Dann geschah etwas, was die Sterne nicht vorraus gesehen hatten. Wesen begannen durch die Türen zu Reisen. Ein Frevel, der verhindert werden mußte. Um die Gefahr für die Reisenden zu erhöhen, schufen sie falsche Türen, die in finsteren, zerstörten Welten endeten und zu leeren Monolithen führten. Doch damit weckten sie einen uralten Feind, der dem Chaos treu ergeben war.

Die Schritte des Wanderers schienen nicht realer Teil dieser düsteren Welt zu sein, ebenso wenig wie er selbst. Noch immer versuchte er sich darüber klar zu werden, was genau er im Moment war, wenn doch sein Körper in einer anderen Welt lag, fern von dieser (oder vielleicht doch nicht gar so fern?). Aber es gab wichtigere Dinge als dieser Gedanke, z.B. wie er wieder von dieser öden, zerstörten Welt entkommen konnte, bevor sein realer Körper von wilden Wesen zerfetzt werden würde.
Doch ihm fiel dazu nichts ein, und so ging er Schritt für Schritt weiter den schier endlosen, einsamen Weg, während die Umgebung, die zunächst nur pechschwarz erschienen war, nun in ein dunkles Lila getaucht wurde. Die Reste dessen, was einmal Mondlicht gewesen sein mochte.
Am meisten beunruhigte den Wanderer, dass er nicht ein einziges Lebewesen ausmachen konnte, absolut nichts. Was war nur hier geschehen? Die Schatten? Würde seine Welt auch auf diese Weise enden, wenn er nichts dagegen unternehmen konnte?
Schließlich gelangte er tatsächlich an das Ende des Pfades, doch was er nun erblickte, war noch grausamer als der Rest dieser Welt. Ein apokalyptischer Strand, wo der meiste Sand zu Glas verschmolzen war, auf dem sich das lila Glühen spiegelte. Weit hinter den schmierigen, öligen und tief finsteren Wellen des toten Meeres flackerte kaum erkennbar ein schwaches, lila Licht, der Mond kurz vor seinem endgültigen Ende, bereit dem schon lange untergegangenen Licht der Sonne zu folgen. Der Strand war bedeckt mit alten, verwitterten Knochen, schwarzen, senkrecht in den Boden gerammten Monolithen und zerfallenen Felsen. Das Antibild des eigentlichen Sinne des Meeres. Die Wiege des Lebens war in dieser Welt zum Schoß des Verderbens geworden, und diesem Gedanken entsprechend spuckte die schwarze Suppe ständig unförmige, kreischende Schatten aus, die im allgemeinen Dunkel verblassten und wegkrochen. Diese Welt war noch schlimmer als tot, sie war ein Hort des Chaos. Doch die Schatten schienen ihn nicht zu beachten, sie krochen ihrer Wege, auf der Suche nach einem Sinn ihres Daseins, den sie niemals finden würden. Ihre Mission auf dieser Welt war schon lange beendet, und so vegetierten sie nun in einem endlosen Albtraum aus Wiedergeburt und Untergang, der zu nichts als Verzweiflung führte.
Unvermittelt musste der Wanderer an Melvin denken, und ihm fröstelte. Denn der Gedanke an Melvin führte ihn wieder zurück zu Tiara („...denk an die Türen“).

„Seid auch ihr ein Wanderer, oder nur eine verlorene Seele, die den Schatten zum Opfer fiel?“
Der Wanderer zuckte zusammen, und seine Herz hätte wohl ausgesetzt, hätte es diese Reise in eine andere Welt zusammen mit ihm angetreten. Alles hätte er in dieser Einöde erwartet, aber nicht eine an ihn gewandte Stimme. Er drehte sich um und sah einen Jungen... nein, einen jungen Mann, vor sich auf einem der Felsen sitzen. Die schulterlangen, silbern glänzenden Haare im verdorbenen Wind dieser Welt wehend. Er sah ihn direkt an, mit einem aufrechten, aber auch gleichgültigen Blick.
„Ich... bin wohl ein wenig von Beidem. Eine Seele, ja, aber nicht den Schatten zum Opfer gefallen, das zumindest hoffe ich, sondern auf Wanderschaft, während mein Körper fern von hier liegt und auf meine Rückkehr wartet. Aber du scheinst aus Fleisch und Blut zu sein. Wie kannst du hier sein, wo diese Welt doch schon seit Jahrhunderten untergegangen zu sein scheint?“
Der Blick des Jungen wurde nun beinahe traurig, als er zu dem sterbenden Mond aufsah. Tränen funkelten in seinen Augen, und da erst bemerkte der Wanderer eine finsteres Flimmern, das den Jungen zu umgeben schien.
„Die Zeit scheint gerannt zu sein, oder ich war in Welten, in denen die Zeit schneller vorbei zog als in dieser. Denn auch ich bin durch viele Welten gezogen, doch in dieser begann meine Reise einst. Es war ein Strand, so golden wie die Sonne selbst, und ein azurblaues Meer, kühl und beruhigend, mit dem lebenden Rauschen der Gezeiten. Doch die Gezeiten sterben nun... ebenso wie der Mond.“
Der Wanderer konnte nicht glauben, was er hörte. Dieser Junge war durch viele Welten gereist? Wie? Er kannte zwar die Bücher des Ursprungs, doch... konnte das sein?
„Bist du durch... Türen gegangen?“
Der Junge sah ihn nun ernst an.
„Das müsst ihr doch wissen, Wanderer. Denn auch ihr müsst durch eine gegangen sein, wo ihr doch nun hier seid. Die Türen, die Welten verbinden. Die Türen, die Welten beschützen sollten. Hier haben sie versagt... und es ist wohl auch meine Schuld.
Hier, wo ich sitze, stand ein großer Baum. Hier hatten wir eine Hütte, ich und... meine Freunde.
Als sich die Tür in der Höhle nahe des Teiches öffnete... oder geöffnet wurde, da gingen auch sie auf eine Wanderung. Wir wurden getrennt.“
Der Junge schluckte, und das Flimmern schien sich zu verstärken, während im Hintergrund der schwarze Moloch, der einst ein Meer gewesen war, weiter brodelte und deformierte Gestalten ausspie.
„Dann habe ich mich falsch entschieden. Mich damit gegen meine Freunde gestellt. Doch diese Macht!“
Die Augen des Jungen strahlten finster.
“Diese unfassbare Macht, die in den Schatten liegt. Immer haben die Menschen unterschätzt, was die Herzlosen wirklich sind.“
Fragend sah der Wanderer den Jungen an.
„Die Herzlosen? Was soll das sein? Sprichst du von den Schatten, die der Dunkelheit entsteigen?“
Der Junge wies mit einem Arm auf das finstere Meer.
„In Welten, die noch intakt, oder zumindest halbwegs gesund sind, erscheinen sie als Schatten. Doch sieh hier... wenn die Dunkelheit stark genug ist, kommen sie in allen denkbaren Formen und mit viel Kraft. Sie tragen dann ein Symbol. Das Symbol der Herzlosen, wie sie in vielen Welten genannt werden. Sie sind eine einzige Masse, die sich aufteilen kann... sie sind die Krieger des Chaos... und wenn du erst von ihnen berührt, eingenommen, wurdest, bist du auf ewig mit ihnen verbunden.“
Er schwieg für einige Sekunden. Nun verstand der Wanderer.
„So wie du. Du hast einst für sie gekämpft, richtig? Aber du hast dich befreit... wenigstens zu einem Teil. Ich habe andere gesehen, die von der Macht der Dunkelheit korrumpiert wurden und dadurch starben... oder sehr mächtig, aber auch Seelenlos wurden. Du lebst noch, und auch eine Seele versteckt sich in deiner Brust, junger Freund.“
Der Junge hob seinen Kopf, und der Wanderer glaubte ein Lächeln im Gesicht des Jungen zu erkennen.
„Ihr habt Recht, ich habe noch mal Glück gehabt, nicht zuletzt Dank eines großen Königs in der Gestalt einer kleinen... nun, Maus.“
Der Wanderer runzelte die Stirn, doch er beschloss, nicht weiter darauf einzugehen. Es gab wohl unzählbar viele Welten, und in manchen mochten auch Mäuse zu Königen werden.
„Was tut ihr hier, Junge? Diese Welt ist tot, auch wenn sie die eure war. Warum geht ihr nicht durch die Tür fort von hier, und zeigt mir dabei gleich den Weg?“
Schweigen. – Ich weiß, er verbirgt etwas, doch ist es etwas, das mir helfen kann? –
„Wartest du auf deine Freunde? Glaubst du, sie...“
„Ich warte, ja. Aber nicht auf meine Freunde. Wie ich sagte, wir wurden am Ende unserer Reise getrennt, im Herzen von... na ja, das ist jetzt nicht so wichtig. Jedenfalls landeten wir auf zwei Seiten, weil eine sehr wichtige Tür wieder verschlossen werden musste. Dafür musste sich einer Opfern und auf der... dunklen Seite bleiben. Das war ich.“
Er holte tief Luft.
„Es war der einzige Weg, etwas von dem gut zu machen, was ich getan hatte. Ich kann nur in Welten Reisen, die der Dunkelheit angehören, so wie diese.“
Der Wanderer fragte sich, wie ein so junger Mensch in diese Situation geraten konnte. Doch ihm zu helfen kam ihm nicht in den Sinn... es gibt wichtigere Dinge.
„Nun warte ich auf denjenigen, der mir helfen kann. Ich kann dir seinen Namen nicht sagen, doch er reist durch die Monolithen. Irgendwann muss er mich hier finden, und dann... wird sich mein Schicksal erfüllen. Das Schwarze in mir hat mich verdammt... und der König ist weit fort. Er kann mir nicht noch einmal helfen. Ansem hätte das verstanden.“
Dann sah der Junge wieder zum Mond in der Ferne, und der Wanderer wusste, das es nichts mehr zu sagen gab. Nur eine Sache.
„Ich bin eine Seele, nicht aus Fleisch und Blut in dieser Welt. Könnte ich durch die Monolithen reisen?“
Der Junge sah ihn nochmals an, sehr nachdenklich und auch erschrocken.
„Ich weiß es nicht. Es würde euch sicherlich fort reißen, doch wohin ist unmöglich zu sagen. Niemand außer ihm weiß, wie man mit den Monolithen reist, und er würde es euch nicht sagen. Es ist gefährlich. Im Raum zwischen den Türen ist Nichts... und doch auch etwas... etwas so altes, dass es sogar vor den Türen selbst existierte. Wenn ihr reist, dürft ihr nicht halten und es nicht streifen. So sagt er es immer. Es ist auch für ihn gefährlich.“
Der Wanderer wog seine Chancen ab, und er sah keinen anderen Weg. Vielleicht wusste nicht einmal Seturnas von den Monolithen.
„Wenn du fortgerissen wirst, Wanderer, suche nach deiner Tür im Nichts. Versuche sie zu erreichen. Halte sie!“
Der Wanderer hatte zum ersten Mal seit langer Zeit wahrhaft Angst.
„Wie werde ich meine Tür erkennen?“
„Das weiß ich nicht. Du kannst nur hoffen...“
Der Wanderer atmete tief durch, auch wenn er keine Luft zu absorbieren schien in seiner transzendenten Form. War dies das Ende seines Weges? „...denk an die Türen...“
Die Antwort, wo ...“...denk an die Tür!“ würde er die Antwort, die richtige Tür... „...denk an mich, Liebster.“ finden?
Tiara! Mit diesem Gedanke ging er auf den Monolithen zu, entschlossen und nichts fühlend, als sich der Nebel der Ergebenheit auf ihn herab senkte.
„Meine Name ist übrigens Riku. Vielleicht werden wir uns nochmals treffen, Wanderer.“

Bevor der Wanderer noch seinen Namen sagen konnte, ergriff ihn eine kalte, unbeschreibliche Kralle der Finsternis, und er schien mit der Materie des Monolithen zu verschmelzen, doch genau in diesem Moment öffnete sich die Welt vor seinen Augen. Ein tosender, brüllender Strudel riss ihn ins Nichts, in einen Raum, der nicht existent war, und doch unendlich. Türen in allen Formen und Farben wirbelten um ihn, um das, was den letzten Rest seines Verstandes, seiner Existenz ausmachte. Er war verloren im Albtraum des Lebens, im ewigen Chaos.
Und dann erhob sich etwas auf dem Grund der Schwärze. Der Verweigerer der Existenz und des Lichtes war erwacht, und er sah das Glimmen im Raum zwischen den Türen. Unaufhaltsam durchstreifte er die Dunkelheit und näherte sich dem Wanderer.

To be continued, if anyone cares...