by G. Girlinger

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Prolog

Die Kapsel rauchte noch. Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne berührten sie schon, nachdem sie eine lange Nacht hier in der Abadan-Ebene gelegen und langsam abgekühlt war, aber dennoch war sie noch nicht kalt. Die Luft, die sie auf ihrer Reise durchquert hatte, hatte sie so stark aufgeheizt, dass jedes noch so stabile Gefährt verglüht wäre, aber die Kapsel hatte dem ungeheuren Druck der Elemente standgehalten.
Die schlanke, trotz der nahenden Sonne immer noch in den Schatten verborgene Gestalt senkte bedauernd den Kopf. Diese Raumkapsel war ein Meisterwerk gewesen, ein fast vollkommenes Raumschiff. Undurchdringlich für Meteore und herumfliegendes Eis, strahlungsabweisend und so hitzebeständig, wie man ein solches Gefährt nur bauen konnte... Es war äußerst schade, dass niemand außer ihm die beeindruckende Leistung mitbekommen hatte, die diese Kapsel geschafft hatte.
Die Gestalt hob den Kopf hinauf zum Himmel, wo der Mond noch immer in einem dämonischen Rot glühte. Die sogenannte „Träne des Mondes“, das mit Abstand gefährlichste kosmische Ereignis, das die Erde jemals heimgesucht hatte, war bereits seit mehreren Stunden zu Ende, aber die Spuren konnte man dem Erdtrabanten noch immer ablesen. Allerdings war er vermutlich der einzige, der momentan zum Mond aufsah, denn die Folgen dieses höchst interessanten Phänomens waren auf der Erde sicher noch viel weitreichender als dort oben.
Er fragte sich, was die „Träne des Mondes“ überhaupt ausgelöst hatte. Soweit er gehört hatte, konnte die Monsterschwemme nur dann stattfinden, wenn die Lunatic Pandora zu einem gewissen Zeitpunkt an einem gewissen Ort stand. Das war seit fast 20 Jahren nicht mehr der Fall gewesen, genauer gesagt, seit man einen jungen und damals naiven Wissenschaftler aus Esthar auf dem Mond ausgesetzt hatte.
Esthar...
Seine Heimatstadt, die ihn und seine Arbeit verraten hatte. Er hätte ihr die absolute Weltmacht bringen können, aber diese verdammte Hexe Adell hatte seine bahnbrechenden Forschungen zurückgewiesen und ihn im wahrsten Sinne des Wortes zum Mann im Mond gemacht. Nun, das war aber auch größtenteils seine Schuld. Er hatte auf die Grausamkeit und den Machthunger dieser Xanthippe gesetzt, als er ihr seinen Plan vorgetragen hatte, aber sie hatte in ihm vermutlich jemanden gesehen, der ihr irgendwann einmal gefährlich werden konnte. Womit sie zweifellos Recht gehabt hatte, auch wenn er damals weit entfernt von einer Machtübernahme gewesen war.
Heute war er es nicht mehr. Er hatte die Zeit auf dem weißen Himmelsgestirn genutzt, sinnvoll genutzt. Er hatte seine Forschungen zu Ende geführt und damit klammheimlich die größte Armee aufgebaut, die jemals auf dieser Erde marschiert war. Jetzt musste er sie nur noch finden...
Hinter dem Mann stapfte auf muskelbepackten, lila Pfoten etwas heran, das für die meisten Menschen dieser Erde einen großen Schrecken und bald darauffolgenden Tod bedeutet hätte. Ihn ließ der Auftritt des Behemoth kalt. Das riesige und äußerst gefährliche Monster kam näher an ihn heran, ließ ein dumpfes Knurren aus der Kehle erklingen und sah den Störenfried, der sein neues Revier so unverfroren betreten hatte, mordlüstern an. Ein einfacher Mensch wagte es, einfach so ruhig vor ihm zu stehen und sich nicht einmal umzusehen? Untolerierbar! Der Behemoth brüllte wütend.
Der Mensch tat so, als hätte er nichts gehört, was das Monster fast zur Weisglut brachte, dann drehte er sich langsam herum. Das violette Tier spannte die Muskeln, riss das Maul auf und – erstarrte. Dieser Mensch, der ohne Waffe und Verteidigungsmöglichkeit vor ihm stand, der sogar die Hände nicht aus den Hosentaschen nahm, war nicht irgend jemand. Er war etwas Besonderes. Er hatte eine sonderbare Gabe. Er –
Auf einmal begann im kleinen, unterentwickelten Gehirn des Monsters etwas zu ticken, etwas, das seit seiner Geburt da gewesen war, ohne dass es beachtet worden wäre. Ein Instinkt, der den entfernten Ahnen des Behemoth eingepflanzt worden war, um sich ihres unbedingten Gehorsams zu versichern. Eine Sekunde lang versuchte die Kreatur dem unglaublichen geistigen Druck zu widerstehen, aber das war nicht möglich. Langsam ging das Monster in die Knie und blieb vor dem Menschen im Staub liegen. In seinen Gedanken war nur noch Platz für ein Wort: Herr.
Die dunkle Gestalt lachte. „Sehr gut“, flüsterte sie, mehr zu sich selbst als zu dem Monster vor ihm. „Sehr gut. Du erkennst mich also noch. Und wenn du mir so ohne Schwierigkeiten folgst, dann werden deine Artgenossen das auch tun.“ Er setzte sich langsam in Bewegung und begann die Flanke des Ungeheuers zu ersteigen. Jeder, der dieses Schauspiel verfolgt hätte, wäre von anderen Menschen in die nächste Irrenanstalt eingeliefert worden, wenn er erzählt hätte, dass jemand einen Behemoth als Reittier benutzte.
Dennoch, der sonderbare Mann saß oben, machte eine Handbewegung und hielt sich fest, als das Monster sich vorsichtig erhob. „Und jetzt“, verkündete er triumphierend, „suchen wir deine Brüder und Schwestern, auf dass auch sie sich uns anschließen. Und danach die anderen Monstergattungen. Alle Ungeheuer dieser Welt!“
Bei diesen Worten setzte sich der Behemoth in Bewegung. Der Wind trug noch einige Zeit ein grimmiges Lachen heran, dann erstarb jedes Geräusch. Die Kapsel hatte aufgehört zu rauchen.