Kapitel 4

"Bei Seite, Feena!"
Zischte Leen und schritt mit gezogenem Schwert an ihrer lächelnden Schwester vorbei zu dem besessenen Körper Mullens. Feena wusste, wenn Leen sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, brachte sie es auch zu Ende. Auf ihre Schwester war Verlass, daher stand sie auf, um Justin zu helfen, der den irren Attacken seines Freundes Rapp offensichtlich nicht mehr lange stand halten konnte, geschweige denn, im Stande war, in die Offensive zu wechseln.

An anderer Stelle diskutierten drei Garlyle - Kommandantinnen vor einer riesigen, äußerst gut gesicherten Stahltür. Die Größte der Drei, deren lange, lilane Haare im matten Licht der unterirdischen Anlage kaum von ihrer Uniform zu unterscheiden waren, grinste ihre Begleiterinnen an und hielt sich während des Lachens die Hand vor den Mund.
"Aber natürlich! Ich hab nicht die geringste Ahnung, was ihr überhaupt noch zweifelt, meine Lieben!"
"Nana! Du weißt genau, dass Gaias Überreste Verschlusssache sind, Mullen hat dir ausdrücklich befohlen, nicht damit herum zu experimentieren!"
Die Worte kamen aus dem Mund der Kleinsten der drei Schwestern, deren hochnäsiger Blick von einer winzigen runden Brille geziert wurde. Aus ihrer Mütze entsprang dickes, aber kurzes grünes Haar. Die Dritte, deren faszinierter Blick unter rotbräunlichen kurzen Haaren ruhte, lief langsam mit hallenden Schritten auf die Tür zu und ließ ihre Hand darüber gleiten.
"Mio und Nana! Hört auf, euch zu streiten, Mullen wird schon wissen, wann die Zeit gekommen ist."
"Du hast vielleicht Recht, Saki, aber ich denke, unser guter Kommandant ist zu zögerlich! Ihr habt genau gesehen, über welche Macht Gaia verfügte, als es noch lebte..."
Kurze Zeit war das ruhige Atmen der Drei das einzige Geräusch in der Tiefe.
"Nun gut, lasst uns gehen, wir benehmen uns wie kleine Mädchen!"
"Ha! Du vielleicht! Ich denke nur realistisch."
Nana und Saki knurrten sich noch kurz an, um dann wieder in die höheren Etagen der Garlyle - Basis zurückzukehren, wo sich auch die gewöhnlichen Soldaten aufhalten durften, ohne hingerichtet zu werden.

Rapp zappelte wie wild, aber mit Justin, der seine Arme um die seines Gegners geschlossen hatte, und Feenas Peitsche, die ihm die Bewegungsfreiheit raubte, brachte ihm das nicht mehr viel. Trotz allem verrauchte seine künstliche Wut nicht, sie wurde nur noch wilder. Mullens Klinge wurde pariert und zur Seite gezerrt, aber Leen schaffte es nicht, einen Konter anzusetzen, bevor ihr Gegner abermals zuschlug. Wut und Kampfeslust spiegelten sich in seinen Augen, aber die Ikarierin ließ sich nicht unterkriegen. Immer wieder entfalteten sich ihre Schwingen und stießen den Besessenen gegen eine nahe Wand, was ihn aber nicht davon abhielt, wieder aufzustehen und weiter zu kämpfen. Dann aber ereilte das Schicksal Leens Klinge und das Mädchen landete einen bösen Treffer an der Seite seines Brustkorbes, woraufhin der mächtige Krieger stöhnend, aber noch immer mit einen widersprüchlichen Grinsen auf den Zügen, zu Boden ging. Leen lief auf ihn zu und zielte mit ihrem Schwert auf den am Boden Liegenden. Dann stoppte sie und der Zorn in ihren Augen wurde von Zweifel erfasst, als Mullens bösartiger, wütender Gesichtsausdruck verschwand und die schmerzerfüllten, blauen Augen zu Leen hoch starrten. Sie war nicht im Stande, weiter zu kämpfen. Denn Leen sah ihren Mullen direkt vor sich. Sie ging mit Tränen auf den Augen zu Boden. Er stand lächelnd auf und schritt stolz an seiner Gegnerin vorbei, obwohl die Wunde an seiner Seite noch immer blutete.
"Ikarierin? Pah! Leen, du bist praktisch gesehen ein Mensch, soviel Unnützes hast du von ihnen übernommen, und hast damit kein besseres Schicksal verdient als alle Anderen deiner armen Rasse!"
Leens Tränen verließen ihre Augen und schlugen hart auf dem Boden auf, als sie realisierte, dass sie Mullen, ob Körper, ob Seele oder einen anderen Teil von ihm, niemals töten konnte. Als seine ruhigen Schritte den Waldrand erreicht hatten, drehte er sich noch einmal um, und Feena und Leen konnte erschrocken die rot glühenden, durchsichtigen Engelsschwingen sehen, die auf seinem Rücken die Luft peinigten.
"Lebt wohl, Feena und Leen. Ihr werdet das Schicksal dieser verdammten Welt nicht verändern können! Ihr seid Menschen geworden, arme, kleine Menschen!"
Mit diesen gehässigen Worten verschwand Mullen im Wald, und Rapps Wut verschwand von einem Moment zum Nächsten. Es war sein Pech, dass Justin gerade versuchte, ihn mit einer Holzkeule zu exorzieren.
"Autsch!! Verdammt, was soll das?!"
Justin blickte verdutzt in die Augen seines Freundes, aus denen auch der letzte Funke roten Glühens verschwunden war, und lächelte dann.
"Hey, Feena, es hat funktioniert!"
Doch seine Begleiterin beachtete ihn gar nicht. Sie schaute mit einem angstvollen Blick in die Richtung, in der Mullen den Kampfplatz verlassen hatte. Dann eilte sie zu ihrer weinenden Schwester und half ihr auf die Beine.
"Feena? Wer... war das?"
"Ich weiß es nicht Schwester, aber es war ein Ikarier..."
"Das... Das kann nicht sein... wir sind doch die... Einzigen Ikarier..."
"Denkt nicht weiter darüber nach, Leen. Ruhe dich erst mal aus. Es kann nicht Mullen gewesen sein, denn, wie du am Besten weißt, würde Mullen uns niemals angreifen."
Zitternde Ruhe, nur von Leens leisen Tränen unterbrochen, überflutete den Platz und sogar Justin und Rapp waren still, gelähmt vom Anblick der traurigen Ikarierinnen, die sich gegenseitig stützten. Viel, viel später machte sich die kleine Gruppe wieder auf den Rückweg, und kein Tier dachte auch nur daran, die Vier zu überfallen.



Habt ihr euch die Charas eigentlich auch ungefähr so vorgestellt, wie ich sie beschreibe?!