-
Mirokurator
Kapitel 5
In Cafu erwartete der Dorfälteste die kleine, sichtbar niedergeschlagene Gruppe bereits.
"Seid gegrüßt, meine Helden. Die Monster sind verschwunden und nun können wir wieder ruhig schlafen. Ich danke euch im Namen des ganzen Dorfes."
Feena musste an die Worte des Fremden denken, der Mullens Körper für sich beansprucht hatte.
"...Ihr werdet das Schicksal dieser Welt nicht ändern können..."
Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihrem Bauch breit, aber sie wollte dem Alten und seinem Dorf nicht die gute Stimmung nehmen. Auch auf dem Fest, welches zu Ehren von Leen, Justin, Rapp und ihr wenig später abgehalten wurde, konnte sie sich kaum amüsieren, zu sehr wogen die Worte und die Augen des Ikariers in ihrem Gedächtnis. Selbst ihr Schlaf, der sonst im Stande war, alle schlechten Erinnerungen zu beseitigen, war unruhig und gab dem grünhaarigen Mädchen keinen Frieden. Feenas Vorahnungen waren unbeschreiblich schlimm, und ihrer Schwester ging es auch nicht besser.
Nanas Mund stand vor Verblüffung offen.
"Habe ich sie gerade richtig verstanden, Kommandant? Gaias Überreste sind... ungefährlich?"
Der Ikarier in Mullens Körper war kurz zuvor im Hauptquartier angekommen. Die drei Schwestern, die dort das provisorische Kommando innehatten, bemerkten sehr wohl seine rot glühenden Augen, konnten daraus aber auf nichts schließen.
"Ja.", lächelte Mullen.
"Ausserdem ist es egal, wie gefährlich es ist, solange es einem die Kraft verleiht, mit dieser Gefahr umzugehen."
"Aber...", stotterte Mio, "Ihr habt doch immer gesagt, es sei unverantwortlich, ..."
"Habe ich das?"
Er kramte kurz in den Erinnerungen des Armeekommandanten und fand, was er suchte.
"Dann habe ich meine Entscheidung soeben geändert. Wir werden alles versuchen, um an die Macht zu kommen, die in diesem geheimnisvollen Organismus steckt! Verlegt sofort die Arbeit all unserer Forscher in die unterste Etage!"
Mullen bemerkte den geschockten Blick der Drei.
"Das war ein Befehl!"
Nana, Mio und Saki setzten sich widerstrebend in Bewegung, um die Kommandos auszuführen. Der grinsende Mullen stand noch lange in seinem Zimmer und ließ sich vom Strom der Erinnerungen berauschen, die dem Armeehauptmann, dessen Körper er übernommen hatte, zu eigen waren. Selbst die schändlichen, verhassten Andenken, die er an sein eigenes Volk pflegte, kamen nicht an die Macht der Kreatur heran, die man hier Gaia nannte. Er war gespannt. Der Tag seiner Rache kam langsam, aber sicher näher. Wenn er sich schon nicht bei seinen Vorfahren "bedanken" konnte, so konnten wenigstens die lächerlichen Menschen dran glauben.
Liete blätterte in einem großen Buch. Ihre violetten Haare hingen leblos über ihren müden Augen, denn sie hatte in der letzten Nacht keinen Tropfen Schlaf gehabt. Ihr Kopf dagegen war hellwach und arbeitete auf Hochtouren, denn auch sie hatte die Macht bemerkt, die sich am Horizont zusammenzog und auf der Erde manifestiert hatte. Die vergilbten Seiten des uralten Buches waren beinah von der Fäule zerfressen, aber die Magierin erkannte die ikarischen Schriftzeichen noch gut genug, um ihre Botschaft zu verstehen. Lietes Fingernägel legten sich routiniert auf eine Stelle, die sie noch nie in einem der antiken Bücher bemerkt hatte. Es schien sich um kein fröhliches Kapitel der Ikarier zu handeln, denn dieser Teil des Manuskriptes war dunkel und verwischt, als hätte der Verfasser eine unglaubliche Wut in den Finger gehabt. Die kleine Geschichte war auch nicht sonderlich lang, und ihr Inhalt hob sich grob von dem der Anderen ab. Sie drehte sich nicht um den kulturellen und wirtschaftlichen Reichtum, von dem in den Bücher aus dem antiken Ikarien so oft die Rede war, nein, es schien sich eher um den Bericht eines Ereignisses zu handeln, dass die Leute damals zu Tode schockiert haben musste, denn die Bemühungen, es zu vergessen, waren unübersehbar. Lietes Augen glitten schnell über die Zeilen und zogen sie gleich in ihren Bann. Dort war die Rede von einem Ikarier, einem Mitglied des alten Volkes, dem dessen so oft gepriesene Tugenden fremd waren. Er sei verwegen gewesen und wenn er den Mund öffnete, konnte sich niemand seinem Bann widersetzen. Die Mächtigen seines Volkes hatten ihn für eine Bedrohung gehalten und ihn an einem geheimen Ort eingesperrt. Aber der Ikarier entkam und brachte viele der Seinen dazu, sich mit ihm zu verbünden. Als bekannt wurde, dass er nichts weniger als die Herrschaft über die ganze Welt anstrebte, sahen sich die Oberen gezwungen, ihn in einem Gefängnis einzuschließen, aus dem man nicht entkommen konnte, und aus dem er seine verheerenden Kräfte nicht verwenden konnte. Der Plan gelang, und schnell stellte sich das gewöhnliche Leben wieder ein. Kurze Zeit danach hatte man den Störenfried bereits vergessen und lebte weiter in Fröhlichkeit und Glück. Aber seine Wut sammelte sich über die Jahrhunderte, und überlebte auch den Untergang seines Volkes. Der Ikarier wusste nicht, was um ihn herum geschah, aber der Hass trieb ihn innerlich in den Wahnsinn. Liete blickte auf eine Illustration neben dem Text. Das Bild zeigte wahrscheinlich die beschriebene Person, die zu anderen Ikariern redete. Eine lange Strähne schwarzen Haares schmückte seinen Kopf und sein freundlicher Blick ließ nichts von seinem bösen Wesen erahnen. In weiteren Bildern sah man Zeichnungen von verschiedenen Lebensabschnitten und schließlich auch seinem Ende. Die Magierin blätterte kurz zurück und schaute noch einmal auf den Namen. Havione stand dort geschrieben, in Buchstaben, die im Stande waren, ganze Bücher der Wut zu ersetzen. Liete klappte den alten Wälzer vorsichtig zu und erhob sich von ihrem Stuhl. Angst und Zweifel erfüllten ihren Körper, als sie ihre Heimat verließ, auf dem Weg zu dem Ort, wo sie sich Antworten auf ihre Fragen erhoffte.
--
Ein klassisches Rollenspiel, reduziert auf den Zauber des alten Genres: Wortgewaltige Sprache. Fordernde Kämpfe. Drei, die einen Drachen töten – und was sie dazu führen mag ...
Jetzt für 2€ auf Steam, werft mal einen Blick drauf! =D
Berechtigungen
- Neue Themen erstellen: Nein
- Themen beantworten: Nein
- Anhänge hochladen: Nein
- Beiträge bearbeiten: Nein
-
Foren-Regeln