Bringen wir es zu Ende
Kapitel 6
„Ich nehme noch einen Panzerkreuzer. Nein danke, SIE hat noch“.
Ich bezweifle, dass es Toms Absicht war, aber sein verunglückter Auftritt brach das Eis zwischen uns. Sowohl SIE als auch ich hatten den bisherigen Abend auf dem schmalen Grad zwischen „verkrampft“ und „gekünstelt“ balanciert und außer albernem Geplapper (SIE) und dümmlichen Dauergrinsen (ich) keinerlei ernsthafte Kommunikation zu Wege gebracht. Da wir aber nun voller Genuss über Tom lästern konnten, hatten wir mit einem Mal ein ganz alltägliches normales Gesprächsthema. Darin waren wir schon sehr bald so vertieft, dass keiner von uns beiden noch darauf achtete, auf den Gegenüber einen außergewöhnlichen Eindruck zu machen. Wir waren viel zu sehr damit beschäftigt uns auszumalen, was für ein entsetzlicher Frauentyp wohl an Toms Art das schönere Geschlecht anzusprechen, Gefallen finden könnte.
Vergessen waren die Unstimmigkeiten nach dem Kinobesuch. Die Unterhaltung, die nun begann, hatte nichts mehr gemein mit meinem Gestammel von der Hinfahrt oder dem Geschwafel im Foyer. SIE unterließ es mit einem mal, alle 5 Sekunden einen niedlichen Gluckser einfließen zu lassen, SIE lächelte auch gar nicht mehr unentwegt. Stattdessen wirkte SIE plötzlich offen und natürlich. Das machte SIE auf den ersten Blick etwas weniger süß, aber schmälerte nicht im mindesten ihre Attraktivität.
Nachdem wir an Tom kaum ein gutes Haar gelassen, beschlossen wir, dass er es gar nicht wert sei, noch mehr Zeit als unbedingt nötig an ihn zu verschwenden und gingen zu anderen Gesprächsthemen über. Überraschender Weise stellte sich heraus, dass wir beide kürzlich Nick Hornbys neuesten Roman „How to be good“ gelesen hatten. Sie sagte so schlaue Dinge wie „er ist sehr ungewöhnlich, nicht nur, aber auch wegen der Erzählperspektive“.
Ich hing an ihren Lippen.
Es folgte eine Diskussion über das Für und Wider des Comebacks von Michael Jordan (SIE verabscheut zwar Fußball, liebte aber amerikanischen Basketball), die neue CD von New Order (breite Streuung in der Qualität der Songs), Schill als Innensenator (OH NEIN), ein bisschen Lästern über Ole und Steffi (sie haben sich verdient), die neueste Aufführung im Schauspielhaus („nett, aber weißt du noch, der Zadek...“), Worte die ganz für sich allein schon lustig sind („possierlich“, drollig“, „exorbitant“, „Fallingbostel“...). Wir erzählten uns unsere Lieblingsfolgen aus „Ally“, „Frasier“ und „Picked Fences“ und fachsimpelten über Star Trek (Data ist der beste – Nein Worf – Nein Data – Wie wärs mit 7of9? – Aber erst in den späten Staffeln).
„Ich versuche mal einen süßen, fruchtigen Cocktail und bitte einen O-Saft für die Dame“.
Anschließend ertrug ich eine volle halbe Stunde lang Berichte von ihren Erlebnissen auf dem Reiterhof. Pferde sind ja nicht grade meine Lieblingstiere und dass SIE außerdem Hunde über alles liebt, mochte mir als Katzennarr auch nicht so recht gefallen. Aber ich hörte ihr bei den Themen ohnehin nicht mit voller Aufmerksamkeit zu, sondern starrte SIE an, bezaubert von ihrer Ausstrahlung, als SIE über ihre Pferde sprach. Wie SIE wohl küsst?
„Hey, nicht so gierig, lass mir noch was übrig und halte dich an deinen O-Saft. Du musst schließlich noch fahren“
Ganz langsam tasteten wir uns an die interessanten Themen heran. Die schönsten Liebeslieder, erste Teenagerliebeleien, Ansichten zur Eifersucht (SIE meint, es gehört zur Liebe, ich finde es gehört zum Egoismus), vergangene Partner (SIE war Single!) und die Diskussion, was schlimmer ist : Ein gebrochenes Herz oder eine zerbrochene Beziehung (immerhin waren wir uns einig, dass es nicht dasselbe ist).
Es wurde wieder etwas entspannter, und wir beichteten uns, welche Stars aus Pop- und Filmwelt wir nur ungern von unserer Bettkante stoßen würden und was die peinlichsten Filme waren, die wir gesehen haben, nur weil uns die Optik bestimmter Darsteller so gefällt. (SIE: The Saint - Der Mann ohne Namen, Ich: James Bond – Die Welt ist nicht genug).
Das sind Themen die mir als das Gefühl geben, dass Männer doch keine sexistischen Schweine sind und sich die Geschlechter näher stehen als man denkt
„Für mich noch mal das gleiche bitte.“
Das Gesprächsthema, auf welche körperlichen Attribute wir beim anderen Geschlecht besonders achten, ergab sich darauf hin ganz automatisch.
Sie betonte, dass ihr Hände ganz besonders wichtig seien.
Hände – was für ein abstruser Quatsch. Noch so ein „Frauending“. Mir persönlich sind Hände jedenfalls völlig schnuppe und auch keiner meiner Freunde, erwähnte jemals die Hände, wenn er von Laetetia Casta schwärmt. Bestenfalls benutzt er seine Hände, um gewisse Vorzuge zu veranschaulichen.
Aus einem für mich nicht mehr nachvollziehbaren Grund, behauptete ich kühn: „Ich mag meine Hände. Ich finde sie schön.“
„Ach ja, dann zeig doch mal“
Ohne eine weitere Reaktion von mir abzuwarten, griff SIE über den Tisch und zerrte meine rechte Hand zu sich herüber. Mein Hemdsärmel in ihrem Ketchup schien SIE dabei weit weniger zu stören als die Sour Creme.
„Diese Pranken mit Wurstfingern nennst du schön? Und wenn ich die angekauten Fingernägel sehe, wird mir ganz übel“
Nun, das war zwar etwas drastisch formuliert, aber ich konnte ihr noch nicht einmal widersprechen.
„Aber die Haut ist weich und...“, ich wurde von einem leisen Aufschrei unterbrochen: „Igitt, wo hast du denn die Narbe her?“
„Ach weißt du, da war diese Wasserflasche, die ich im Eisfach vergessen hatte und als ich die Scherben...ist ja auch egal“.
Genervt wollte ich meine Hand zurückziehen, ich fand, dass ich hatte mich jetzt lange genug ihrem Spott ausgesetzt hatte. Aber nun ließ SIE meine Hand nicht mehr los.
„Ich bin doch noch gar nicht fertig“
Mit einem mal klang ihr Tonfall ganz anders, und SIE überprüfte sehr gewissenhaft, wie weich meine Haut war.
Nachdem ich zweimal tief durchgeatmet und SIE die Inspektion noch nicht beendet hatte, versuchte ich nun meinerseits etwas offensiver zu werden und versuchte zu füßeln.
Das rechte Tischbein erwies sich als sehr empfänglich für meine Zärtlichkeiten, gab mir aber nicht genug Liebe zurück.
Während SIE weiter meiner Hand streichelte und ich das Tischbein bearbeitete, trafen sich unsere Blicke zum ersten mal absichtlich und ohne, dass einer gleich wieder scheu weggeguckt hätte. Ich muß gestehen, dass mir erst in diesem Moment auffiel, welch schöne riesengroße grüne Kulleraugen SIE hatte.
Wenn dies ein Film wäre, hätten wir jetzt Geiger an unserem Tisch, säßen an einer Klippe vor einem Sternenhimmel, an dem es Sternschnuppen regnete und im Hintergrund brennt ein Feuerwerk. Aber wir waren nicht in einem Film und so wollte ich wenigstens etwas sagen wie „Wollen wir uns nicht ein lauschiges Plätzchen suchen, an dem wir ein bißchen ungestörter sind“?
Aber dazu kam es nicht, denn SIE riss sich von mir los (es war schon ein bisschen länger nicht mehr genau zu unterscheiden, wer da eigentlich wessen Hand streichelt) und entschuldigte sich, weil SIE sich die Hände waschen müsste.
JETZT?
Mir war durchaus bewusst, dass „Hände waschen“ nur die höfliche Umschreibung für „Pipi machen“ war, aber hätte SIE nicht die „Nase pudern“-Variante verwenden können? Es erschien mir wenig schmeichelhaft, dass eine Frau, die mit mir Händchen hält, anschließend schnellst möglich zum nächsten Waschbecken stürzt.
Ich bestellte mir noch einen „Sex on the Beach“-Cocktail und ihr einen KiBa. Während ich nervös an meiner ersten Zigarette dieses Abends nuckelte, kam SIE auch schon wieder. SIE war beladen mit diversen Brettspielen, die SIE von der Auslage besorgt hatte.
„Ich hab uns was Hübsches ausgesucht, schließlich mußt du mir noch Revanche geben“.
Ich war einem kleinen Spielchen durchaus nicht abgeneigt, auch wenn ich lieber da weiter gemacht hätte, wo wir vor dem „Hände waschen“ aufgehört hatten.
„Du rauchst?“ Ihre Stimme klang ein klein wenig vorwurfsvoll, obwohl SIE es eigentlich noch von der Geburtstagsfeier hätte wissen müssen.
„Oach, nur ab und zu. Es entspannt mich, wenn ich aufgeregt bin.“
„Rege ich dich auf?“
„Ja...nein...schon...also...“. Was soll man denn auf darauf antworten? Glücklicherweise ließ SIE mich nur kurz zappeln.
„Darf ich mir von dir eine schnorren?“
„Du rauchst auch?“ fragte ich überrascht.
„Aber nur, wenn ich aufgeregt bin“
Und da war es wieder, dieses unverschämt entzückende Lächeln.
Wir spielten Schach, Mühle, Dame und Backgammon, und ich gewann nicht eine Partie. Auch ihr „Du bist so süß, dass du mich gewinnen läßt“, konnte mich nur bedingt trösten. Wer verliert schon gerne gegen jemandem im Schach, der alle zwei Züge fragt „Wie hüpft das Pferdchen noch mal“? Dabei war ich mir sicher, dass SIE ganz genau wußte, wie dieser vermaledeite Gaul gezogen werden muss.
Meine große Stunde kam bei „Mensch ärgere dich nicht“. Dem ersten Spiel, bei dem man sein Gehirn komplett abschalten konnte und es einzig auf das Würfelglück ankam, war genau das Spiel in dem ich triumphierte. Das war fast noch demoralisierender, als hätte ich überhaupt nicht gewonnen. Aber nur fast...
Auf der Zielgrade kickte ich ihr letztes rosa Weibchen (es war ein „Emanzen-Mensch ärgere dich nicht“) aus dem Weg und siegte im nächsten Zug souverän und hochverdient.
Erhaben lehnte ich mich zurück und zog genussvoll an meiner Zigarette, während SIE mich devot und unterwürfig anhimmelte.
Die letzten Stunden waren wie im Flug vergangen. Tom und seine Clique waren schon lange gegangen und ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es bereits 4 Uhr Morgens war. Es war zwar keineswegs so, dass uns beiden die Müdigkeit schon ins Gesicht geschrieben stand, aber die ersten unterdrückten Gähner waren nicht zu leugnen. Da es in dieser Stimmung nicht leicht war, eine neue Unterhaltung in Gang zu setzen, erschien es günstiger zu sein, den Aufbruch einzuleiten.
SIE trug die Spiele zurück, wusch sich ein weiteres mal die Hände und überließ mir dass Vergnügen, bei dem „engen T-Shirt“ die Rechnung zu begleichen.
„Na, hast du dich satt gesehen“, fragte SIE mich augenzwinkernd, während SIE sich ungefragt bei mir einhakte. Genauer gesagt, umklammerte SIE meinen Arm und schmiegte sich gleichzeitig an mich. Über soviel unerwartete Nähe war ich überrascht, aber auf diese Weise ließ ich mich gerne überrumpeln.
Sehr zufrieden und nicht besonders nüchtern stolzierten ich so mit ihr aus dem Lokal und hätte problemlos noch Stunden lang dem Horizont entgegen schwanken können. Zum ersten Mal ärgerte ich mich über ihr glückliches Händchen was Parkplätze anging.
Das Vergnügen endete bereits 10 Meter hinter der Eingangstür und ich versuchte bereits zum dritten Mal an dem Tag, mich in ihr Auto zu zwängen. Das schien jedes Mal besser zu funktionierte. Beulte ich ihren Wagen aus, oder wurde meine Technik besser?
Ich wohnte keine 5 Minuten vom Schachcafe entfernt, daher verblieb uns nur noch eine sehr kurze gemeinsame Autofahrt. Zu allem Überfluss ließ es sich auch nicht länger leugnen, dass die Müdigkeit unsere Knochen beschlich, denn keiner von uns beiden redete viel. Die Konversation war einsilbig und beschränkt auf die nötigsten Ortsangaben.
Erst als der Abschied drohte und wir in die Straße einbogen in der ich wohnte und vor meinem Wohnung hielten, kamen mir wieder einige Themen in den Sinn und ich erzählte von der spaßigen Grillparty die ich letztens mit Freunden gemacht hatte.
Ich gebe zu, die Grillparty war gar nicht sonderlich spaßig und das Thema nicht interessant, aber ich wollte unbedingt den Moment der Trennung hinauszögern.
„Ach, lass mal gut sein, ich bin viel zu müde, dir noch die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Ich will nur noch in mein Bett und schlafen“
Nun gut, damit war meine Hinhaltetaktik wohl fehlgeschlagen. Daher nahm ich meinen mir verbliebenen Mut zusammen und fragte „Ich würde dich gerne wiedersehen, der Abend hat mir sehr gefallen. Du bist ein bemerkenswerter Mensch und es gibt noch so vieles über das ich mit dir reden möchte.“
Ich war betrunken, nicht Herr meiner Sinne, verzeih mir diese dreiste Anmache.
„Wie wäre es mit morgen“?
„18 Uhr“?
„Bei dir“?
„Ich freue mich drauf“!
Unbeholfen und von der Enge behindert, beugten wir uns zu einander herüber und drückten uns...jedenfalls so gut es in diesem Wagen ging. Ich mag solche Verabschiedungszeremonien nicht sonderlich gerne und deshalb beeilte ich mich danach, ihren Wagen zu verlassen.
SIE tat seltsamer Weise das Gleiche und wie wir beide mitten in der Nacht neben ihrem Auto standen und mit den Füßen verlegen Kreise in den Straßenschmutz malten, überwand SIE sich und fragte: „Bekomme ich denn gar keinen richtigen Abschiedsknuddel“?
Wir nahmen uns gegenseitig erneut in die Arme, drückten uns ganz fest, so dass ich an ihrem Haar riechen konnte. Wir ließen uns wieder etwas Raum und schauten uns lange in die Augen. Ich streichelt ihre Wange und busselte ihre Stirn. Es folgte ein weiterer tiefer Blick in die Augen und wir tauschten ein zögerndes Küsschen aus, das ganz langsam in unseren ersten Kuss überging.
Als ich die Haustür aufschloss, stand SIE noch immer neben ihrem Auto und rief mir zu: „Ach übrigens, beim Werberaten habe ich dich gewinnen lassen“.
The End
an alle die das gern gelesen haben. Vor allem an die, die hier so liebe und freundliche Worte gepostet haben. Ich bin die letzten Tage mit einem Dauergrinsen im Gesicht herum gelaufen, weil mich das sehr glücklich gemacht hat.
Die Beiden, die mich zu dieser Geschichte inspiriert hatten, haben sich vor knapp zwei Wochen (zu Neujahr) verlobt...Zitat
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