„Kann ich euch denn nicht ein einziges Mal allein lassen“, beschwerte sich in diesem Moment eine schlecht geschauspielert ärgerliche Stimme über ihnen, „ohne dass ihr euch bei meiner Rückkehr in den Armen liegt? Man möchte meinen, ihr würdet erfrieren, so fest drückt ihr euch.“
Rinoa blickte auf und rief: „Komm schon, Xell, gib doch wenigstens zu, dass du auf uns eifersüchtig bist, weil du Reeval nicht mitnehmen durftest! Los, komm runter da.“
Der blonde Faustkämpfer murmelte ein nicht sehr überzeugendes „Pah“ in seinen nicht vorhandenen Bart, dann sprang er von der Brücke, die eine Spielhölle und das Privatbüro des Besitzers miteinander verband, hinunter. Er war tatsächlich etwas traurig, dass die junge Bibliothekarin, mit der er nun schon seit der Krise mit Quistis’ Vater ging, im Garden geblieben war, aber bevor er das vor diesen Liebeskranken, die sich seine besten Freunde schimpften, zugab, legte Selphie ein Schweigegelübde ab!
„Du wirst ja langsam richtig süchtig nach Triple Triad, Xell!“, kommentierte Squall stirnrunzelnd. „Ich hoffe, du hast nicht schon wieder deinen gesamten Sold verspielt.“
„Sag mal, hast du denn überhaupt kein Vertrauen zu mir, Squall?“, erkundigte sich der Faustkämpfer gekränkt. „Natürlich hab ich wieder einige neue Karten bekommen, den GF sei Dank.“ Grinsend zeigte der Faustkämpfer einige Karten der stärksten Monster vor. „Nicht, dass ich sie brauchen würde, nachdem wir bereits alle GF- und Charakterkarten besitzen, aber Spaß macht’s trotzdem.“
„Irgendwann wirst du noch einmal auf jemanden treffen, der dir diese Karten wieder abgewinnt“, prophezeite Rinoa. „Und dann möchte ich nicht in deiner Haut stecken. Du weißt genau, wie lange wir gebraucht haben, all diese Karten zusammenzubekommen!“
Xell winkte ab. „Keine Sorge“, meinte er selbstsicher. Dann blickte er über Squalls Schulter und stöhnte auf. „Oh nein. Kommt mal, helft mir, die beiden zu trennen. Das ist ja voll peinlich, ihr zwei!“
Sogar auf Squalls Lippen stahl sich ein Lächeln, als er zu Selphie und Irvine hinsah, die sich unbeobachtet geglaubt hatten (was angesichts einer vollen Einkaufsstraße eigentlich ein Paradoxon war) und einen innigen Kuss angefangen hatten. Sie ließen sich auch nicht von Xell stören, der versuchte, die beiden auseinander zu schieben.
„Sind sie nicht süß?“, flüsterte ihm Rinoa zu. „Wenn bloß WIR eine Kamera mithätten. Dieses Video würde sämtlichen Mädchen des Balamb Garden das Herz brechen.“
„Denkst du denn wirklich, dass sich noch jemand ernsthaft Hoffnungen wegen Irvine macht?“, fragte Squall mit einem nachdenklichen Blick auf seine drei Freunde. „Ich hab’ Selphie und ihn in den letzten Tagen kein einziges Mal allein gesehen.“
„Stimmt“, bekräftigte Rinoa, während sie ihn umarmte. „Die beiden werden uns immer ähnlicher, findest du nicht?“
Ohne ein weiteres Wort strich der Hexenritter das Haar seiner Schutzbefohlenen zur Seite und gab ihr einen leichten Kuss auf die Stirn. „Hoffentlich nicht“, meinte er. „Der Gedanke an einen bitterernsten Irvine und eine hexende Selphie macht mir Angst.“
Hinter ihnen hörten sie Xell fluchen. „Bei Hyne!“, rief er aus. „Jetzt fallt mir ihr beide auch noch in den Rücken? Bin ich denn hier völlig allein unter Verrückten?“
Keines der beiden Pärchen hörte auf ihn.

„Eisga!“
Der Kältezauber brachte die Lebenspunkte des Behemoth beinahe zum Nullpunkt. Dennoch ließ sich das violette Monster nicht aufhalten, das Wort „Aufgabe“ war in seinem kleinen Hirn nicht gespeichert. Als es vor Wut und Schmerz aufbrüllte, entfaltete sich seine animalische Zauberkraft und ein plötzlicher Meteorregen ging auf Cifer, Fu-jin und Rai-jin nieder. Viele andere Menschen wären spätestens jetzt draufgegangen, aber der Gunblade-Kämpfer und seine Freunde besaßen Kräfte, von denen normale Leute nur träumen konnten.
„Autsch!“, brummte Rai-jin, ein braungebrannter, stämmiger Junge mit einem Körper, der mehr Muskelpakete aufwies wie mancher Preisboxer. „Das tut verdammt mal weh, du Vieh!“
Er schwang seinen Kampfstab, unter dessen Gewicht die meisten Leute zusammengebrochen wären, wie einen Spazierstock durch die Luft und verpasste dem Monster einen gewaltigen Hieb, der es taumeln ließ.
„Flare!“
Die Antimaterie-Explosion verformte die Umrisse des violetten Wesens und fügte ihm wiederum schweren Schaden zu, aber es hielt dennoch stand. Fu-jin, die grauhaarige junge Frau mit der Augenklappe, wich wieder zurück. Aus ihrem Gesicht war nicht abzulesen, ob sie verärgert war, weil dieses Monster noch stand, aber der feste Griff um ihren Wurfstern verriet ihren Frust.
Einige Sekunden verstrichen, ohne dass sich die Gegner angriffen, aber dann sprang Cifer, der Gunblade- Kämpfer vor, schwang seine tödliche Waffe nach hinten und ließ sie auf den Kopf des Behemoth niederfahren. Als er wieder zurücksprang, brüllte das Wesen noch einmal auf, taumelte und fiel zu Boden. Sobald es ihn berührt hatte, verschwand es, als hätte es nie existiert.
Cifer schwang seine Gunblade einige Male umher, um der alten Tradition des Balamb-Garden wegen, dann nahm er dankbar das Hi-Potion an, welches Fu-jin ihm reichte. Es langte bei weitem nicht, um seine Lebensgeister wieder völlig aufzufüllen, aber es heilte die schlimmsten Wunden, die er davongetragen hatte. Missmutig warf er die leere Flasche weg.
„Gut, das mal war der letzte!“, bemerkte Rai-jin, der die Leiche des Behemoth durchsuchte. Man wusste nie, ob nicht ein solches Monster etwas Brauchbares rumschleppte. „Jetzt können wir mal wieder nach Deling City zurück und unsere Belohnung abzuholen!“
„Ja, ja“, murmelte Cifer lustlos, während er in Richtung Stadt sah. Richtig, wenn er das Kopfgeld, oder bei solchen Viechern wohl eher Fratzengeld wollte, das wartete bei einem kleinen Bauern in Deling City, auf dessen Feld sich der Behemoth rumgetrieben hatte. Nicht, dass es sonderlich viel wäre, aber man musste von etwas leben. Andererseits...
„Bedrückt?“, wollte Fu-jin in ihrer typisch knappen Art wissen. Sie blickte ihn mit ihrem einzelnen Auge besorgt an, während sie ein weiteres Potion trank. Sie hatte das Monster schlimmer erwischt als Rai-jin und ihn. „Warum?“
„Habt ihr nicht gesehen, was vorhin grade über uns weggefegt ist?“, fragte er aggressiv. Er hatte seine Gunblade noch immer in der Hand.
„Na sicher“, antwortete Rai-jin, der einen tragbaren Schutzschild in den Händen balancierte. „Die Ragnarok. Squalls Raumschiff. Was ist daran mal so schlimm?“
„Angst?“, fragte Fu-jin vorsichtig. Gleich darauf trat sie einen Schritt zurück, als Cifer wütend die Gunblade schwang.
„Natürlich nicht“, schnappte er. „Ich habe keine Angst vor Squall und seiner Bande!“
„Was dann?“, erkundigte sich Rai-jin und kratzte sich am Kopf. „Willst du dich mal mit ihm duellieren? Vor allen Leuten?“
Cifer stieß ein bitteres Lachen aus und steckte endlich sein Schwert weg. Er warf der Silhouette von Deling City einen feindseligen Blick zu. „Ja“, gab er zu. „Natürlich möchte ich mich mit ihm duellieren. Squall war der einzige Gegner, mit dem man einen vernünftigen Kampf führen konnte. Er nahm jedes Duell ernst und gab immer sein Bestes.“
„Und?“, wollte Fu-jin wissen. „Wo Problem?“
„Versteht ihr denn nicht?“, rief er. Er ballte die Faust und stampfte mit dem Fuß auf. „Solange er mit seinen verfluchten GF antritt, kann ich nicht gegen ihn gewinnen! Diese überirdischen Energiespender machen ihn so mächtig, dass ich keine Chance mehr gegen ihn habe!“
„Ach so“, meinte Rai-jin nickend. „Du möchtest mal einen Kampf ohne GF-Kräfte?“
„Nichts wünsche ich mir so sehr wie das!“, bestätigte Cifer und verschränkte die Arme. Wütend blickte er seine beiden Freunde an. „Aber dieses Weichei würde niemals ohne diese Schutzengel gegen mich kämpfen. Ich gebe ja zu, dass er keinen Grund hat, mir zu vertrauen, aber wenn ich mich nicht mit ihm messen kann, drehe ich durch! Ewig diese idiotischen Aufträge, das hält doch keiner aus!“
„Stark sein“, empfahl Fu-jin und bot ihm ein Potion an.
„Lass stecken, Fu-jin“, entgegnete Cifer. „Ich bin stark. Ich bin stärker als alle anderen. Aber diese GF vermiesen den Wettkampf! Es muss doch irgendeinen Weg geben, um sie aus dem Spiel zu werfen! Egal welchen!“
„Hmmmm“, machte Rai-jin, während er den Schutzschild in seinem Rucksack verstaute. „Vielleicht sollten wir mal mit Professor Odyne reden. Der weiß viel über Magie.“
„Hexen!“, warf Fu-jin ein. Auch sie schien angestrengt nachzudenken.
„Genau“, bekräftigte Cifer, während er einen Stein wegkickte. „Der Typ weiß alles über Hexen, aber nicht über GF. Außerdem glaube ich nicht, dass er uns so bereitwillig Auskunft geben würde. Wir haben zwar geholfen, die Stadt zu verteidigen, aber man misstraut uns immer noch dort.“
Rai-jin zuckte mit den Schultern und verschloss den Rucksack. „Na, dann kann ich dir mal auch nicht weiterhelfen“, meinte er bedauernd. „Am besten wird mal sein, wenn du die ganze Sache auf sich beruhen lässt.“
„Du hast leicht reden“, brummte Cifer. „Aber wahrscheinlich hast du Recht. Es gibt keinen Weg, einen fairen Kampf zwischen Squall und mir zu erzwingen.“
„Moment“, unterbrach Fu-jin ihr Gespräch. Ihre Miene wirkte triumphierend. „Möglichkeit!“
Sie erklärte ihren Plan.
„Und du meinst, das bringt uns was?“, fragte Cifer skeptisch. Man konnte ihm allerdings ansehen, dass ihm auch nichts Besseres einfiel. „Na schön. Was anderes haben wir ohnehin nicht zu tun. Also, auf geht’s.“
„Und was ist mit dem Geld in Deling City“, begehrte Rai-jin auf. „Lassen wir das mal einfach so zurück?“
„Vergiss die lausigen Kröten. Wenn an Fu-jins Idee tatsächlich was dran ist, dann werden wir bald mehr Spaß haben, als wir uns für Geld kaufen können!“

„Nein, Aniery! Lass das!“, rügte Quistis und blickte den etwa zehnjährigen Jungen vorwurfsvoll an. „Gib Veshore sofort sein Schwert zurück, sonst hast du drei Tage lang Hausarrest!“
„Ach“, murmelte Aniery unzufrieden. Er stammte aus Esthar, wie die meisten der Kinder in Edeas Waisenhaus. Bei dem Kampf gegen Quistis’ Vater vor einem halben Jahr waren zu viele Menschen gestorben, auch ihre Phönix-Federn hatten nicht alle Toten wiederbeleben können. Viele Kinder aus Esthar hatten ein Elternteil verloren und manche, wie Aniery, sogar beide. Allerdings zeigte er seinen Schmerz nicht. Fast wie Squall, dachte Quistis. Allerdings wie ein Squall mit der Angriffslust von Cifer.
„Aber ich will auch ein Schwert haben! Ich will mal ein SEED werden und die Monster umbringen, die Mama und Papa getötet haben!“ Wild fuchtelte er mit der Plastikklinge herum und schaffte es beinahe, sich selbst zu treffen. „Außerdem muss doch einer das Waisenhaus beschützen, wenn wir angegriffen werden! Und Veshore taugt nicht dazu. Er ist noch zu klein für so eine Waffe.“
„Das ist noch lange kein Grund, ihm sein Spielzeug wegzunehmen“, erwiderte Quistis unnachgiebig. Natürlich kannte jedes Kind im Waisenhaus Squall und Rinoa, das Traumpaar des Balamb-Garden, und auch die Namen von Quistis’ anderen Freunden waren gut bekannt und wurden nur zu oft bei Spielen verwendet, aber niemand außer Edea und ihr wusste, dass ihr Nachname Trepe lautete und dass sie SEED gewesen war.