Kapitel 6
„Quistis“, flüsterte jemand neben ihr. „Quistis, wach auf. Der Kampf ist vorbei.“
„Squall?“ flüsterte sie schwach zurück. Nein, Squall hatte keine so tiefe Stimme. „Irvine?“ fragte sie unsicher. Sie versuchte, die Augen zu öffnen, aber ein paar Momente lang sah sie überhaupt nichts.
„Gott sei dank“, meinte die Stimme mit deutlicher Erleichterung. „Ich dachte schon, du würdest nicht mehr erwachen. Das wäre zu viel gewesen, dich durch meine eigene Hand zu verlieren, nachdem ich dich durch eine glückliche Fügung wiedergefunden habe.“
„Sie!“ stieß sie mit eisigem Entsetzen hervor. „Wieso haben Sie mich nicht sterben lassen?“ Neben ihr auf einem sehr komfortablen Bett saß der Mann, den sie zu töten ausgezogen waren. Der Monsterbeschwörer sah sie mit einem Blick an, der Erleichterung, Neugier, Unsicherheit und... Glück ausdrückte. Aber wieso das?
„Dich sterben lassen? Nein. Ich wollte dich nicht endgültig verlieren, nicht, nachdem ich damals schon glaubte, dich verloren zu haben.“
„Damals? Was meinen Sie damit? Ich habe Sie noch nie im Leben gesehen?“ Quistis setzte sich langsam auf und wich ein wenig vor dem Mann zurück. Was wollte er von ihr? Sie war noch immer etwas schwach, wahrscheinlich eine Droge, aber sie konnte sich zur Wehr setzen, wenn nötig. Man hatte sie nicht einmal gefesselt, nur die Peitsche lag außerhalb ihrer Reichweite auf einem langen Tisch.
Der Blick des Mannes wurde noch ein wenig trauriger. „Ja..., das stimmt leider. Adell hat mir nicht die Zeit gelassen, dich sehen zu können.“ Er stand auf und ging zu einem der Monitore hinüber, die von überall im Zimmer aus gesehen werden konnten. Er ließ sie dabei nicht aus den Augen, genauso wenig wie sie ihn. „Du bist ein Waisenkind, nicht? Du weißt nicht, woher du kommst, wo du geboren wurdest. Ich vermute, dass du in irgendeinem Waisenhaus aufgewachsen bist und dann von dieser eigenartigen Kampfschule rekrutiert wurdest, weil du niemanden hattest, der etwas dagegen sagen konnte. Ist das richtig?“ Er drückte einige Befehle in die Tastatur.
„Woher wissen Sie das?“ Quistis wurde heiß und kalt. Wie konnte dieser Mensch, der so lange Zeit auf dem Mond gewesen war, von ihrer Vergangenheit wissen? Wer war er?
Er antwortete nicht. Aber auf dem Bildschirm erschien ein Bild. Es war ein Bild eines Hauses, eines nicht sehr großen Hauses. Es schien sich um eine Wohnung in Esthar zu handeln, denn sie war sehr modern eingerichtet. Sie stellte offenbar eine Mischung aus Arbeitszimmer und normaler Wohnung dar, vergleichbar mit der Einrichtung hier in diesem Raum. Irgendwie... berührte Quistis dieses Bild. Sie hatte dieses Zimmer schon einmal gesehen, das wusste sie. Es musste in ihrer Kindheit gewesen sein. Aber sie war vor ihrem Besuch mit Edea niemals in Esthar gewesen!
Das Bild wechselte. Eine Frau erschien. Eine junge Frau, Anfang zwanzig. Sie wurde offenbar von jemandem gefilmt, denn das Bild wackelte hin und her. Sie lachte und stellte sich in Positur, wie für eine Malerei. Dann kam sie näher und nahm dem Filmer die Kamera aus der Hand. Das Bild wurde schwarz. Quistis war wie gelähmt. Sie kannte diese Frau. Dieses Gesicht. Und diese Stimme, so weich und hell. Es war lange her, dass sie diese Stimme gehört hatte. Sehr lange. „Wer... ist das?“ würgte sie hervor. „Und wer sind Sie?“
Offenbar hatte ihre Reaktion auf diese Kurzfilme den Beschwörer in seiner Meinung über sie bestärkt, denn seine Stimme war nun nicht mehr unsicher. „Ich“, fing er an, „war früher ein Wissenschaftler in Esthar mit Namen Feyjar Standron. Zumindest bis zu dem Tag, an dem ich die junge Frau kennen lernte, die du auf diesem Film gesehen hast. Ich verliebte mich in sie, und ungefähr ein Jahr später heirateten wir, obwohl wir erst zwanzig waren. Ich nahm den Namen ihrer Familie an, als ich Siviane Trepe zur Frau nahm.“
Quistis sog entsetzt Luft ein, aber er sprach sofort weiter, ohne ihr Zeit zu einer Frage zu geben: „Wir waren nur ungefähr ein Jahr zusammen, bevor ich eine Entdeckung machte, die mich berühmt machen hätte können. Siviane war skeptisch, aber sie wusste, dass ich dadurch weit nach oben kommen konnte. Und wir brauchten dringend Geld, auch wenn ich das damals noch nicht wusste. Ich durfte meine Idee, die Monster in der Gegend gentechnisch zu verändern und damit zu einer unbezwingbaren Wache für Esthar zu machen, Adell persönlich vortragen, und sie war interessiert. Nur kam ihr irgendwann der Gedanke, dass ich ihr mit dieser Armee gefährlich werden könnte, und sie ließ mich festnehmen. An dem Tag, als ich zur Rakete geführt wurde, um zum Mond geschossen zu werden, ließ man mich noch einmal mit Siviane reden. Unter unzähligen Liebesbeteuerungen gestand sie mir schließlich, dass sie schwanger war. Dann zerrte man mich fort und schickte mich ins Exil im All.“
Er unterbrach sich und sah Quistis an, die ihn nunmehr wie vom Donner gerührt anstarrte. Ihre Lippen formten Worte, aber sie brachte keins davon hervor. „Meine Frau war schwanger, Quistis! Mit einem Mädchen!“ Er schritt auf sie zu und ergriff sie an den Schultern. „Quistis, du bist meine Tochter! Du bist die Tochter, die Adell aus Esthar fortbringen ließ, bevor sie deine Mutter und meine Frau tötete! Du hast sie auf dem Bild erkannt!“
Sie sah ihm ins Gesicht und versuchte, etwas zu sagen, brachte aber nur ein Krächzen hervor. Nervös fuhr er sich durch das grauwerdende Haar. „Du musst mir nicht sofort Glauben schenken“, versicherte er. „Aber du wirst merken, dass ich die Wahrheit sage. Sieh dir die Filme noch einmal an, Quistis! Du hast deine Mutter erkannt, als du sie sahst! Du bist meine Tochter!“ Er stand auf und trat einen Schritt zurück. „Du brauchst wahrscheinlich Zeit, um das alles zu verarbeiten, das verstehe ich. Ich werde dich jetzt allein lassen.“ Damit wandte er sich zur Tür und schloss sie hinter sich.
Eine Minute lang saß das Mädchen einfach nur da, ohne zu denken, nur auf die Tür sehend, die sich hinter diesem Mann geschlossen hatte. Dann richtete sie ihren Blick auf den Monitor, der ihr diese so vertrauten Bilder gezeigt hatte. Und dann warf sie sich auf das Bett und begann zu schluchzen, leise und völlig verwirrt.
Als sich die Tür das nächste Mal öffnete, saß Quistis aufrecht auf dem Bett, mit ihrer Peitsche in der Hand. „Du hast dich hoffentlich beruhigt, oder?“ versuchte der Wissenschaftler ein Gespräch anzufangen. „Wenn nicht, kann ich dir noch ein wenig Zeit lassen.“
„Kommen Sie nur herein“, sagte Quistis kühl. „Das Zimmer gehört ja schließlich Ihnen!“
Er wirkte enttäuscht. „Du glaubst mir noch immer nicht, wie?“ murmelte er.
„Es gibt keinen eindeutigen Beweis, dass Sie tatsächlich mein Vater sind!“ entgegnete sie ihm. „Auch wenn ich meine Mutter im Film erkannt habe, muss sie noch lange nicht Ihre Frau gewesen sein. Sie könnten genauso jemand gewesen sein, der sie gekannt hat und der mich belügen will, damit ich ihm vertraue.“
„Und warum sollte ich das tun?“ fragte er sie ruhig. „Warum sollte ich dieses Risiko auf mich nehmen? Ich hätte dich sterben lassen können, erinnere dich. Ich habe es nicht getan.“
Darauf konnte Quistis nichts erwidern. Aber sie war nicht bereit, diesen Mann, der beabsichtigte, mit einer Horde Monster seine Heimatstadt zu stürmen, als ihren Vater anzuerkennen. „Was ist mit meinen Freunden?“ konterte sie zornig. „Wieso haben Sie sie sterben lassen, wenn Sie wussten, dass ich Ihre Tochter bin?“
„Jemand, der im Kampf stirbt, ist nicht endgültig tot, gerade du müsstest das wissen, Quistis“, meinte er zaghaft lächelnd. „Einige dieser interessanten Federn, die ihr so massenhaft bei euch tragt, haben sie schnell wieder ins Leben zurückgeholt, auch wenn sie noch eine Zeitlang aus Sicherheitsgründen betäubt werden mussten. Schließlich konnte ich nicht riskieren, mit ihnen in einem Zimmer zu sein, wenn sie erwachen.“
„Sie leben?“ Quistis riss die Augen auf. „Ich will sie sehen!“
„Wenn du willst“ sagte ihr Vater achselzuckend. „Sie sind im ehemaligen Sicherheitsraum für einen Bergeinsturz untergebracht. Dort dürfte die Tür eine Zeitlang ihren Angriffen standhalten. Du kannst sie gerne durch die dort angebrachte Kamera beobachten.“
„Ich will sie nicht nur sehen, ich will zu ihnen!“ erwiderte Quistis hitzig. Squall und die anderen lebten noch! Sie musste sofort mit ihnen reden und sie bitten, den Berg sofort zu verlassen, damit sie mit mehr Unterstützung zurückkommen konnten und ihren Vater... Sie biss sich auf die Zunge. Sie begann schon, diesen Mann in Gedanken ihren Vater zu nennen. Das war ein wunder Punkt, sollte es jemals wieder zum Kampf mit ihm kommen. Aber schön langsam fing auch ihr Zweifel an zu bröckeln. Nur noch ein paar Mal diese Filme ansehen, dann würde sie ihm glauben.
„Das würde ich nicht unbedingt empfehlen!“ wehrte der Monsterbeschwörer ab. „Ich habe sie schon einmal ein paar Minuten lang beobachtet und sie... nein, sieh lieber selbst. Du würdest mir ohnehin nicht glauben.“
Er trat an die Tastatur heran, gab einen Befehl ein und das Bild auf dem Monitor veränderte sich zu dem eines ziemlich großen, sehr massiv aussehenden Raums. Ein großer Tisch stand in der Mitte, und einige Kojen waren an den Wänden untergebracht. In zwei der Kojen hingen Xell und Selphie herum, Rinoa ging nervös im Zimmer auf und ab, Squall saß in einem der Sessel. Auf der anderen Seite lag Rai-Jin in einer Koje, die ziemlich klein für ihn war. Neben ihm lehnten Cifer und Fu-Jin an der Wand. Quistis’ Herz machte einen Luftsprung. Sie waren tatsächlich noch am Leben.
„Sieh sie dir ruhig an. Aber ich warne dich: Es wird vielleicht sehr schmerzvoll für dich sein!“ bat sie der Wissenschaftler zu sich. Einen Moment lang sah Quistis ihm scharf ins Gesicht, dann setzte sie sich auf den Stuhl vor dem Monitor, da sie keine Hinterlist in seiner Miene entdecken konnte. Irgendwie würde sie ihren Freunden zur Flucht verhelfen. Sie vertrauten ihr. Sie hatten sich immer vertraut.
„Auch wenn’s dir nicht gefällt, Squall, ich sag’s noch mal: Deine feine Freundin hat uns alle an diesen Mistkerl verraten!“ verkündete Cifer gerade. Nun, von ihm war das keine Überraschung. Er hatte sie nie gemocht.
„Hör auf, solchen Blödsinn zu reden, Cifer!“ zischte Rinoa ihn an. „Quistis würde niemals ihre Freunde verraten!“
„Wie nobel!“ ließ Rai-Jin von sich vernehmen. „Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, schien sie mal ziemlich abweisend zu euch zu sein. Oder sehe ich das falsch?“
Rinoa antwortete nicht, sondern setzte ihre Wanderung durchs Zimmer fort. Sag ihnen, dass ich es nicht war, Rinoa, flehte Quistis sie an, aber das schwarzhaarige Mädchen widersprach Rai-Jin nicht. Dafür Squall.
„Quistis ist ein SEED“, entgegnete er ruhig. „Sie wurde dazu ausgebildet, übermächtige Wesen auszuschalten, und das mit einem gesamten SEED-Team. Noch nie hat ein SEED, der noch dazu Ausbilder war, einen solchen Verrat begangen, Cifer, das weißt du. Und Quistis am allerwenigsten!“
„Und da bist du dir sicher?“ fragte dieser störrisch. „Ich wäre auch fast SEED geworden, und ich habe den Garden verlassen. Viele SEED-Anwärter haben sich kaufen lassen, um irgendwelche Dörfer zu bewachen. Nicht alle sind so edel wie du, Squall. Die meisten Menschen haben ihren Preis. Man muss ihn nur kennen.“
Squall zog die Gunblade so schnell, dass man sie erst sah, als sie in seiner Hand lag. Er sprang über den Tisch auf Cifer zu, der es gerade noch schaffte, seine eigene Waffe hochzureißen. Die beiden kämpften in dem Raum, und keiner der anderen wagte es, ihnen zu nahe zu kommen. Es wären vielleicht noch weitere Narben entstanden, wäre nicht plötzlich ein Projektil zwischen den Kämpfern durchgeschossen und hätte sich in einer der Wände gebohrt.
„Hört auf mit dem Quatsch!“ fuhr Irvine sie an, seine Exetor rauchte noch. „Egal, ob Quistis uns verraten hat oder nicht, es hilft uns nichts, wenn ihr euch gegenseitig umbringt! Wir müssen hier raus und den Monsterbeschwörer töten, bevor er Esthar angreift, rafft ihr das nicht?“
Die beiden gingen tatsächlich auseinander, wenn auch widerwillig. „Du kannst die Wahrheit nicht verleugnen, Squall“, brummte Cifer. „Dieser Forscher kannte sie, das haben wir gemerkt. Er machte ein ganz komisches Gesicht, als wir ihren Namen erwähnten.“ „Untreue“ fügte Fu-Jin finster drein sehend hinzu.
„Squall, du musst zugeben, dass Quistis sich in letzter Zeit sehr seltsam verhalten hat“, flüsterte Xell leise, aber alle hörten ihn. „Ich will damit nicht behaupten zu wissen, dass sie eine Verräterin ist, aber du hast selbst gesehen, wie der Beschwörer den Monstern befohlen hat, sie zu verschonen. Wir sollten zumindest die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sie auf der anderen Seite steht!“
„Xell hat Recht, Squall!“ Selphie setzte sich auf. „Ich will auch nicht glauben, dass Quistis so etwas tuuuuun würde, aber als SEEDs müssen wir darauf gefasst sein, sie gegen uns zu haben. Daaaas ist die Sachlage.“
Quistis war geschockt. Sie trauten ihr wirklich so etwas zu? Squall, bitte weis sie zurecht! bat sie inständig, aber ihre Gebete wurden nicht erhört. Squall sah die beiden lediglich an, steckte seine Gunblade wieder ein, setzte sich hin und verbarg das Gesicht zwischen den Händen.
„Die beiden sind wenigstens realistisch, Squall!“ bekräftigte Cifer, der wieder an der Wand lehnte. „Irgendwann wirst auch du es einsehen müssen.“
„Halt den Mund“, murmelte Squall müde, aber er wirkte nicht sehr überzeugend. Sogar er? Verdächtigte sogar er sie? Quistis fühlte sich, als ob ihr Herz in Stücke gerissen und dann von einem hungrigen Monster Stück für Stück verspeist würde. Waren das wirklich die Menschen gewesen, denen sie wie keinen anderen vertraute, die eben gehört hatte? Obwohl sie versuchte, es zu unterdrücken, entkam ein Schluchzen ihrer Kehle.
„Ich weiß, wie dir zumute ist, Quistis“, erklang die Stimme hinter ihr beruhigend. „Glaub mir, ich habe dasselbe durchgemacht wie du, als ich zur Rakete gezerrt wurde, immer weiter von deiner Mutter weg. Und keiner, absolut keiner dieser Feiglinge von Esthar-Bewohnern versuchte, irgendwas zu tun, obwohl Adell weit weg in ihrer sicheren Residenz weilte. Manche der Leute kannte ich gut, aber niemand bequemte sich, wenigstens zu protestieren, obwohl den meisten Soldaten auch nicht wohl bei dem Gedanken war, jemanden, der all sein Wissen für die Stadt eingesetzt hatte, auf den Mond zu schießen. Ich habe es noch nie zugegeben, und ich werde es auch nicht wieder tun, aber in den ersten Jahren im Exil war es nur die Verachtung, die ich für diese Menschen empfand, die mich überleben ließ.“
Er legte ihr den Arm auf die Schulter und sie ließ es geschehen. Alle hatten sich gegen sie gewandt. Warum sollte sie den Trost, den sie nun spürte, zurückweisen? In der Zwischenzeit hatten die Gefangenen nichts gesagt, aber jetzt stand Squall auf, mit gebeugten Schultern und verkündete: „Alle mal herhören. Ja, auch du, Cifer, auch wenn’s dir schwerfällt! Wir müssen jetzt mal versuchen, diese Tür da aufzubekommen, dann kannst du mit deinen Kumpanen meinetwegen abhauen. Wir werden jedenfalls versuchen, die Zuflucht des Feindes zu finden und ihn... und Quistis... zu töten!“
Cifer sah ihn einen Moment lang trotzig an, dann wurde er nachdenklich. „Natürlich werden wir abhauen!“ behauptete er. „Glaubst du im Ernst, ich würde mich auf dieses Himmelfahrtskommando einlassen?“ Aber an seinen Augen konnte man sehen, dass er das noch nicht entschieden hatte. Er war stolz. Und sein Stolz hatte den angeblichen Verrat von Quistis noch nicht vergessen. Dafür wollte er sie tot sehen. Sie und ihren Vater. Die Zeit würde zeigen, ob sein Stolz oder sein Überlebensinstinkt stärker war.
Das war zuviel! Sogar Squall! Der Junge, den sie einst geglaubt hatte zu lieben! Wie konnte er nur denken, sie würde ihn und die Menschen, mit denen sie aufgewachsen war, verraten? Zwei Tränen rannen ihr über die Wange, aber sie wischte sie schnell ab.
„Quistis, fühlst du dich nicht wohl?“ fragte ihr Vater hinter ihr. „Du solltest dich hinlegen und die Sache erst mal überschlafen. Ich glaube nicht, dass sich die Meinung deiner Freunde dort unten ändern wird, aber vielleicht siehst du selbst die Sache dann nicht mehr so schlimm!“
„Nein!“ flüsterte sie. „Nein!“ wiederholte sie lauter. „Das wird nicht passieren. Sollen sie doch alle miteinander zur Hölle fahren! Wenn sie mir einen solchen Verrat zutrauen..., dann will ich sie nie wieder sehen! Ich will, dass sie leiden, so wie ich gelitten habe, als sie diese Worte ausgesprochen haben!“
Ganz auf ihre düsteren Gedanken konzentriert, verabsäumte Quistis, ihrem Vater ins Gesicht zu blicken, wo sie ein böses Lächeln gesehen hätte. Gut, dachte er, sehr gut. Das ist die Tochter, die ich mir gewünscht habe. Sie wird mir eine große Hilfe sein. Willkommen daheim!
„Vielleicht kann ich dir dabei helfen“, bot er unschuldig an. „Ich habe deinen Freunden nie das Schicksal zugedacht, in diesem Bunker zu verrotten. Wahrscheinlich hätte die Tür ihren seltsamen Waffen ohnehin nicht lange widerstanden. Ich hatte eigentlich etwas anderes für sie vorgesehen, etwas, wo sie ihre Kraft sinnvoller einsetzen können..., aber nein, das würdest du nicht gutheißen. Vergessen wir’s.“
Quistis blickte ihn mit kalten Augen an. „Das sind nicht meine Freunde!“ sagte sie leise. „Was hast du ihnen zugedacht? Ich höre!“
Teilnahmslos hörte sie ihm zu. Sie hatten sie von sich gestoßen, sie verleumdet und des Verrats bezichtigt. Das würden sie büßen. Der Plan, den ihr Vater (sie war nun bereit, ihn so zu bezeichnen) vorschlug, war gut. Sie würden Schmerzen erleiden, große Schmerzen, aber sie hatten die Chance zu überleben, was die Möglichkeit ausschloss, dass sie ablehnten. Am Ende der Erklärung stand sie auf. „Ich gehe zu ihnen!“ verkündete sie. „Ich werde ihnen deine Botschaft überbringen. Bereite du deine Überraschung vor,... Vater.“
Sie ging und schloss die Tür hinter sich. Der Monsterbeschwörer lächelte. Alles verlief nach Plan. Vater und Tochter würden bald ihre Rache nehmen können, an Esthar, und dann, mit ihrer Hilfe, am Balamb-Garden, der ihnen noch gefährlich werden konnte. Wenn ihre Macht über Esthar dann gefestigt war, konnte man Galbadia getrost vergessen. Gegen diese Armee, über die er gebot, konnte auch das gesamte Heer Galbadias nichts ausrichten. Er aktivierte das Gerät in seiner Hirnrinde und rief seine Armee. Sie sollten heute eine weitere Aufgabe bekommen.
„Woraus ist diese blöde Tür?“ staunte Xell erschöpft, nachdem er fast 10 Minuten darauf eingeschlagen hatte. Auch Blitzga-Zauber, die beiden Gunblades und Irvines Exetor hatten nicht mehr als ein paar Dellen hinterlassen. „Sie muss ja mindestens einen halben Meter dick sein!“
„Squall, das bringt nichts!“ meldete sich Rinoa. „Wir müssen Limits anwenden, sonst kommen wir hier nie raus.“ Sie wollte gerade einen Aura-Zauber auf sich sprechen, als man an der Tür ein Geräusch hörte.
„Warte!“ wies Squall sie an. Er ging in Angriffsstellung. Sollte der Monsterbeschwörer wirklich so verrückt sein, sie angreifen zu wollen, dann würden sie ihren Auftrag schneller erledigen können als gedacht. „Alle in Angriffsposition! Und allergrößte Vorsicht! Vielleicht kommen gleich ein paar Monster rein!“
Die Tür entriegelte sich mit einem lauten Zischen. Die extrem komprimierte Druckluft in einer Spalte zwischen den Metallplatten waren es wohl gewesen, die die ungeheure Wucht ihrer Angriffe abgefangen hatten. Sie waren wahrlich ein Meisterwerk estharischer Baukunst. Squall wunderte sich, dass er in der Stadt selbst so wenig von diesem erstaunlichen Material gesehen hatte, beantwortete sich aber gleich darauf selbst, dass es wohl hinter den dünnen Kunststoffschichten verborgen war, die Esthar auszeichneten. Selbst die Monsterarmee würde es nicht leicht haben, diese Wände zu durchbrechen, aber genug Menschen würden auf den Straßen sterben oder früher oder später verhungern.






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