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Kämpfer
Kapitel 5
„Uuuuuuuuuuuuuund? Soll ich dich jetzt nach Hause fahren?“ war exakt das Gegenteil von dem, was ich hören wollte. Nun galt es Farbe zu bekennen. Stecke ich den Kopf in den Sand, oder sollte ich um ein paar weitere Stunden betteln?
Wieso wollte SIE eigentlich schon nach Hause? War ich ein so grauenhafter Gesellschafter? War SIE nicht vor dem Film noch sehr angetan von mir gewesen? Was konnte ich während des Filmes schon großartig falsch gemacht machen? Es wollte mir nicht in den Kopf!
“Also eigentlich bin ich noch gar nicht müde, sondern in erster Linie durstig. Ich würde gerne mit dir noch etwas trinken gehen, zumal wir uns ja auch noch gar nicht richtig unterhalten haben“, entgegnete ich ihr unter Aufopferung meiner letzten Selbstachtung.
Hier, nimm meine Würde – Ich war auf das Schlimmst gefasst.
„Na gut, wie du meinst, ich hätte es in deiner Wohnung zwar kuscheliger gefunden, aber wir können natürlich auch in ein Lokal gehen“, sagte SIE und ich bildete mir ein, dass ihre Stimme dabei leicht enttäuscht klang. So richtig einschätzen konnte ich es aber nicht, denn SIE drehte sich direkt nach ihren Worten um und steuerte zielbewußt den Ausgang des Kinos an.
Aha, so hatte SIE das also mit dem „nach Hause fahren“ gemeint. Ich fühlte mich wie jemand, der sich grade einen kräftigen Tritt in den Allerwertesten verdient hatte. Wie langweilig und einfach wäre doch das Leben, wenn jeder sagen würde, war er denkt. Dabei schien SIE doch bislang viel zu offen und direkt zu sein und jetzt plötzlich das. Gleich Montag würde ich mich mal darüber informieren, ob die Volkshochschule einen Kurs über weibliche Kommunikationstechniken anbietet.
Ich mußte mich sputen, ihr hinterher zu eilen, denn SIE schien nicht im geringsten gewillt zu sein, auf mich zu warten. Die Atmosphäre im Wagen wirkte plötzlich etwas kühl. Von ihrem strahlendem Lächeln bekam ich nichts mehr zu sehen, und kein vergnügtes Geplapper drang an mein Ohr...nur Chris de Burgh, der davor warnte den Fährmann zu bezahlen.
Ich wusste, dass ich zielsicher in ein großes Fettnäpfchen getreten war. Ich wusste dass SIE mugsch war. Aber was ich nicht wusste war: Warum???
Was hatte ich denn so Entsetzliches angestellt, dass ich diese plötzliche Kälte verdient hatte? Na gut, ich war etwas schwer von Begriff gewesen, aber so schlimm war es doch nun auch wieder nicht: Ein klitzekleines Missverständnis, kaum der Rede wert, kein Grund gleich hysterisch zu werden, darüber kann man doch reden...
Oder vielleicht auch eben nicht: Für manche Frauen bedeutet perfekte Harmonie, sich ohne Worte zu verstehen. Die können nicht einfach sagen was ihnen auf dem Herzen liegt – oh nein – die machen daraus gleich die erste Runde ihres Castings für "Sie Sucht Den Super Traumprinzen": Nur wer meine geheimen Codes versteht, kommt eine Runde weiter. Für alle anderen reicht es gerade mal bis ins Kino.
Immerhin konnte ich von Glück sagen, in ihrem Auto zu sitzen und (noch) nicht allein in der U-Bahn. Offenbar gewährte SIE mir noch eine letzte Chance über den Hoffnungslauf.
Solche Situationen versetzen mich innerlich jedes Mal in rage. Nach rationalen und logischen Gesichtspunkten bin ich unbestreitbar im Recht und trotzdem kann ich nicht das Geringste daran ändern, dass letztlich ich der Dumme sein werde. Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass ich vor ihr zu Kreuze kriechen werde, damit SIE mir verzeiht, dass ich nicht auf jede alberne und absonderliche Marotte von ihr gebührend Rücksicht genommen habe. Ich hoffe nur, dass niemals einer meiner Kumpels Zeuge eines solch demütigen Augenblick wird.
Ich bemühte mich die Stimmung etwas aufzulockern. Mit lustigsten Schwänken aus meinem Leben gespickt mit den originellsten Wortspielen, versuchte ich das Eis zu brechen. Eigentlich wollte ich mir diesen Trumpf für das zweite Treffen aufheben, aber besondere Situationen erforderten außergewöhnliche Maßnahmen.
Es schien zu funktionieren. SIE ließ mich zwar noch zappeln und blieb weiterhin äußerst einsilbig in ihren Antworten, aber ich konnte genau erkennen, dass es ihr an einigen Stellen nur unzureichend gelang, ein Schmunzeln zu unterdrücken.
Ohne dass wir es besprochen hätten, fuhr SIE mit mir direkt zum „Schachcafe“. Eine etwas rustikale Mischung aus Restaurant und Kneipe mit durchgehend warmer Küche. Als Besonderheit lag eine Reihe von Gesellschaftsspielen aus, an denen sich jeder Gast frei bedienen konnte. Es war ein guter Ort, um einen Kneipenbummel zu beginnen oder abzuschließen, aber für meinen Geschmack nicht gemütlich genug, um dort einen ganzen Abend zu verweilen.
„Du hast doch vorhin gar nichts zu essen abbekommen und daher bestimmt Hunger“, sagte SIE grinsend, während SIE mir dabei zu sah, wie ich mich aus ihrem Auto quälte (vielleicht grinste SIE auch deshalb).
Ich war mir zwar nicht so sicher, ob das wirklich nett gemeint war von ihr, aber SIE hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich hatte vor lauter Aufregung den ganzen Tag noch nichts gegessen und mittlerweile wirklich großen Hunger. Das lauwarme Mineralwasser von vorhin hatte nicht lange vorgehalten.
SIE hatte erneut einen beneidenswerten Parkplatz ergattert und so waren es nur wenige Schritte bis zu Eingangstür. Lautes Gelächter und der Geruch von Bier und Pommes schlug uns entgegen, als wir eintraten.
Meine Blicke glitten durch den Raum, auf der Suche nach einem freien Tisch. Es sah nicht gut aus, denn das Lokal wirkte bestens gefüllt. Es war schließlich Samstag Abend, was hatte ich auch erwartet.
Dort saßen zwei Frauen mittleren Alters, die sich im Halbkreis um einen Tisch drapiert hatten, da drüben eine kleine Gruppe junger Männer, die sich für ihren bevorstehenden Pistenabend in Stimmung tranken und gleich hier vorne eine Horde Jugendlicher, deren Aktivitäten sich für dieses Wochenende dem Ende neigten.
Während meine Augen noch immer die Lage sondierten, ergriff SIE die Initiative und raschen Schrittes steuerte SIE direkt auf einen freien Tisch in der hinteren Ecke zu, den ich bislang übersehen hatte.
Wir setzten uns und studierten angestrengt und voller Konzentration die Speisekarte.
„Nimm doch „Pommes satt“, schlug SIE vor. „Da kann ich dann ein bißchen von naschen. Nach dem ganzen Süsskram aus dem Kino, habe ich keinen großen Appetit. Nehmen wir Ketchup oder Majo“?
Interessante Vorgehensweise. Wenn ich mich auf die Saucen-Diskussion einließ, hatte ich die Fritten quasi schon bejaht. Eigentlich stand mir der Sinn nicht nach fettigen Kartoffeln, sondern hätte lieber etwas Herzhafteres bestellt, aber bevor ich mich wegen so etwas streite, gab ich nach.
Ob Ketchup, Majo oder gar Sour Creme der bessere Dipp sei, entwickelte sich hingegen zur Glaubensfrage.
„Wenn auch nur der kleinste Klecks Sour Creme an mein Ketchup kommt, kannst du den Rest alleine essen.“
Moment mal, schließlich waren dass meine „Pommes Satt“ und ich war wirklich hungrig. Das kann nicht ernsthaft als Drohung von ihr gemeint gewesen sein. Sie betont doch ständig, dass sie eigentlich gar nichts mehr essen will.
„Ja klar, ich pass auf“.
Wir einigten uns schließlich darauf alle drei Sausen zu nehmen, jedoch auf getrennten Tellerchen.
Genau in dem Moment, als wir unseren Kompromiß erarbeitet hatten, trat die Bedienung an unseren Tisch. Abgesehen von IHR, war es die erste Frau, die ich an dem Abend bewußt wahrnahm.
Das Zusammenspiel aus riesigen Brüsten und hautengem T-Shirt, könnte einen Teil dazu beigetragen haben, dass mein Blick etwas länger als „flüchtig“ ausfiel. Die Kellnerin wird solche Momente an diesem Abend sicherlich oft erlebt haben, aber ich hoffte, dass SIE meinen fauxpas nicht bemerkt hatte. IHR Gesichtsausdruck verriet mir indes, dass diese Hoffnung vergebens war. Immerhin wirkte SIE nicht böse, sondern amüsiert.
SIE bestellte sich ein Weizenbier und bat mich darauf aufzupassen, dass SIE danach nur noch alkoholfreie Getränke ordert, schließlich musste SIE noch fahren. Diese Sorge hatte ich glücklicherweise nicht und bestellte einen Cocktail namens „Panzerkreuzer“, mit der verheißungsvollen Beschreibung „Versenkt den stärksten Seemann“. Ich war gespannt wie er und die Pommes sich vertrugen.
Speis und Trank wurde uns sehr bald gereicht und während wir noch immer etwas verlegen an unseren Pommes knabberten, rekapitulierten wir die witzigsten Szenen aus Shrek. So erfuhr ich endlich, welchem Witz ich es zu verdanken hatte, dass mein Arm es nicht auf ihre Schulter geschafft hatte.
„Mensch, wir haben uns ja schon lange nicht mehr gesehen. Was für ein Zufall. Toll siehst du aus“. Ein großer, blonder, schlanker, unverschämt gut aussehender junger Mann, steuerte direkt auf unseren Tisch zu, setzte sich ungefragt auf den Platz neben mir und redete weiter auf SIE ein. Seinen Ausführungen entnahm ich, dass er wohl Tom hieß und die beiden zusammen zur Schule gegangen sind.
Tom war grade dabei eine hanebüchene Geschichte aus seinem Leben zu erzählen, wie er reichlich Geld verdient, viele Leben gerettet und ein Heilmittel gegen Aids entwickelt hatte, als er sich selbst unterbrach und sagte: „Ey, wir sind mit der ganzen Clique da, komm doch zu uns rüber“.
Ich war mir nicht sicher, ob meine Wenigkeit in diese Einladung mit eingeschlossen war und ich fühlte mich ausgesprochen Unwohl in meiner Haut.
SIE antwortet jedoch nicht etwas in der Art von „ja mal gucken, vielleicht später“, wie ich befürchtete, sondern entgegnete: „Würdest du uns bitte allein lassen“
Die Art wie SIE diesen Satz betonte, ließ keinen Zweifel zu, dass er mit einem Ausrufezeichen endete und keinesfalls mit einem Fragezeichen.
Hatte ich eigentlich schon erwähnt, wie anbetungswürdig ich SIE finde? Dass eine Frau, die so lächelt, gleichzeitig so viel herablassende Arroganz versprühen kann, nötigte mir allerhöchsten Respekt ab.
Tom nahm seine Abfuhr erstaunlich locker. Offenbar war dies nicht Neues für ihn. Ich bekam einen kräftigen Schulterklopfer, nebst „mach‘s gut Kumpel und bleib senkrecht“ mit auf den Weg. Zum Abschied blinzelt er mir zu (der erste Blick, dessen er mich würdigte) und lachte eindeutig zweideutig.
Das erste was SIE sagte, nachdem er gegangen war, war „Was für ein •••••••••“.
Ist SIE real oder nur ein Traum? Diese Übereinstimmung in allen essentiellen Lebensfragen war ja schon beängstigend. Wir trinken beide lieber Cola als Selter und haben ähnliche Ansichten über Tom. Wenn SIE das mal nicht dazu qualifiziert, die Mutter meiner Kinder zu werden! Ist es zu schön um wahr zu sein, oder verbirgt SIE noch dunkle Geheimnisse? Wie ist eigentlich ihr Nachname?
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