Kapitel 7
Edea versuchte gerade, Skirr, einen Jungen, der seit kurzem in ihrem Waisenhaus lebte, dazu zu bringen, seine Geschwister in Ruhe zu lassen, als die Ragnarok landete. Momentan lebten drei Kinder bei ihr, Skirr und zwei jüngere Mädchen namens Lana und Veilu. Skirr erinnerte sie irgendwie an den jungen Cifer. Er hatte auch immer versucht, die anderen bei seinen Zieheltern auszustechen, eine Eigenschaft, die er bis heute behalten hatte. Natürlich rannten alle drei zum Fenster und sahen mit großen Augen das riesige Raumschiff an, welches gerade vor dem neuaufgebauten Gebäude landete.
„Mama, Mama!“ rief Veilu aufgeregt. „Ist das ein UFO? Was will es bei uns?“
Lana, die jüngste, wurde ängstlich und rannte zurück zu Edea, um sich an sie zu klammern. Die ehemalige Hexe beruhigte sie und strich ihr über die Wange. „Nein, Lana, das ist kein UFO, und es will dich auch nicht wegholen. Das sind nur ein paar Gäste, die uns besuchen wollen.“
„Gäste?“ fragte Skirr misstrauisch. „Welche Gäste können sich solch ein Ding leisten? Der Präsident von Esthar oder der Militärchef Galbadias?“
„Weder noch“, entgegnete Edea. „Da ich mal denke, dass ihr ohnehin nicht ins Bett gehen würdet, wenn ich es euch befehle, könnt ihr ruhig vom Fenster aus zuschauen. Keine Angst, das sind nur eure Vorgänger hier.“ Mit diesen Worten verließ sie das Haus und wartete, bis sich die Klappe der Ragnarok öffnete und ihre Kinder heraustraten. Sie waren nicht ihre leiblichen Nachkommen, aber sie hatte sie aufgezogen, und deshalb waren sie ihre Kinder, basta! Aber irgendwas stimmte heute anscheinend nicht. Wieso war Quistis nicht dabei? Und wieso kam nicht zumindest Selphie hier heraufgerannt, um sie zu begrüßen? Von Squall war sie es gewöhnt, dass er seine Gefühle zurückhielt, und Irvine und Xell bemühten sich auch, einen gewissen Stolz als SEEDs zu wahren, aber die kleine Selphie hatte solche Formalitäten immer über Bord geworfen. Was war los?
„Schön, euch einmal wiederzusehen, meine Kinder!“ begrüßte sie die herankommende Schar. „Natürlich auch dich, Rinoa. Was ist los? Ist etwas so Schlimmes geschehen, dass ihr eure Mutter nicht einmal umarmen könnt?“
Selphie warf sich an ihren Hals und rief: „Etwas Fuuuuurchtbares ist passiert, Mama! Soooo was Schlimmes ist noch nie auf der Welt passiert!“
Als Edea verwundert die anderen anstarrte, fragte Xell rasch: „Hast du etwa Neuzugang bekommen, Mama?“ Er deutete auf das Fenster, wo die drei Kinder immer noch standen und die Neuankömmlinge erstaunt musterten. Er winkte ihnen zu, aber nur Skirr traute sich zurückzuwinken. „Oh ja, ich habe ihnen schon gesagt, dass ihre älteren Geschwister gerade angekommen sind. Wollt ihr nicht mal reinkommen und sie begrüßen?“
„Nein, lieber nicht!“ wandte Squall ein. „Wir müssen etwas Ernstes mit dir besprechen, Mama. Kannst du sie nicht ins Bett schicken oder so?“
„Ich gehe rein und rede ein wenig mit ihnen“, erbot sich Rinoa. „Ich werde ihnen die Geschichte des unbesiegbaren Squall Leonhart erzählen. Sogar die großen Kinder im Garden schwärmen noch davon.“ Kichernd lief sie aufs Haus zu, während Squall etwas Undefinierbares brummte.
„Du musst uns helfen, Mama!“ schaltete sich Irvine ins Gespräch ein. „Quistis ist übergeschnappt! Sie hat sich auf die Seite eines wahnsinnigen Wissenschaftlers gestellt, der versucht, Esthar zu zerstören!“
„Jetzt mal langsam, ihr alle“, sagte Edea mit einer beruhigenden Geste. „Erzählt mir mal alles von Anfang an, damit ich mitkomme. Dann werden wir weitersehen.“
Squall begann zu erzählen, nur unterbrochen von kleinen Einwürfen der anderen, die natürlich auch etwas zur Geschichte beitragen wollten. „Tja, und nachdem wir mit Müh und Not entkommen waren, haben wir Cifer und seine Kumpane an den Centra-Ruinen abgesetzt und sind dann zu dir geflogen. Rinoa meinte, dass du dich vielleicht noch an einen Zauberspruch erinnern kannst, der Quistis wieder zur Vernunft bringt. Kannst du uns dabei helfen?“
Einen Moment lang war Edea still, dann begann sie den Kopf zu schütteln. „Einen solchen Zauber gibt es nicht. Und Quistis hat auch nicht den Verstand verloren, ich glaube eher, dass ihr sie durch etwas so sehr gekränkt habt, dass dieser Beschwörer sie auf seine Seite ziehen konnte. Du hast erzählt, dass Quistis sich sehr einsam fühlt, Squall. Habt ihr irgendwann mal etwas gesagt, was ihr das Gefühl gegeben haben könnte, dass sie nicht mehr euer Vertrauen genießt?“
Betreten sah der Gunblade-Kämpfer zu Boden. Xell antwortete statt ihm: „Ja, haben wir. Als wir eingeschlossen waren, haben wir uns gefragt, ob wir es nicht vielleicht Quistis zu verdanken hätten. Aber ich habe nur die Möglichkeit ausgesprochen, weil wir gelernt haben, auf alles vorbereitet zu sein. Ich konnte doch nicht ahnen, dass sie zusieht und das für bare Münze nimmt...“
„Ja, das ist wahr!“ warf Irvine ein. „Wir haben nur die Möglichkeit in Betracht gezogen, aber in Wahrheit hat doch sogar Cifer gehofft, dass sie uns retten kommt. Der Angeber ist doch nur so über sie hergezogen, damit er einen Vorwand hatte, an Squall seine Wut abzulassen.“
„Nun, wenn das so ist, kann ich Quistis verstehen!“ Edea sah traurig zum Himmel hinauf. „Es tut furchtbar weh, wenn man von jemandem, den man liebt, hören muss, dass er einem nicht mehr vertraut. In einer solchen Situation würde man auf jede Stimme, die einem Hilfe verspricht, hereinfallen. Ich glaube diesem Menschen sogar, dass er Quistis’ Vater ist. Sie kam tatsächlich mit einer Botin aus Esthar. Aber er nutzt sie nur aus. Vielleicht glaubt er sogar, ihr damit das Beste zu tun, aber er wird sie damit zerstören.“ Einen Moment lang dachte sie nach, dann sah sie ihnen fest in die Augen. „Als erstes müssen wir alle Hilfe zusammentrommeln, die wir finden können. Xell, du fliegst nach Balamb und warnst den Garden und die Bevölkerung vor den Monstern in der Gegend. Vielleicht sind auch sie von diesem Mann beeinflusst. Irvine, du gehst zum Galbadia-Garden. Du kennst dort viele Leute, vielleicht wollen uns ja ein paar von ihnen helfen, auch wenn Galbadia selbst nicht eingreifen will. Selphie, du wirst zum Trabia-Garden gehen und dort um Hilfe bitten. Sie werden vielleicht nicht viel tun können, aber fragen können wir ja. Und warne auch die Shumis!“
„Okaaaay, Mama, Sir!“ Selphie salutierte.
„Ich nehme an, ich soll dann nach Esthar gehen und Rinoa nach Galbadia zu ihrem Vater, wie?“ vermutete Squall, doch Edea schüttelte den Kopf. „Nein, genau andersrum!“ Sie nahm ihn beiseite und flüsterte ihm zu: „Warum glaubst du denn, habe ich die drei an diese Orte geschickt? Damit sie ihre Angelegenheiten dort in Ordnung bringen können! Irvine und Selphie fühlen sich wohl bei euch, aber ich glaube, vor einem solchen Kampf sollten sie noch einmal mit ihren Freunden in ihren alten Schulen reden können. Und Xell? Willst du ihm das Recht vorenthalten, sich von seiner Familie zu verabschieden, wenn er gegen diesen Kerl ziehen muss? Und du und Rinoa, ihr seid doch über beide Ohren ineinander verliebt. Versuch jetzt nicht, dich rauszureden, junger Mann!“ meinte sie streng. Squall wurde ein wenig rot. „Sicher seid ihr das. Aber ihr wisst, dass eure Eltern nicht unbedingt damit einverstanden sind. Oberst Carway war noch nie sehr begeistert davon, dass du ihm seine Tochter ausspannst, und Laguna ist nicht recht wohl bei dem Gedanken, mit dem Oberst verwandt zu sein. Also solltet ihr euch mit ihnen aussprechen. Du wirst sehen, wenn man seine Angelegenheiten geregelt hat, dann fühlt man sich viel besser. Und wer sich gut fühlt, erzielt auch bessere Ergebnisse, habt ihr das nicht gelernt? Wenn nicht, muss ich mit Cid mal ein ernstes Wort reden!“
Squall zeigte eins seiner seltenen Lächeln. „Zu Befehl, Mama!“ bekräftigte er nickend. „Los, Leute, ich hole noch Rinoa, dann fliegen wir los. Selphie, ich hole dich später wieder mit der Ragnarok ab, Irvine, du kommst nach Deling City, wenn’s mit dem Garden nicht klappen sollte! Rinoa setze ich gleich in Esthar ab. Sie wird dort auf uns warten!“ Er ging ins Haus, um Rinoa klarzumachen, dass sie die „süßen Kleinen“ jetzt wieder verlassen musste.
„Ach, Xell“, wandte sich Edea an den blonden Jungen. „Wenn du in Balamb bist, dann sorg bitte dafür, dass...“ Den Rest flüsterte sie ihm ins Ohr. Er sah sie skeptisch an, zuckte dann aber mit den Schultern. „Na ja, wenn du darauf bestehst... aber ich weiß nicht, ob Direktor Cid davon begeistert sein wird!“ „Ihn kannst du ruhig mir überlassen“, entgegnete sie. „Er wird es nicht wagen, meinen Wunsch abzuschlagen!“
In diesem Moment kam auch Squall mit Rinoa wieder heraus, sie winkte den Kindern noch einmal zu, dann begaben sie sich alle zur Ragnarok und flogen ab. Edea sah dem Raumschiff gedankenversunken nach. Es war wirklich eine verfahrene Situation. Quistis davon zu überzeugen, dass sie auf der falschen Seite stand, würde schwierig werden, sehr schwierig. Aber zusammen müsste es möglich sein. Sie hoffte es. Sie wollte ihr kleines, starkes Mädchen nicht an einen dahergelaufenen Eroberer verlieren.
Als sie Schritte hinter sich hörte, lächelte sie und sagte, ohne sich umzusehen: „Es wird auch Zeit, dass ihr auftaucht! Squall und die anderen sind bereits wieder abgeflogen, Cifer. Aber ich vermute, mit ihm wolltest du ohnehin nicht sprechen.“ Sie hörte, wie die Schritte überrascht stoppten. „Nein“, gab der Junge zu, als er sich wieder gefangen hatte. „Woher hast du gewusst, ob ich überhaupt hierher komme?“ Edea drehte sich um. „Cifer, ich habe dich so viele Jahre um mich gehabt, ich weiß, dass du besonders Squall gegenüber niemals zugeben würdest, dass du deine Mutter um Hilfe bittest! Deshalb bist du bei den Centra- Ruinen ausgestiegen.“
„Wenn du schon alles über mich weißt, dann sag mir jetzt gefälligst, was ich tun soll!“ verlangte er wütend. Er mochte es nicht, wenn man ihm überlegen war. „Ich habe keinen Grund, an diesem Wahnsinnsunternehmen teilzunehmen, außer dem, dass ich mich rächen will! Aber das rechtfertigt noch lange nicht dieses Risiko!“
„Das musst du ganz allein entscheiden!“ meinte Edea mit den Schultern zuckend. „Aber erinnere dich, dass du damals auch keinen anderen Grund hattest, wiederholt gegen Squall zu kämpfen, außer dem, dass er dich einmal geschlagen hat! Das war doch auch ein nicht unerhebliches Risiko, oder?“
Einen Moment lang dachte Cifer nach. Fu-Jin und Rai-Jin, die dieses Wortduell verfolgten, warfen sich einen erstaunten Blick zu. Squall und die anderen mochten Cifer im Kampf überlegen sein, aber mit Worten hatten sie es noch nie mit ihm aufnehmen können. Und die ehemalige Hexe Edea brachte ihn so weit, dass er nicht mehr wusste, was er sagen sollte! Plötzlich lächelte er. „Du hast Recht“, gab er zu. „Ich habe wirklich einen guten Grund, mich gegen diesen Mistkerl zu stellen. Den besten, den ich haben kann. Aber wie sollen wir nach Esthar kommen? Ich glaube nicht, dass du dir in der Zwischenzeit ein Schnellboot angeschafft hast, oder?“
„Nein!“ Edea lachte. „Aber ich habe Xell gebeten, uns mit dem Balamb-Garden hier abzuholen. Ich glaube, er wird bald zurück sein.“ Nun waren die drei wirklich verblüfft. „Woher?“ wollte Fu-Jin wissen. „Ja, woher wussten Sie mal im Vorhinein, dass wir mitkommen?“ fügte Rai-Jin hinzu. Edea lachte wieder, diesmal etwas lauter. „Glaubt ihr wirklich, dass ich euch so schlecht kenne? Ich wusste sofort, als ich die Geschichte hörte, dass Cifer wild auf diesen Kampf ist. Eine ganze Armee Monster! Wo es doch immer schon sein Traum war, allen zu beweisen, wie gut er ist.“ Cifer grinste schief. „Gebt es auf, ihr beiden. Sie ist mir einfach über. Aber wehe, du verrätst weiter, dass ich das gesagt habe!“ „Natürlich nicht. Und jetzt kommt rein, ich muss die Kinder noch ins Bett schicken, bevor wir aufbringen. Ihr könnt ihnen ja vielleicht eine Gute-Nacht- Geschichte erzählen, während ich mich reisefertig mache!“ Sie drehte sich um, ohne die verdutzten Gesichter der drei noch weiter zu beachten.
Rinoa war die erste, die aus dem Raumschiff wieder ausstieg. „Und wenn Laguna EIN schlechtes Wort über uns sagt, dann richtest du ihm aus, das Duell findet morgen vor der Residenz statt!“ flüsterte Squall Rinoa zu, während er ihr mit dem Handschuh durchs Haar fuhr. „Mach ich!“ versicherte sie ihm grinsend. „Und du sagst meinem Vater, wenn er sich nicht anständig benimmt, lade ich ihn nicht zur Hochzeit ein!“ Sie küsste ihn noch einmal, dann sprang sie die Rampe hinunter und sah zu, wie sich die Klappe wieder schloss.
Nachdem die Ragnarok wieder verschwunden war, rief sie sich den Bauplan Esthars in Erinnerung und machte sich auf den Weg zur Residenz. Unterwegs konnte sie einige Gesprächsfetzen aufschnappen, wie: „Hast du gehört? Irgendwo in der Wüste sollen sich Monster ansammeln.“ Und „Das muss tatsächlich ernst sein. Der Präsident hat alle Militärs gebeten, sich bereitzuhalten.“ Nein, sie mussten Esthar verteidigen, schon allein, um diese Menschen zu schützen, die ihnen und Laguna vertrauten.
Sie hatte gar nicht gemerkt, wie schnell sie gegangen war, denn sie stand bereits vor der Residenz, als sie diesen Gedanken beendet hatte. Sie setzte sich auf das Transportband, ließ sich in das riesige Gebäude hineintransportieren und lief dann den langen Gang entlang, der zum Büro des Präsidenten führte. Zuerst wollten die Ehrenwachen vor der Tür sie aufhalten, aber dann erkannten sie, wer sie war und ließen sie passieren.
Laguna war gerade damit beschäftigt gewesen, mit Ward und Kiros zu streiten, als sie eintrat. „... und ich sage, es ist noch zu früh!“ behauptete er. „Wenn wir es den Leuten jetzt schon sagen, geraten sie in Panik und wenn sich dann nichts tut, sind sie sauer auf uns!“
„Hey, ich hab ja nur einen Vorschlag gemacht“, wehrte sich Kiros. „Aber sieh mal hinter dich, wir haben nämlich Besuch bekommen.“
Der Präsident drehte sich um und setzte sofort ein strahlendes Lächeln auf, als er Rinoa erblickte. „Rinoa! Welch nette Überraschung! Aber wieso bist du allein hier? Ist den anderen etwas zugestoßen?“ Plötzlich wirkte er sehr besorgt. „Nein, nein“, wehrte sie ab. „Den anderen geht’s gut, bis auf Quistis.“ Dann erzählte sie knapp die ganze Geschichte. Als sie geendet hatte, war die gute Stimmung im Raum verflogen.
„Das heißt also, dass wir jetzt nicht nur diesen Wahnsinnigen gegen uns haben, sondern auch jemanden, der ihm Einzelheiten über Esthar berichten kann.“ Laguna wirkte ziemlich besorgt. „Und das wiederum heißt, dass wir den Vorteil verlieren, den wir wegen seinen schlechten Informationen hatten. Ich glaube, unter diesen Umständen können wir es nicht riskieren, den Kampf in der Stadt stattfinden zu lassen. Wir werden ihn auf die Ebene davor verlagern, dort können wir dann auch unsere schweren Waffen einsetzen.“ Als er Rinoas erschrockenen Gesichtsausdruck bemerkte, machte er eine abschwächende Geste. „Nichts Ernstes. Nur ein paar Elektrokanonen, die noch aus der Zeit von Adell stammen. Sie werden nicht genug Feuerkraft haben, um die Monsterhorde zu stoppen, aber wir können sie immerhin damit verhindern, dass zu viele der Bestien in die Stadt gelangen.“
Einen kurzen Moment schloss er die Augen, dann riss er sie wieder auf und wandte sich mit befehlsgewohnter Stimme an Kiros und Ward: „So, ihr beiden! Ich glaube, JETZT ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die Bevölkerung in Panik geraten darf. Ruft das gesamte Militär zusammen und macht ihnen klar, dass sie sich auf der Ebene vor der Stadt Richtung Grandieri-Wald versammeln sollen. Wenn sie Glück haben, bekommen sie bald Gesellschaft zum Kartenspielen, bevor die Monsterschwemme anrollt. Und bringt Ell an einen Ort, wo sie sicher ist, aber ihre Kräfte wenn nötig einsetzen kann. Ab mit euch!“
Die beiden verschwanden. Laguna stellte sich in seiner Lieblingsposition ans Fenster und sah hinaus. „Nun, da das Offizielle jetzt erledigt ist, können wir ja offen reden. Edea hat Recht, wenn man in die Schlacht zieht, sollte man vorher noch alles Wichtige erledigen. Wir hätten dieses Gespräch längst führen sollen.“ Er drehte sich um und blickte in Rinoas finsteres Gesicht. „Was ist? Hab’ ich etwa was Falsches gesagt? Du siehst genau so aus wie Ell, als ich ihr verbieten musste, wegen eines Attentäters rauszugehen.“
„Wir hätten dieses Gespräch längst führen sollen!“ Rinoa schnaubte verächtlich. „Genau so fängt mein Vater auch immer an, wenn er mir etwas ausreden will! Aber egal was du auch sagst, ich werde mich NICHT von Squall trennen! Wenn wir diese blöde Schlacht überleben, dann werden wir uns irgendwo hin zurückziehen, wo uns keiner von euch zwei finden kann. Ich hätte eigentlich gedacht, dass du mit unserer Beziehung einverstanden bist, Laguna, aber da habe ich mich wohl geirrt. Wahrscheinlich willst du nur, dass Squall auch noch eine Weile dir gehört.“
Laguna hatte diese Litanei stillschweigend über sich ergehen lassen. Er setzte sich auf die Ecke seines Schreibtischs und sah Rinoa erstaunt eine Weile lang an. Sie wurde unsicher. Ihr Vater hätte ihr nach dieser Rede zumindest widersprochen, wenn nicht gar einen Streit angefangen. Dass der Esthar-Präsident so ruhig blieb, brachte sie völlig aus dem Konzept.
„Ich glaube, du hast mich da komplett falsch verstanden, junge Dame“, entgegnete Laguna immer noch ruhig. „Ich habe nicht vor, mich gegen dich und Squall zu stellen, im Gegenteil. Ich glaube nicht, dass ich überhaupt das Recht dazu habe. Squall ist zwar mein Sohn, aber da ich ihn vor ein paar Monaten das erste Mal gesehen habe, kann ich doch keine Besitzansprüche auf ihn erheben. Er würde das doch ohnehin nicht zulassen, oder?“
Nun war Rinoa überrascht. „Dann hast du wirklich nichts dagegen, dass er und ich zusammen sind?“ vergewisserte sie sich. „Und nenn mich nicht junge Dame! Das hat mein Vater auch getan und ich hasse das!“
„Nein, ich habe wirklich nichts dagegen,... junge Dame! Ich glaube, du bewertest deinen Vater viel zu streng, Rinoa. Versteh mich nicht falsch“, sagte er schnell mit einer abwehrenden Handbewegung, „ich halte ihn für einen arroganten, kalten Mann, der niemandem, besonders dir nicht, seine Gefühle offenbaren würde. Aber glaubst du nicht, dass das auch zum Teil deine Schuld ist? Zuerst ist ihm seine Frau gestorben, und dann hast du dich auch noch von ihm abgewandt. Wenn er auf Botschafterempfängen nicht immer so herablassend wäre, könnte er mir sogar Leid tun. Ich hoffe, dass ich mich mit dir besser verstehen werde als mit ihm. Also wehe, wenn ich irgendwelche Schattenseiten an dir entdecken sollte!“
Rinoa strahlte ihn an. „Ach, die wirst du noch früh genug zu spüren bekommen“, feixte sie. „Besonders in nächster Zeit. Squall und ich haben nämlich beschlossen, endgültig zusammenzuziehen. Und wir haben auch schon überlegt, ob wir dich zur Heirat einladen sollen!“
Jetzt war zur Abwechslung Laguna baff, was Rinoa weiterhin grinsen ließ. Dann schrie er auf. „Ich Unglücksseliger!“ brüllte er. „Womit habe ich das nur verdient? Hätte ich vorher nur nicht so gut von Carway geredet, jetzt muss ich ihn bald mit SCHWAGER ansprechen! Das ist zuviel!“ Er sank zusammen. Rinoa musste beinahe lachen, als er wie ein Häufchen Elend vor ihr saß. Dennoch hörte sie unterdrückte Freude in seiner Stimme, als er leise sagte: „Aber versprich mir wenigstens eins: Kommt nicht so bald auf die Idee, ein Baby zu haben! Für die Bezeichnung Großvater fühle ich mich noch entschieden zu jung!“
Das Mädchen wurde ein bisschen rot, dann lachte sie und umarmte Laguna, der dies willig geschehen ließ. „Versprochen... Papa!“ meinte sie grinsend. Den nächsten Satz des ehemaligen Soldaten verstand sie nicht genau, aber sie nahm an, dass es sich um „Was hab ich nur verbrochen?“ handelte.
Er löste sich nach einer Weile wieder von ihr, mit der Begründung: „Lassen wir das jetzt lieber. Am Ende sieht uns noch jemand und erzählt es Squall. Er fordert mich dann sicher zu einem Duell heraus, und darin hab ich nicht so viel Übung wie er.“ Rinoa kicherte leise und hängte sich bei ihm ein. „Na, dann gehen wir mal zu den Truppen und warten auf ihn. Dann kann ich dich vor ihm beschützen!“
Laguna versuchte, wenigstens etwas Würde zu bewahren, als Rinoa ihn aus dem Raum zerrte. Es gelang ihm nicht sonderlich gut. Er erkannte, dass er, sollte Esthar den Krieg überstehen, nicht viel Frieden finden würde... mit dieser Schwiegertochter... und ihrem Vater! Trotzdem seufzte er glücklich. Endlich kam wieder ein wenig Schwung in sein altes Leben!