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Drachentöter
Ingrim hob seinen Zeigefinger gen Elfengestalt, als Zeichen, er möge einen Moment warte. Er tat ein paar Schritte rückwärts, sein Blick war nach draussen durchs Fenster gerichtet. Der Totenzug sang Liturgien, und diese trafen Ingrim schwer. Wenn Liturgien von Boron gesungen wurden, muss grosses Leid widerfahren worden sein. Er bleibt nicht unberührt durch die Verse, die die Totenweiber und Mönche darbieten, doch schickt er ein schnelles Stossgebet zu Peraine, der Göttin der Heilkunst, die er mehr verehrt als andere Gottheiten.
Sein Blick wandert hastig umher. Der Elf, der einen verdutzten Blick auf dem Gesicht trägt, als ob er alleine im Regen stehengelassen wäre; die junge Dame, die gestern abend die schönen Verse vorgetragen hat, und nun Tee schlürft; der albtraumhafte Hühne...
Nun wendete er seinen Körper und ging schnellen Schrittes zu Zimmer 9. Er riss seinen Bärenmantel von der Leine und prüfte, ob er schon trocken war. Er stank nach Jauche, aber das war nun zweitrangig. So hastig er konnte, leerte er seinen Rucksack von den Scherben. 8 Fläschchen und 5 Phiolen sind zu Bruch gegangen, es blieben ihm noch 4 kleine, bauchrunde Fläschchen und 8 fingerdünne Phiolen. Ein Beutel aus Leinen, der auch im Rucksack ruhte und würzige Kräuter beinhaltete, hat wohl Schlimmeres verhindert.
Ingrim zog sich seinen dunkelroten Mantel fest, schnallte den Gürtel enger, und warf sich den Bärenmantel um die Schultern. Das hervorstehende Schmuckfell deckte seinen Hals zu. Nun zog er sich auch den Rucksack auf den Rücken und marschierte aus dem kleinen Zimmer hinaus.
In der Gaststube angekommen, legte er der Wirtin eine grosse Silbermünze auf den Tresen und musterte kurz die Sängerin von gestern. Ingrim verkniff es sich, ein leises Pfeifen auszustossen und hastete beinah unfreundlich an ihr vorbei. Der rothaarige Hühne schien indessen auf Ingrim aufmerksam zu werden und wandte sich zu ihm. Der Medicus vermied es aber, Blickkontakt mit den Riesen aufzunehmen. Vor allem, wenn dieser seine Axt in der Nähe hatte.
Der Elf, noch immer stocksteif vor dem Tresen stehend, setzte sich nun auch in Bewegung, als Ingrim die Tür mit einem etwas lauteren "Peraine zum Abschied, Herrschaften!" verliess.
Die Totenkolonne verschwand allmählich aus der Sichtweite. Nur eine Spur aus Blut, die in die Gegenrichtung führte, war Zeuge ihres kurzen Aufenthaltes. "Die Wirtin klagte doch, dass der Totenzug von der Auburg kam..." schoss es Ingrim durch den Kopf. Er vollführte einige knirschende Schritte im weissen Schnee, da bemerkte er, dass auch der Elf das Haus verliess und das Blut begutachtete.
Der Anblick schien ihm nicht besonders zu gefallen.
Wem würde eigentlich überhaupt so etwas gefallen?
Der Elf hat Ingrim inzwischen eingeholt, da er etwas höher gewachsen war und eine grössere Schrittweite hatte. Das edle Wesen schritt nun neben ihm einher, und eine Zeitlang war es still. Nur durch das Knirschen des Schnees und durch den blutigen Kontrast am Boden wurde diese Stille gebrochen; es folgte entweder ein leises Würgen oder ein Husten.
Nach einer halben Stunde Marsch durch einen kleinen Wald zerstörte der Elf die Mauer des Schweigens. Er wiederholte seine Frage, die er bereits im Gasthaus gestellt hat:
"Was ist ein Medicus, adan?" Die Frage brach wie ein Gewitter über Ingrim herein, der nun aus seiner Monotonie aus Weiss und Rot aufwachte.
"Ein Medicus heilt Menschen." Eine andere Antwort fiel Ingrim im Moment nicht ein. Und zugleich fühlte er sich wieder einsam, denn er hatte das Gespräch abrupt unterbrochen, obwohl ihm noch mehr eingefallen wäre. Wohl hatte er vor der Kreatur Angst, die neben ihm wandelte. Sie war ein neues Kapitel, eine neue Seite in Ingrims Lebensabschnitt. Einen Elfen bekam man in Al'Anfa selten zu sehen. Die einzigen Spitzohren, die er je gesehen hatte, waren vor wenigen Tagen mit ihm auf einem Schiff von Neetha nach Nostria gefahren. Und diese waren schon imposant genug.
Aber dieser hier! Ein Frostelf! Eien gewisse Kälte ging von dieser hageren Gestalt aus, und diese Kälte unterdrückte Ingrims Kommunikationsfreude. Er hielt es für besser, jetzt noch nichts zu sagen. Er hatte auch keine Ahnung, ob sich der Elf mit seiner Antwort zufrieden gab. "Naja," dachte Ingrim, "wenn er nicht nachfragt, wirds wohl reichen." Er zog seinen Bärenmantel enger, die Luft war glasklar und tat schon beinah in den Lungen weh. Kleine Wolken bildeten sich ständig vor Ingrims Mund und Nase, und der Schnee war teils tief, denn die beiden vermieden es, auf dem Blutpfad zu wandern. Es erfüllte wohl beide gleichermassen mit Ekel.
Doch ging schon jemand hier, denn es gab schon weitere Abdrücke von schweren Eisenstiefeln, und die Lage der Abdrüce deutete darauf hin, dass sich jemand am gleichen Wege befand wie der Elf und der Medicus.
Hier ist noch jemand vor uns unterwegs gewesen. Ist die Auburg das Ziel...?" Der Elf blieb stehen udn starrte zum Horizont, der sich nun nach dem Walde offenbarte: eine hohe Burg auf einem Fels. Am Fuss des Berges wachte ein schneebedeckter Wald, der aber relativ gross war; der Wald begann wieder in einer Meile.
"Gûr." gab der Elf mit geschmeidigem Ton von sich. In Ingrims Ohren hörte sich das Wort bedrohlich an, doch wusste er nicht, was er damit anfangen sollte. Die Frage nach der Bedeutung ersparte er sich.
Gerade, als sie den neuen Waldeingang im Blickfeld hatten, fiel ihr Interesse auf einen in dunkles Gewand gehüllten Menschen, der da am Rande stand, und wohl auf etwas zu warten schien. Ein entferntes Rauschen stieg in ihr Gehör, wohl ein grosser Fluss, der im Wald eiskaltes Wasser Richtung Meer transportierte.
Mit einem schweren Schlucken schritt Ingrim nach vorne und befand sich nun auf gleichem Schritt mit der dunklen Gestalt. Seine Hand krallte sich an seinen Bärenmantel so stark, sodass das Weisse auf den Knöcheln hervortrat...
Geändert von TheByteRaper (19.02.2004 um 01:51 Uhr)
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