nur Eclisa blieb sitzen und sah Quistis seltsam an. Diese begann sich unwohl zu fühlen. Hatte die Kleine sie etwa gesehen?
    „Was ist denn, Eclisa? Willst du nicht mit den anderen spielen?“
    „Du warst sehr schnell wieder da, Tante Quistie“, bemerkte Eclisa. „Mama Edea sagt immer, dass es sehr gefährlich ist, auf die Felsen zu klettern.“
    Quistis nickte und setzte sich. „Stimmt. Man muss sehr vorsichtig dabei sein.“
    „Aber wie hast du den Ball dann so schnell zurückgeholt?“, wollte das Mädchen wissen. „Er ist doch runtergefallen, oder?“
    Quistis wurde siedendheiß. Blitzschnell überlegte sie sich einige Antworten, verwarf sie aber wieder. Was würde ich selbst glauben, fragte sie sich, wenn ich hier die Frage gestellt hätte?
    „Weißt du, der Ball hatte sich nur in ein paar Felsen hier heroben verklemmt“, log sie. „Ich musste nicht weit klettern, um ihn zu erreichen. Zum Glück. Was hast du denn vorhin mit den anderen gespielt?“
    Die Augen des Mädchens begannen zu leuchten. „Wir haben eine ganz große Burg gebaut!“, erklärte sie triumphierend. „Die war sicher so groß wie der Balamb Garden! Aber dann hat Tinill sie kaputtgetreten.“ Sie blickte traurig auf die Überreste des Bauwerks hinab.
    „Komm schon, Eclisa“, tadelte Quistis sie. „Es war nur eine Sandburg. Man kann sie wieder aufbauen. Soll ich nach dem Essen noch einmal mit dir herunterkommen und eine noch größere Burg bauen?“
    „Ja!“
    „Gut. Dann sollten wir aber schnellstens Essen gehen, sonst können wir heute nicht mehr herunterkommen, nicht wahr?“ Sie stand auf und klatschte in die Hände. „Kinder!“, rief sie laut. „Mama ist fertig mit dem Essen! Wer als letzter oben ist, kriegt heute keinen Nachtisch mehr, hat sie gesagt!“
    „Mama würde uns nie unseren Nachtisch wegnehmen!“, behauptete ein Junge aus Esthar und sah sie herausfordernd an.

  7. #7
    „Stimmt“, bekannte sie lächelnd. „Aber sie hat gesagt, ICH darf demjenigen den Nachtisch wegessen. Und glaub mir, ich hab heute großen Hunger!“
    Kaum eine Minute später saßen alle Kinder oben. Als letzte ging grinsend Quistis durch die Eingangstür. Die Drohung wirkte doch immer wieder... genau wie im Garden.

    „Mann, ist das ein Gedränge hier!“, staunte Galdiki, das andere Mädchen, welches mit Crys in die Mensa gekommen war. „Wie können die hier nur so viele Schüler zur gleichen Zeit versorgen?“
    „Jahrelange Übung, vermute ich“, schätzte der Junge neben Crys, aber er war ebenso beeindruckt wie Galdiki, das merkte man seinem abwesenden Ton an.
    Crys hatte zwar aus einigen Telefonaten mit Irvine von dem Durcheinander hier gehört, aber darauf war auch sie nicht vorbereitet gewesen. Dutzende Schüler standen Schlange, um nur drei Bedienstete gleichzeitig um einen Hot Dog anzuflehen. Der Lärm hier drin konnte es mit der Trainingshalle, an der sie vorbeigekommen waren, locker aufnehmen. Die Bestellungen, die Gespräche zwischen den Schülern und die Kellner, die sich verzweifelt bemühten, aus den Wortfetzen Bestellungen herauszuhören... das alles bildete eine Atmosphäre, die sie im Galbadia-Garden nie erlebt hatte.
    „Wie um alles in der Welt hält man es hier nur aus?“, schrie sie und hielt sich die Ohren zu. „Man möchte meinen, es ginge in einer Kampfschule gesitteter zu!“
    „Falsch geraten!“, vernahm sie eine Stimme hinter sich. Sie brauchte eine Sekunde, um herauszufinden, dass sie keinem aus ihrer Gruppe gehörte. Verwundert drehte sie sich um und nahm die Hände herunter. Und riss die Augen auf, als sie Niida sah, den jungen Mann, den sie im Zimmer des Direktors gesehen hatte. Er grinste sie und ihre Freunde an. „So schnell sieht man sich wieder.“
    „Ist es hier immer so voll oder wollen sich die Leute vor dem Start noch mit Essen eindecken?“, fragte Galdiki und hielt sich demonstrativ die Ohren zu.
    „Nein, ihr habt leider einen schlechten Zeitpunkt erwischt!“, rief Niida zurück. „Der Unterricht ist gerade zu Ende, und da stürmen meistens alle Leute gleichzeitig die Imbissbude hier. Ich hab Glück gehabt und war als erster hier.“ Triumphierend wies er einen Hot Dog vor, der noch verführerisch warm dampfte. Crys spürte, wie ihr Magen zu knurren begann und wurde tiefrot.
    „Gibt’s keine andere Möglichkeit, an etwas zu essen zu kommen?“, wollte der Galbadianer wissen und sah sehnsüchtig auf Niidas Hand. „Wir haben nichts mehr gegessen, seit wir aus Galbadia abgefahren sind.“
    „Sagt das doch gleich“, entrüstete sich Niida. „Wir können euch doch nicht verhungern lassen, der Direktor würde uns wahrscheinlich den Schulsprecher auf den Hals hetzen! Wartet, ich besorge euch was.“
    „Glaubst du nicht, dass das zu lange dauert?“, fragte Crys zögernd. „Wir können ja auch später wiederkommen, wenn es hier ruhiger ist.“
    „Quatsch!“, entgegnete der Junge und lächelte sie an. „Gäste haben den Vortritt. Wartet kurz hier.“ Mit diesen Worten drängte er sich an seinen Kameraden vorbei, die, kaum zu glauben, noch lauter riefen und drohend ihre Fäuste nach ihm reckten. Er unterhielt sich mit einer Kellnerin, deutete in Crys’ Richtung und unterstützte seine Worte durch antreibende Gesten. Eine Minute kam er mit drei weiteren Hot Dogs beladen wieder aus der Menge hervor und überreichte sie ihnen.
    „Danke“, murmelte Crys verlegen. „Das wäre doch nicht nötig gewesen.“
    „Schon gut“, winkte er ab. „Ich muss doch für den Ruf des Gardens gerade stehen, wenn der Schulsprecher nicht da ist.“
    „Hier ist aber nirgends mehr Platz“, jammerte Galdiki und sah sich um. „Können wir uns nicht kurz wo hinsetzen?“
    Niida kratzte sich kurz am Kopf und nickte dann. „Gehen wir am besten in die Bücherei“, bestimmte er. „Dort darf man zwar normalerweise nicht essen, aber die Bibliothekarin, die heute Dienst hat, ist momentan... nun, sagen wir, etwas abgelenkt. Wenn wir die Hot Dogs etwas verstecken, wird sie nichts merken.“
    „Abgelenkt?“ Der Junge neben Crys sah auf. „Weswegen denn?“
    Niida grinste unverhohlen. „Ihr geliebter Xell ist heute mit seinen Freunden ausgeflogen und hat sich seitdem noch nicht bei ihr gemeldet. Jetzt befürchtet sie das Schlimmste, obwohl sie weiß, dass er sich in seiner Haut wehren kann.“
    „Xell Dincht? Xell Dincht hat eine Freundin?“ Galdikis Ton klang so enttäuscht, dass Crys schmunzeln musste.
    „Kennst du Xell Dincht persönlich?“, fragte sie neugierig, während sie in den Hot Dog biss. Sie verzog das Gesicht. Heiß!
    „Sicher“, bestätigte Niida nickend. „Aber gehen wir jetzt erst mal los, hier versteht man ja sein eigenes Wort nicht. Xell hat mit mir und Squall Leonhart die SEED-Prüfung bestanden. Seitdem kennen wir uns... nun, zumindest ich und Xell. Squall ist nie sonderlich gesprächig gewesen, und seit er mit Rinoa zusammen ist, kann man fast kein Wort mehr mit ihm wechseln. Er hat nur noch Augen für sie, auch wenn er versucht, seine Schulsprecherpflichten ernst zu nehmen.“
    „Du bist ein SEED?“, fragte Crys interessiert. „Tut mir Leid, dass ich frage, aber du bist noch ziemlich jung.“
    „Keine Sorge“, meinte er. „Ich bin schon öfter deswegen angeredet worden. Ich war auch noch nicht so oft im Einsatz, weil ich... ah, wir sind schon in der Bücherei. Tag, Reeval!“
    Das braunhaarige Mädchen, das hinter der Büchereitheke stand, wirkte etwas mürrisch. „Hallo, Niida!“, grüßte sie, ohne aufzublicken. „Noch nichts Neues?“
    „Nein“, sagte der Junge kopfschüttelnd. „Du solltest dir nicht so viel Sorgen machen, Xell kommt schon zurecht. Ich führ mal meine galbadianischen Freunde etwas rum, ja?“
    „Schon recht“, brummte sie und vertiefte sich in ein Buch. „Aber nehmt nichts unangemeldet mit, klar?“
    „Nehmt es ihr nicht übel“, flüsterte Niida, als sie bei den Stühlen im hinteren Büchereiraum Platz nahmen. „Aber sie hat einfach ständig Angst um Xell, obwohl er neben Squall und Irvine der stärkste Kerl der Schule ist.“
    „Ist es eigentlich wahr, dass Kinneas sich hier eine Freundin gesucht hat?“, meldete sich der Galbadianer zu Wort, nachdem er seinen Hot Dog aufgegessen hatte. „Ist er noch immer mit ihr zusammen?“
    Niida blickte auf. „Mit Selphie? Sicher, schon seit einem guten halben Jahr. Die beiden sind fast so schlimm wie Squall und Rinoa, ständig beisammen.“
    „Tatsächlich?“ Crys spürte, wie Interesse in ihr entfachte. „Irvine hat zwar davon gesprochen... aber ich hätte ehrlich gesagt nie gedacht, dass er wirklich so lange bei einem Mädchen bleiben könnte. Ist diese Selphie wirklich so... gutgelaunt?“
    „Gutgelaunt?“ Niida sah sie an, als hätte sie ihn gefragt, ob die Erde rund war. „Selphie? Für sie müsste man ein eigenes Wort erfinden! Du kannst sicher sein, wenn der Garden angegriffen würde, würde sie das als Chance sehen, einige der Angreifer zu überreden, beim Schulfestkomitee mitzumachen! Ich hab sie noch nie vollkommen ernst gesehen.“
    „Hört sich eigentlich nicht nach dem Typ Mädchen an, den Kinneas bevorzugt, oder, Crys?“, fragte Galdiki und stupste sie von hinten an. Crys spürte, dass sie rot anlief.
    „Ach, du warst auch mal mit ihm zusammen?“, fragte Niida. Irgendwie klang sein Ton seltsam, fast... schmerzlich. „Blöde Frage, oder? Ist ja egal. Was habt ihr heute noch vor?“
    „Ich und Galdiki werden jetzt jedenfalls hier abhauen, nicht?“, meinte der galbadianische Kadett bedeutungsvoll und stand auf. „Nicht wahr, Galdiki?“
    „Oh, sicher.“ Das Mädchen stand ebenfalls auf. „Wir sehen uns hier noch etwas um. Du musst nicht auf uns warten, Crys. Bis später.“
    „Aber...“
    Schon waren die beiden weg. Crys fluchte.
    „Was ist denn?“, fragte Niida etwas perplex.
    „Die beiden wollen uns doch nur verkuppeln“, stieß Crys hervor und schoss den beiden, die jetzt am Ausgang standen und ihr frech zuwinkten, vernichtende Blicke nach. „Sie glauben, nur weil Irvine jetzt eine neue Freundin hat, müssen sie mir auch einen besorgen.“
    „Vermisst du ihn?“
    Crys sah erschrocken in seine Augen. Sie sahen sie sehr ernst an.
    „Ja..., manchmal schon“, gab sie zu und sah wieder weg. „Aber ich habe mich schon lange damit abgefunden, dass er nie wirkliche Gefühle für mich hatte. Ich glaube nicht, dass er für irgendein Mädchen in Galbadia wirklich etwas übrig hatte. Ist das bei Selphie echt anders?“
    „Ja, zumindest scheint es mir so“, bestätigte Niida nickend. „Ich glaube, aus den beiden könnte etwas Größeres werden. Wer weiß,... vielleicht gibt’s ja bald noch eine Heirat. Obwohl ich mir Selphie nicht als Braut vorstellen kann.“ Er grinste schief. „Sie würde wahrscheinlich sofort loskichern, wenn der Priester zu reden beginnt.“
    „Das ist schön“, flüsterte Crys. „Irvine hat mir zwar das Herz gebrochen, aber ich gönne ihm trotzdem, dass er endlich die Richtige gefunden hat.“
    Niida runzelte die Stirn. „Du hast ihn wirklich geliebt, was?“
    „Ja“, hauchte sie. Dann straffte sie sich wieder. „Aber das ist lange vorbei. Wenn er wieder da ist, würde ich Selphie gerne kennen lernen. So, wie du sie beschreibst, scheint sie ein seltsamer Charakter zu sein.“
    „Seltsam trifft die Sachlage, ja“, bekräftigte er schief grinsend. Er dachte eine Weile nach. „Was hältst du davon, mal Ausschau nach unseren großen Helden zu halten?“
    „Wie denn?“
    Er erhob sich und reichte ihr die Hand. „Nun, ich bin der Steuermann des Gardens und darf jederzeit auf das Steuerdeck hinauf. Wenn du willst, können wir bei Gelegenheit mal nachsehen, ob Squall und seine Bande bereits wieder im Anflug sind. Wie wär’s?“
    Crys schwankte einen Moment, ob sie dieses Angebot annehmen sollte. Über Irvine zu reden hatte sie mehr getroffen, als sie zugegeben hätte, aber Niida schien keine Hintergedanken zu haben. Sein Lächeln wirkte ehrlich. Und wenn ihr ihre Kameraden schon unbedingt einen Freund anhängen wollten, wieso sollte sie dann nicht so tun?
    „In Ordnung“, sagte sie und lächelte ihn freundlich an, während sie sich hochziehen ließ. „Aber wehe, wenn du irgendwas anstellen willst. Ich habe eine gute Kampfausbildung genossen, weißt du?“
    Er grinste spöttisch. „Und ich habe die selbe Grundausbildung genossen wie der große Squall Leonhart persönlich“, deklamierte er. „Ein Teil seiner Größe und seines Edelmutes findet sich auch in mir. Fürchtet nichts, Milady, ich fürchte seine Rache viel zu sehr, als dass ich mich an der Freundin seines Freundes vergreifen würde.“
    „Hör auf mit dem Quatsch“, befahl sie, grinste aber dabei. „Gehen wir lieber. Bevor noch einer bemerkt, dass wir hier Mittag gemacht haben.“

    „Keine Monster, was, Xell?“, fragte Squall grimmig, als sie die Innenstadt von Dollet erreichten. Auf dem Marktplatz, direkt dort, wo noch vor ein paar Minuten der Brunnen gestanden hatte, erhob sich die Masse einer Drachen-Isolde, eines Chimära-Hirns und eines Stahlgiganten. Die drei gewaltigen Monster machten zwar seltsamerweise keine Anstalt, jemanden zu verletzen oder die Häuser anzugreifen, aber es war unzweifelhaft, dass sie niemanden zur künstlichen Forschungsinsel vorlassen wollten.
    „Komm schon, Squall“, kommentierte Irvine, während er die Exetor, seine Schusswaffe, durchlud. „Das war doch zu erwarten.“
    Schon hatte der Stahlgigant sie entdeckt und stapfte auf sie zu. Das Chimära-Hirn wechselte seinen Kopf und kam ebenfalls und die Drachen-Isolde stieß ein markerschütterndes Knurren aus und folgte den beiden.
    „Der Stahlgigant gehört mir, ihr beiden“, rief Irvine, „mischt euch bloß nicht ein. Ich hab ein Hühnchen mit diesen Biestern zu rupfen!“

  8. #8
    Squall verzichtete auf eine Antwort und zog lieber die Löwenherz, die stärkste Gunblade der Gegenwart. Seit Irvine bei der letzten Schlacht gegen den Monsterbeschwörer, Quistis’ Vater, von einem Stahlgiganten niedergestochen worden war, weil er Selphie hatte beschützen wollen, hegte er einen unversöhnlichen Hass gegen die schwergepanzerten Monster. Er hatte auch nicht vor, Irvine abzuhalten. Schließlich waren die anderen Gegner auch nicht einfach.
    „Meteor!“
    Der Kometenzauber von Rinoa ließ die drei Monster aufbrüllen. Irvine hob grimmig seine Waffe und schoss dem Stahlgiganten direkt in den Sehschlitz. Das Monster zuckte nicht einmal mit der Wimper, solange es nicht am Ende seiner Lebenspunkte war, würde dieses genmanipulierte Scheusal nichts von seiner Kraft verlieren. Aber die „Verlangsamen“-Wirkung setzte ein und machte seine Bewegungen zähflüssig wie Honig. Irvine grüßte das Monster spöttisch mit zwei Fingern am Cowboyhut.
    Squall hielt sich nicht mit ihm auf, sondern fing an, Kaktor zu beschwören. Da die seltsame GF etwas Zeit brauchte, griff zwischendurch die Drachen-Isolde an und versetzte Rinoa einen schmerzhaften Hieb, den diese aber kommentarlos hinnahm. Auch das Chimära-Hirn wandte sich Rinoa zu und belegte sie mit „Schweigen“. Squall schürzte ärgerlich die Lippen. Wenn er nicht wüsste, dass diese Viecher nur wenig intelligenter waren als die Steine der Häuser hier, dann hätte er gewettet, sie wollten verhindern, dass Rinoa ihre starken Zauber einsetzte. Seit sie die Hexenkräfte von Edea geerbt hatte, war ihre Zauberkopplung auch ohne starke Zauber ungewöhnlich durchschlagend, selbst wenn sie die Hexenkraft noch nicht willentlich freigesetzt hatte. Aber dazu waren diese Biester zu dumm, beruhigte er sich.
    Grüne Wolken stiegen aus dem Boden und Squall tauschte seinen Platz mit Kaktor, der seinen Stachelangriff über die drei Monster ergehen ließ. Rinoa stopfte sich rasch etwas Echo-Kraut in den Mund und blickte die drei Gegner an. Jetzt war sie wütend. Irvine zauberte etwas verspätet Melton auf den Stahlgiganten, der sich kurz krümmte, als sein Schutz weggerissen wurde. Das Monster war nun jedoch auch bereit zum Kampf, richtete sich auf – und griff wiederum Rinoa an!
    Langsam wurde das Verhalten der Gegner Squall unheimlich, aber er ließ sich nichts anmerken. Statt dessen wandte er Vigra an und heilte seine Gefährtin. Rinoa warf ihm einen hilfesuchenden Blick zu, aber er konnte ihr nicht sagen, was das bedeutete. Vielleicht ja doch nur ein Zufall, redete er sich ein. Die Drachen-Isolde kam wieder nach vorn und schlug abermals nach Rinoa, die sich jedoch rechtzeitig ducken konnte. Irvine sah sie auch mit großen Augen an, konzentrierte sich jedoch dann wieder und schoss dem Stahlgiganten in den Bauch. Der eiserne Riese zischte, zeigte aber keinen Schmerz.
    Das Chimära-Hirn wechselte seinen Kopf und ließ Aqua diesmal über Squall hereinbrechen. Fast war er froh darüber. Trotzdem zog er bei nächster Gelegenheit das Beben des Stahlgiganten und schickte ihn damit ins Jenseits. Auch die anderen beiden Monster waren davon benommen und bemerkten daher den Ultima-Stein von Rinoa zu spät. Auch das Chimära-Hirn gab seinen Geist auf. Bevor die Drachen-Lady noch einmal zum Zuge kam, rannte Squall auf sie zu, riss seine Gunblade hoch und versenkte sie tief im Körper des Untiers. Dieses brüllte noch einmal schmerzlich auf, wankte kurz und stürzte zu Boden. Nach den traditionellen Kampfgesten der drei waren die Monster schon verschwunden.
    „Was war das eben, Rinoa?“, fragte Squall sofort, während er sich noch misstrauisch umsah. „Wieso hatten es diese Biester so massiv auf dich abgesehen?“
    Auch Rinoa sah unsicher aus. „Ich habe keine Ahnung, Squall“, beteuerte sie. „Vielleicht war es ja doch nur ein Zufall. Immerhin haben wir den dreien ja auch nicht sehr viel Zeit für Angriffe gelassen.“
    „Ja, ja, und ich hab einen Grendel als Haustier“, unkte Irvine, der ebenfalls seine Exetor noch nach vorn streckte. „Das war doch kein Zufall. Viermal hintereinander auf dich! Das ist doch nicht normal! Ich geh jede Wette ein, dass der nächste Angriff wieder gegen Rinoa gerichtet gewesen wäre!“
    „Du hast ja wahrscheinlich Recht“, räumte Squall ein. „Aber momentan können wir nichts tun. Sehen wir lieber zu, dass wir die Stadt monsterfrei bekommen. Wir können das ja später noch genauer untersuchen.“
    Sie gingen langsam die Straßen ab, immer auf einen Hinterhalt gefasst, aber kein anderes Monster zeigte sich. Squall fragte sich langsam, ob das tatsächlich die einzigen gewesen waren, aber im selben Moment flog vor ihnen eine Tür auf und ein Qual sprang heraus. Das Tigermonster mit den Säbelzähnen fauchte sie einen Moment lang an, suchte dann aber zu ihrer Überraschung das Weite. Mit ziemlichem Tempo nahm es Kurs auf die Küste.
    „Was sollte das denn eben?“, fragte Irvine ziemlich verdattert. Wäre er nicht selbst perplex gewesen, hätte Squall das Gesicht seines Freundes eines seiner seltenen Grinsen entlockt. „Wieso ist dieses Vieh einfach abgehauen?“
    „Wir sollten uns lieber fragen, was es in diesem Haus gemacht hat, Jungs“, mischte sich Rinoa ein. „Vielleicht ist ja jemand verletzt.“
    Schuldbewusst straffte sich Squall und betrat das Haus. Es war das des alten Malers, fiel ihm jetzt auf. Im Inneren herrschte ein ziemliches Chaos, aber das war auch das letzte Mal so gewesen, als sie hier Halt gemacht hatten. Man merkte nur, dass ein Monster hier herinnen gewesen war, weil die Staffelei umgestoßen und das Bild darauf mit Krallen zerstört worden war. Der Junge, der früher immer die Bilder des Malers mit seinen eigenen „Kunstwerken“ verschönert hatte, saß mit bleichem Gesicht da.
    „Was ist hier passiert, Junge?“, fragte Squall ernst. „Hat dir dieses Monster etwas angetan?“
    „N-nein“, stammelte er, hielt jedoch seinen Blick noch immer auf die Staffelei gerichtet. „A-aber was wird er sagen, wenn er das sieht?“
    „Der Maler wahrscheinlich“, flüsterte Irvine Squall zu. „Rinoa, sprich lieber du mit ihm. Ich glaub nicht, dass er momentan auf uns hört.“
    Die Hexe nickte und hockte sich vor den Jungen hin. Als sie seine Hand nahm und er aufblickte, lächelte sie ihn an. „Was hat der Qual hier drinnen gewollt, Kleiner?“, fragte sie. „Sag uns, was du weißt, dann können wir dir wahrscheinlich helfen.“
    Squall wollte noch weiter zuhören, aber auf einmal hörte er, wie hinter ihm jemand das Haus betrat. Er drehte sich um und sah den alten Maler, der sie beide misstrauisch musterte.
    „Was machen Sie in meinem Haus, häh?“, wollte er wissen. „Wer hat Sie hier reingelassen?“
    „Die Tür war nicht abgeschlossen, Meister!“, verkündete Irvine. „Hätte allerdings auch keinen Unterschied gemacht, wenn!“ Er grinste, als er unmerklich seine Waffe hob.
    „Lass das, Irvine“, ging Squall dazwischen. „Du erschreckst den Mann doch zu Tode. Es tut mir Leid, aber bei Ihnen hat ein Qual eingebrochen“, wandte er sich an den alten Mann. „Als wir kamen, sprang er gerade heraus und suchte das Weite, in Richtung der Forschungsinsel.“
    „Mein Gott“, rief der alte Mann, „ist dem Jungen etwas passiert?“ Er versuchte sich an den beiden vorbeizudrängen, aber Squall hielt ihn zurück.
    „Er hat nur einen Schreck abbekommen, keine Sorge“, beruhigte er. „Meine Freundin kümmert sich grade um ihn. Lassen Sie ihr bitte noch etwas Zeit.“
    „Vertrauen Sie ihm ruhig“, riet Irvine mit seinem bekannten schiefen Grinsen. „Er ist der große Squall Leonhart und lügt nicht. Und ihr Kleiner ist bei seiner Freundin Rinoa in den besten Händen.“
    „Squall Leonhart?“ Der alte Mann schluckte, wirkte aber trotzdem erleichtert. „Und Rinoa Heartilly? Die letzte Hexe? Und Sie sind vermutlich Irvine Kinneas, der Galbadianer?“
    „Yupp“, bestätigte Irvine und lüftete kurz den Hut. „Ich geh mal und seh’ in den anderen Häusern nach, Squall. Kann ja sein, dass noch mehr solche Viecher rumlaufen.“ Mit diesen Worten verschwand er durch die Tür, lud noch einmal dramatisch seine Waffe durch und ging die Straße entlang, immerfort „Putt-putt- putt“ murmelnd. Fast hätte Squall gelächelt, aber er beließ es bei einem Augenrollen.
    „Sagen Sie, haben Sie irgendetwas Wertvolles im Haus?“, fragte er den alten Mann. „Etwas Wertvolles für ein solches Monster, meine ich.“
    „Nein, nicht, dass ich wüsste“, verneinte der Mann, während er seinen Blick über die Einrichtung schweifen ließ. Das einzig Wertvolle hier drin waren meine Bilder, aber dafür hatte dieses Biest ja keinen Sinn, wie man sieht.“
    „Ein ziemlich scharfer Kritiker, stimmt“, bemerkte Squall, ohne eine Miene zu verziehen. „Sonst war hier drin nichts?“
    „Nein, eigentlich nicht... außer, warten Sie mal, einen Draw-Punkt gab es doch auch. Ich hab ihn zwar nie benutzt, aber er war da. Vita, glaube ich. Aber wieso sollte so ein Monster einen Draw-Punkt brauchen?“
    „Ich weiß es nicht“, gestand Squall. „Aber wir werden...“
    „Junge!“, rief der alte Mann auf einmal aus. „Ist dir auch nichts passiert?“ Tatsächlich war der kleine Nachwuchs-Maler plötzlich an Squall vorbeigerannt und hatte sich an die Füße des Alten gehängt. Er hatte nun wieder etwas mehr Farbe als vorhin.
    „Es geht ihm wieder gut“, teilte ihm Rinoa mit, die sich hinter ihn gestellt hatte. Auch ihr Gesicht war ungewohnt ernst. „Aber stell dir vor, was er mir für eine Geschichte erzählt hat: Als der Qual hier hereinkam, hat er keinen Blick für den Jungen verwendet, sondern hat das Bild zur Seite gefegt und den Draw-Punkt freigelegt. Und dann hat es die Zauber gezogen!“
    „Ja, der Maler hat mir auch schon so etwas erzählt“, flüsterte er zurück. „Aber wie sollte ein Qual einen Draw-Punkt leeren können? Dafür ist diese Monstergattung doch nie und nimmer intelligent genug.“
    Rinoa zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich weiß auch nicht, was das soll“, gab sie zu. „Aber ich finde, wir sollten so schnell wie möglich die Forschungsinsel aufsuchen. Wenn wir irgendwo Antworten finden, dann dort.“
    „Du hast Recht.“
    Die beiden gingen an dem alten Maler und seinem kleinen Schüler vorbei, die sich nicht stören ließen (der Kleine erzählte dem anderen gerade, wie er todesmutig gegen drei, nein vier Quale angetreten war) und schlossen die Tür.
    „Irvine!“, rief Squall laut. „Hast du was gefunden?“
    Aus einem der Häuser weiter unten tauchte Irvines Kopf auf. „Ein paar nette Mädchen, wenn du schon fragst“, gab er zurück. „Aber sag’s Sephie nicht.“
    „Lass das, Irvine“, ärgerte sich Rinoa. „Waren noch weitere Monster in der Nähe?“
    Schlagartig wurde der Scharfschütze wieder ernst und rannte zu ihnen hinauf. „Nicht hier herunten, nein“, antwortete er. „Aber ein paar Leute haben mir gesagt, dass sie einen Galchimesära zum Sendeturm raufhoppeln haben sehen. Und die drei am Marktplatz habt ihr ja gesehen.“
    „Im Haus des Malers, am Marktplatz und am Sendeturm“, murmelte Squall. „Überall in Dollet, wo sich ein Draw-Punkt befindet.“
    „Willst du damit etwa sagen, diese Viecher hatten es nur auf die Zauber abgesehen?“ Irvine sah ihn zweifelnd an. „Ich würde mich wundern, wenn sie überhaupt wissen, was ein Draw-Punkt ist, aber dass sie ihn benutzen können, bezweifle ich stärkstens.“
    „Aber der Junge da drin hat behauptet, dass der Qual von vorhin den Vita-Draw-Punkt geleert hat“, gab Rinoa zu bedenken. „Und ich glaube nicht, dass er phantasiert hat.“
    Irvine sah sie skeptisch an, sagte aber nichts. „Ist der Galchi schon wieder heruntergekommen? Dann können wir ja sehen, ob er Zauber im Inventar hat, die dort nicht hingehören.“
    „Ich schätze, das Ding ist an uns vorbeigeschlüpft, als wir gerade mit seinen drei Freunden beschäftigt waren“, vermutete Squall. „Es dauert nicht lange zum Sendeturm und zurück, und da auch der Qual vor uns davongerannt ist, könnte uns der Galchimesära sehr wohl auch umgangen haben.“
    „Möglich“, stimmte Rinoa zu. „Aber was machen wir jetzt?“
    „Auf jeden Fall sollten wir uns mal auf der Forschungsinsel umsehen. Wir sind gekoppelt, also kann uns fast nichts passieren“, schlug Irvine vor und legte einige neue Patronen in sein Monstergewehr ein.
    „Mit dieser Idee sind wir nicht allein“, sagte Squall leise. „Schaut mal zur Insel.“

  9. #9
    Die beiden drehten sich verwundert um. Dann fluchte Rinoa höchst undamenhaft.
    „Xell! Was zur Hölle denkt sich dieser Kerl dabei, einfach bei der Forschungsinsel auszusteigen? Er hat keine Kopplungen!“
    „Egal, was er sich gedacht hat, jetzt müssen wir ihm erst mal helfen. Laufschritt!“, befahl Squall. „Ich hoffe, er hat gute Gründe, um mir das zu erklären!“

    Xell fühlte sich absolut nicht wohl in seiner Haut, so ganz ungekoppelt allein auf einer Insel voll von Monstern, aber er hoffte, Squall würde ihn verstehen, wenn er erfuhr, was Selphie und er gesehen hatten. Sie hatten mit der Ragnarok, ihrem Raumschiff estharischer Abstammung, Dollet überflogen und dem Kampf ihrer Freunde zugesehen, bis sie sicher waren, dass nichts mehr passieren konnte.
    Dann hatte er Selphie angewiesen, näher zur Forschungsinsel heranzufliegen, um vielleicht Genaueres herausfinden zu können. Niemand wusste, wer die Forschungsinsel gebaut hatte, die sie vor ihrem Kampf mit der Esthar-Hexe Adell weit draußen im Meer entdeckt hatten, aber Xell wusste aus den Erzählungen seines Großvaters von einer Art riesigem Draw-Punkt im Meer, wo geheime Experimente mit GF und unnatürlichen Zaubern stattgefunden hatten. Aus unerfindlichem Grund war das Projekt schließlich eingestellt worden, vermutlich waren die Monster auf der Insel zu stark für weitere Versuche geworden. Xell erinnerte sich noch gut daran, wie er, Squall und damals noch Quistis in die Kammern eingedrungen und schließlich auf Bahamut gestoßen waren, den König der GF.
    Es war ein harter Kampf gewesen, aber sie hatten Bahamut so sehr beeindruckt, dass er sich ihnen anschloss und sogar andeutete, dass es noch viel größere Geheimnisse auf der Insel gab. Und tatsächlich, als sie durch eine Felsspalte noch tiefer eindrangen, entdeckten sie neben zahlreichen Monstern auch eine Art Tresortüre, die durch die richtige Anzahl von Dampfeinheiten geöffnet wurde. Es hatte lange gebraucht, bis sie dieses Rätsel gelöst hatten, aber die Belohnung war es wert gewesen: Ultima Weapon, eins der stärksten Monster, und bei ihm die unsagbar starke GF Eden!
    Jetzt allerdings fragte sich Xell, ob diese Insel noch weitere Geheimnisse verbarg. Damals waren sie wieder abgehauen, weil sie nicht hatten glauben können, dass noch etwas stärker sein konnte als Ultima Weapon, aber sie hatten seither nicht wenige Gegner besiegt, die stärker gewesen waren...
    Jedenfalls hatte Selphie registriert, dass die seltsame Säule, in der Bahamut gefangen gewesen war, wieder pulsierte, und diesmal so stark, dass man den Widerschein sogar hier bei Tageslicht sehen konnte! Da sie beide nicht wussten, was das bedeutete, hatte er entschieden, auszusteigen und das Geheimnis zu ergründen, ohne sich in Gefahr zu begeben. Ihm war mulmig zumute, auch wenn er das nicht zugegeben hätte, und er hielt das Funkgerät, mit dem er mit Selphie in Verbindung stand, fester, als es nötig war.
    „Xeeeeell!“, klang auf einmal die laute Stimme des Mädchens aus dem Lautsprecher. „Ich hab grade Squall und die aaaanderen bemerkt! Sie...“
    „Selphie, sei um Himmels Willen ein bisschen leiser“, wisperte er erschrocken ins Funkgerät. „Dir geht’s da oben ja ganz gut, aber ich befinde mich auf einer monsterverseuchten Insel, die wir nie völlig erforscht haben!“
    „Tschuldigung.“ Er registrierte beruhigt, dass die Stimme des Mädchens tatsächlich leiser war – was hieß, dass sie ungefähr die normale Lautstärke jedes anderen Menschen erreicht hatte. „Iiiich wollte dir nur mitteilen, dass Squall und die anderen auf die Insel zulaufen. Hoffentlich hast du ein paar gute Ausreden für den Chef, warum du ausgestiegen bist. Ooooover!“
    „Ja, danke. Aber hör mir zuliebe mit diesem Over-und-out-Quatsch auf. Wir sind doch nicht beim Militär!“
    „Okay“, gab das Mädchen nach. Er wollte das Funkgerät gerade ausschalten, als sie ein kicherndes „Ende“ von sich gab. Fluchend drückte er die „Aus“-Taste. Einmal wollte er einen Tag erleben, an dem diese kleine Göre ernst blieb, nur einmal! Aber das würde wohl ein frommer Wunsch bleiben.
    Leise bewegte er sich auf den Eingang zur großen Halle zu. Jetzt sah man das pulsierende blaue Licht, das von der seltsamen Säule im Inneren abgegeben wurde, ganz deutlich. Es war tatsächlich noch intensiver als damals, außerdem blinkte es schneller. Er wusste nicht, was das hieß, aber es bedeutete sicher nichts Gutes. Leise stellte er sich vor den Felseneingang und lugte hinein. Beinahe hätte er den Kopf wieder zurückgerissen.
    Im Inneren befanden sich zwei Quale, ein Galchimesära, ein Wild Hook, vier Heckenschlangen und ein alle anderen überragender Rubrum-Drache. Die furchtbaren Monster standen alle um die Säule herum und schienen auf irgendetwas zu warten. Xell wagte kaum zu atmen. Schließlich hörte das Pulsieren auf, das Licht blieb. Der Junge kniff die Augen zusammen. War das hell, verdammt! Dann wuchs auf einmal ein Schatten im Inneren der Säule heran. Ein Schatten, der schnell größer wurde. Und der Xell Furcht einflößte. Er konnte zwar keinen „Analyse“-Zauber aussprechen, aber er fühlte, dass dieses Etwas sehr stark war.
    Ein Qual und der Galchimesära traten beziehungsweise hoppelten vor und verharrten vor der Säule. Dann zuckten die beiden plötzlich zusammen und mehrere Lichtkugeln lösten sich von ihren Körpern und schossen auf die Lichtsäule zu. Zauber, dachte Xell erschrocken. Irgendetwas da drinnen entzieht den Monstern Zauber! Als die beiden Monster sich wieder beruhigt hatten, hatte das Pulsieren wieder eingesetzt und der Schatten war verschwunden. Und im selben Moment hörte Xell Schritte hinter sich. Erschrocken sah er sich um.
    „Ich glaube, ich muss dir eine runterhauen!“, verkündete ein ziemlich wütend aussehender Squall. „Was fällt dir ein, einfach hier abzusteigen, obwohl du vollkommen wehrlos warst?“
    „Natürlich nur in Bezug auf die Monster hier“, fügte Rinoa hinzu, als sie Xells empörtes Gesicht wahrnahm.
    „Das war wirklich äußerst leichtsinnig“, schloss sich Irvine den beiden an. „Und ich dürfte da eigentlich nicht reden. Aber das hier übertrifft alles.“
    Xell hob beruhigend die Hände. „Ruhig, Leute, ruhig“, flüsterte er. „Da drinnen sind ein Haufen Monster, also seid leise. Ich weiß selbst, dass das unverantwortlich war, aber es hat sich gelohnt. Ich hab war Seltsames gesehen.“
    Squall legte die Stirn in Falten (darin war er Meister) und fragte misstrauisch: „Und was?“
    „Habt ihr schon bemerkt, wie stark das Licht hier pulsiert?“, fragte Xell aufgeregt. „Selphie hat es bemerkt, und ich wollte es mir aus der Nähe ansehen. Die Säule, in der Bahamut eingeschlossen war, ist immer noch aktiv! Ein komischer Schatten war darin und hat einem Qual und einem Galchi- ach, ich merk mir diesen blöden Namen ja doch nie, so ein zauberndes Rattenvieh halt, jedenfalls hat er den beiden Zauber entzogen! Und dann ist er wieder verschwunden und ihr seid aufgetaucht!“
    „Ein Qual und ein Galchimesära? Bist du sicher?“, fragte Irvine überrascht.
    „Ja“, antwortete Xell. „Wieso fragst du?“
    „Weil solche Monster in Dollet alle Draw-Punkte geleert haben“, erwiderte Rinoa angespannt. Sie schien sehr nervös zu sein. „Frag uns nicht wieso, aber diese Monster sind fähig, Zauber zu ziehen.“
    „Aber kein Monster auf der Welt kann so was!“, protestierte Xell und vergaß völlig, leise zu sein. „Auch hier konnten sie es vor einem Jahr noch nicht! Was machen wir jetzt, Squall?“
    Der Anführer dachte einen Moment lang nach und hob dann den Kopf. „Ich denke, wir sollten erst einmal zum Garden zurückkehren“, entschied er mit einem Seitenblick auf Rinoa. „Es ist besser, wenn wir uns jetzt noch nicht in Gefahr begeben. Wir können die Insel mit der Ragnarok später schnell wiederfinden, wenn es nötig sein sollte.“
    „Squall, ich hab dir schon mehrmals gesagt, dass du auf mich keine Rücksicht nehmen sollst!“, brauste Rinoa auf. „Nur weil ich...“
    Squall packte sie so schnell am Arm, dass sie viel zu perplex war, um sich zu wehren. Mit sehr ernstem Gesicht sah er sie an. „Rinoa“, sagte er sanft, „ich KANN dich nicht so behandeln wie die anderen, versteh das doch! Seit ich mit dir zusammen bin, lebe ich in ständiger Angst, dass du in einem Kampf verletzt werden könntest. Ich habe das unterdrückt, weil mir klar ist, dass du so behandelt werden willst wie jeder andere Kämpfer auch. Aber verzeih mir, ich kann dich nicht gegen einen Feind schicken, von dem wir nichts wissen! Ich kann es nicht!“
    Rinoa war völlig fassungslos, und auch den anderen standen die Münder offen. So einen Gefühlsausbruch hatte sich Squall in der Öffentlichkeit noch nie geleistet! Wenn sie allein waren, zeigte er seine Unsicherheit und Liebe zu ihr offen, aber vor ihren Freunden wollte er der starke Anführer bleiben, auf den sich alle verlassen konnten. Seine Ängste hatte er außer ihr niemandem anvertraut. Als sie sein gequältes Gesicht sah, wurden ihre Augen feucht.
    „Squall...“, flüsterte sie, aber sie wurde unterbrochen.
    „Squall hat völlig Recht, Rinoa“, bemerkte Irvine. „Wenn er sich nicht diesen zugegebenermaßen ziemlich beeindruckenden Auftritt geleistet hätte, dann hätte ich euch geraten zu gehen. Ihr wollt bald heiraten, und verdammt noch mal, ich will, dass ihr dann noch bei bester Gesundheit seid! Und deshalb werden wir zurückfliegen und ihr werdet euch aus diesem Kampf raushalten! Es gibt noch andere SEEDs, die ihn übernehmen können!“
    Sein Gesicht war so entschlossen wie selten. Rinoa wusste, dass er nicht mit sich handeln lassen würde. Auch Xell schlug seine Handschuhe zusammen.
    „Genau“, stimmte er zu. „Was glaubst du, was für eine Standpauke Mama uns halten würde, wenn sie erführe, dass wir euch so kurz vor eurer Hochzeit kämpfen lassen? Ihr werdet das schön uns überlassen. Außerdem könntet ihr so unser Hochzeitsgesch- aua!“
    „Quasselstrippe!“, zischte Irvine und funkelte den auf einem Fuß hüpfenden Xell an. „Warum erzählst du ihnen nicht auch gleich deine persönlichsten Geheimnisse?“
    „Ist schon gut, Irvine“, warf Rinoa ein. Ihre Augen waren voller Tränen, aber sie lächelte glücklich. „Ich... lass mich bitte los, Squall... ich bin einverstanden. Fliegen wir zurück. Squall und ich werden uns aus diesem Kampf heraushalten. Squall“, flüsterte sie, „das war... so lieb von dir. Danke.“ Sie umarmte ihn und der Junge mit der Narbe auf der Stirn erwiderte die Umarmung impulsiv.
    „Ähem“, bemerkte Irvine und bemühte sich, nicht in die Richtung der beiden zu sehen. „Xell, wir wär’s, wenn du Sephie anfunkst? Wir sollten abhauen, oder?“
    „Oh! Sicher.“ Xell hielt das Funkgerät ans Ohr. „Selphie, kannst du mich hören? Du kannst jetzt landen und uns an Bord nehmen.“
    „Das glaube ich nicht“, entgegnete das Mädchen ungewohnt finster. „Sieh mal hinter dich.“
    Im selben Moment schrie Irvine warnend auf. „Squall! Rinoa! Die Monster haben uns entdeckt! Passt auf!“
    Squall zog mit beeindruckend schneller Reaktion seine Löwenherz und drehte sich zum Eingang der Forschungsstation um. Tatsächlich! Die beiden Quale, der Galchimesära und der Wild Hook waren herausgekommen und beäugten die Eindringlinge mordlüstern. Die Heckenschlangen und der Rubrum- Drache waren nicht zu sehen, wahrscheinlich bewachten sie die Lichtsäule, aber er hatte nicht vor, auf sie zu warten.
    „Xell!“, rief er. „Bleib hinter uns! Du bist am verwundbarsten von uns!“
    „Alles klar!“ Der blonde Junge hüpfte an ihnen vorbei und duckte sich hinter einen Felsen. Bei diesen Monstern war das zwar auch kein großartiger Schutz, aber besser als nichts. Die anderen drei gingen in Kampfstellung, bereit, es den Gegnern zu zeigen.
    Squall war dank „Erstschlag“ der erste, der an die Reihe kam. Sein Schwerthieb fügte dem Galchimesära schweren Schaden zu. Diese lästigen kleinen Biester konnten äußerst ungemütliche Zauber sprechen, und dazu wollte er ihm keine Gelegenheit geben. Irvines „Auto-Hast“-Ability ließ ihn als nächsten an die Reihe kommen. Er entschied sich für eine GF. Rinoa ließ ihre „Shooting Star“ fliegen und fügte einem der Quale eine schmerzhafte Wunde zu.

  10. #10
    Der Galchimesära hatte sich inzwischen schon wieder erholt und sprach Blenden auf Rinoa, was jedoch nicht wirkte. Sie grinste abfällig. Dagegen war sie gekoppelt. Der erste Qual war schlauer: Er wandte seine natürliche „Tod“-Fähigkeit an. Das Mädchen fühlte erschrocken, wie das Leben aus ihr wich, als der Sensenmann nach ihr griff. Inzwischen war Irvines GF einsatzbereit. Der geisterhafte Doomtrain raste heran und belegte die Monster mit allen Zuständen. Irvine grinste zufrieden, als er wieder auftauchte.
    Da alle Monster bis auf den Galchimesära schliefen, zog Squall Engel von einem der Quale und belebte Rinoa wieder. Sie warf ihm einen dankbaren Blick zu und stand wieder auf. Irvine schoss indes auf den Galchimesära, welcher tot umfiel. Dennoch war Squall beunruhigt. Wieder gingen alle Angriffe der Monster auf Rinoa. Warum nur?
    Rinoa entschied sich ebenfalls für eine GF, um die Biester nicht aufzuwecken. Squall warf einen Holy-Stein auf einen der Quale, der „qual“-voll zuckte, aber nicht aufwachte. Irvine drawte Gravit von dem anderen Qual und setzte es gegen den Wild Hook ein. Auch der Schwerkraftzauber weckte das Monster nicht auf. Eine Sekunde später verschwand Rinoa und ein riesiger Eiskristall wuchs aus der Erde hervor. Shiva erwachte augenblicklich, sprengte ihr Gefängnis und fügte den Bestien mit ihrem „Diamantenstaub“ starke Wunden zu. Als Rinoa wieder auftauchte, grinste sie ihn an. War doch gar nicht so schwer, schien sie zu sagen.
    Squall fühlte es einen Augenblick, bevor es geschah. Plötzlich leuchteten um die Monster weiße und farbige Strahlen und einen Moment später waren sie wieder geheilt. Medica!, dachte er erschrocken. Aber das können sie nicht sprechen! Gleich im Anschluss daran fühlte er ein starkes Ziehen und unzählige Lichtkugeln lösten sich aus seinem Körper und schossen durch den Eingang der Station auf die Lichtsäule zu. Einen Moment lang fühlte er sich, als ob er sich übergeben müsste, dann stellte er sich breitbeinig hin und hob drohend die Gunblade. Er überprüfte erschrocken seine Kopplungen, fand aber keinen einzigen Zauber mehr!
    „Squall! Ich hab meine gesamte Magie verloren!“, rief ihm Irvine in heller Panik zu. Der Junge war käseweiß im Gesicht und auch er hielt sich nur mit Mühe auf den Beinen. Der Wild Hook sprang vor und versetzte ihm einen schweren Schlag, der den Schützen beinahe ins Jenseits beförderte.
    „GF einsetzen!“, schrie Squall. Was zum Teufel war hier nur los? Der zweite Qual sprach Gravit auf ihn und zog ihm weitere Lebenspunkte ab, aber die waren nun ohnehin im Keller, da er seine HP-Kopplung verloren hatte. „Rinoa! Wir brauchen die Spezialtechniken!“
    Das Mädchen nickte und konzentrierte sich. Squall sprang vor und versetzte einem Qual einen Hieb, aber der hatte nun nicht mehr viel Durchschlagskraft. Er hatte Angst. Ohne ihre Zauber waren sie höchst verwundbar. Irvine machte den Brothers Platz, die ihre Schau abzogen und einen Qual am Ende tot zusammenbrechen ließen. Aber ewig konnten sie das nicht durchhalten!
    Plötzlich riss Rinoa die Augen auf und um sie erstrahlte himmlisches Licht, als sie ihr Limit einsetzte. Flügel wuchsen aus ihrem Rücken und sie hob vom Boden ab, als „Vari“ seine Wirkung tat. Und gleichzeitig geschah etwas sehr Seltsames: Aus Rinoas Hand löste sich ein gleißend heller Lichtfaden und hüllte Squalls Löwenherz ein! Die Waffe erstrahlte in ebenso hellem Licht wie die Säule im Forschungsraum und Squall spürte, wie seine Spezialtechnik ebenfalls verfügbar wurde.
    Triumphierend schrie er auf, als gelbe Flammenzungen um ihn herum aufstoben und sprang vor. Aber seine Waffe schien ein seltsames Eigenleben bekommen zu haben. Er hieb auf den Qual ein und im selben Moment erschütterte ein Ultima-Zauber die Erde. Der nächste Streich war gegen den Wild Hook gerichtet, und ihm folgten mehrere Meteore, die auf den beiden Monstern einschlugen. Der dritte Hieb traf wiederum den Wild Hook und beschwor einen Tornado, der vierte zog dem Qual die letzten Lebenspunkte ab und löste ein Erdbeben aus.
    Squall keuchte, diese Technik kannte er nicht! Aber sie war unglaublich anstrengend, mehr noch als der Herzensbrecher! Er riss die Löwenherz, die dem Qual schon wieder einen Hieb versetzen wollte, mit enormer Kraftanstrengung zurück und sprang wieder auf seinen Platz. Er blieb keuchend hocken, während der Wild Hook und der Qual ihr Leben aushauchten. Er hörte, wie Rinoa neben ihm zusammenbrach und bemerkte, dass das Leuchten nun von seiner Waffe wich, aber er war nicht mehr imstande, den Kopf zu drehen und den Lichtfaden zu verfolgen, der wieder zu Rinoa zurückkehrte. Er hatte gar nicht bemerkt, dass der Faden während seines ganzen Limits mit der Löwenherz verbunden gewesen war.
    „Was bei Hyne...?“
    Irvine war vollkommen bestürzt und Xell war jede Farbe aus dem Gesicht gewichen, sodass seine schwarze Tätowierung sich wie eine Rune auf Papier abhob. Aber die beiden waren nicht halb so überrascht wie Squall und Rinoa selbst. Als der Junge der Hexe in die Augen blickte, sah er große Angst.
    „Squall“, krächzte sie mühsam, „was... war das?“
    „Ich weiß es nicht“, gab er zu, und stand, auf sein Schwert gestützt, auf. „Unsere Kräfte ... scheinen sich irgendwie vermischt zu haben. Ich habe keine Ahnung wie.“
    „Heyyyyy, Leute“, drang auf einmal Selphies begeisterte Stimme zu ihnen herüber. Das Mädchen hatte die Ragnarok gelandet und war anscheinend völlig aus dem Häuschen. „Das habt ihr absolut suuuuper hingekriegt! Wie habt ihr das gemacht? Kann ich das auch lernen? Mann, den Viechern habt ihr’s aber ordentlich gezeigt! Wenn ich daaaaas erzähle, dann...“
    „Selphie“, unterbrach Irvine und benutzte zum ersten Mal seit langem ihren vollen Namen. „Wir sollten das auf später verschieben. Wir müssen schnellstens von hier weg. Wirf die Motoren an.“
    Das Mädchen sah ihn verwirrt an, aber als sie den bestürzten Ausdruck in seinem Gesicht bemerkte, schluckte sie ihre Fragen hinunter und lief zurück ins Schiff. „Okay“, verkündete sie über den Bordlautsprecher. „Alle an Booooord!“
    „Squall, soll ich dir helfen?“, erkundigte sich Xell etwas verspätet. „Oder dir, Rinoa?“
    Squall winkte ab, aber Rinoa hatte Xells Frage offenbar gar nicht gehört. Sie starrte ihre Hände an, als wären sie etwas Böses. Xell ergriff sie behutsam an der Schulter und hielt ihr die Hand zum Aufstehen hin. Sie sah ihn verwirrt an, stand aber dann auf und ging mit ihm auf das Schiff zu. Squall war nicht einmal ein bisschen eifersüchtig, so aufgewühlt war er. Was bei allen GF war das nur gewesen? Eine Minute später hob die Ragnarok ab und nahm Kurs auf den Balamb Garden.

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    to be continued

  11. #11
    Kapitel 3

    „Was Sie mir da erzählen, ist ungeheuerlich, Squall!“
    Der junge Anführer hatte Direktor Cid noch nie so aufgeregt gesehen. Aber ihm ging es selbst nicht viel besser.
    „Direktor, mäßigen Sie Ihre Lautstärke etwas“, rügte Dr. Kadowaki, die Ärztin des Balamb-Garden ihren Vorgesetzten. „Wenn ich die beiden untersuchen soll, dann müssen Sie Ihre Fragen etwas zurückstellen!“
    „Entschuldigung.“
    Der etwas untersetzte Mann trat zurück und ließ die Doktorin ihre Arbeit tun, obwohl man ihm ansehen konnte, dass er am liebsten hundert Fragen auf einmal gestellt hätte. Squall wusste auch nicht, was diese Untersuchung überhaupt sollte, auch wenn er so seine Gedanken etwas ordnen konnte. Rinoa und er waren auf der Rückreise zum Garden wieder zu Kräften gekommen und seitdem spürte er nichts Ungewöhnliches. Er bezweifelte, dass Dr. Kadowaki etwas finden würde, denn dieses mysteriöse Ereignis, als Rinoas und seine Kräfte sich vereinten, hatte sich im Kampf zugetragen. Und für den Kampf galten besondere Regeln.
    Vor vielen hundert Jahren, wenn man den alten Sagen Glauben schenken durfte, war die Göttin Hyne von den Sternen auf diese Welt herabgestiegen. Wo sie gelebt hatte, wusste niemand so genau (Anm. des Autors: diejenigen, die den Fanfic „Nur geträumt“ gelesen haben, wissen es doch), aber dass sie prägend auf die Zivilisation der Menschen eingewirkt hatte, stand außer Frage. Das wichtigste, das Hyne geleistet hatte, war die Tatsache, dass sich jedes Mal, wenn Mensch und Monster aufeinander trafen, die Begegnung durch ein magisches Feld von der Außenwelt abgeschnitten wurde. Nur drei Menschen und fünf Monster konnten gegeneinander kämpfen, Magie einsetzen und sogar wiederbelebt werden, damit hatte die Göttin den Menschen eine Chance gegen die Übermacht der Bestien dieses Planeten gegeben.
    Bald darauf hatten die Menschen die Magie entdeckt, mit der sie erstmals wirklich gegen die Monster vorgehen konnten. Städte wurden auf der Oberfläche der Welt gebaut, und die Menschen vermehrten sich und entwickelten sich weiter. Neue Waffen wurden entdeckt, schwache wurde durch mächtige Magie ersetzt, wie „Feuer“ und „Feuga“, und als letztes wurden die GF entdeckt. Diese mächtigen Wesen waren Hynes letztes Vermächtnis an die Menschheit gewesen, denn seit Jahrhunderten hatte niemand mehr von der Göttin gehört. Aber die Regeln, die sie aufgestellt hatte, und an die sich sogar die dümmsten Monster instinktiv halten mussten, galten noch heute. Und niemand, der nicht selbst kämpfte, verstand, was sich in einem Kampf auf Leben und Tod abspielte.
    Deshalb glaubte Squall nicht, dass die Ärztin etwas finden würde. Rinoa und Squall hatten etwas völlig Neues erlebt, vielleicht war es noch nie in der Geschichte dieser Welt geschehen, aber es war im Kampf passiert, und deshalb nicht mit der normalen Welt vergleichbar. Rinoa allerdings schien die Sache nicht so ruhig zu lassen wie ihn.
    „Lassen Sie mich in Ruhe, Doktor!“, verlangte sie lautstark. „Was sollen die Leute denn auf unserer Hochzeit denken, wenn sie erfahren, dass ich ein paar Tage vorher wie ein Todkranker hier untersucht wurde?“
    „Meine Liebe, wenn es nach mir geht, können Sie den Direktor um Hilfe anflehen, die Staatsoberhäupter von Galbadia und Esthar oder auch Ihre GF... aber diese Heirat wird nicht stattfinden, bevor ich es nicht erlaubt habe! Aber mit Ihnen bin ich auch schon fertig. Wenn Sie sich sofort an mich wenden, sobald Sie etwas Ungewöhnliches spüren, können Sie meinetwegen gehen.“
    „Und Squall? Was soll ich ohne Bräutigam in der Kirche?“
    „Mir egal! Erzählen Sie Witze oder veranstalten Sie eine Quizshow, aber er kommt hier nicht raus, bevor ich ihn durchgecheckt habe!“
    Vom Wartezimmer her hörte Squall ein unterdrücktes Kichern. Er drehte den Kopf und bemerkte Xell, Selphie und Irvine, die sich offenbar köstlich über das Streitgespräch amüsierten. Als Selphie bemerkte, dass er auf sie aufmerksam geworden war, zwinkerte sie ihm zu.
    „Rinoa, lass Dr. Kadowaki ihre Arbeit tun”, mischte er sich in die Diskussion. Beide Frauen wandten ihm den Kopf zu. Plötzlich fühlte er sich unwohl. „Wenn ihr hier herumstreitet, dauert es nur länger, bis ich hier rauskomme. Bei Irvine war’s doch auch nach fünf Minuten vorbei und so anders als er bin ich auch nicht gebaut.“
    Hinter ihm prustete wieder jemand los, aber er hörte nicht hin. Auch der Direktor hatte sichtlich Mühe, seine ernste Miene zu bewahren. Nur die Doktorin und Rinoa funkelten sich immer noch an. Er lächelte, als ihm plötzlich der Vergleich zu einer Tiermutter einfiel, die ihr Baby gegen Nesträuber verteidigte.
    „Ich finde es sehr zu schätzen, dass du dich so sehr für mich einsetzt, aber spar dir deine Energie bitte auf später. Ich verspreche dir, dass ich mich notfalls mit meiner Waffe hier freikämpfe, den Garden entführe und nach Esthar fahre, wenn ich nicht schnell genug rauskomme. Einverstanden?“
    „Sag ja, Rinoa“, warf Xell belustigt ein. „So ein höchst gesetzwidriges Angebot bekommst du nur einmal im Leben von ihm.“
    „Aber es war seeeehr romantisch, das musst du zugeben!“ Selphie lebte wie immer auf, wenn es um hitzige Diskussionen ging. „Stell dir vor, wir müssten uns gegen ihn steeeellen, und er besiegt uns, weil die Liebe ihm übermenschliche Kräfte verleiht...“
    „Lieber nehme ich’s mit der ganzen Armee des Monsterbeschwörers auf als mit Squall, wenn man ihn von dieser Hochzeit fernhalten will!“ Auch Irvine schien sich das Lachen kaum mehr verkneifen zu können.
    „Muss Liebe schöööööön sein“, seufzte Selphie. „Nicht wahr, Irvie?“
    „Schluss jetzt!“, gellte Dr. Kadowakis Stimme durch den Raum. „Bitte verlassen Sie alle auf der Stelle das Krankenzimmer, sonst wird das hier noch ein Tollhaus! Direktor, sagen Sie doch auch mal was!“
    „Schon gut, schon gut“, brachte Cid zwischen zwei Lachanfällen hervor. „Bitte kommen Sie alle hinaus in mein Büro, auch Sie Rinoa, darauf bestehe ich. Sie auch, wenn Sie hier fertig sind, Squall. Ich erwarte einen genauen Bericht von den Ereignissen!“
    Squall atmete resignierend aus. „Jawohl, Direktor.“
    „Squall, ich warne dich, wenn sie irgendetwas findet, um dich hier zu behalten, dann komm ich wieder und schleife dich höchstpersönlich nach Esthar!“ Rinoa klang sehr bestimmt.
    „Ich werd’s mir merken“, erwiderte er, während er sich zurücksinken ließ.

    Der Sand knirschte unter seinen Stiefeln, als Cifer den steinigen Boden der Insel betrat und sich mit ausdrucksloser Miene umsah. Er war noch nie hier gewesen, aber wie er beobachtet hatte, Squall und seine SEED-Bande sehr wohl. Hinter ihm vertäuten Fu-jin und Rai-jin das Motorboot, mit dem sie hier angelegt hatten. Die Forschungsinsel lag noch immer vor Dollet, als warte sie auf etwas.
    Langsam zog Cifer seine Gunblade hervor. Sie war kein Spitzenmodell, im Gegensatz zu Squall vertraute er mehr auf seine eigenen Kräfte als auf die Waffe. Die „Löwenherz“ seines ehemaligen Trainingspartners mochte sehr beeindruckend aussehen, aber Cifer kam auch gut ohne sie aus. Am Rascheln von Stoff bemerkte er, dass Fu-jin ihren Wurfstern hervorzog. Auch Rai-jins Schritte kamen etwas aus dem Takt, als er seinen riesigen Kampfstab hervorzauberte und ein paar Mal probeweise herumschwang.
    „Kommt“, eröffnete er, als die beiden bei ihm angekommen waren. „Stehen wir hier nicht rum. Wenn es etwas zu entdecken gibt, dann da drin.“ Er deutete mit der Waffe auf den Eingang zum Forschungslabor, aus dem wieder das blau-weiße Licht pulsierte.
    „Sei mal vorsichtig, Cifer!“, warnte Rai-jin, aber man konnte seiner Stimme anhören, dass auch er aufgeregt war. „Wir wissen mal nicht, was uns da drin erwartet!“
    „Schatten!“, erinnerte Fu-jin an die Beschreibung Xells. Da sie hinter der Insel geankert hatten, bis die SEEDs abgeflogen waren, hatten sie jedes Wort mithören können, auch den Kampf hatten sie nicht verpasst. „Zauber!“
    „Egal. Wir sind nicht auf Zauber oder GF angewiesen“, entgegnete Cifer selbstsicher. „Wir gehen rein. Entweder wir finden etwas Nützliches... oder wir schlagen diese blöde Säule zu Glasmehl! Das Blinken macht mich wahnsinnig! Los jetzt!“
    Langsam, da er die Warnungen seiner Kameraden mehr ernstnahm, als er zugab, näherte er sich dem Eingang. Er kam sich beinahe so vor wie vor einem halben Jahr, als sie den Eingang zur Höhle des Monsterbeschwörers Feyjar Trepe gesucht hatten. Auch damals hatten sie einen Verbündeten im Kampf gegen Squall gesucht... und einen Wahnsinnigen gefunden. Ein Irrer, dessen Pläne zwar Aussicht auf Erfolg gehabt hatten, aber nichtsdestotrotz ein Irrer. Heute, schwor sich Cifer, würde er sofort feststellen, wie es um die geistige Gesundheit seines Mitstreiters, den er zu finden hoffte, bestellt war.
    Vorsichtig lugte er durch das steinerne Portal. Nichts außer einigen Gerätschaften und dieser komisch blinkenden Säule war zu sehen. Anscheinend hatten Squall und seine Leute alle Monster von hier vertrieben. Sie hatten zwar noch von einem Rubrum-Drachen und ein paar Heckenschlangen gesprochen, aber die waren nirgends zu sehen. Jedenfalls dort nicht, wo seine Sicht nicht von diesem unnatürlichen Licht behindert wurde.
    „Okay, nichts zu sehen“, meldete er. „Wir sollten uns jetzt nach diesem komischen Schatten umsehen. Gehen wir rein.“
    Seine Schritte hallten laut, als er mit wehendem Mantel den Raum betrat. Er kam sich fast so vor wie ein Held in einem kitschigen Film. Fu-jins Gang war kaum zu hören, weil sie fast so leise wie ein Raubtier aufsetzte, aber Rai-jin verstärkte die Geräuschkulisse lautstark. Vor der Säule hielt Cifer an. Er musste eine Hand vor die Augen halten, weil sie so hell leuchtete. Aber er konnte den Schatten, von dem der Angsthase gesprochen hatte, nicht erkennen, beim besten Willen nicht.
    „Hier ist nichts“, entschied er. „Sehen wir uns noch im restlichen Raum um, wenn wir nichts finden, verschwinden wir. Ich hab den Eindruck, Squall und seine Kumpels haben sich umsonst aufgeregt.“
    „Achtung!“
    Auf Fu-jins Befehl hin fuhr er sofort herum und streckte die Gunblade nach vorn. Im ersten Moment erkannte er nichts, weil er zu lange auf das helle Licht geschaut hatte, aber er entnahm Rai-jins erschrockenem Keuchen, dass es eine unangenehme Überraschung war. Nachdem er zweimal geblinzelt hatte, konnte er auch einigermaßen erkennen, was die beiden erschreckt hatte. Vor ihnen standen oder krochen vier zischende Heckenschlangen, und hinter ihnen wie ein großer Bruder, ein Rubrum-Drache, dessen Knurren wie eine Einladung aus der Hölle klang.
    Cifer fluchte ausgiebig, dann ging er in Kampfstellung. Auch Rai-jin und Fu-jin nahmen ihre Positionen ein. „Räumt zuerst die Blindschleichen weg!“, befahl er. „Um den Riesenlurch kümmern wir uns später!“
    Statt einer Antwort sprang Rai-jin vor, schwang seinen Kampfstab und brach einer der Heckenschlangen fast das Genick. Dennoch blieb das Vieh aufrecht und zischelte den braungebrannten Hünen wütend an. Als nächster kam Cifer selbst an die Reihe. Er nahm die Schlange ins Visier, rannte auf sie zu und schnitt sie in der Mitte durch. Er wartete nicht ab, um zu sehen, wie sie verschwand, sondern sprang wieder auf seinen Platz zurück. Der Gegenangriff würde nicht lange auf sich warten lassen.
    Eine der Heckenschlangen, die den Tod ihrer Kollegin offenbar nicht lustig fand, kroch an Cifer heran, umringte ihn schnell und drückte mit einer Kraft zu, die einem normalen Menschen wohl alle Knochen gebrochen hätte. Cifer stieß nicht einmal Luft aus. Solche Angriffe waren ja fast unter seiner Würde!

  12. #12
    Fu-jin sprang vor und hielt ihre Hand vor sich gestreckt, während sie die Monster kalt musterte. „Tornado!“, rief sie aus. Der Wirbelwind hob alle Monster mühelos bis zur Decke und ließ sie mit furchtbarer Wucht wieder herunterkrachen. Die Heckenschlangen wanden sich vor Schmerz, nur der Rubrum-Drache schien zu grinsen. Ihm machte Wind nichts aus, aber sie hatten ihm zum Glück auch noch nichts abgezogen, als dass er sich jetzt hätte regenerieren können.
    Eine zweite Heckenschlange ließ ihren Schädel auf Rai-jin herunterkrachen, was dieser lässig mit einer Hand abwehrte. Er machte sich nicht mal die Mühe zu grinsen, statt dessen attackierte er die vorwitzige Echse und schickte sie mit einem gezielten Hieb zu Boden. Eine Sekunde später verschwand sie.
    Nun aber wurde der Drache aktiv. Er bäumte seinen mächtigen Leib auf, holte tief Luft und ließ die drei Menschen seinen „Hauch“ spüren. Cifer ignorierte die paar neuen Brandflecken auf seinem Mantel, funkelte den Drachen aber grimmig an. Dieser freche Lindwurm würde noch bereuen, dass er sich mit ihnen angelegt hatte! Die dritte verbleibende Heckenschlange ringelte sich vor und griff ihn an, aber er scherte sich nicht darum, auch wenn der Angriff wieder einige hundert Lebenspunkte kostete.
    Cifer sprang vor und hieb die Heckenschlange in zwei Teile. Damit blieb nur noch eine übrig. Wenn er es nicht besser wüsste, hätte er geschworen, dass das Vieh Angst hatte. Was sie jedoch nicht daran hinderte, Bio auf Fu-jin zu sprechen. Die grauhaarige Frau verzog kurz ärgerlich die Lippen, ließ jedoch keinen Schmerz erkennen. Statt dessen ließ sie ihren Wurfstern fliegen und traf die Schlange voll. Cifer runzelte die Stirn, als sich das Biest dennoch aufrecht hielt. Sie schien etwas stärker zu sein als ihre Freunde. Egal.
    Rai-jin hielt seinen Kampfstab hinter sich und konzentrierte sich kurz. „Eisga!“, rief er mit triumphierender Stimme. Der Eis-Zauber traf die Heckenschlange, entzog ihr das letzte Leben und schickte sie einen Augenblick später ins Jenseits. Nun war nur noch der Drache übrig.
    Und der war wütend. Er tappte vorwärts und schnappte nach Fu-jin, die sich einen schmerzhaften Biss zuzog. Sie unterdrückte den Schmerz, aber ihr Zusammenzucken sagte genug. Cifer verzichtete schweren Herzens auf seinen Angriff und warf ein Mega-Potion in die Luft. Ziemlich viel ihrer Honorare ging für solche Heiltränke drauf, fand er. Manchmal wären GF mit ihren fast unbegrenzten Zauberlagern doch nützlich.
    Fu-jin nickte ihm kurz dankbar zu und klemmte dann ihren Wurfstern unter den Arm. Sie hielt beide Arme vor sich und rief: „Melton!“ Die Schockwirkung des Zaubers riss die letzten Reste von natürlicher Verteidigung des Drachens weg. Das Biest taumelte kurz und blickte die drei kleinen Gestalten vor sich verwundert an. Sie machten ihm mehr zu schaffen als andere dieser Art für gewöhnlich, fand er.
    Rai-jin stieß einen Kampfschrei aus und schlug dem Drachen so fest er konnte gegen die rote Tatze. Das Untier brüllte auf und verlagerte ihr Gewicht, noch war sie aber nicht bereit zurückzuschlagen. Cifer hatte auch nicht vor, ihr diese Zeit zu lassen.
    „Holy!“
    Der heilige Zauber setzte dem Monster schwer zu, aber es war noch lange nicht besiegt. Cifer begab sich wortlos wieder in Kampfstellung. Er hatte nicht erwartet, dass ein so riesiger Drache schon nach drei Angriffen zusammenbrach. Diesmal verzichtete Fu-jin auf ihren Angriff und wandte statt dessen noch ein Elixier an, welches ihre HP wieder völlig herstellte.
    Der Drache verließ sich ein weiteres Mal auf sein gutes Gebiss, diesmal bei Rai-jin. Aber damit war auch bei dem muskulösen Jungen das Limit noch lange nicht erreicht. Er grinste und schmetterte dem verblüfften Drachen seine harte Waffe auf die Schnauze. Dieser heulte auf und zog sie zurück. Cifer sprang vor, während der Drache abgelenkt war und versetzte ihm einen weiteren tiefen Schnitt. Als das Untier mordlüstern nach ihm sah, war er bereits wieder auf seinem Platz. Fu-jin kramte in ihrer Tasche und warf dem Monster einen Meteor-Stein vor die Tatzen, dessen (ein-)schlagende Argumente dem Drachen ziemlich zusetzten.
    Cifer erlaubte sich grade ein Grinsen, als es passierte. Es begann als Kribbeln, dann lösten sich einige Lichtkugeln von ihm und schossen über ihn hinweg nach hinten. Er musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass Fu-jin und Rai-jin dasselbe passiert war. Nun, immerhin waren sie vorbereitet gewesen, Squalls Truppe war ziemlich überrascht worden. Aber ihnen machten die paar verlorenen Zauber bei weitem nicht so viel aus wie den SEEDs. Ein großer Vorteil, vor allem jetzt.
    „Das... das ist alles?“, erklang plötzlich eine verzerrte Stimme hinter ihnen. „Wie ist das möglich? Die anderen waren ebenso stark wie ihr und hatten zehnmal mehr und stärkere Zauber bei sich!“
    „Da staunst du, was?“, rief Cifer, ohne den Drachen aus den Augen zu lassen. Rai-jin griff inzwischen wieder an, was das Vieh taumeln ließ. Lange machte er nicht mehr. „Wir sind von uns selbst aus stark, nicht wegen unserer GF! Uns machen ein paar Zauber mehr oder weniger nichts aus, wie du siehst!“ Wie zum Beweis rannte er nach vorn, ließ seine Klinge durch den Leib des Drachen gleiten und sprang elegant zurück auf seinen Platz. Vor ihnen brach die gewaltige Masse der Bestie heulend zusammen und verschwand.
    Cifer ließ triumphierend seine Klinge durch die Luft wirbeln, steckte sie aber diesmal nicht weg. Vielleicht erwartete sie noch ein weiterer Kampf. Rai-jin leerte gerade eine Hi-Potion, er hatte offenbar den selben Gedanken gehabt. Fu-jin hingegen sah sich bereits wortlos im Raum um. Auf seinen fragenden Blick antwortete sie allerdings gewohnt wortkarg mit einem Schulterzucken. Auch sie wusste nicht, wo die Quelle der Stimme sich befand.
    Nachdenklich zog Cifer ebenfalls eine Hi-Potion hervor und leerte sie. Bei seiner ungeheuren Anzahl von Lebenspunkte, die er der Hexe Artemisia verdankte, die Kräfte in ihm geweckt hatte, von denen er bis dahin nur hatte träumen können, machte eine Flasche zwar nicht viel aus, aber sie konnte den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. Er blickte die Säule an, die nun nicht mehr so stark pulsierte. Ob sich darin die Antwort auf seine Fragen befand? Wie hatte Xell, der Angsthase, gesagt? In der Säule, in der Bahamut war, oder so ähnlich. Bahamut war ohne Zweifel eine ihrer GF, und wenn er in dieser Säule gewesen war, warum dann nicht auch anderes?
    „Cifer!“, meldete sich Fu-jin plötzlich aus dem hinteren Teil des Raumes.
    „Fu-jin hat mal was gefunden, Cifer!“, ergänzte Rai-jin überflüssigerweise. „Sieh es dir mal an. Ich weiß nicht recht, was es mal sein soll.“
    Der Gunblade-Kämpfer behielt seine Waffe in der Hand, als er um die Säule herum auf seine Freunde zuging. Man wusste ja nie. Aber kein Monster stellte sich ihm in den Weg. Fu-jin und Rai-jin standen neben einer Art Deckel, der irgendetwas verschloss. Stirnrunzelnd kam er näher. So ein Ding hatte er auch noch nie gesehen, aber wenn es so stabil war, wie es aussah, dann musste es etwas Wichtiges verbergen.
    „Geht mal zur Seite“, wies er die beiden an und stellte sich breitbeinig hin. „Wir werden ja sehen, was das für ein Ding ist, wenn ich es aufgesprengt habe.“ Damit hob er die Gunblade über den Kopf.
    „Das würde ich an eurer Stelle lassen.“
    Cifers Kopf ruckte herum und auch Fu-jin und Rai-jin zuckten zusammen. Dennoch gingen alle drei sofort in Kampfstellung. Mehrere Jahre Drill in einer Kampfschule zahlten sich eben doch aus. Vor ihnen stand eins der absonderlichsten Geschöpfe, die er jemals gesehen hatte, und das wollte in dieser Welt schon etwas heißen. Was nicht hieß, dass es hässlich war. Das... was auch immer es war, hatte eine animalische Grazie, fast so wie Artemisias Haustier, der Löwe Griever, den Squall besiegt hatte.
    Es besaß graues, an manchen Stellen nachtschwarzes Fell, welches seinen ganzen Körper bedeckte. Unter dem Fell konnte man die Konturen starker Muskeln erkennen, die momentan angespannt waren. Obwohl die Körperbehaarung auf ein Tier schließen ließ, stand es gerade und hochaufgerichtet, wobei es beinahe die Decke erreichte. Die beiden Füße endeten allerdings in Krallen, die kreischend über den Metallboden schliffen, und die Hände glichen den Klauen eines Quals, nur größer. Aus den Schultern wuchsen ihm je drei Stacheln, die gefährlich massiv und scharf aussahen. Auf dem Kopf war die Farbe seines Fells weiß und es war länger, was es wohl menschenähnlicher erscheinen lassen sollte. Die Schnauze im Gesicht, aus der den drei Kämpfern nadelspitze Reißzähne entgegenblitzten und vor allem die dämonisch rot brennenden Augen ruinierten diesen Effekt gründlich.
    „Große Hyne“, murmelte Rai-jin erschrocken. Seine Finger umschlossen den Kampfstab so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Was bist du?“
    „Ah, eine sehr direkte Frage“, entgegnete das Wesen, während die rote Farbe in den Augen nachließ und einem intensiven Gelb wich. „Nicht wer, sondern was! Nun, ihr Menschen würdet mich wohl eine GF nennen, obwohl ich noch niemals gekoppelt war, und mein Name lautet Condenos.“
    „Woher?“ Natürlich stammte diese direkte Frage von Fu-jin.
    „Das hättet ihr doch wohl selbst erraten können.“ Die GF stieß ein heiseres Bellen aus, das wohl ein Lachen sein sollte. „Ich komme aus der Wachstumskammer.“ Er deutete mit der rechten Kralle auf die Lichtsäule. „Dort drin kann sich eine GF nach einem Kampf regenerieren und neue Kräfte sammeln.“
    „Und wieso haben dich Squall und seine Kumpane dann bei ihrem ersten Besuch nicht gefunden?“, wollte Cifer wissen. Er hielt die Gunblade noch immer erhoben. „Immerhin haben sie Bahamut eingefangen, wer auch immer das sein mag.“
    „Bahamut? Jemand hat meinen Bruder besiegt?“ Die Miene von Condenos wurde ernst. „Er ist einer der mächtigsten von uns. Er würde sich nur denen anschließen, die ihn im Kampf besiegen. Die Menschen sind sehr stark geworden.“
    „Nicht alle“, gab Cifer zu. „Aber dazu später. Wo bist du früher gewesen, wenn Squall dich nicht gefunden hat?“
    „Früher.“ Die Muskeln der GF spannten sich und einen Moment lang hatte Cifer das Gefühl, sie würde angreifen. Aber dann beruhigte sie sich wieder. „Sagen wir, ich war... unter Bewachung. Die Herrin über unser Volk sperrte mich tief unten im Ozean ein, weil ich wagte, ihr meine Meinung zu sagen. Dann schuf sie ein grauenvolles Monster und gab ihm den Befehl, den einzigen Ausgang von diesem Ort zu bewachen. Um sicher zu gehen, dass ich niemals würde fliehen können, verlieh sie dem Monster zusätzliche Kraft, indem sie meine stärkste Schwester anwies, es zu unterstützen. Vielleicht kennt ihr ihren Namen... Eden... oder den des Monsters, der Ultima Weapon lautete.“
    „Cifer, Eden ist mal eine GF von Squall“, warf Rai-jin aufgeregt ein. „Er hat sie mal nach der Schlacht von Esthar Edea geborgt und als ich ihn darauf ansprach, sagte er mal, er habe diese GF von einem äußerst starken Monster an einem gefährlichen Ort erhalten.“
    „Gefährlicher Ort? Dann hat euer Freund nicht übertrieben.“ Condenos lachte kurz auf, aber Bitterkeit schwang darin mit. „Kein normaler Mensch hätte Ultima Weapon besiegen können. Auch meine Kräfte reichten dazu nicht aus. Wenn die Menschen wirklich schon so stark sind, dann bezweifle ich, dass ich meine Mission zu Ende führen kann.“
    „Mission?“ Fu-jin war noch immer misstrauisch, wurde aber schön langsam neugierig.
    Die GF hob abwehrend eine Pranke und seine Augen färbten sich orange. „Darüber werde ich euch jetzt noch nichts sagen. Erst müsst ihr mir verraten, warum ihr mich gesucht habt.“
    „Das kommt später“, erwiderte Cifer und zeigte damit wieder einen Teil seiner natürlichen Arroganz. „Erst mal verrätst DU uns, wieso wir diese Luke da nicht öffnen dürfen. Ich halte nichts von Verboten, die ich nicht erklärt bekomme.“
    Ein Raubtiergrinsen stahl sich in die Züge des Riesen. „Brich das Siegel ruhig auf, wenn du schwimmen kannst“, antwortete er höhnisch. „Dieses Schott verschließt den Riss, durch den man früher zu dem gefährlichen Ort kam, an dem ich gefangen war. Jetzt, da ich diese Insel mobil gemacht habe, muss sie natürlich geschlossen bleiben, damit sie nicht absäuft.“
    „Mobil?“, fragte Cifer interessiert. „Heißt das, du kannst diesen Steinklotz überall hin steuern, wo du willst?“
    „Solange es einen Seeweg gibt, ja. Das ist Bestandteil meiner Mission.“

  13. #13
    Cifer steckte die Gunblade ein. „Dann schlage ich vor, wir entfernen uns von Dollet. Squalls Bande wird garantiert zurückkommen, wahrscheinlich gewappnet gegen deine Spielereien. Und dann möchte ich nicht hier sein. Wir können uns irgendwo im Meer ebenso gut unterhalten wie hier.“
    Unwillkürlich ballte das Wesen die Fäuste. Es schien nicht gern Befehle entgegenzunehmen. Nun, das galt für Cifer genauso. Dann jedoch entspannte es sich wieder, obwohl seine Pupillen schon Anfänge von Rot aufwiesen. „Wenn du denjenigen meinst, der Ultima Weapon bezwang, dann hast du vermutlich Recht“, knurrte Condenos. „Ich werde uns irgendwo in der Nähe des Centra-Kontinents verstecken. Danach werden wir weiterreden. Und dann werden wir sehen, was mit euch geschieht.“
    Die GF drehte sich zu der Lichtsäule um und tauchte mit den Händen in das Licht ein. Sofort begann es wieder zu pulsieren, nicht mehr so stark wie vorhin, aber doch. Und im selben Moment spürten die drei Kämpfer, wie sich die so massiv wirkende Forschungsinsel von unsichtbaren Kräften gelenkt zu bewegen begann. Erst nur langsam, aber bald so schnell wie ihr Boot bewegte sich die geheimnisvolle Insel auf ihr unbekanntes Ziel zu.
    „Das ist mal echt krass“, rief Rai-jin aus, der sich an einer Wand abstützte und überrascht zu der GF hinsah. „Wie macht der Kerl das?“
    „Vorsicht!“, mahnte Fu-jin, die in die Knie gegangen war, ihren Wurfstern jedoch noch immer in der Hand hielt.
    „Schon gut, ihr beiden“, beruhigte Cifer sie. Er verspürte ein Gefühl von Macht, und das genoss er in vollen Zügen. „Ich vertraue diesem Vieh auch nicht. Aber seine Geschichte interessiert mich, deshalb bleiben wir hier. Es könnte sich hier einiges ergeben.“ Damit setzte er sich und sah zur Silhouette Condenos’ hin, der noch immer unbeweglich die Insel steuerte. Sein erster Eindruck war nicht schlecht... die GF mochte misstrauisch sein, aber sie wirkte nicht so fanatisch wie Feyjar Trepe. Obwohl sie kein Mensch war, spürte Cifer, dass sie ein zwar ein festes Ziel hatte, ihre „Mission“, aber durchaus bereit war, sich beraten zu lassen. Das war eine gute Basis, auf der er aufbauen konnte. Vielleicht rückte sein Traum von einem Duell mit Squall doch schon etwas näher...

    „Eclisa! Wie oft soll ich es dir denn noch sagen? Komm ins Haus, es ist schon spät!“
    „Ach, Mama Edea“, maulte die Kleine. „Warum darf ich meine Burg denn nicht fertig bauen?“
    Edea seufzte hingebungsvoll. „Weil du heute bereits vier Sandburgen gebaut hast“, entgegnete sie mit gebotener Strenge. „Du hast sogar Quistis dazu gebracht, entnervt das Weite zu suchen. Wieso willst du jetzt überhaupt so gern heraußen bleiben? Früher gefiel es dir im Haus doch viel besser.“
    „Das war, bevor ich Burgbauer werden wollte“, gab die Kleine trotzig zurück. „Ich gehe hier nicht weg, bis ich mit meinem Schloss fertig bin!“
    „Aber es ist nachts nicht ungefährlich hier heraußen“, versuchte es Edea noch einmal. „Was ist, wenn ein böses Monster kommt und dich holen will?“
    „Dann wachen Mama und Papa über mich.“ Es half nichts, Eclisa blieb stur. „Sie sind immer bei mir und beschützen mich.“
    Edea gab nach, schon deshalb, weil die anderen Kinder im Haus offenbar gerade wieder Ärger machten. Sie hörte lautes Gelächter und Quistis empörte Stimme. Kurz blieb sie noch stehen, dann drehte sie sich um und lief zurück ins Waisenhaus. Bei diesem sturen Fall konnte sie nichts tun. Besser, wenn sie sich den anderen zuwandte.
    „Schluss jetzt, Kinder“, befahl sie und klatschte in die Hände, nachdem sie im Haus angelangt war. „Lasst Tante Quistis in Ruhe und seid brav. Wer nicht gleich im Bett ist, der darf morgen nicht an den Strand gehen!“
    Protestierende Stimmen wurden laut, aber Edea war unerbittlich. „Keine Widerrede! Es ist schon spät und Squall ist bei mir immer pünktlich im Bett gewesen! Also nehmt euch an ihm ein Beispiel!“
    Das wirkte. Erst die meisten Jungen, dann zögernd auch die Mädchen wandten sich um und schlichen in ihre Zimmer. Quistis, die erschöpft auf dem Boden saß, atmete erleichtert auf.
    „Hyne sei dank“, brachte sie hervor, „dass du gekommen bist, Mama. Diese Rangen wollten doch tatsächlich schon wieder, dass ich ihnen erzähle, wie Squall und wir anderen damals zu Artemisia vorgedrungen sind.“
    „Man möchte meinen, sie würden dieser Geschichte langsam müde“, stimmte Edea mit einem leichten Lächeln zu. „Aber ihr seid nun mal Legenden, da kann man nichts machen.“
    „Wieso wird eine Legende dann von einem Dutzend Halbwüchsigen in die Knie gezwungen?“, wollte Quistis wissen, als sie aufstand. „Das passt nicht unbedingt in die glorreiche Heldengeschichte.“
    „Monster bekämpfen und Kinder hüten sind zwei verschiedene Paar Schuhe“, entgegnete Edea dramatisch. „Könntest du mir einen Gefallen tun und Eclisa vom Strand heraufholen? Sie will unbedingt ihre Burg fertig stellen, aber ich habe immerzu Angst, ihr könnte etwas zustoßen.“
    „Aber Mama! Uns ist doch am Strand auch nie etwas passiert, als wir noch klein waren. Wieso hast du jetzt auf einmal davor Angst?“
    „Ich weiß es nicht.“ Edea zuckte mit den Schultern. „Es ist nur so ein Gefühl.“
    „Schon gut, ich gehe“, meinte Quistis. „Aber du solltest die Kinder nicht anschwindeln.“
    „Wie meinst du das?“
    „Squall war tatsächlich der erste von uns, der ins Bett ging... aber nur, weil er später wieder aufstehen und nach Ell suchen wollte!“, erklärte Quistis grinsend.
    „Tatsächlich?“ Die ehemalige Hexe tat erstaunt. „Das muss ich wohl vergessen haben.“
    Noch immer grinsend schloss Quistis die Haustür und blinzelte einmal, um sich an die geänderten Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Zwar schien ein fast voller Mond und beleuchtete das Meer, aber dennoch war es viel dunkler als im Haus.
    „Eclisa!“, rief sie laut. „Ich komme dich jetzt holen. Befehl von Mama.“
    „Tante Quistie, du musst dir aber vorher noch meine Burg ansehen, sonst bleibe ich die ganze Nacht hier draußen!“
    „Na gut.“ Sie setzte sich in Bewegung, die Steintreppe hinunter. „Aber nur ein kurzer Blick, dann gehen wir rein. Und keine Widerrede.“
    Statt einer Antwort hallte ein heller Schrei durch die Nacht. Einen Moment lang erstarrte Quistis ungläubig, aber dann rannte sie ohne Rücksicht auf ihr beschränktes Sichtfeld die Treppe hinunter. Eclisa kam ihr am unteren Ende entgegen und warf sich ihr an die Beine. Zitternd klammerte sie sich fest.
    „I-ich hab Angst, Tante Quistie. Da war w-was im Wasser, das mich beobachtet hat und rausgekommen ist. Bitte gehen wir wieder rein.“ Tränen rannen ihr über das kleine Gesicht. Quistis hatte das Mädchen noch nie so aufgewühlt erlebt.
    „Beruhige dich, Eclisa“, murmelte sie, während sie geistig ihre Kopplungen erneuerte. Sie hoffte, das Kind würde davon nichts merken. „Ich bin ja bei dir. Du hast dich wahrscheinlich nur getäuscht.“ Analyse!, sprach sie in Gedanken.
    „Nein, nein, ich hab mich nicht getäuscht, Tante!“, widersprach das Mädchen und versuchte, Quistis zum Haus zu ziehen, was nicht sehr gut gelang. „Bitte gehen wir rein, bevor das böse Monster uns holt.“
    „Wenn uns ein Monster holen will, sind wir im Haus auch nicht sicher, Eclisa“, widersprach Quistis angespannt. „Lauf sofort rein und sag Mama Edea, dass ich meine Waffe brauche. Schnell! Das Biest kommt näher!“
    „Deine Waffe, Tante?“ Sie konnte Eclisas erstaunten Gesichtsausdruck förmlich spüren.
    „Eclisa, lauf! Tu, was ich dir gesagt habe, sonst kann ich dich nicht beschützen!“
    Einige Momente lang starrte sie in die Leere, ohne dass etwas geschah, aber dann hörte sie, wie Eclisa zögernd loslief. Gut, denn was da gerade aus dem Wasser gekrochen war, wo sich noch nie vorher ein Monster gezeigt hatte, war ein Adaman Tamai!
    „Mama! Mama!“, rief Eclisa, als sie die Haustür aufriss. „Mama! Du musst Tante Quistie helfen! Sie ist da draußen und ein Monster ist auch da und…“
    „Eclisa, beruhige dich!“ Edea kam aus ihrem Zimmer und blickte das Kind voll Sorge an. Sie ging vor ihm auf die Knie und fasste das Mädchen an den Schultern. „Was hast du gesagt? Ein Monster ist da draußen?“
    „Ja“, stammelte die Kleine unter Tränen. „Und Tante Quistie hat mir gesagt, ich soll dir sagen, sie braucht ihre Waffe. Aber wir haben hier keine Waffen, oder? Du musst ihr helfen, Mama!“
    „Oh nein!“, murmelte Edea und stand auf. Sie lief in Quistis’ Zimmer und langte unter das schlecht gemachte Bett. Dort, zwischen Matratze und Rost eingeklemmt steckte dort die „Königinnenwache“, Quistis’ mörderische Waffe, mit der sie zahlreiche Monster besiegt hatte. Edea hatte ihrer Ziehtochter so sehr gewünscht, dass Quistis sie nicht brauchen würde, bis sie die Waffe aus eigenem Willen wieder aufnahm. „Aber das ist jetzt hinfällig“, flüsterte sie, während sie die goldgelbe Farbe der Peitsche im Lampenschein ansah.
    Sie packte die Waffe und rannte hinaus auf den Gang, so schnell es ihr Nachthemd zuließ. „Komm mit, Eclisa“, forderte sie und ergriff das Mädchen an der Hand. „Du sollst jetzt selbst sehen, wozu Quistis diese Waffe braucht.“
    Sie achtete nicht auf den staunenden Blick Eclisas im Angesicht der geschmeidigen und doch starken Peitsche, sondern machte die Tür auf und zerrte sie hinaus. Quistis stand bereits am obersten Ende der Treppe und warf gerade einen kopfgroßen Stein auf ein Monster, das aussah wie eine übergroße Schildkröte. Ein Adaman Tamai!, dachte Edea erschrocken. Aber wieso hier?
    „Quistis!“, rief sie und warf gleichzeitig die „Königinnenwache“ auf die SEED zu. „Fang!“
    Quistis hatte ihre Kampfreflexe noch nicht verloren, wie sie bewies. Sie drehte sich um, fing die Peitsche mit einer Hand auf, drehte sich sofort wieder zurück und ließ in der gleichen Bewegung die Waffe gegen das Monster schnellen. Es wich zurück. „So, du Biest“, erklärte sie mit kalter Stimme, „gleich wirst du bereuen, dass du jemals diesen Ort gefunden hast!“
    „Mama, was geschieht da?“, fragte Eclisa mit erstickter Stimme. „Wie... wieso kann Tante Quistie mit der Peitsche so gut kämpfen?“
    Edea drückte das kleine Mädchen an sich, hielt ihren Blick aber weiterhin auf Quistis gerichtet. „Weil sie ein SEED ist, Eclisa“, erwiderte sie mit unüberhörbarem Stolz in der Stimme. „Weil sie einmal zusammen mit Squall Leonhart gekämpft hat.“
    Aus Quistis’ Augen sprühten förmlich Funken, als sie vorsprang und dem Adaman Tamai einen heftigen Schlag mit der „Königinnenwache“ versetzte. Die Peitsche war das beste Modell, das es bis jetzt gab. Sie ließ den harten Panzer des Schildkrötenmonsters erbeben, aber Quistis ließ sich nicht täuschen. Diese Biester waren äußerst harte Gegner.
    Wie zur Bestätigung ihrer Gedanken fauchte es und sprach „Blenden“ auf ihre Gegnerin. Quistis fluchte kurz und schluckte eine Mega-Pille. Es dauerte eine Weile, bis sie wieder genug sah, aber dann sprang sie vor und rief laut: „Gravit!“ Der Schwerkraftzauber zog dem Monster ein Viertel seiner Lebenskraft ab, aber besiegt war es deshalb noch lange nicht. Es zischte und beschwor einen Sandsturm, der Quistis dank ihres hohen Geist-Wertes aber wenig anhaben konnte. Wiederum sprang sie vor und ließ die Peitsche auf den Panzer der Riesenschildkröte niederfahren.
    Sie hoffte insgeheim, der versteckte Zauber „Schlaf“ in ihrer Waffe würde etwas ausrichten, aber das Ungeheuer war ebenfalls gut gegen Magie geschützt. Sie biss die Zähne zusammen und überlegte, was sie als nächstes machen sollte, als das Monster plötzlich den „Weißen Wind“ beschwor, einen heilenden Balsam, der es sofort regenerierte. Beinahe hätte Quistis vor Enttäuschung aufgeschrieen, aber sie beherrschte sich. Sie tat vor.
    „Schlaf!“

  14. #14
    Diesmal zeigte der Zauber Wirkung und der Adaman Tamai schlief sofort ein. Quistis beschloss, ihn nicht so bald aufzuwecken und rief Tombery an. Nach ein paar Sekunden war die kleine GF bereit und nahm Quistis’ Platz ein. Eclisa zuckte kurz zusammen, als das kleine grüne Männchen auf einmal auftauchte, aber Edea beruhigte sie. Tomberys Messerangriff zog dem Monster 8000 HP ab, aber es besaß noch genug davon. Quistis wartete, bis sie wieder bereit war und sprach „Blitzga“ auf das Wesen. Es zuckte, wachte aber glücklicherweise nicht auf. Auch das nächste Mal, als Quistis wiederum den Blitzzauber anwandte, ließ die Schildkröte sich nicht in ihrer Siesta stören.
    Die ehemalige SEED-Ausbilderin schürzte die Lippen. Sie wollte nicht, dass diese Kampf noch viel länger dauerte, am Ende wachten noch alle Kinder im Haus auf. Sie beschloss kurzerhand, eine physische Attacke zu riskieren. Sie schlug mit maximaler Kraft zu, aber leider reichte es nicht und weckte zudem das Monster auf. Dieses war jedoch glücklicherweise zu wütend, um sich zu heilen und sprach statt dessen „Protes“ auf sich selbst. Quistis lächelte abfällig. Wenn sie richtig gezählt hatte, besaß der Adaman Tamai nur noch höchstens 2000 Lebenspunkte. Triumphierend holte sie mit der „Königinnenwache“ aus und griff das Vieh damit ein letztes Mal an. Das Monster fauchte noch einmal, dann ließ es den Kopf hängen und verschwand für immer. Quistis genoss ihre Siegespose. Sie fühlte sich auf einmal wieder richtig lebendig.
    „Ich sehe, du hast nichts verlernt“, ließ Edea hinter ihr verlautbaren. „Ein Glück für uns.“
    Quistis drehte sich herum. Ihre Mutter sah sie mit einer Mischung aus Stolz und Traurigkeit an, aber in Eclisas Augen spiegelte sich der pure Unglaube. Quistis’ Hochstimmung sank, als sie das sah, und sie ging neben dem Mädchen in die Knie.
    „Wieso siehst du mich so an, Eclisa“, fragte sie sanft. „Bin ich denn auf einmal so anders als vorhin, nur weil ich dir gezeigt habe, dass ich kämpfen kann?“
    „A-aber wieso“, stotterte das Mädchen, „wieso hast du uns das nicht gesagt?“
    „Weil ich nicht mehr kämpfen wollte“, gab Quistis zu. Sie versuchte, das Mädchen an der Wange zu streicheln, ließ es aber, als dieses zurückzuckte. „Ich habe... etwas sehr Schlimmes mit meiner Kraft gemacht, Eclisa. Ich habe meinem Vater damit wehgetan. Und deshalb wollte ich nicht, dass ihr in mir eine hartherzige Kriegerin seht.“
    „Eclisa“, schaltete sich nun auch Edea ein. „Quistie war früher auch hier in diesem Waisenhaus, genau wie Squall Leonhart und die anderen Helden. Sie wollte aber nicht, dass ihr sie wie eine Göttin behandelt. Sie wollte nur eure Freundin sein. Magst du sie etwa jetzt nicht mehr, nur weil sie dir nicht gesagt hat, wer sie ist?“
    In Eclisas Augen schimmerten Tränen. „Ich mag dich, Tante Quistie!“, rief sie laut und warf sich der völlig überraschten SEED um den Hals. „Ich will deine Freundin bleiben, egal, was du gemacht hast. Bitte sei mir nicht böse.“
    Quistis spürte ein warmes Gefühl im Bauch. Sie umarmte das heulende kleine Mädchen zärtlich und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich bin dir nicht böse, Eclisa, wirklich nicht. Schau, zum Beweis schenke ich dir etwas.“ Sie ließ das Mädchen los und öffnete die Faust, in der sie die Peitsche gehalten hatte. Zwischen den Schnüren der Waffe lag etwas, das wie eine seltsam geformte Muschel aussah. Quistis hob es hoch und wartete auf einen Windstoß. Als die Bö durch die Gänge des Objekts blies, entstanden leise Töne, die sich immer veränderten, wenn sie das Ding anders hielt.
    „Das ist ein Windgeflüster“, erklärte sie dem staunenden Mädchen. „Ich habe es dem Adaman Tamai aus dem Panzer geschlagen. Wenn du es gegen den Wind hältst, dann spielt es dir Töne vor. Du kannst sogar eine Melodie erklingen lassen, wenn du die Löcher zuhältst!“
    „Danke, Tante!“, jauchzte die Kleine und riss Quistis das Kleinod förmlich aus den Händen. „Das muss ich sofort den anderen zeigen! Gute Nacht, Tante Quistie und Mama Edea!“
    Und weg war sie. Quistis seufzte und ließ sich nach hinten fallen. Morgen würden alle Kinder sie fragen, ob es stimmte, ob sie die berühmte Quistis Trepe war. Sie wusste nicht, ob es gut war, dass sie es so bald erfuhren, aber geschehen war geschehen. Es konnte nicht rückgängig gemacht werden.
    „Mach dir keine Sorgen, Quistis“, ermutigte sie Edea, die sich ebenfalls hingesetzt hatte. „Ich bin sicher, sie werden es verstehen. Wenn nicht gleich, dann doch in absehbarer Zeit.“
    „Ja, das hoffe ich“, antwortete die liegende Kämpferin. „Aber das ist momentan nicht so wichtig. Bis jetzt hat noch nie ein Monster zu diesem Strand gefunden. Ich finde, wir sollten die Kinder bis auf weiteres nach Esthar bringen. Zumindest, bis Laguna festgestellt hat, dass keine Gefahr mehr besteht.“
    „Wollen wir uns bei der Gelegenheit auch gleich Squalls und Rinoas Hochzeit ansehen?“
    „Mama!“, rügte Quistis vorwurfsvoll und setzte sich auf. „Das ist nicht fair! Ständig manipulierst du die Dinge so, dass sie dir in den Kram passen!“
    „Das ist das Kennzeichen einer guten Hexe, Quistis“, erwiderte Edea lächelnd. „Komm, gehen wir rein. Morgen hast du einen anstrengenden Tag vor dir.“

    „... tja, und nachdem Dr. Kadowaki uns bis zu den Haarwurzeln untersucht hat, wissen wir noch immer nicht, was mit Rinoa und mir passiert ist“, schloss Squall seinen Bericht. Rinoa warf ihm einen Seitenblick zu, den er jedoch nicht bemerkte. Er hatte sich geändert, ihr Squall Leonhart, ihr Hexenritter, seit sie Artemisia besiegt hatten. Ausdrücke wie „bis zu den Haarwurzeln untersucht“ wären in seinen Berichten bis vor einem Jahr niemals vorgekommen. Ihr gefiel das, denn es verhieß, dass Squall das Leben endlich etwas lockerer nahm, auch wenn er dem Direktor gegenüber seine unnachgiebige Ernsthaftigkeit im Gesicht aufrechterhielt.
    „Hmmm“, machte Direktor Cid und kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. „Ich muss gestehen, ich bin auch völlig ratlos. Ich bilde hier in diesem Institut nun schon so lange Kämpfer wie Sie alle aus... aber so etwas ist mir noch nie untergekommen. Wobei natürlich gesagt werden muss, dass wir vor Ihnen auch noch nie solche begabten Studenten hatten.“
    Die fünf Kämpfer lächelten kurz über die Schmeichelei, wurden aber sofort wieder ernst, als der Direktor mit den Fingern auf die Schreibtischplatte klopfte.
    „Und was machen wir jetzt, Direktor?“, fragte Rinoa unbehaglich. „Ist es überhaupt möglich, dass Squall und ich heiraten, solange wir diese... Kraft nicht kontrollieren können?“
    „Redet keinen Stuuuuuss!“, wandte Selphie energisch ein. „Wir alle haben uns so sehr auf die Hochzeit gefreut und vor allem Laguuuna hat sich riesig angestrengt, um die Feier unvergesslich werden zu lassen! Stellt euch vor, wie enttäääääuscht er wäre!“
    „Ja, sie hat Recht“, stimmte Irvine zu. Er grinste unverschämt. „Außerdem würde er beim zweiten Versuch wahrscheinlich gleich einen Enkel als Schadensersatz fordern.“ Als er merkte, dass Rinoa und Squall beide etwas an Röte gewannen, wuchs sein Grinsen noch mehr in die Breite. „Oder wollte er schon dieses Mal einen?“
    „Lass die beiden doch in Ruhe, Irvine“, bestimmte Xell. Plötzlich fing auch er an zu schmunzeln. „Sonst bringst du Selphie noch auf komische Ideen.“ Als Irvine daraufhin rot wurde, lachte er los, nur Selphie hatte den Witz nicht kapiert.
    „Waaaas ist denn, Irvie?“, fragte sie ahnungslos. „Haaab ich was verpasst?“
    „Kaum der Rede wert, Sephie, kaum der Rede wert“, behauptete Irvine weiterhin errötend.
    „Leute, ich sag’s nur ungern, aber es geht hier eigentlich um meine und Rinoas Hochzeit“, meldete sich Squall wieder zu Wort. „Nun, Direktor, was meinen Sie?“
    „Nun... ich wüsste nicht, wieso man die Hochzeit abblasen sollte“, entschied Cid. „Ihre Verschmelzung, oder wie auch immer man es nennen will, fand im Kampf statt, und ein solcher ist bei dieser Feier doch nicht eingeplant, oder? Gut. Dann würde ich vorschlagen, fahren wir sofort nach Esthar, nicht erst in ein paar Tagen. Sollte doch etwas Unvorhergesehenes passieren, können wir so gleich eingreifen.“
    „Sie meinen, falls meine und Squalls Kräfte gefährlich für unsere Mitmenschen sind“, mutmaßte Rinoa leise.
    Cid wirkte bestürzt. „Das wollte ich damit nicht sagen, Miss Heartilly...“
    „Aber es klang trotzdem durch“, entgegnete Squall. „Sie haben Recht, Direktor. Rinoa und ich werden uns in Esthar von Professor Odyne untersuchen lassen. Wenn jemand etwas darüber wissen könnte, dann er. Ansonsten... können wir nur auf das Beste hoffen.“
    Einen Moment lang herrschte absolute Stille im Raum.
    „Würden... Sie uns bitte entschuldigen, Direktor?“, brachte Rinoa mühsam hervor. Sie schien mit Tränen zu kämpfen haben. „Squall, komm bitte mit. Ich möchte mit dir einen Augenblick allein sein.“
    Erschrocken trat der junge Gunblade-Kämpfer an ihre Seite. Eine einzelne Träne lief über Rinoas Wange, aber nur er konnte sie sehen, weil sie das Gesicht wegdrehte. Er legte seinen Arm um ihre Schultern, sodass sie ihren Kopf an seiner abstützen konnte und nickte dem Direktor zum Abschied kurz zu. Dann gingen die Hexe und ihr geliebter Ritter langsam aus dem Raum. Hinter ihnen schloss sich die Tür mit einem Geräusch wie von tausend zufallenden Grabkammertüren.
    „Aaaaaber Direktor!“, protestierte Selphie, nachdem sie sich als erste von diesem Schreck erholt hatte. „Squall und Rinoa würden doch niiiiiie jemandem wehtun! Und schon gar nicht auf ihrer eigenen Hochzeit!“
    „Genau!“, schloss sich Xell ihr an. „Die beiden werden doch nicht mitten in Esthar in einen Kampf verwickelt werden, wo ist also das Problem?“
    „Das Problem ist, Xell“, warf Irvine ruhig ein, „dass wir nicht wissen, ob diese Energie nicht auch frei werden kann, wenn Rinoa und Squall gerade nicht kämpfen. Was wäre, wenn sie zum Beispiel auch herauskommt, wenn die beiden großes Glück empfinden? Dann wären alle Hochzeitsgäste arg gefährdet.“
    „Das glaubst du doch wohl selbst nicht, oder?“ Xells Blick war der eines gehetzten Tiers.
    „Darum geht es aber nicht, Xell“, ließ Direktor Cid leise von sich vernehmen. „Das Risiko besteht nun mal, so klein es auch sein mag. Und die beiden wissen das. Sie müssen für sich selbst entscheiden, ob sie es auf sich nehmen wollen oder nicht.“
    „Welch rührende Rede!“, höhnte Xell aufgebracht und schlug eine Delle in den Tisch. Er bemerkte es nicht einmal. „Die beiden lieben sich so sehr, dass es schmerzt! Wollt ihr ihnen etwa wirklich das größte Glück in ihrem Leben vorenthalten?“
    „Wer spricht denn von vorenthalten?“ Irvine blieb noch immer ruhig. „Wir wollen diese Kraft nur eine Weile untersuchen, bis wir sicher sind, dass sie niemandem in ihrem Umfeld schaden kann. Deine Mutter ist auch unter den Gästen, Xell. Willst du etwa, dass ihr etwas passiert?“
    Xells betroffener Gesichtsausdruck machte deutlich, dass er verstanden hatte. Dafür stapfte Selphie mit dem Fuß auf.
    „Aber das ist nicht faaaair!“, begehrte sie auf. „Wir alle haben uns so sehr darauf gefreut! Du bist kein bisschen romantisch, Irvine!“
    „Und dennoch hat er Recht.“
    Alle Köpfe flogen herum.
    „Ähem, Entschuldigung, Direktor“, hüstelte Niida verlegen. „Ich habe unserem Gast angeboten, die Brücke des Gardens zu besichtigen. Wir wollten wirklich nicht lauschen, aber wir kamen in dem Moment hier herunter, als Squall und Rinoa uns verließen.“
    „Du hast dich wirklich sehr verändert, Irvine“, stellte Crys fest. Sie sah ihren Ex-Freund mit klarem Blick an und ging langsam auf ihn zu. „Früher war es dir ziemlich egal, wie es anderen Leuten ging. Was ist mit dir passiert?“
    „Crys?“, fragte Irvine fassungslos. Sein Gesicht hatte fast all seine Farbe verloren. „Aber was machst du denn hier?“
    Sie zuckte mit den Schultern. „Mir die Hochzeit ansehen, was sonst? Dachtest du, ich wäre wegen dir gekommen?“
    „Was soll das?“, wollte Selphie misstrauisch wissen. „Wer bist du, und wieso kennst du Irvine so guuuuut?“
    „Bist du Selphie Tilmitt?“ Crys beäugte sie kritisch. „Komisch. Du siehst überhaupt nicht wie Irvines normaler Typ Mädchen aus.“
    Bevor Selphie Gelegenheit bekam, lauthals Stellung dazu zu nehmen, hob Irvine die Hand. Der Scharfschütze schien seine Fassung wiedergewonnen zu haben, wenigstens äußerlich.
    „Lass das, Crys“, verlangte er. „Du weißt genau, was ich für sie empfinde. Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann bitte direkt.“
    Crys drehte ihm den Kopf zu und sah ihn eine Weile lang an. Dann verschwand der kalte Ausdruck aus ihrem Gesicht. „Tut mir Leid, aber das musste sein“, stellte sie fest. „Das war ich dir schuldig, weil du mich so einfach sitzen gelassen hast!“
    Irvine stöhnte leise. „Das wirst du mir wohl nie verzeihen, wie? Ich hab mich doch vor einem halben Jahr dafür entschuldigt.“
    „Aber ich wollte sehen, ob du das auch ernst gemeint hast.“ Dann wandte sie sich wieder an die ziemlich verdatterte Selphie – und verneigte sich kurz. „Es tut mir Leid, wenn du einen falschen Eindruck von mir gewonnen hast. Ich möchte nicht, dass du böse auf mich bist, nur wegen dieser Szene vorhin. Das war eine Sache zwischen Irvine und mir.“
    „Wieso kennst du ihn so gut?“, wiederholte das braunhaarige Mädchen die Frage. Sogar ohne Vokalverlängerung, was auf große Anspannung hinwies. „Warst du mit ihm zusammen?“
    „Ja, aber das ist schon lange her“, versicherte Crys und schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln. „Wir sind inzwischen nur noch gute Freunde.“
    „Finde ich nicht, so wie du mich vor meinen Leuten blamierst“, brummte der Scharfschütze.
    „Ach was, wenn du schon wieder bissige Kommentare abgeben kannst, bist du schon auf dem Wege der Besserung“, bemerkte Xell grinsend. Ihm schien das Schauspiel zu gefallen.
    „Nur Freunde?“, vergewisserte sich Selphie noch einmal. Dann warf sie einen Seitenblick auf Niida, auf den Crys heimlich nickte. Und plötzlich strahlte ihr Gesicht wieder, von einem Moment auf den anderen. „Daaaann musst du mir unbedingt was über die Zeit erzählen, in der du Irvies Freundin warst“, verlangte sie. „Ich wollte schon immer einmal wissen, was er früher alles angestellt hat. Aber er wurde immer so schrecklich verleeeeegen.“
    Crys’ Grinsen wurde beinahe unverschämt. „Einverstanden. Niida und ich wollten ohnehin gerade in die Mensa gehen.“
    „Niida, du musst mir jetzt mal helfen“, erkannte Xell, als er Irvine einen Blick zuwarf. Der Scharfschütze machte einen so elenden Eindruck, dass er beinahe laut aufgelacht hätte. „Ich glaube, Irvine schafft’s nicht mehr allein. Und die beiden Damen wollen ihn doch sicher dabei haben, oder?“
    „Aber siiiiiicher doch!“
    „Danke, Xell.“ Irvines Stimme troff vor Sarkasmus. „Du bist echt ein wahrer Freund.“
    „Ähem, Xell“, mischte sich Direktor Cid wieder ein. Manchmal war der Mann so unauffällig, dass er lieber Spion hätte werden sollen, fand Xell. „Sie sind sich hoffentlich im Klaren darüber, dass ich Ihnen meinen Schreibtisch in Rechnung stellen werde, oder?“
    „Oh“, machte Xell verlegen. „Tut mir Leid, Direktor, das hab ich gar nicht bemerkt. Ziehen Sie’s mir vom nächsten Sold ab, ja?“
    „Da können Sie sich drauf verlassen.“
    Xell marschierte leicht rot zu Irvine hin, der den beiden schwatzenden Mädchen mit säuerlicher Miene folgte. Auch Niida schloss sich ihnen an.
    „So schlimm kann es doch gar nicht sein, Mann“, behauptete der Garden-Lenker. „Immerhin hat Selphie dich doch schon wieder mit deinem Spitznamen angeredet, oder, Irvie?“
    Irvine schlug eine Hand auf seine Stirn. „Fängst du auch noch an! Womit hab ich das bloß verdient?“ Aber in seinem Tonfall schwang wieder ein bisschen Hoffnung mit, fand Xell.

  15. #15
    cotillion: Wieder mal ein par super kapitel.
    wann gehts denn weiter?
    Und wie lang wird dieser Fanfic?
    mfg
    cotillion

    Mithrandir: hehe, die Geschichte geht noch ein ganzes Stückchen weiter .

  16. #16
    Kapitel 4

    Der erste, der am Morgen in ihr Zimmer gestürmt kam, war Aniery. Nicht wirklich überraschend, fand sie.
    „Tante!“, rief er aufgeregt und rüttelte an ihrer Schulter, bis sie sich zu ihm herumgedreht hatte. „Eclisa hat uns erzählt, dass du gestern ganz allein ein Monster besiegt hast. Stimmt das wirklich?“
    Quistis seufzte leise und tastete nach ihrer Brille. Sie brauchte sie nicht wirklich, aber es konnte in diesem Haus nie schaden, wenn sie etwas strenger wirkte, besonders Aniery gegenüber.
    „Glaubst du, dass ich es könnte?“
    Aniery wurde etwas unsicher, fasste sich aber wieder. „Nein“, vermutete er. „Zumindest keine richtigen.“
    „Und warum?“
    „Weil...“ Er musste eine Weile überlegen, wobei ihm Quistis lächelnd zusah. „Weil du so bist wie Mama“, meinte er schließlich. „Mama kämpft auch nicht.“
    „Das heißt aber nicht, dass sie nicht kämpfen kann“, verbesserte Quistis ihn. „Nur weil sie nicht kämpft, heißt das nicht, dass sie nicht imstande ist, sich zu wehren.“
    „Das stimmt, Aniery“, warf eine dünne Stimme von der Tür her ein. Ein kleinerer Junge tappte ins Zimmer. Sein Gesicht verriet großen Ernst... was bei kleinen Kindern allerdings ziemlich komisch aussah. Quistis schmunzelte. „Mama hat früher einmal gegen Squall Leonhart gekämpft.“
    „Quatsch“, erwiderte Aniery herablassend.
    „Nein, Tinill hat es geschworen“, beharrte Veshore, während er sich dem Bett näherte. „Ihre Eltern haben ihr die Geschichte immer erzählt, bevor sie hierher gekommen ist. Die SEEDs haben gegen Mama Edea gekämpft und sie gut gemacht, dann haben sie Rinoa gut gemacht und dann haben sie gegen die bösen Hexen gekämpft!“
    „Er hat Recht, Aniery“, bekräftigte Quistis. „Auch wenn ich es anders erzählt hätte. Mama hat früher auch gekämpft, auch wenn sie es nicht mag.“
    „Und du?“, beharrte der Junge. „Hast du gekämpft?“
    Quistis seufzte. „Ich muss es euch ja wohl sagen. Ja, ich habe gestern gekämpft. Und nicht nur gestern. Mein voller Name ist Quistis Trepe.“
    „Dann bist du ja Squalls und Rinoas Freundin“, bemerkte Veshore mit großen Augen.
    „Aber wieso hast du uns das nicht gesagt?“, wollte Aniery wissen.
    „Damit sie nicht solche dummen Fragen beantworten musste!“ Edea stand im Türrahmen und klatschte in die Hände. „Schluss jetzt, kommt alle zum Frühstück! Dann könnt ihr eure Fragen auch gleich vor den anderen stellen.“
    „Warum nicht jetzt?“
    „Weil man als angehender SEED nicht Frauen beim Anziehen zusieht, deswegen!“ Edeas Blick war streng, während sich Quistis mühsam ein Lachen verbeißen musste. „Das könnte böse Folgen für euch haben, wenn die Frau stärker ist als ihr. Marsch jetzt, Quistis kommt gleich nach!“
    Veshore beeilte sich tatsächlich, aus dem Zimmer hinauszukommen (Quistis entging auch sein ehrfurchtsvoller Blick in Edeas Richtung nicht), während Aniery sie trotzig anstarrte. Aber die ehemalige Hexe hatte mit Squall viel Erfahrung mit schwierigen Kindern sammeln können. Sie murmelte „Levitas!“ und der Junge keuchte auf einmal erschrocken, als er den Boden unter den Füßen verlor.
    „Mama! Lass mich wieder runter! Ich geh auch aus dem Zimmer raus, versprochen!“, rief er.
    „Gut. Anti-Z!“
    Er landete unsicher wieder auf seinen Beinen. Kaum war er wieder gelandet, rannte er auch schon aus dem Zimmer. Er bemerkte das glückliche Lächeln Edeas nicht, nur ihre drohend ausgestreckten Finger, die in seine Richtung wiesen.
    „Ein guter Junge“, sagte sie an Quistis gewandt. „Ein bisschen übermütig, aber liebenswert.“
    „Genau wie Squall“, bemerkte diese und schlug die Decke zurück.
    „Ja, genau wie Squall“, bestätigte die Hexe. „Lass dir nicht zuviel Zeit. Ich habe nach Esthar geschickt, sie kommen heute Mittag mit einem Fahrzeug und holen uns ab.“ Sie schloss die Tür und ihre Schritte entfernten sich.
    Quistis zog wie meistens ihre orange Kampfkleidung an, die schwarzen Stiefel und die bis zur Schulter reichenden Armschützer. Sie zögerte kurz, als sie an ihre Peitsche dachte und entschloss sich, sie auch mitzunehmen. Heute war es ohnehin schon egal. Es war ein seltsames Gefühl, die Waffe wieder zu tragen, aber nicht unangenehm. Sie hatte es vermisst, auch wenn es besser gewesen war, den Kindern nicht gleich die Wahrheit zu sagen.
    Als sie die Tür öffnete, sprangen einige der kleinen Rangen vom Tisch auf und rannten auf sie zu, was Edea zu einem Wutschrei veranlasste. Die meisten hatten noch gar nicht fertig gegessen und an vielen Mündern konnte man die Speisenfolge noch ablesen, was sie aber nicht hinderte, sich an Quistis festzuhalten und sie mit Fragen zu bestürmen.
    „Ist es wahr, Tante Quistie?“
    „Ist das deine Peitsche? Darf ich sie mal halten?“
    „Nein, ich hab zuerst gefragt! Ich will sie zuerst!“
    „Warum hast du uns das nicht gesagt?“
    „Zeigst du uns mal, wie du kämpfst, Tante?“
    „Seid doch mal ruhig, ihr kleinen Quälgeister!“, verlangte Quistis lachend. „Ich verstehe ja kein Wort. Hat euch Eclisa nicht gesagt, warum ich euch nichts davon erzählt habe?“
    „Weil du lieber unsere Freundin sein wolltest!“, verkündete Eclisa stolz. Sie kam sich sehr wichtig vor, das sah man.
    „Genau. Na gut, ihr dürft die „Königinnenwache“ alle mal anfassen, aber seid vorsichtig damit. Das ist kein Spielzeug, sondern eine gefährliche Waffe!“
    Ehrfurchtsvoll nahm eins der Mädchen die Peitsche in die Hand. Sie war offensichtlich etwas schwer für sie, aber sie bemühte sich tapfer, die Waffe zu halten. Ein anderes Mädchen betrachtete bewundernd die Muster auf der Oberfläche und einer der Jungen versuchte, den Griff zu erhalten. Als alle genug Zeit gehabt hatten, sie zu studieren, nahm Quistis sie ihnen wieder aus der Hand. Sie konnte es nicht lassen, ein bisschen anzugeben und schwang sie leicht über den Kopf, bevor sie sie zusammenfaltete und an ihrem Gürtel befestigte.
    „Schluss damit! Habt ihr überhaupt schon zu Ende gegessen?“, fragte sie streng. „Dass ich da bin, heißt nicht, dass Mama heute alles allein essen und wegtragen muss.“
    So folgsam wie noch nie setzten sich daraufhin alle an den Tisch und begannen zu essen. Quistis war dieser Gehorsam etwas unheimlich und sie befahl sich im Stillen, ihre neugewonnene Autorität nicht auszunützen. Sie wollte keine treuen Fans, sondern liebende Freunde. Sie setzte sich und aß ebenfalls, obwohl sie keinen großen Hunger verspürte. Wer wusste schon, ob alle Kinder sie so wie Eclisa als große Schwester akzeptieren würden, jetzt, nachdem sie alles wussten?
    „So, Kinder“, verkündete Edea schließlich, nachdem alle fertig gegessen hatte. Sofort drehten sich alle Köpfe zu ihr um. „Heute werdet ihr einmal nicht am Strand spielen können. Kein Murren jetzt, hört mir erst einmal zu: Wir werden heute alle nach Esthar fahren, weil Quistis und ich dort jemanden besuchen müssen.“
    „Nach Esthar?“
    „Wen müsst ihr denn besuchen?“
    „Präsident Laguna Loire“, erklärte Quistis. „Er war schon einmal da, um mit euch zu plaudern, wisst ihr noch?“
    „War das der witzige Mann mit der komischen Frisur?“
    Quistis konnte sich gerade noch beherrschen und schaffte es, nicht laut herauszuplatzen. So hatte in der Tat noch niemand Laguna beschrieben, auch wenn es zutraf. „Ja, genau der“, bestätigte sie. „Aber lass ihn das lieber nicht hören.“
    „Ist das nicht der Vater von deinem Freund Squall?“
    „Ja, wir glauben, dass er Squalls Vater ist“, gab Quistis zu. „Und wir nennen ihn auch so. Aber wir wissen es nicht ganz sicher.“
    „Sind die SEEDs auch bei ihm?“
    „Das weiß ich nicht“, meinte Quistis schulterzuckend.
    „Du musst sie uns unbedingt vorstellen, Tante Quistie!“, verlangte Tinill.
    Darauf konnte die junge Frau momentan nicht antworten. Sie wusste, dass die Kinder ein Ja verlangten, aber sie war sich ja noch nicht einmal sicher, ob sie den anderen schon ins Gesicht sehen konnte. Zum Glück sprang Edea für sie ein.
    „Das werden wir sehen, wenn wir da sind“, bestimmte sie. „Jetzt räumt einmal den Tisch ab und zieht euch warm an für den Ausflug. Wir werden abgeholt, und der Fahrtwind ist ziemlich kalt. Wir treffen uns in einer halben Stunde wieder hier.“
    Während die Kinder mit Feuereifer damit begannen, das Geschirr in die Küche zurück zu tragen, kam Edea auf Quistis zu und beugte sich über sie. „Mach dir nicht zu viele Sorgen“, flüsterte sie. „Es wird schon alles gut gehen, du wirst sehen.“
    „Ja, wahrscheinlich“, murmelte Quistis und stand auf. Sie ging in die Küche und begann mit dem Abwasch, um sich abzulenken. Der Besuch in Esthar verursachte bei ihr viel mehr Herzklopfen als der Kampf gestern. Mama hat Recht, dachte sie, ich darf mich nicht so sehr verkrampfen, wenn ich an die anderen denke. Aber Denken und Fühlen waren zwei verschiedene Dinge.
    In Gedanken stieß sie mit einer Tasse an den Rand des Tisches. Sie entglitt ihren Fingern und zersplitterte am Boden. Leise fluchend bückte sie sich danach, aber kleine Hände kamen ihr zuvor.
    „Ich räum die Scherben weg, Tante Quistie“, erbot sich Tinill. „Deine Hände zittern. Du würdest dich schneiden.“
    „Danke“, erwiderte die Kämpferin unsicher lächelnd.
    „Wieso zitterst du, Tante?“, wollte das Mädchen wissen. „Hast du Angst vor den Monstern?“
    „Nein.“
    „Wovor denn dann?“
    Quistis zögerte ein wenig. Konnte ein zehnjähriges Mädchen überhaupt verstehen, was sie fürchtete? Aber die großen Augen, die sie fragend anblickten, lockten die Worte förmlich aus ihr heraus.
    „Weißt du, ich bin ein bisschen nervös wegen Squall und den anderen“, gab sie zu. „Ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen und weiß nicht,... ob sie mich jetzt noch mögen. Vielleicht wollen sie nichts mehr mit mir zu tun haben.“
    „Wenn sie deine Freunde sind, werden sie dich mögen“, verkündete Tinill bestimmt.
    „Und wenn nicht“, schaltete sich Aniery, der das Gespräch mitgehört hatte, ein, „dann wird Mama sie auch verzaubern, bis sie dich wieder mögen!“
    „Du musst keine Angst haben, Tante Quistie“, erklärte ihr schließlich Eclisa. „Ich bin immer deine Freundin, und wenn Squall und die anderen dich nicht mehr mögen, dann mag ich sie auch nicht mehr!“
    „Genau!“
    „Wenn Squall dich nicht mehr mag, dann kämpfe ich gegen ihn!“
    „Du weißt ja noch nicht mal, wie du das Schwert halten musst, Veshore!“
    „Hört auf, hört auf“, bat Quistis. Tränen rannen ihr aus den Augen, aber sie machte keine Anstalt, sie wegzuwischen. „Ich habe keine Angst mehr vor Esthar, wirklich nicht.“ Das stimmte tatsächlich. Das Glücksgefühl, das sie momentan empfand, hatte alle Nervosität weggespült. „Ich finde es schön, dass ihr noch immer meine Freunde seid.“ Sie umarmte Eclisa und Veshore, die ihr am nächsten standen. Dann erinnerte sie sich erst wieder an ihre Aufgabe, stand rasch auf und wischte die Tränen weg.
    „Und jetzt etwas schneller, ihr kleinen Rotzlöffel!“, befahl sie und blickte die Kinder mit ihrem besten Ausbilderblick an. „Wenn wir heute noch nach Esthar kommen wollen, müssen wir bald fertig sein!“

  17. #17
    „Rinoa, du weißt, dass der Direktor es nicht aussprechen wollte.“
    „Und du weißt, dass er damit Recht hatte“, entgegnete das schwarzhaarige Mädchen heftig und riss sich aus den stützenden Händen des Schulsprechers frei. „Wir sind eine Gefahr für alle, die um uns herum sind.“
    „Rinoa, bitte beruhige dich. Ich gebe zu, dass das jetzt zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt passiert ist, aber...“
    „Ungünstigster Zeitpunkt?“ Die junge Hexe lachte gequält auf. „Jedes Mal, wenn wir uns nähergekommen sind, ist irgendetwas dazwischengekommen! Erst Artemisia, die wir besiegen mussten, dann der Monsterbeschwörer, der Esthar vernichten wollte und jetzt, so kurz vor unserer Hochzeit, das! Es scheint so, als hätte der Himmel beschlossen, dass wir niemals Frieden finden sollen...“
    Weiter konnte sie nicht sprechen, als Squall hart ihren Arm packte und sie fest an sich heranzog. Sie schrie auf und sah ihn verstört an. Sein Blick war eisig, härter als seine Gunblade. Im ersten Moment fürchtete sie sich vor ihm.
    „Wenn du noch ein Wort in diese Richtung sagst, gebe ich dir eine Ohrfeige!“, drohte er. „Schön, unser Leben war sehr ereignisreich. Und wir haben einen Beruf, in dem man auf Überraschungen trifft. Aber nach jeder bösen Überraschung sind wir uns näher gekommen. Haben wir uns nicht nach Artemisia zum ersten Mal geküsst? Leben wir nicht seit dem Kampf mit Feyjar Trepe zusammen?“ Er machte eine Pause, in der er seinen Griff lockerte, sodass er nicht mehr schmerzte, aber noch immer fest genug war, um sie hier zu halten, bis er fertig war. Sein Blick wurde weicher, und Rinoa sah jetzt erst, dass auch in seinem Schmerz lag.
    „Glaubst du, ich fühle mich gut, weil das ausgerechnet jetzt passiert ist?“, fragte er leise. „Bei dem Gedanken, unsere Hochzeit verschieben zu müssen, möchte ich am liebsten losschreien und die nächstbeste Wand einschlagen. Aber ich schwöre dir, und wenn ich gegen Hyne persönlich antreten muss: Ich werde dich zur Frau nehmen, Rinoa! Und nichts auf der Welt, kein Monster, keine seltsamen Kräfte oder sogar dein Vater, kann mich davon abhalten!“
    Rinoa hatte dem ungewohnten Wortschwall sprachlos gelauscht. Impulsiv schmiegte sie sich an Squalls Brust und drückte sich so fest an ihn, wie sie nur konnte. Der Junge war selbst etwas überrascht über seinen Wutausbruch, aber er ließ sich nichts anmerken und legte ebenfalls seine Arme um seine geliebte Hexe. Sein Kinn lag auf ihrem Kopf und seine Hand strich behutsam über ihren Rücken.
    „Squall“, flüsterte Rinoa nach einer Weile. „Du hast Recht, ich darf mich nicht so gehen lassen. Wir werden zu Professor Odyne fliegen, und er wird wissen, was in diesem Fall zu tun ist. Dann werden wir diesen blöden Fall mit der Forschungsinsel den anderen überlassen und uns nur noch auf die Heirat konzentrieren. Und wenn uns jemand dreinreden will, dann nehmen wir die Ragnarok, ernennen einen unserer Freunde zum Captain und lassen uns von ihm trauen!“
    „Na eben“, meinte Squall. „Jetzt bist du endlich wieder die dickköpfige, sture Rebellin, die aus meiner freundlosen Existenz ein Leben gemacht hat.“
    Rinoa lächelte ihn glücklich an, zog seinen Kopf herunter und küsste ihn sanft auf den Mund. Der Kuss war nicht so fordernd wie sonst meistens, aber Squall war mehr als bereit, sämtliche Küsse der Welt mit diesem Mädchen durchzuprobieren. Als sie sich schließlich voneinander lösten, grinste er kurz.
    „Wenn ein paar Worte solchen Lohn einbringen, sollte ich vielleicht ab jetzt mehr reden.“
    „Und ich sollte mir vielleicht angewöhnen, nachzudenken, bevor ich mich in eine meiner Launen hineinsteigere, mein grüblerischer, mutiger Ritter“, bemerkte Rinoa. Sie gab ihm noch einen kurzen Kuss, der jedoch nicht weniger zärtlich war wie der vorige und löste sich von ihm. Von irgendwoher hatte sie plötzlich wieder eine spitzbübische Miene hervorgezaubert.
    „Also, fliegen wir jetzt nach Esthar? Ich möchte so bald wie möglich Klarheit über diese blöde Kraft haben! Ich denke nicht daran, auch nur eine Sekunde unserer Hochzeitsfeier dafür zu opfern!“
    „Die Ragnarok steht schon bereit“, erklärte Squall und nahm sie bei der Hand. „Und Professor Odyne erwartet uns bereits.“
    „Worauf warten wir dann noch?“

    Cifer polierte gerade gelangweilt seine Gunblade, als sich die riesige Gestalt der GF schließlich wieder regte. Sofort sah er auf.
    „Das ist weit genug“, erklärte Condenos, der sich ihnen als GF zu erkennen gegeben hatte. „Wartet noch einen Augenblick.“
    Während die halb tierisch, halb menschlich anmutende Gestalt noch einige ihnen unbekannte Maschinen bediente, stand Rai-jin auf und sah kurz hinaus. „Wir haben irgendwo an einem Strand angelegt“, meldete er, als er zurückkam. „Ich schätze, dass es mal Centra ist, wie er gesagt hat, aber es kann natürlich auch woanders sein.“
    „Es ist Centra“, knurrte die GF, ohne von den Kontrollen aufzusehen. „Das ist der nächste wichtige Kontinent auf meiner Liste.“
    „Willst du alle Kontinente abklappern?“, fragte Cifer, immer noch polierend. Er gab sich ebenso desinteressiert wie ihr mysteriöser Gastgeber selbst.
    „Ja“, erwiderte dieser kurz abgebunden. Nach einigen weiteren Eingaben richtete er sich schließlich auf. „Fertig.“
    „Womit?“, wollte Fu-jin wissen.
    „Das behalte ich vorläufig für mich.“ Condenos drehte sich um und musterte die drei Kämpfer finster. Cifer stand langsam auf, schwang seine Gunblade probeweise durch die Luft und erwiderte den Blick kalt. Rai-jin und Fu-jin nahmen hinter ihm Aufstellung.
    „Sehen wir uns einmal die Fakten an.“ Die GF zeigte ein düsteres Lächeln. „Ich kann euch vermutlich nicht besiegen, da eure immense Stärke nicht von Zaubern herrührt, das heißt, ich kann euch nicht schwächen. Und alle drei zusammen seid ihr mir auf jeden Fall überlegen. Andererseits werdet ihr mich nicht töten.“
    „Warum sollten wir nicht?“ Cifer grinste und ließ seine Gunblade in der Hand hin- und herschwingen.
    „Weil ihr jemanden gesucht habt, als ihr die Forschungsinsel betreten habt. Jemanden, der euch bei etwas hilft, was ihr allein nicht schafft.“
    „Richtig“, gab Fu-jin zu. Ihr Wurfstern blieb allerdings drohend erhoben.
    „Gut. Da ihr ja im Vorteil seid, schlage ich vor, dass ihr mir erklärt, wobei ihr Hilfe braucht. Und nebenbei auch, wieso ihr so unnatürlich stark seid.“
    Als Rai-jin seinen Kampfstab fester packte, hielt Cifer ihn mit der Hand zurück und trat einen Schritt vor. „Na schön“, sagte er. „Einer muss ja anfangen, sonst sitzen wir in einem Jahr noch hier. Aber wenn ich mit dem Erklären fertig bin, erwarte ich deinerseits auch einige Antworten, denn wie schon gesagt:“ Sein Grinsen wuchs. „Wir sind stärker als du!“
    Condenos’ Miene blieb unbewegt, aber er machte mit seiner Pranke eine auffordernde Geste und forderte: „Beginnt!“
    Cifer begann zu reden, wobei er immer wieder von Rai-jin und Fu-jin ergänzt wurde. Er gab zunächst eine Zusammenfassung dessen wider, wie die Welt heute aussah. Dass einige wenige Menschen die Kräfte der GF nutzten, um wirksam gegen die Monster des Planeten und gefährliche Menschen vorgehen zu können. Dass diese SEEDs mächtig genug waren, um Hexen wie Artemisia und Monster wie Ultima Weapon zu besiegen. Und dass der Rest der Menschheit statt dessen auf normale Magie und hochtechnische Waffen angewiesen war, die jedoch nichts gegen die Kräfte der SEEDs waren.
    Dann schilderte er, wie Squall und seine Freunde immer mehr GF und immer stärkere Zauber gesammelt hatten, um gegen Artemisia vorgehen zu können. Dass er, Cifer, zusammen mit Fu-jin und Rai-jin der Hexe gedient hatten und von ihr gewaltige Kräfte verliehen bekamen. Des weiteren erzählte er, dass sie dennoch wieder und wieder von den SEEDs geschlagen wurden, weil diese dank der Kopplungen und Fähigkeiten der GF zu stark geworden waren.
    Zähneknirschend berichtete er, wie er nach dem Ende von Artemisia dem Monsterbeschwörer seine Hilfe anbot. Dass der Mann ihn hintergangen hatte und dass sie schließlich zusammen mit den SEEDs gegen eine tausendfache Übermacht von Monstern angetreten waren. Und dass sie nur durch ihre geballten Kräfte die gesamte Monsterhorde vom Antlitz dieser Erde gefegt hatten.
    Condenos sah sehr nachdenklich aus, als Cifer geendet hatte, allerdings war seiner Miene immer noch nichts zu entnehmen, ob diese Nachrichten gut oder schlecht für ihn waren. „Wenn ich recht verstehe“, ergänzte er schließlich, „wollt ihr, dass ich euch dabei helfe, diese SEEDs zu töten, ist das richtig?“
    „Nicht ganz“, verneinte Cifer. Er überkreuzte die Arme. „Alles, was ich will, ist, dass Squall Leonhart mir einen fairen Kampf liefert. Meinetwegen mit GF, aber ohne seine Kopplungen, die ihn derart mächtig machen. Ich will, dass jeder sieht, dass der große Held ohne seine Zauberkopplungen ein Nichts ist. Ich will ihn besiegen und damit alle Demütigungen rächen!“
    „Ah ja, ich habe begriffen.“ Als Condenos lächelte, funkelte sein Raubtiergebiss im Schein der Lichtsäule. „Wenn das alles ist, was ihr von mir wollt, dann sollten wir keine Schwierigkeiten bekommen. Da sich die SEEDs mir vermutlich entgegenstellen werden, ist es natürlich auch mein Ziel, sie zu schwächen und zu besiegen.“
    „Schön, das zu hören.“ Cifer nickte. „Aber jetzt beantworte DU uns doch einmal ein paar Fragen. Erstens: Warum sammelst du überall die Magie der Welt ein?“
    Die GF hob die Pranke und tätschelte die Außenhülle der Lichtsäule. „Weil ich eure Rasse zutiefst verabscheue“, gestand das Wesen unverblümt. „Als unsere Mutter Hyne...“
    „Hyne?“ Fu-jin riss die Augen auf.
    Condenos funkelte sie an, sprach aber weiter. „Ja, Hyne, die ihr Menschen als Göttin verehrt. Sie war die Schöpferin der GF. Wir liebten und verehrten sie als unsere Mutter... bis sie uns befahl, den Menschen zu dienen und ihnen im Kampf gegen die Monster zu helfen.“ Er ballte vor Wut die Fäuste. „Meine Geschwister ordneten sich ihrem Wunsch unter. Alle, Eden, Leviathan, Shiva, Doomtrain, selbst Odin und der kleine Boko befolgten ihren Willen! Aber ich nicht. Mir war als einzigem von uns klar, dass wir in den Lauf der Natur eingriffen! Die Menschen waren schwach und wären bald von der Erde verschwunden, von stärkeren Gegnern ausgemerzt worden... aber Mutter ließ sich von ihren Bitten und Wehklagen rühren und schickte uns, um eurem Geschlecht beizustehen.“
    Ein furchterregendes Knurren kam aus der Kehle der GF und ihre Muskeln spannten sich. Die drei Kämpfer hoben ihre Waffen höher und machten sich auf einen Angriff gefasst, aber er kam nicht. Statt dessen gewann Condenos die Ruhe wieder zurück und sprach weiter.
    „Wie lange habe ich versucht, Hyne umzustimmen“, sinnierte er. „Sicher Jahrzehnte lang. Ich sprach auch mit meinen Brüdern und Schwestern, aber niemand hörte auf mich. Schließlich hatte ich genug, und ich versuchte, die Geschichte allein in Ordnung zu bringen. Ich sammelte in aller Heimlichkeit Zauber in aller Welt, mit denen ich schließlich den Kontinent Centra angriff, auf dem die Menschen damals wohnten.“
    Sein Blick wurde hellrot. „Ah, damals war ich wie ein Racheengel! Städte entflammten, Felder wurden verwüstet, fruchtbarer Boden in Steinwüste verwandelt! Mir war klar, dass ich dafür würde büßen müssen, aber ich hoffte, Mutter Hyne würde ihren Fehler einsehen, wenn die Menschheit erst ausgelöscht war und die Natur wieder ihren normalen Lauf nahm. Aber ich war zu langsam. Meine Geschwister fanden und bändigten mich in dem Moment, als ich die letzten Reste des Menschenvolkes gerade zur Küste jagte! Sie brachten mich zurück und Hyne verurteilte mich dazu, auf ewig in einer Höhle unter dem Meer gefangen zu sein, bewacht von einem unsagbar starken und wilden Monster und meiner eigenen Schwester, Eden!

  18. #18
    Ich lebte Jahrhunderte in diesem Gefängnis, während sich eure Rasse immer weiter ausbreitete und sich die Welt untertan machte. Erst vor etwa einem Jahr bemerkte ich plötzlich, dass Ultima Weapon getötet worden und Eden verschwunden war. Ich erforschte diese Insel, die irgendwelche Menschen einmal gebaut hatten und bemerkte, dass sie für mich wie geschaffen war... denn sie gab mir die Möglichkeit, eine schier unendliche Menge von Zaubern zu lagern und mich gleichzeitig unerkannt durch die Welt zu bewegen. Da ich Mutter nirgends mehr spüren konnte, dachte ich, es wäre ein Leichtes, die Menschen auszurotten. Bis diese SEEDs und dann ihr aufgetaucht seid.“
    „Du hast mal den gesamten Centra-Kontinent ausgerottet?“, fragte Rai-jin ungläubig. „Wieso bist du dann trotzdem schwächer als wir?“
    Die GF schnaubte. „Weil mir die Menschen damals nichts entgegenzusetzen hatten“, erklärte er. „Sie lebten in Steinhäusern und kannten nur Äxte und primitive Zauber. Sie waren keine echten Gegner. Außerdem war ich damals stärker... ich besaß Hunderte mächtiger Zauber, mit denen ich ihnen den Garaus machte!“
    „Okay, soviel zu deiner Geschichte“, meldete sich Cifer wieder zu Wort. „War sehr unterhaltsam, wirklich. Aber verrate uns doch jetzt mal, was du heute vorhast.“
    „Dasselbe wie früher“, behauptete Condenos. „Ich will, dass das natürliche Gleichgewicht wiederhergestellt wird! Ohne uns ist die Menschheit schwach. Die Natur duldet keine Fehler. Also werde ich ihr die Magie nehmen und den Rest den Monstern überlassen. Nur die Stärksten werden überleben!“
    „Und wir?“, wollte Fu-jin wissen.
    „Darüber habe ich bereits die ganze Zeit nachgedacht“, gestand die GF. „Ihr seid Menschen... allerdings seid ihr auch ohne Hilfe so stark, dass ihr allein überleben könnt. Meine Mission ist es, die Welt von den Schwachen zu befreien. Jeder Mensch, der aus eigener Kraft zu überleben vermag, soll auch überleben. Ich werde mich nicht einmischen. Die anderen werden aber sterben müssen, wenn sie den Behemoths, Drachen, Morbolen und Qualen dieser Welt nichts entgegenzusetzen haben.“
    „Du bist mal total durchgeknallt!“, behauptete Rai-jin. „Die Menschen haben inzwischen mächtige Waffen, die sie einsetzen können. Es werden sehr viele von uns überleben, auch ohne Magie!“
    Condenos zuckte mit den Schultern. „Wenn es tatsächlich so ist, werde ich es akzeptieren“, verkündete er. „Dann habt ihr euch euren Platz auf dieser Welt redlich verdient. Aber ich werde keine Einmischung in den natürlichen Lauf der Dinge dulden.“
    Cifer stützte sich auf seine Gunblade und überlegte. „Und dafür musst du die SEEDs aus dem Weg schaffen“, vermutete er. „Weil sie sich dir entgegenstellen werden. Und du wärst wahrscheinlich froh, wenn wir dir diese Sorge abnehmen würden.“
    „Richtig“, stimmte die GF zu. In ihrer Stimme schwang Anspannung mit, was darauf schließen ließ, dass sie auch die Möglichkeit in Betracht zog, dass Cifer ablehnte und sie angriff. Und das hieß ebenfalls, dass sie kein Besessener war wie dieser Trepe. Condenos war überzeugt von der Richtigkeit seines Tuns... aber er behielt einen klaren Kopf.
    „Wenn du mir Squall und seine Bande hierher bringst“, verkündete Cifer schließlich und richtete sich auf, „dann werden wir für dich mit ihnen kämpfen.“
    „Cifer!“, rief Fu-jin erschrocken.
    „Willst du wirklich mal mit dem gemeinsame Sache machen?“ Auch Rai-jin war fassungslos. „Er will die Menschen ausrotten!“
    „Ich will nur Squall!“, erwiderte Cifer eisig. „Wenn ich gegen ihn gekämpft und ihn besiegt habe, dann werde ich weitersehen... aber bis dahin bin ich auf seiner Seite, ja!“
    „Das klingt fair.“ Condenos nickte. „Aber ich versichere euch: Sollten sich die Menschen wirklich gegen die Monster erfolgreich verteidigen können, werde ich nie wieder versuchen, ihnen zu schaden. Ich werde dann zu meinen Artgenossen zurückkehren und wieder wie früher mit ihnen leben.“
    „Rai-jin! Fu-jin!“ Cifer hatte die Augen geschlossen. „Wenn ihr gehen wollt, dann geht. Ich halte euch nicht zurück und trage es euch nicht nach, was auch passiert. Vielleicht ist mein Wunsch, Squall zu besiegen, wirklich Besessenheit... aber ihr müsst eins bedenken: Selbst wenn alle Magie der Welt abgesaugt wird, hat die Menschheit starke Bastionen und mutige Kämpfer, um sich den Monstern entgegenzustellen. Denkt nur an die Gardens! Selbst ohne Zauber nehmen sie es mit vielen Monstern auf! Wenn ihr jetzt geht, dann wünsche ich euch viel Glück... aber ich beschwöre euch: Habt Vertrauen in die Menschen!“
    Das einsilbige Mädchen und der muskulöse Junge sahen sich lange an, aber dann steckten sie beinahe synchron ihre Waffen weg. Fu-jin sagte nichts, sondern sah Cifer nur ernst an, aber Rai-jin kratzte sich am Kopf und sagte: „Ich schätze mal, du hast Recht, Cifer“, meinte er. „Du bist unser bester Freund. Solange, bis wir Squall besiegt haben, bleiben wir mit dir hier. Aber danach werden wir mal selbst entscheiden, ob wir hier bleiben oder gehen!“
    Der blonde Gunblade-Kämpfer nickte. „Ich habe nichts anderes von euch erwartet. Danke, Rai-jin und Fu- jin.“ Er drehte den Kopf zu Condenos, der noch immer dastand und sie beobachtete und verengte die Augen. „Gut, dann zeig uns doch mal, wie du alle Magie der Welt hier hereinbringen willst!“, forderte er den Nicht-Menschen auf.
    Dieser grinste. „Das hat bereits begonnen“, entgegnete er, während er zur Lichtsäule trat. „Vorhin habe ich einige Monster losgeschickt, die ich dank dieser wundervollen Insel mit ihren Apparaten hier kontrolliere. Sie haben die Macht, alle Draw-Punkte der Insel zu leeren. Aber die Magie, die in den Lebewesen der Welt selbst steckt, kann mit diesem Wunderwerk der Technik gesammelt werden.“ Er deutete auf die Säule, die wieder zu pulsieren begann. „Diese ganze Insel ist ein einziges, riesiges Draw-System! Wenn ich es befehle, kann ich jeglichen Zauber, außer den in Draw-Punkten gespeicherten, mit Hilfe dieser Säule drawen und in ihr speichern. Vorher in Dollet habe ich die gesamte Magie der Umgebung abgesaugt, während meine Monster Verwirrung stifteten... und bei den anderen Kontinenten wird es nicht anders sein.“
    „Wirklich raffiniert“, murmelte Cifer, während er seinen Blick schweifen ließ. „Kannst du uns das mal demonstrieren?“
    „Natürlich.“ Condenos bleckte sein Reißzahngebiss. „Begebt euch hinaus und seht zu. Ich werde die Magie des gesamten Centra-Kontinents absaugen. Ihr seid die ersten und einzigen Menschen, die dieses Wunder zu Gesicht bekommen.“
    „Wir werden’s genießen. Kommt, ihr beiden! Sehen wir uns die Show an.“

    „Wo bleiben die denn so lange?“ Edea kickte ärgerlich einen Stein weg, der das Pech hatte, neben ihrem Schuh gelegen zu haben. „Man hat mir versichert, dass wir um elf Uhr hier abgeholt würden!“
    „Nur die Ruhe, Mama“, beruhigte Quistis sie. Die Kämpferin saß auf einem der Steine, die noch immer überall um das Waisenhaus verstreut lagen und entspannte sich. „Sie werden schon noch kommen. Laguna würde es nie wagen, die Ziehmutter seines eigenen Sohnes warten zu lassen.“
    „Fürchtet sich der Präsident von Esthar wirklich vor Mama?“, fragte eins der Kinder, die sich ebenfalls hingesetzt hatten.
    „Er sollte es jedenfalls“, antwortete Edea grimmig. „Denn wenn wir noch sehr lange hier warten müssen, wird er mich kennen lernen!“
    „Bist du stärker als der Präsident?“ Aniery interessierte sich in letzter Zeit anscheinend nur noch dafür, wie kampfstark Menschen waren.
    „Ich glaube nicht“, gab Edea zu. „So groß sind die wenigen Hexenkräfte, die ich noch besitze, nicht. Aber das weiß er ja nicht.“
    „Tante Quistie!“, sagte Tinill und zupfte am Kleid der jungen Frau. „Ist das da drüben das Fahrzeug, das uns abholt?“
    Quistis sah stirnrunzelnd in die Richtung. Der Staub, der gerade in Sichtweite war, kam aus der falschen Richtung, nämlich vom Strand Kap von Goodhope, die einzige Stelle des gesamten Kontinents, wo man mit einem Schiff anlegen konnte. Aber wer sollte das tun? Ihren Freunden aus Esthar standen schwebefähige Hovercrafts zur Verfügung und den SEEDs ohnehin die Ragnarok. Sie strengte ihre Augen an. Langsam konnte sie erkennen, wer sich von dort näherte...
    „Oh nein!“
    „Was ist denn, Tante?“, fragte Tinill beunruhigt. „Wer ist das?“
    „Das sind Monster! Ungefähr 10, schätze ich. Mama, du musst mit den Kindern wieder ins Haus zurück! Schnell!“
    „Sind es gefährliche Ungeheuer, Quistis?“
    „Nein, nicht für mich, glaube ich. Aber für euch auf jeden Fall!“
    „Können wir dir helfen, Tante?“, fragte Aniery aufgeregt. „Veshore hat sogar sein Schwert dabei. Damit können wir dir beistehen.“
    „Nein, das werdet ihr nicht“, fauchte Quistis ungewohnt schroff. Ihr lief die Zeit weg! „Geht rein und seht euch den Kampf durchs Fenster an! Hier draußen werdet ihr bestenfalls schwer verletzt, wenn nicht getötet!“
    „Aber kannst du allein so viele Monster töten?“, fragte Veshore zweifelnd. Der Kleine hielt bereits sein Spielzeugschwert in der Hand und war sich der Gefahr immer noch nicht bewusst.
    „Tante Quistie wird mit jedem Biest fertig!“, erwiderte Eclisa überzeugt. „Sie ist sehr stark. Wir müssen rein, Veshore, sonst wird sie böse auf uns.“
    Der Junge aus Esthar sah nicht ganz überzeugt aus, aber als ihm Edea die Hand auf die Schulter legte, gab er doch nach. „Viel Glück, Quistis. Und flieh, wenn sie zu stark sind, hörst du?“, empfahl die Hexe.
    „Sicher, Mama.“
    Die Waisenhaustür schloss sich. Es war auch höchste Zeit, denn die Monsteransammlung war inzwischen fast da. Sie konnte nun erkennen, um welche Gattungen es sich handelte: Drei Blitzer, vier Doppel-Hacker und ein Grande Arlo. Zu dritt kein Problem, da Monster ohnehin höchstens zu viert oder fünft angriffen, aber allein war das eine Herausforderung. Quistis knallte einmal mit der Peitsche, um sich wieder an das Gewicht der Waffe zu gewöhnen und wartete, bis die Horde sie erreicht hatte. Sie ging in Kampfstellung.
    „Na, kommt schon“, lockte sie. „Wer will der erste sein?“
    Die Bestien schienen einen Augenblick lang unentschlossen, dann trat knarrend ein Blitzer vor. Drei der Doppel-Hacker schwebten neben ihm und der Grande Arlo blieb hinter ihnen stehen, Quistis mit unmenschlichen Blicken musternd. Sie ließ sich davon nicht beeindrucken, und verfolgte lieber, wohin die anderen Monster verschwanden. Die beiden Blitzer hoben noch einmal drohend ihre Waffen, dann bewegten sie sich mit erstaunlicher Schnelligkeit Richtung Wüste davon. Quistis runzelte die Stirn. Was sollte das? In der Wüste gab es nichts, bis auf lediglich zwei Draw-Punkte und viele starke Monster. Der Doppel-Hacker jedoch wich zurück und flog direkt auf das Waisenhaus zu!
    Die SEED fluchte. Das war doch nicht möglich! Bis jetzt hatte es niemals ein Monster geschafft, in ein abgeschlossenes Gebäude zu gelangen! Nie, in den ganzen letzten hundert Jahren nicht! Was war hier nur los? Weiter kam sie mit ihren Überlegungen allerdings nicht, als sie vom Blitzga-Zauber eines Doppelhackers getroffen wurde. Kommentarlos nahm sie ihn zur Kenntnis und konterte derartig stark, dass das Monster zu Boden geschmettert wurde. Allerdings schwebte es wieder hoch, wenn auch vorsichtig.
    Der zweite Doppel-Hacker drehte sich nach dem Blitzer um und wirkte den selben Zauber auf das Blechmonster, welches nun aufgeladen war. Quistis schürzte ärgerlich die Lippen. Diese Truppe konnte ihr ungemütlich werden, wenn sie nicht bald etwas unternahm. Sie warf einen kurzen Blick zum Haus und stellte erleichtert fest, dass einige Kinder sie durch ein Fenster beobachteten. Gut, offenbar hatte Edea den Doppel-Hacker aufhalten können. Sie beschloss, die Anzahl der Monster etwas zu verringern. Auf Experimente wollte sie sich nicht einlassen.
    „Ultima!“

  19. #19
    Die gigantische Explosion nahm ihr für eine Sekunde die Sicht, aber nach ein wenig Blinzeln stellte sie mit Befriedigung fest, dass zwei der Doppel-Hacker sie nicht überlebt hatten. Damit waren die meisten Zauberer einmal ausgeschaltet. Aber der Grande Arlo hatte offenbar bemerkt, dass ihm und seinen Kumpels Gefahr drohte und wob seinen angeborenen „Schweigen“-Zauber. Wütend bemerkte Quistis, dass sich ihre Möglichkeiten zu kämpfen einschränkten. Als sie den Mund aufmachte, kam nur ein leises Flüstern heraus.
    Der Blitzer schien sie triumphierend anzugrinsen, als er vorsprang und ihr seine geladene Waffe entgegenhieb. Quistis funkelte ihn an und zahlte ihm die Unverschämtheit mittels Konter zurück. Der Blechmann klirrte, als er zusammenbrach.
    Nun waren nur noch der letzte Doppel-Hacker und der Grande Arlo übrig, beide schon angeschlagen. Nein, korrigierte sie sich, als das zweite Flugwesen wieder aus dem Haus herauskam. Wieso hatte Edea den Doppel-Hacker leben lassen? Aber sie verschob den Gedanken auf später und sprang vor. Sie schwang die Peitsche über dem Kopf und ließ sie dem Doppel-Hacker auf den Ko... das obere Ende krachen. Er taumelte kurz in der Luft und sackte dann tot zu Boden. Hätte Quistis momentan reden können, hätte sie dem Grande Arlo „Und nun zu uns beiden“ zugerufen, auch wenn es theatralisch war. Aber schließlich hatte sie ja auch Publikum, wie ihr einfiel. Sie lächelte.
    Das Wassermonster schien zu begreifen, dass Quistis ihm überlegen war, aber es gab dennoch nicht auf. Als es die junge Frau mittels Aqua-Zauber in die Luft hob und auf den Boden krachen ließ, waren vereinzelte Angstschreie aus dem Haus zu hören, aber Quistis stand sofort wieder auf und grinste. Der Wasserangriff hatte ihr nicht nur nichts ausgemacht, er hatte sie sogar geheilt. Als sie wieder zu handeln in der Lage war, gestatte sie sich rasch eine Mega-Pille und seufzte erleichtert auf, als sie ihre Sprache wiederfand. Der Grande Arlo wurde nun anscheinend wütend, denn er sprang sie an und versetzte ihr einen harten Schlag mit seinen Klauen. Quistis ließ sich davon nicht beeindrucken. Sie wartete seelenruhig auf ihren Zug und ließ das Monster noch ein letztes Mal ihre Peitsche kosten, bevor es starb und verschwand.
    Etwas außer Atem fuhr sich die SEED durchs blonde Haar und faltete die Peitsche zusammen. Dann hielt sie nach dem letzten hier verbliebenen Monster Ausschau, dem Doppel-Hacker. Sie konnte nur mit Mühe ihre Kinnlade vom Boden fernhalten, als sie sah, was der gerade tat. Das Monster, dem auch nur die elementarsten Kenntnisse vom Drawen fehlten, leerte gerade den Holy-Drawpunkt, der hier auf freiem Feld entstanden war! Danach blickte der Doppel-Hacker sich nach seinen Kollegen um und zischte, als er merkte, dass sie nicht mehr unter den Lebenden weilten. Aber statt sich auf Quistis zu stürzen, trat er den Rückzug zum Stand an!
    „He, du!“, schrie das blonde Mädchen. „Stop!“
    Der etwas unzuverlässige Zeit-Zauber tat zum Glück seine Wirkung und ließ das fliegende Biest erstarren. Quistis rannte los und holte ihre Peitsche wieder hervor, aber bevor sie es erreichen konnte, flog plötzlich etwas Großes und Langes an ihr vorbei und traf das wehrlose Monster. Die SEED drehte sich verwundert um, aber in dem Moment rasten schon zwei Gestalten an ihr vorbei. Die eine wirkte ziemlich massig und holte sich lediglich ihre Harpune zurück, mit der man locker auf Walfang hätte gehen können, die zweite, geschmeidigere ließ ihre Klingenwaffen an den Händen einige Male auf den Doppel-Hacker niedersausen, bis er tot zu Boden sank.
    „Kiros!“, rief Quistis überrascht aus. „Ward! Sollt IHR uns etwa abholen?“
    „Sicher.“ Kiros, der braunhäutige, schlaksige Mann grinste. „Wem, glaubst du, würde Laguna denn sonst solch hohen Besuch anvertrauen?“
    Ward bemühte sich nach Kräften, nicht Quistis oder seinen Freund anzusehen, was auf den Wahrheitsgrad dieser Meldung schließen ließ. Da er bei einem Gespräch ohnehin nicht viel beitragen konnte, seitdem ihm ein Klingenhieb den Kehlkopf verletzt hatte, verstaute er lieber wieder die Waffen in dem geräumigen Hovercraft, mit dem er und Kiros gelandet waren. Vermutlich war Quistis zu sehr mit dem Kampf beschäftigt gewesen, um sie zu hören.
    „Könnte es nicht viel eher sein, dass ihr euch aus dem Palast davonstehlen wolltet, weil euch Laguna schon wieder Arbeit aufhalsen will?“, fragte eine strenge Stimme hinter ihnen.
    Kiros blickte geschauspielert schuldbewusst drein. „Verzeihen Sie uns, Madame Kramer“, entschuldigte er sich bei Edea, die gerade mit den Kindern herauskam. „Aber Esthars Präsident ist ein furchtbarer Sklaventreiber geworden, seitdem er mit den Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt ist.“
    „Warum habt ihr nicht Mama geholt?“, fragte Aniery keck. Er war mit Tinill das einzige der Kinder, das sich nicht unmittelbar bei Edea oder Quistis aufhielt. Alle anderen blickten die beiden etwas wild aussehenden Gestalten ängstlich an. „Sie sagt, dass der Präsident Angst vor ihr hat.“
    „Das wollten wir ihm nun auch wieder nicht antun, nicht wahr, Ward?“ Der stumme Riese nickte verhalten grinsend. „Schließlich sind wir ja seine Freunde, jedenfalls solange er uns keine Arbeit aufbrummt.“
    „Wieso habt ihr so lange gebraucht, um hierher zu kommen?“, hakte Edea nach. Sie wirkte noch immer etwas verstimmt. Nun wurde auch Kiros ernst.
    „Tut uns Leid“, bekannte er. „Aber uns sind mitten auf dem Weg zwei Blitzer entgegengekommen, die uns angegriffen haben, obwohl wir im Auto saßen. Zum Glück hatten wir unsere Waffen dabei, ich bin mir nämlich nicht sicher, ob wir die Typen abhängen hätten können. Seltsam, oder?“
    „Ja, stimmt. Habt ihr gesehen, wie der Doppel-Hacker vorhin den Draw-Punkt geleert hat?“, fragte Quistis.
    Ward zuckte zusammen und Kiros war ihm einen schnellen Blick zu. „Nein, haben wir nicht. Aber wir dachten uns schon so was. Squall und Rinoa sind vorhin auch mit so einer ähnlichen Geschichte aufgetaucht. Sie haben sich nicht mal Zeit genommen, auf Ell zu warten, sondern sind gleich zu Odyne gerannt, wegen irgendeinem komischen Phänomen. Haben nur gesagt, dass sich diesmal Xell und die anderen um die Sache annehmen, nicht sie.“
    „Squall und Rinoa sind in Esthar?“, fragte Quistis etwas unsicher.
    „Klar. Wieso bist du eigentlich in letzter Zeit nie aufgetaucht? Ich bin sicher, die anderen...“
    „Lassen wir das Thema“, bemerkte Edea bestimmt, als sie merkte, dass Quistis unwohl war. „Wir sollten doch besser einsteigen, bevor noch mehr Monster kommen, nicht wahr?“
    Kiros sah nun wirklich schuldbewusst aus. „Äh, sicher. Steigt ein, Leute. In einer Stunde sind wir in Esthar, da können wir uns weiterlöchern. Ward, starte schon mal! Will einer von euch vorne sitzen?“
    Beinahe alle Kinder verloren bei diesem Angebot ihre Scheu vor den beiden Ex-Soldaten und drängelten sich in die vordere Seite des solarbetriebenen Gefährts. Nur Eclisa und ein Junge in Veshores Alter zogen es vor, bei Quistis und Edea im hinteren Teil des Fahrzeugs zu sitzen. Ward wartete seelenruhig ab, bis Kiros sich fluchend einen Platz zwischen den wuselnden Kindern gesucht hatte, dann glitt der Wagen immer schneller werdend über die Landschaft. Die Kleinen kreischten vor Freude, nur dem kleinen Jungen bei Edea schien es etwas zu schnell zu sein. Er und Eclisa waren noch nie in einem von Esthars futuristischen Gefährten unterwegs gewesen, deshalb war ihnen etwas unwohl. Edea legte dem Jungen mütterlich lächelnd ihre Hand über die Schultern und hielt ihn fest, bis er sich etwas entspannte. Zögernd machte Quistis dasselbe bei Eclisa.
    „Tante Quistie“, flüsterte die Kleine plötzlich. „Ist die Hexe in Esthar wirklich tot?“
    „Ja“, versicherte ihr diese. „Squall und wir anderen haben sie besiegt. Keine Sorge, Präsident Laguna ist bei weitem nicht so furchterregend wie sie.“
    Eclisa nickte. „Sind die beiden da wirklich seine Freunde?“, wollte sie wissen. Da sie im Trabia Garden vor seiner Zerstörung aufgewachsen war, wusste sie nicht viel über Esthar. „Sie sehen nicht aus wie Freunde eines Präsidenten.“
    Quistis kicherte kurz. „Sie waren früher mal Soldaten“, gestand sie dem Mädchen. „Dann kamen sie nach Esthar, um ein kleines Mädchen vor Adell zu retten. Dieses kleine Mädchen, Ellione, war früher wie ich und die anderen im Waisenhaus, als unsere große Schwester. Jedenfalls wurde Laguna zum Präsidenten gewählt, obwohl er eigentlich gar nicht wollte. Kiros, Ward und er waren eigentlich viel zu freiheitsliebend für einen solchen Job. Aber um die Leute in Esthar nicht zu enttäuschen, blieben sie dort.“
    „Also gibt es keine bösen Zauberer in Esthar?“
    „Nein.“ An diesem Punkt erinnerte sich Quistis an etwas. „Mama“, wandte sie sich an Edea. „Was hat der Doppel-Hacker eigentlich im Haus gemacht?“
    „Er hat meine Lampe kaputtgemacht!“, beklagte sich auf einmal der kleine Junge. „Jetzt strahlt sie kein Licht mehr ab.“
    „Deine Lampe?“, wiederholte Quistis verwirrt.
    „Der Vigra-Draw-Punkt im Keller, Quistis“, erklärte Edea. „Er benutzt ihn als Leselampe, und da wir den Punkt nicht brauchten, habe ich ihn gelassen. Das Monster hat alle Zauber gezogen und ist dann wieder abgehauen.“
    „So was Ähnliches hab ich mir schon gedacht“, brummte Quistis. „Die anderen SEEDs haben offenbar auch so etwas erlebt. Squall und Rinoa haben ja schon drüber gesprochen.“
    Edea lächelte plötzlich und fuhr Quistis mit einer Hand über die Wange. „Siehst du“, flüsterte sie. „Jetzt hast du einen offiziellen Grund, um mit ihnen zu reden. Jetzt brauchst du dich nicht mehr davor fürchten, Liebes.“
    „Mama...“
    „Ähem, ich störe ja nur ungern“, meldete sich Kiros plötzlich zu Wort. „Aber könntest du deine verzogenen Bälger nicht von Wards Harpune fernhalten, Frau Aufpasserin? Ich hab den Eindruck, sie wollen damit bei voller Fahrt Jagd auf Monster machen.“
    Grinsend stand Quistis auf, fuhr Eclisa noch einmal aufmunternd durchs Haar und ging nach vorne, um Ordnung zu schaffen. Das blieb wohl immer ihr überlassen. Und im nächsten Moment spürte sie das Ziehen. Bevor sie reagieren konnte, lösten sich ihre gekoppelten Zauber und flogen wie eine Wolke aus Licht Richtung Strand davon. Sie hörte nur noch die überraschten Aufschreie der Kinder, bevor sie der Schock einknicken und das Bewusstsein verlieren ließ.

    „Das sei eine noch nie da gewesene Situation, oder?“ Dieser unverkennbare Satzbau stammte von Professor Odyne, der gerade wie verrückt auf eine Computertastatur einhieb. Die Begeisterung des Forschers schien ihn wie schon so oft völlig gepackt zu haben. „Das werde eine Pioniertat auf dem Felde der Magie-Wissenschaft, oder?“
    „Professor“, bemühte sich Squall den Mann am Boden zu halten. „Wenn ich Sie darauf hinweisen darf, Rinoa und ich wollen in Kürze heiraten. Wir haben nicht sehr viel Zeit, um herauszufinden, was mit uns geschieht.“
    „Natürlich, natürlich.“ Der kleine Mann riss sich sichtlich zusammen. „Ich denke, ihr beide solltet vorführen, wie die Verschmelzung geschehen ist, oder?“
    „Sofort“, antwortete Rinoa sarkastisch. „Haben Sie zufällig einen Rubrum-Drachen im Haus? Oder einen Klon von Ultima Weapon?“
    „Durchaus nicht“, wehrte der geschäftige Wissenschaftler ab und bediente einige weitere Kontrollen. Squall hatte, obwohl er wohl mit seinen Freunden die meiste Kampferfahrung auf dieser Welt hatte, keinen blassen Schimmer, was der Professor vorhatte, um Rinoa und ihn in den Limit-Status zu versetzen. „Ich bitte euch, mir zu folgen, oder?“
    Die drei durchquerten den Vorraum des riesigen Magie-Forschungszentrums und gelangten in eine nicht ganz so große Kammer, die Squall verdächtig an das Hexen-Mausoleum außerhalb von Esthar erinnerte. Überall standen technische Geräte und in der Mitte des Raumes war eine Vorrichtung, die so ähnlich aussah wie die, in die Adell gebannt worden war und die ihn auch beinahe Rinoa gekostet hätte. Allerdings war sie etwas größer und schien sehr viel stabiler zu sein. Auch Rinoa war sichtlich nicht wohl bei diesem Anblick. Sie fasste nach Squalls Arm.
    „Was soll das, Professor?“, fragte sie argwöhnisch. „Wollen Sie mich etwa versiegeln und Squall so dazu bringen, seine Kräfte hier einzusetzen?“

  20. #20
    „Das sei Unsinn“, erwiderte Odyne. „Dies sei früher wirklich das Versuchsszenario einer Hexen- Versieglungsanlage gewesen, aber ich habe sie umgebaut. Ich kann hier in der Mitte des Raumes ein starkes Kraftfeld erzeugen, oder? Wenn ihr euch diesem Feld aussetzt, eure Körper werden vermuten, sie seien starken Magien oder Druck ausgesetzt, oder?“
    „Und Sie glauben, dass dadurch unsere Spezialtechniken verfügbar werden?“, erkundigte sich Squall. Er fühlte sich äußerst unwohl bei dem Gedanken, in diese Höllenmaschinerie zu steigen. „Aber was ist, wenn das nicht passiert?“
    „Oder wenn wir hier einfach nicht... verschmelzen?“, fragte Rinoa.
    „Es keine andere Möglichkeit gibt, um Daten zu bekommen, oder?“ Der Professor machte eine einladende Geste. „Nur hier wir können erforschen, was mit euch geschieht, oder?“
    „Wenn Sie meinen“, stimmte Squall skeptisch zu. „Aber wenn es lebensgefährlich wird, drehen Sie das Ding sofort ab, verstanden?“
    „So sei es. Bitte steigt nun in die Mitte des Raumes, oder? Ich dann baue auf das Kraftfeld.“
    „Los, Squall“, sagte Rinoa mit rauer Stimme. „Bringen wir das hinter uns.“
    Sie balancierten zwischen den hochempfindlichen Apparaten hindurch, bis sie die Plattform erreichten und stiegen hinauf. Squall war nervös. Einen Kampf unter freiem Himmel, Gegner, die er sehen konnte, dagegen hatte er nichts. Aber das hier. Auch Rinoa war zappelig. Dauernd strich sie ihr Haar zurück.
    „Ich nehme an, wir müssen unsere Waffen dabei haben“, vermutete er und ließ seine Löwenherz in der Hand erscheinen. Das vertraute Gefühl in der Hand beruhigte ein wenig. Auch Rinoas Shooting Star saß gleich darauf an ihrem Arm, auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, dass sie ihre Waffe für dieses Experiment brauchte. Aber es musste so sein wie im letzten Kampf.
    „Squall... ich habe Angst“, gestand Rinoa. „Das alles hier sieht genau so aus wie das Mausoleum, obwohl ich weiß, dass ich hier nicht versiegelt werde. Aber trotzdem...“
    „Ganz ruhig“, murmelte er, während er zum Eingang sah. Wieso dauerte das so lange? „Denk an unsere Hochzeit, Rinoa. Fass die Ringe an.“
    Das Mädchen atmete tief durch und ballte ihre Faust um die beiden Verlobungsringe. Squalls Ring, den sie sich hatte nachbilden lassen, um einen Teil von ihm immer bei sich zu haben.
    „Ihr seid fertig?“, rief Professor Odyne plötzlich über Lautsprecher. „Dann wir beginnen, oder? Gravitation 2... 3...“
    Squall keuchte, als sich sein Brustkorb zusammenquetschte. Die viel stärkere Schwerkraft, die von überall auf ihn einwirkte, presste ihm die Luft aus dem Körper und ließ seine Muskeln schmerzen. Obwohl er schwankte, hielt er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht aufrecht, die Löwenherz vor sich gestreckt. Kein Laut, dachte er. Wenn Rinoa stark sein soll, muss ich ein starkes Vorbild sein. Auch von dem Mädchen war nur ein leises Stöhnen zu hören, als ihre Muskeln überanstrengt wurden.
    „4... 5...“
    Squall wollte schreien, aber er konnte es nicht. Sein Blick verschleierte sich. Die ungeheuren Kräfte zerrten an ihm wie an einer Marionette, die an Millionen Fäden hing. Er spürte, wie sein Leben immer schneller von ihm fortfloss, aus ihm gequetscht vom Gewicht mindestens eines Berges. Stop!, dachte er in wilder Verzweiflung. Stop! Neben ihm konnte er kurze Schluchzlaute von Rinoa hören.
    „6...“
    Kalte Wut stieg in ihm auf. Odyne musste sie doch verdammt noch mal sehen! Sie starben, wenn er die Schwerkraft noch mehr erhöhte! Seine Lebenskraft sank in den kritischen Bereich und dieser Wahnsinnige machte immer noch weiter. Squall spürte, wie der Zorn die Energien freisetzte, die seine Spezialtechniken benötigten. Gelbe Lichtblitze zuckten auf und plötzlich schien der unglaubliche Druck zumindest erträglich. Nicht weg, aber erträglich. Er wollte gerade losstürmen, um irgendeine Maschine zu zerstören, als er Rinoas Schmerzenslaut hörte. Er war kaum lauter als ein Vogeltrillern.
    Seine Freundin, seine Hexe, seine Geliebte hing nur noch in der Luft, weil die Schwerkraft von überall her gleich stark einwirkte. Unerträglicher Kummer und unauslöschlicher Zorn stritten sich um seine Seele, als er den besiegten Ausdruck in ihrem Gesicht wahrnahm. Sie hatte den Kräften nicht trotzen können. Sie war am Ende.
    „Rinoa!“, schrie er mit vollem Kraftaufwand. Er konnte nicht zu ihr gelangen, so viel Kraft hatte er nicht, nur ansehen konnte er sie. Darum bemerkte er den Lichtfaden, der sich von seiner Gunblade in ihre Richtung bewegte, erst in dem Moment, da Angel auftauchte. Rinoas Hündin schien von der Schwerkraft auch nicht sonderlich beeinflusst zu sein. Sie blickte Squall mit einem undeutbaren Blick an, nahm den Faden ins Maul und berührte Rinoas Körper damit.
    Im selben Augenblick wallte ein gelber Flammenring um das Mädchen auf, als es sein Limit erreichte. Rinoa stand auf und gab Angel einen Befehl. Diese stellte sich an Squalls Seite und sah ihn eindringlich an. Dann lief sie los. Und Squall folgte ihr. Wie eine Sternschnuppe krachte Angel in eine der riesigen und massiven Maschinen. Squall verpasste dem eingedellten Ding einige gewaltige Hiebe seines Limits, bis Angel zurückkam. Wieder und wieder rammte sie die vollkommen demolierte Maschine, während Squall zwischendurch mit der Gunblade darauf einschlug. Als die Hündin das letzte Mal hindurchgerast war, wodurch wieder einige Metallteile davonflogen, rannte Squall noch einmal auf den verbliebenen Rest zu und vollführte seinen „Grobspalter“, der das Ding endgültig explodieren ließ.
    Als Squall auf seinen Platz zurückkehrte, verschwand Angel gerade wieder und die Strahlenkränze um Rinoa und ihn erloschen. Eine Sekunde lang verspürte er wieder den unglaublichen Druck der 6-fachen Schwerkraft. Wäre seine Körper-Kopplung nicht so hoch, hätte es ihn schon längst zerquetscht.
    „Schwerkraft 1, oder?“, erklang Odynes Stimme wieder. Als der Wissenschaftler kurze Zeit später selbst im Raum erschien, war er völlig außer Atem und aus dem Häuschen. „Fantastisch“, japste er, während er sich einen Weg durch die Metallteile bahnte, die überall herumlagen. „Absolut unglaublich sei das! Ihr habt alle meine Erwartungen übertroffen, oder?“
    Er flößte Squall etwas ein, das wohl ein Elixier sein musste, denn die Kräfte des Jungen regenerierten sich wieder völlig. Auch Rinoa ließ ein erleichtertes Seufzen ertönen, stand aber noch nicht auf. Sie war erschöpft.
    „Sind Sie wahnsinnig, Mann?“, fuhr Squall den Wissenschaftler an, während er sich in die Höhe arbeitete. Seine Lebenskraft war wieder da, aber den Muskelkater würde er vermutlich übermorgen auch noch spüren, auch wenn er nun wieder erträglich war. „Sie hätten uns beinahe mit diesem Apparat umgebracht! Glauben Sie nicht, dass wir das hier noch einmal machen!“
    „Das sei auch nicht mehr möglich“, bemerkte Odyne. „Die Maschine, die ihr zerstört habt, war eines der Kontrollorgane, oder? Ohne sie ist ein weiterer Versuch nicht mehr möglich. Aber alle nötigen Daten haben wir, oder?“
    „Schön für Sie“, stieß Rinoa hervor. „War’s wenigstens spannend, uns beim Sterben zuzusehen? Hat es was genützt?“
    „Durchaus, durchaus“, antwortete der Wissenschaftler, ohne auf Rinoas Zynismus einzugehen. „Folgt mir bitte wieder in die Vorhalle, oder?“
    Squall stand auf. Er zuckte kurz zusammen, als seine Beine zu schmerzen begannen, aber er hielt sich aufrecht. Er bot Rinoa seine Hand an und verzog keine Miene, als ihm wegen ihres Gewichts beim Aufhelfen sein Rücken anfühlte, als würde er fast auseinandergerissen. Die beiden stützten sich gegenseitig in den Vorraum hinein, wo sie sich hinsetzten.
    „Mir ging’s nicht mehr so schlecht, seit Papa mir mit 7 Jahren so heftig den Hintern versohlt hat, dass ich den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr sitzen konnte“, gestand Rinoa. Wenigstens kam ihr Sinn für Unterhaltung wieder zurück.
    „Erinnere mich daran, ihn zum Duell zu fordern, sobald es mir wieder besser geht“, entgegnete Squall und massierte seine Armmuskulatur.
    „Hattest du auch schon mal solche Schmerzen?“
    „Ja, einmal“, gab er zu. Er sah sie an. „Als du leblos im Garden lagst und ich nichts tun konnte, um dir zu helfen.“
    „Squall, du musst mir nicht beweisen, dass du mich liebst“, meinte Rinoa gequält lächelnd. „Das weiß ich auch so. Wenn ich könnte, würde ich dich jetzt küssen, aber ich glaube, ich würde mir die Zunge vor Schmerz abbeißen.“
    „Aber es stimmt trotzdem“, beharrte er.
    Bevor Rinoa noch etwas erwidern konnte, kam Professor Odyne zu ihnen herüber. „Das sei erstaunlich“, fing er an, als er sich zu ihnen setzte. Er blickte auf einen Computerausdruck. „Die Messungen und das Auftauchen der Hündin besagen, dass die Hexenkraft dieser jungen Dame absolut nichts mit dem Phänomen zu tun hat, oder?“
    „Ist das jetzt gut oder schlecht?“, wollte Rinoa wissen.
    „Das sei nicht leicht zu beantworten.“ Der Wissenschaftler kratzte sich am Kopf. „Wenn Hexenmacht verantwortlich gewesen wäre, wir müssten versiegeln die junge Dame, wüssten aber die Ursache der Geschichte, oder?“ Er achtete nicht auf das empörte Keuchen von Rinoa und Squall. „Nun wir keinen Grund haben, sie zu versiegeln, aber nicht kennen die Ursache.“
    Squall zwang sich unter Kontrolle. „Wissen Sie denn wenigstens, was überhaupt passiert ist, von der Ursache mal abgesehen?“
    „Nun, es sei wie Verbindung eurer beiden Kampfkräfte zu einem neuen Ganzen“, erklärte Odyne, nun wieder eifrig bei der Sache. „Wenn ihr seid nahe beieinander und einer von euch Limitzustand erreicht, seine Kampfkraft fließt zum anderen und verschmilzt mit dessen Kraft. Die neue Kraft dann kann genutzt werden für einen Angriff, der die Kraft beider Spezialtechniken beinhaltet, oder? Das verständlich war, oder?“
    „Wollen Sie damit sagen, dass jedes Mal, wenn einer von uns seine Spezialtechnik anwendet, der andere seine Kraft spendet, um den Angriff noch zu verstärken?“ Rinoa sah ihn ungläubig an. „Das klingt aber ziemlich fantastisch.“
    „Meine Ergebnisse lassen aber keinen anderen Schluss zu, oder?“
    „Und ist diese... gebündelte Kraft nun auch im normalen Leben gefährlich?“, drängte Squall zum Wesentlichen.
    Der Professor schüttelte den Kopf. „Nein, ich sei mir ziemlich sicher, nicht. Aber solange wir nicht kennen die Ursache, wir können nie völlig sicher sein, oder?“
    „Also sind wir im Grunde auch nicht weitergekommen“, folgerte Rinoa frustriert. „Wir haben uns umsonst fast umbringen lassen.“
    „Bitte, Professor“, bat Squall. „Gibt es denn nichts, was Sie tun können, um zu beweisen, dass diese vereinte Kraft ungefährlich für andere Menschen in unserer Nähe ist?”
    „Nicht, leider.“ Der Professor dachte konzentriert nach. „Ich kann mich nur erinnern an etwas, das ich einmal gelesen habe, oder?“
    Rinoa wurde hellhörig. „Und was?“
    Odyne lachte verlegen. „Es sei nur eine alte Legende“, wehrte er ab.
    „Heraus damit!“ Rinoa sah ihn gefährlich an.
    „Aber es sei nicht bewiesen! Es sei nur ein Mythos, ein Hirngespinst unterentwickelter...“
    „Erzählen Sie, Professor“, warnte ihn Rinoa. „Sofort!“
    „Na schön“, seufzte Odyne und schloss kurz die Augen. „Es heißt, vor langer Zeit, als die Göttin Hyne kam zur Erde, sie fand die Menschen im ständigen Kampf mit den Monstern, oder? Aber sie sah, dass wir fast immer unterlagen. Sie erschuf die GF, um den Menschen im Kampf zu helfen und sie vor allem den Umgang mit Magie zu lernen, oder?“ Odyne machte eine kleine Pause. „Die erste GF, die Hyne schuf, war ihr Meisterwerk. Sie stellte die Regeln des Kampfes auf und befahl der GF, als Hüter des Kampfes über die Einhaltung zu wachen. Die GF kannte alle Geheimnisse der Kampfkunst, sei also nahezu unbezwingbar, oder? Nun, diese GF müsste doch wissen, wie es sei mit eurer Kraft, oder?“
    „Das könnte die Lösung sein“, stimmte Squall zu. Auch er war gespannt wie ein Flitzebogen. „Wie heißt die GF? Wenn wir sie nicht haben, hat sie sicher irgendein anderer SEED, den man ausfindig machen kann. Reden Sie!“
    Odyne wand sich unbehaglich. „Der Name der Ur-GF sei... Odin.“
    Totenstille trat ein, bis Rinoa wieder sprach: „Professor, Odin ist tot. Er wurde von Cifer getötet, als wir das letzte Mal gegen ihn kämpften.“
    „Ich wissen, wie es sei, Miss Rinoa“, entgegnete Odyne. „Aber es steht so geschrieben in der Legende: Odin war die legendäre GF, die über die Regeln des Kampfes wachte und jedes Geheimnis der Kampfkunst kannte, oder?“
    „Und wieso gelten dann die Kampfregeln immer noch?“, wollte Rinoa wissen.
    „Vielleicht, weil Gilgamesh seine Stelle eingenommen hat“, vermutete Squall. „Gilgamesh hat Odins Waffe... vielleicht wacht deswegen er jetzt über die Regeln.“
    „Mal angenommen, Squall, wir glauben diesen Unsinn“, folgerte Rinoa. „Können wir uns dann an Gilgamesh wenden, um zu erfahren, was wir wissen wollen?“
    „Nein, das wahrscheinlich nicht geht“, warf Odyne ein. „Gilgamesh sei vermutlich ein Wesen aus einer anderen Welt. Sein Name sei nicht erwähnt in den Legenden von Hyne und den GF, oder? Er also kann euch wahrscheinlich nicht helfen, weil er die speziellen Regeln der Göttin nicht kennt.“
    „Und was sollen wir dann machen?“, fragte Squall ratlos. „Wir können Odin doch nicht zurückholen.“
    „Vielleicht... doch, oder?“, murmelte Odyne gedankenversunken.
    „Ist das auch wieder so eine Legende?“, mutmaßte Rinoa. „Na schön, raus damit?“
    Der Professor erklärte es ihnen.

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