Xell hielt sich nicht lange damit auf, der Ragnarok nachzuwinken, als sie am Horizont verschwand, dazu war er einfach nicht der Typ. Statt dessen rannte er auf Balamb zu, seine Heimatstadt, wo er nach seiner Zeit im Waisenhaus von der Familie Dincht aufgenommen worden war. Hier hatte er das erste Mal seinen Großvater gesehen, als er in Militäruniform Leute kommandierte. Und hier hatte er den Entschluss gefasst, selbst Kämpfer zu werden. Seinen Eltern war es zwar nicht unbedingt recht gewesen, dass er sich für einen so gefährlichen Beruf entschieden hatte, aber wie alle Einwohner Balambs waren sie natürlich stolz darauf, was aus ihm geworden war.
Als er näher kam, bemerkte er drei Beißkäfer, die vergeblich versuchten, in die Stadt zu gelangen. Sie hatten nicht mal mehr Zeit, einen Gedanken an Flucht zu verschwenden, als er schon zwei von ihnen mit einem flüchtigen Schlag aus der Luft geholt hatte. Auch der dritte lebte nicht sonderlich viel länger. Xell runzelte die Stirn und musste lachen, als ihm einfiel, dass dafür eigentlich Squall zuständig war. Nachdem er dem Monsterheer von Quistis’... Vater gegenübergestanden war, waren solche Gegner der reinste Hohn für ihn, aber wegen seiner immensen Kräfte vergaß er oft, dass auch diese Art Ungeheuer für Nicht-SEEDs tödlich sein konnte. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was hätte geschehen können, wenn diese Viecher auf eins der Nachbarskinder getroffen wären...
Er schüttelte die trostlosen Gedanken ab und schritt mit einem Lächeln durchs Eingangstor. Der Gebrauchtwagen-Verleiher grüßte ihn freundlich, genau wie der Ladenbesitzer und der Hotelier, die er auf dem Hauptplatz des Ortes traf. Alle waren stolz darauf, dass jemand aus ihrer Kleinstadt dabei gewesen war, als Artemisia bezwungen wurde. Schade, dass er ihnen jetzt solche Nachrichten überbringen musste. Aber erst mal würde er seine Familie besuchen, wie Edea ihm geraten hatte.
Als er anklopfte, hörte man eine wohlbekannte Stimme, die laut verkündete: „Ja, ja, ich komm ja schon. Sie brauchen nicht gleich die Tür einzuschlagen, ich höre noch sehr gut! Ach, das ist ja wie damals, als die Galbadier die Stadt besetzten...“ Nachdem die Tür sich geöffnet hatte, blickte Xell in das überraschte Gesicht seiner Ziehmutter. „Xell!“ keuchte sie. Dann fingen ihre Augen an zu leuchten, und sie umarmte ihren Sohn stürmisch. „Xell, mein Junge! Dass du dich auch wieder mal hier sehen lässt! Meine Güte, drück doch nicht so fest zu, du weißt doch, dass normale Menschen wie ich es nicht mit dir aufnehmen können. He, Jungs, kommt mal her, Xell ist wieder da!“
Einen Moment lang hörte man hektisches Stuhlrücken, dann stürmten die Nachbarsjungen herein, die ihre Mutter mal wieder hinter sich ließen. „Xell, wieso bist du her gekommen?“ „Hast du eine wichtige Mission?“ „Kommen wieder neue Feinde nach Balamb?“ „Wieso sind die anderen SEEDs nicht da?“ Von überall strömten die Fragen auf ihn ein, aber er machte lachend eine beschwichtigende Geste.
„Ruhe, Ruhe mal, Leute, ich kann doch nichts sagen, wenn ihr so herumschreit! Na also, schon besser. Nein, ich bin allein hier, und es kommt auch kein neuer Einmarsch von Feinden auf euch zu. Ich wollte euch einfach nur mal einen überraschenden Besuch abstatten, um zu sehen, ob man sich noch an mich erinnert.“
„So’n Quatsch, wie könnte man dich vergessen?“ meinte einer der Jungen. Der andere ging in seine persönliche Kampfstellung, wie er es nannte und behauptete: „He, Xell, ich hab eine neue Kampftechnik entwickelt, mit der ich jedes Monster fertig machen kann, das Balamb zu nahe kommt. Wenn ich alt genug bin, melde ich mich auch beim Garden an.“ Ihre Mutter lächelte, sagte aber: „Du bist noch viel zu jung, um das zu entscheiden. Xell ist auch erst in den Garden gegangen, als er älter war als du! Momentan musst du noch viel lernen.“
„Ja, das solltest du“, stimmte Xell zu. „Und überleg dir wirklich gut, ob du SEED werden willst. Es könnte sein, dass du dann Dinge tun musst, die dir nicht gefallen.“ Einen Augenblick lang starrte er ins Leere, dann fing er sich wieder und bemerkte: „Aber wenn du bis dahin deine Techniken übst, um Balamb zu beschützen, brauche ich ja gar nicht mehr so oft herzukommen. Wer weiß, vielleicht bist du ja in ein paar Jahren der große Held, wenn sich an mich gerade noch meine Eltern erinnern.“
„So, jetzt aber raus mit euch!“ bestimmte Frau Dincht fest. „Ihr seht doch, dass der Junge erst mal was essen und sich ausruhen muss. Zweifellos hat er gerade mehrere gefährliche Monster besiegt, bevor er hierher gekommen ist. Ihr könnt ja in der Zwischenzeit in der ganzen Stadt verbreiten, dass er wieder da ist. Auf Wiedersehen, Frau Nachbarin!“
Nachdem die Nachbarsfamilie draußen war, wandte sich seine Mutter wieder zu Xell um. „So, und jetzt wirst du dich erst mal hinsetzen und mir ganz genau erzählen, was passiert ist“, sagte sie ernst. „Du hast vorher so bekümmert gewirkt, als du über die Pflicht gesprochen hast. Was ist los?“
Vor seinen Eltern konnte man anscheinend nichts Wichtiges verbergen. Xell setzte sich und fing an zu erzählen. Er war bei weitem kein so guter Redner wie Squall oder gar Laguna, aber die Geschichte fand beinahe von allein den Weg zu seinen Lippen. Nach ein paar Minuten war er fertig und blickte seine Mutter, die die ganze Zeit wortlos zugehört hatte, herausfordernd an. Was würde sie dazu sagen?
„Schlimme Geschichte, wirklich“, brachte sie nach einer gewissen Sammelphase heraus. „Und ich dachte, ihr hättet nach eurem großen Kampf jetzt endlich eine Chance auf Ruhe und Frieden. Dass deine... Freundin (Sie brachte es nicht fertig, die ehemalige Waisenhaus-Gefährtin ihres Sohnes Schwester zu nennen) so etwas getan hat, tut mir Leid. Es muss dir sehr schwer fallen, gegen einen solchen Gegner anzutreten. Du wirst doch antreten, oder?“
Irrte er sich, oder klang seine Mutter traurig? „Ja“, antwortete er. „Ich muss. Ich und die anderen, wir sind die stärksten Kämpfer dieser Welt. Wir können nicht einfach kneifen, weil wir Skrupel haben, einen Gegner zu bekämpfen. Wir wurden ausgebildet, um die Menschen vor übernatürlichen Mächten zu schützen, und das werden wir tun. Wir sind SEEDs!“
Seine Mutter lächelte. „Du brauchst dich hier nicht zu verstellen, Xell“, tadelte sie liebevoll. „Du bist völlig verunsichert, weil du gegen jemanden kämpfen sollst, dem du vertraut hast und der sich von euch abgewandt hat. Das macht einem schwer zu schaffen, das hat schon dein Großvater gewusst. Aber du darfst die Hoffnung nicht aufgeben. Vielleicht wendet sich ja doch noch alles zum Guten!“
Er lächelte zurück, aber es war nicht ganz echt. „Danke, Mum! Aber ich glaube nicht so recht an Wunder, die genau dann auftauchen, wenn man sie braucht. Wir werden uns wahrscheinlich ganz auf uns selbst verlassen müssen. So, ich muss wieder los. Ich habe... Edea versprochen, mit Direktor Cid zu sprechen. Er muss uns mit dem Garden helfen, dann gelingt es uns vielleicht, den Beschwörer einzuschüchtern.“
„Glaubst du das wirklich, nachdem Quistis ihn nun berät?“ fragte seine Mutter, aber dann stand sie auf. „Nun, das wird sich ja alles finden. Aber ich hatte gehofft, dass du noch etwas länger bleiben könntest. Dein Vater wäre bald nach Hause gekommen und er hätte sich sehr gefreut, dich wiederzusehen. Irgendwie ist er immer dann außer Haus, wenn du mal Zeit für uns findest.“ Sie umarmte ihn, aber Xell löste sich nach einer ihm lange erscheinenden Zeit von ihr.
„Mum“, beschwerte er sich. „Du tust ja so, als würde ich in den sicheren Tod gehen! Das ist nicht sehr aufbauend, weißt du? Ich habe einen sehr schweren Kampf zu bestehen, aber das heißt nicht, dass ich beabsichtige, mich vom nächstbesten Monster besiegen zu lassen.“
Seine Mutter rieb sich die Augen. „Natürlich“, antwortete sie. „Der größte Krieger Balambs, einer der Bezwinger Artemisias, kann ja von Monstern nicht mehr ernsthaft verletzt werden. Das denken die Leute da draußen, Xell. Aber ich weiß, dass du nicht immer Krieger warst, und damals musstest du dir von Leuten helfen lassen. Und dass einer derjenigen, denen du dich früher anvertraut hast, jetzt gegen dich steht. Deswegen wirst du zögern, deine Freundin zu töten, solltest du diese Gelegenheit haben.“ Sie hob die Hand, als er widersprechen wollte. „Du wirst zögern, Xell, aber das ist nichts Schlechtes. Im Gegenteil, wenn du Quistis ohne Schuldgefühle umbringen könntest, hätte ich Angst vor dir. Ich vertraue darauf, dass du das Richtige tun wirst.“ Sie wischte sich mit der Schürze über das Gesicht.
„Geh jetzt, Xell. Aber versprich mir, dass du mich nach diesem Kampf besuchen wirst. Und der nächste Besuch sollte etwas länger sein als dieser hier.“ Xell grinste sie an. „Versprochen. Ich hoffe, Dad ist beim nächsten Mal auch da. Ich sehne mich schon wieder nach seinem herzlichen „Findest du auch mal wieder eine Minute Zeit für deine Familie?“ Tschüss, Mum. Ich komme bestimmt wieder!“ Ein paar Sekunden später fiel die Tür hinter ihm zu.
„Ja“, flüsterte Frau Dincht, während sie sich wieder setzte. „Ja, das hoffe ich wirklich.“
„Das sind wahrlich nicht die Nachrichten, die ich mir erhofft hatte“, kommentierte Direktor Cid Xell’s Rapport. Er hatte schon Schlimmes geahnt, als er den jungen Faustkämpfer aus dem Lift treten hörte und Shou ihm mitteilte, der Direktor wäre nicht zu sprechen. „Der Termin, der wichtiger ist als meine Nachrichten, muss erst noch festgesetzt werden!“ hatte er ihr geantwortet. „Und nebenbei kann auch keine Arbeitsunterbrechung so viel Schaden anrichten wie ich, wenn ich die Tür aus den Angeln hebe! Also, kriege ich eine Audienz oder muss ich einfach so ins Büro platzen? Squall schickt mich mit einer äußerst dringenden Meldung!“ Aber das, was er gehört hatte, übertraf seine wirrsten Alpträume.
„Quistis ist also jetzt auf der Seite dieses Monsterbeschwörers, den sie für ihren Vater hält? Ich muss gestehen, hätte ich es nicht aus Ihrem Mund gehört, würde ich es nicht glauben! Eine ehemalige Ausbilderin hat ihre eigene Lehre verraten?“ Sorgenvoll schüttelte er den Kopf. Er hatte schon einmal so etwas durchgemacht, als er Squall und seine Freunde gegen seine Frau Edea antreten ließ. Damals war zum Glück niemand getötet worden. Aber würde das diesmal auch so sein? Würde er eins seiner ehemaligen Waisenhauskinder verlieren? Oder gar alle seine Geschwister?
Seufzend stand er auf. „Wenn ich recht verstehe, dann sollen wir Ihnen wohl bei der Verteidigung von Esthar zur Seite stehen. Nun, da eine der unsrigen den Angriff leiten wird, haben wir wohl kaum eine andere Wahl, wie? Shou“, wandte er sich an seine Assistentin. „Sagen Sie Niida Bescheid, dass wir ihn auf der Brücke brauchen! Wir müssen auf dem schnellsten Weg nach Esthar! Haben wir dieses Gerät aus Esthar schon getestet, das es dem Garden ermöglicht, über hohe Klippen zu fliegen? Egal, wir werden es riskieren müssen.“
Die junge Frau verschwand. Xell sah ihr nach, dann sagte er: „Auf ein Wort noch, Direktor. Bevor ich nach Balamb kam, war ich mit den anderen bei Edea im Waisenhaus. Sie besteht darauf, dass wir sie mit dem Garden abholen kommen. Und sie hat extra darauf hingewiesen, dass Sie es mit ihr zu tun bekommen, wenn Sie diesen Befehl verweigern!“
„Hat sie das, ja?“ murmelte Cid. Es gefiel ihm ganz und gar nicht, dass nun auch seine Frau in Gefahr geraten sollte, wenn ihre Kinder schon an vorderster Front stehen würden. „Nun, da habe ich ja wohl keine Wahl. Sie würde mich über alle Kontinente jagen, wenn ich diesem Befehl zuwiderhandle. Gut, wir machen also einen Zwischenstopp auf Centra. Haben Sie sonst noch unangenehme Nachrichten für mich?“
Xell lächelte leicht. „Nein, für heute nicht. Aber keine Sorge, zweifellos kommen wieder welche rein, wenn wir Esthar erreicht haben.“ Cid rollte mit den Augen. „Ja, vermutlich“, bestätigte er.
Selphie drehte sich um und nickte Irvine zu, der hinter ihr in der Ragnarok stand und den Knopf für die Schließung der Schleuse betätigte. „Bis späääääter!“ rief sie ihm zu. „Amüsiert euch guuuut!“ „Pass gut auf dich auf, Sephie“, antwortete Irvine. „Nicht, dass du uns im Endkampf einfach im Stich lässt!“ Er versuchte zu grinsen, aber es gelang ihm nicht richtig. Er fühlte sich noch immer etwas unwohl, wenn er mit ihr sprach. Sein Gegenüber strahlte ihn an. „Keine Soooorge! Schließlich schuldest du mir noch eine Partie Triple Triad. Ich verlaaaaange, dass wir sie nach dem Kampf in Esthar austragen.“ Diesmal grinste er wirklich. „Versprochen.“ Er sagte noch etwas, aber die sich schließende Klappe unterbrach das Gespräch.
Das Mädchen prüfte das Netz, das noch immer an der Wand ihres ehemaligen Gardens hing. Es war inzwischen zwar versucht worden, die Tür auszubessern, aber noch immer bestand ein nicht unbeträchtliches Risiko, wenn man unter den Steinen durchging. Sicher war sicher. Und so sportlich, wie sie war, bereitete es ihr ohnehin keine Mühe, die Mauer zu erklimmen. Als sie oben angekommen war, war sie angenehm überrascht. Die Wiederaufbauarbeiten des Trabia-Gardens hatten zwar schon vor Monaten begonnen, aber am Anfang war die ganze Sache etwas schleppend vorangegangen, weil das nötige Geld für dieses Projekt fehlte. Erst, als die Schwesterschule in Balamb beschloss, Trabia das Bare zu spenden, welches sie für die Beseitigung der Hexe Adell von Esthar bekommen hatte, ging es aufwärts. Zuerst hatte der Direktor das Geld gar nicht annehmen wollen (O-Ton: „Wir können doch kein Geld von Ausländern annehmen!“), aber als Selphie selbst gekommen war und es ihm als ehemalige Schülerin überreicht hatte, fügte er sich.
Während der Balamb-Garden stark an ein überdimensionales Schneckenhaus erinnerte, und der Galbadia- Garden von außen wie ein zum Angriff bereiter Käfer aussah, hatten sich die Verantwortlichen offenbar entschlossen, die Kampfschule von Trabia im Esthar-Stil zu gestalten: hoch, aber alles abgerundet und lichtanziehend. Selphie vermisste zwar den Stil des alten Gebäudes sehr, aber die Stadt von Squalls Vater hatte auch ihre Reize. Sie glaubte, dass man in diesem Garden gut arbeiten würde können. Langsam ließ sie sich zu Boden gleiten.
„Selphie?“ meldete sich plötzlich eine Stimme, die vom Gebäude her kam. „Selphie Tilmitt? Du alte Draufgängerin lebst noch immer? Himmel, was führt dich denn hierher zurück?“
Sie hatte die Stimme sofort erkannt. „Kiveni? Die haben dich noch immer niiiicht rausgeworfen? Wo bist duuuu denn?“ Wild schwenkte sie den Kopf und fand ihre beste Freundin in Trabia unter einem der jungen Bäume, den sie nach dem Raketenbeschuss gepflanzt hatte. Sie pflegte immer zu sagen, dass diese Bäume ihr dabei halfen, das Feuer zu vergessen. Allerdings hatte sie Selphie gestanden, dass sie noch immer davon träumte.
Kiveni hatte sich aufgesetzt. „Na, hier, wo denn sonst? Aber wieso bist du allein hierher gekommen? Wo sind deine neuen Freunde aus Balamb? Mann, ich hätte zu gern noch einmal diesen netten Kerl aus Galbadia gesehen, wie hieß er noch mal... ah, ja Irvine Kinneas!“
Selphie hob misstrauisch die Augenbrauen. „Wieso denn daaaas?“ erkundigte sie sich argwöhnisch. „Hast du etwa voooor, etwas mit ihm anzufangen? Tja, ich muss dich enttäuschen, momentan fliegt er gerade mit Squall nach Galbadia.“
Kiveni grinste sie an. „Habe ich da etwa Eifersucht aus deiner Stimme gehört? Man könnte meinen, du findest mehr an ihm als ich! Aber setz dich erst mal, bevor du deiner Entrüstung Luft machst, man kann doch nicht den ganzen Tag stehen. Und jetzt erzähl mal, was sich so in den letzten Monaten abgespielt hat. Hast du im Garden schon einen Jungen gefunden, der dir gefällt?“
Selphie sah sie vorwurfsvoll an. „Duuuu hast schon immer versucht, mich zu verkuppeln. Nicht, dass ich dir deswegen böse wäre, aber ich denke, dass ich dabeiiii auch noch ein Wörtchen mitzureden habe! Und wegen Irvine, da gibt’s nichts zu erzählen. Wir sind nur gute Freunde, wie damals im Waisenhaus, weiter niiiichts.“
Ihre Freundin wirkte überrascht. „Tatsächlich?“ erkundigte sie sich. „Als ihr das letzte Mal hier wart, hab ich wirklich geglaubt, dass er mehr für dich übrig hätte. Er schien ständig Blicke auf dich zu werfen, hast du das etwa nicht gemerkt? Ich glaube nicht, dass das allein deshalb war, weil er in dir eine alte Spielkameradin entdeckt hatte. Hat er in all der Zeit wirklich nicht versucht, dir näher zu kommen?“
Selphie wurde ein bisschen rot, als sie an den Handkuss dachte, den Irvine ihr vor dem Kampf gegen den Beschwörer gegeben hatte. Damals hatte er nicht so cool gewirkt wie sonst, wenn er ein Mädchen anmachte (Sie hatte ihn oft genug dabei beobachtet). Eher überrascht über sich selbst. Komischer Gedanke. „N-nein, nicht wirklich. Jedenfalls nichts Eindeutiges. Aaaaaber lass uns jetzt bitte das Thema wechseln, ja?“
„Wieso denn? Hab ich etwa einen wunden Punkt berührt?“ hakte Kiveni grinsend nach. „Gut, wenn es dir wirklich zu peinlich ist. Aber ich beharre weiterhin darauf: Der Typ hat etwas für dich übrig. Weswegen bist du jetzt hergekommen? Du hast vorhin erwähnt, er und dieser andere tolle Typ, Squall, wären nach Galbadia geflogen. Übrigens“ fragte sie, die Stimme senkend, „ist der noch immer mit dieser Rinoa zusammen?“
Als Selphie nickte, seufzte sie. „Schade“, kommentierte sie, „wieder ein gut aussehender freier Junge weniger auf der Welt. Ich hab wohl nie Glück!“
„Aaaach was, das wird schon mal werden!“ versuchte ihre Freundin sie zu trösten. „Was deine Fraaaage von vorhin angeht: Ich bin hier, weil ich den Direktor um Unterstützung bitten muss. Es wird bald einen mächtig wichtigen Kampf geben, bei dem wir alle, die nur ein bisschen kämpfen können, um Hilfe bitten müssen. Wiiiiiirklich üble Sache!“ Dann erzählte sie die ganze Geschichte, angefangen von Koyo-Koyos Erscheinen im Garden. Kiveni hörte ihr zu, ohne eine Zwischenfrage zu stellen, und auch, als Selphie geendet hatte, sagte sie eine ganze Weile lang nichts.
„Mann!“ kommentierte sie schließlich. „Das ist aber echt ernst! Und ihr wollt tatsächlich gegen eure eigene Fast-Schwester antreten? Hört sich nach einem schweren Gewissenskonflikt an, wenn du mich fragst! Willst du das denn wirklich?“ Als sie sah, wie unglücklich Selphie drein sah, legte sie ihr den Arm um die Schulter. „Tut mir Leid. Das hätt’ ich nicht fragen müssen. Natürlich, du bist ein SEED und musst tun, was man dich gelehrt hat. Langsam kommen mir Zweifel, ob ich selbst zum SEED geeignet bin, wenn ich dann solche Entscheidungen fällen muss!“
„Ich bezweifle, ob dann überhaupt jemand zum SEED geeignet ist!“ flüsterte Selphie. Sie sah so ernst aus, dass sie Kiveni fast wie eine Fremde vorkam. „Ich will nicht gegen Quistis kämpfen, wirklich nicht. Aber wenn wir uns ihr und ihrem Vater niiiicht entgegenstellen, dann wird Esthar zerstört. Und das können wir nicht zulassen.“
Minutenlang schwiegen beide und Selphie lehnte sich an die Schulter ihrer Freundin. Dann, nachdem beide ihre trüben Gedanken durchgekaut hatten, sahen sie sich an. „Komm schon“, meinte Kiveni. „Du machst mir ja angst! So kenne ich dich ja überhaupt nicht. Ich werde dich jetzt erst mal im Garden herumführen, dann werden wir sehen, ob ich die wahre Selphie nicht doch wieder rauslocken kann. Wir haben jede Menge toller Sachen eingebaut, die wir früher nicht hatten, dank eurer Riesenspende. Ich muss dir unbedingt zeigen, was wir mit deinem alten Zimmer gemacht haben!“
Von einer Sekunde auf die andere strahlte Selphie sie wieder an. „Na, dann looooos!“ rief sie. „Ich hab nicht allzu viel Zeit und will uuuunbedingt alles sehen. Wieso sitzt du noch hier? Wir sollten längst unterwegs sein!“
„Na also“, lachte Kiveni. „Das ging ja schnell. Du bist wieder ganz die alte. Wir gehen jetzt mal gemütlich den Garden durch, und nachher bringe ich dich gleich zum Direktor. Keine Sorge wegen der Unterstützung, wir haben zwar hier keine richtigen SEEDs, aber kämpfen können wir deshalb auch!“
„Weiß ich dooooch!“ krähte Selphie fröhlich. „Schließlich hab ich’s ja hier gelernt! Los, gehen wir endlich, wir haben schon genug Zeit vertrödelt!“ Dann erst bemerkte sie, dass Kiveni sie verschlagen angrinste. „Waaas ist denn?“ „Nichts, nichts“, behauptete die. „Ich frage mich nur, ob dieser Irvine wirklich...“
Die Kadetten im Garden staunten nicht schlecht, als sie Kiveni Sekunden später lachend hereinlaufen sahen, verfolgt von der größten Heldin des ganzen Gardens, die sie wutschnaubend aufforderte, endlich mit „diesem“ Thema aufzuhören. Sie fragten sich, ob man vom vielen Lernen Wahnvorstellungen bekommen konnte, kamen dann zu dem Schluss, dass das nicht wahrscheinlich war und rannten hinter den Mädchen hinterher. Schließlich sah man so etwas nicht alle Tage!