-
Vogelmann
Hi ihr’s
Scheint das Storyforum, oder so was ähnliches zu sein. Einige kennen die Texte, die ich euch vorstellen möchte vielleicht, oder konnten sie zumindest schon mal anlesen, da ich jedoch kein „umfangreicheres“ Feedback erhalten habe, möchte ich sie auch mal hier präsentieren, in der Stillen Hoffnung, dass hier ein wenig mehr Reaktion gezeigt wird. Wäre zumindest schön, wenn ihr euch der Sache annehmt, da mich eure Meinung wirklich interessieren würde, immerhin bin ich ja hier unter Profis.
Der Thread heißt Vogelmann, weil ich dann hier bei Gelegenheit noch weitere Texte posten kann, dann muss ich nicht immer ein neues Topic aufmachen... sollte dieser Thread nicht zulässig sein, weil ich irgendetwas verbaselt habe, dann löscht ihn bitte einfach.
Einführende Worte: Ego ist eine Kurzgeschichte, die ich vor knapp vier Jahren verfasst habe, entsprechend schlecht ist sie dann auch, allerdings mag ich noch immer ihr Leitmotiv, was sich auch später beim verfassen von Sophisma, meiner bis heute schönsten Kurzgeschichte (nach eigenen Einschätzungen), neben „Das Wasserglas“, bezahlt machte. Während Ego jedoch relativ Kurz und oberflächlich blieb ist Sophisma, durch den Wechsel der Perspektive und des Erzählmoments, deutlich fragiler und poetischer – und ungleich trauriger. Nichts desto trotz bilden die beiden, wenn auch drei Jahre auseinander ein interessantes Paar.
Genre der Texte: Semi-Esoterisches (2000 + 2003)
Seine Gedanken... (Introduktion)
Seine Gedanken, wie quecksilberschwerer Wein der durch ein Raumschiff schwebt, schwerelos ins Gravitationsfeld der erde eintretend. Ein Sternenschiff, aus Luft gemacht, die Schilde durchsichtig durchdringlich, stärker als der Sonnenwind, getragen vom Lichtersegel der Träume. Verschaumt und verkorkt. Jener bodenlose Unsinn der das All zu füllen vermochte, sein Ego würde dies können, Silberweinsäufer, Sonnentrinker, Traumtänzer, Wordsucker... ergib dich mir, lass mich eindringen. Schlächter der Sprache, deine Wörter , oh Schaumschläger, platt und luftig, Sorbet ala Carté. Lass ihn ausreden. Reden, die in der Atmosphäre meines Ohres verglühen ohne mein Hirn zu erreichen. Ich puste sie weg, verscheuche sie, badeschaumgleich, verscheuche deine Träume, ersterbend im Mondlicht, umfangen im Augenblick, hasse ich dich, wie ein Kind, liebend, was es selbst vollbringt. Besoffen am eigenen Glanz des Trabanten, angestrahlt von Phantasien eines anderen selbst. Unbesehenes Licht, das vom Ozean eines kranken Gewissens verschluckt wurde. Satellit stürze ab, das Sternenschiff zerschlagend. Fass mich nicht an. Brührungslos. Göttlichkeit der Transzendenten im Ewigkeitslichterbild des Löwen. Brüllend verschlingend den Jäger, den er gefressen hat. Ich zerfleische deinen Glauben.
Ego
Er stand da. Niemand kannte ihn persönlich und doch fürchteten ihn alle. Früher oder später würde er alle besuchen, gab sich jenen zu erkennen, die es verdient hatten. Er selbst nannte sich das Ego, das Ich, die anderen nannten ihn anders. Er hatte jenen Namen vergessen, jene Bezeichnung. Er hörte sie oft in den Massen von Menschen, die durch die Straßen gingen und versuchten darin den Sinn des Lebens zu finden. Er selbst nannte sich den Sinn oder das Ziel des Lebens. Wer er war, oder vielmehr: was er war, konnte er selbst nicht sagen. Er definierte sich meist als Gefühl, obwohl er ja physisch vorhanden war, so physisch vorhanden, dass er stehen konnte. Und so materiell, dass er gefürchtet wurde. Er selbst würde es nie verstehen. Das musste er auch gar nicht. Er selbst war das Ich, durchaus egozentrisch, aber dabei immer für andere da. Obwohl er höchst unerwünscht war. Man unterstellte ihm Grausamkeit, öfters auch Morde, welche er aber lieber zu dem Begriff „sinnloses Töten“ zusammenfassen würde. Jenes sinnlose Töten war sein ... Beruf. Beruf war vielleicht die falsche Bezeichnung, vielleicht sollte man sagen: darin sah er seine Lebensaufgabe, seine Bestimmung. Nicht, das er Spass daran hatte Leben zu nehmen, aber dies war sein Sinn des Lebens, das Ziel, das er tagtäglich verfolgte. Er war das Ich und er tötete beruflich. Es war keine Qual mehr, das war es beim ersten Mal gewesen. Er erschuf einen schönen, kreativen Tod, keine Grausamkeit. Auch war er für die Privatpatienten in den Krankenhäusern sowie die Unfallopfer zuständig. Nicht, das er sich das hätte aussuchen können, er war halt für die Form der Beseitigung... „verantwortlich“. Mittlerweile machte es ihn auch nicht mehr fertig, täglich diese gequälten, vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen zu sehen, wobei er seinen Job nicht unbedingt gefühllos erledigte. Es trieb ihm des öfteren Tränen in die Augen, wenn die Opfer seiner Künste um ihr Leben zu verhandeln versuchten. Nun aber hatte er sich genug mit solcherlei Gedanken beschäftigt, es war Zeit zu arbeiten. Er wandte sich um und schritt in die laue Sommernacht hinaus. Er war das Ego. Er war das Ich. Er war der Sinn, das Ziel des Lebens. Er war der Tod.
Sie stand am offenen Fenster, als er eintrat. Oh Gott, sie war so schön. Der Kittel flatterte um ihren schmächtigen Körper, der so blass war wie das Laken, das sie sich zusätzlich um die Schultern geschlungen hatte. Auf einmal tat sie ihm so schrecklich leid... hatte er sich verliebt? Aber das war doch unmöglich: er hatte die meisten seiner Gefühle unterdrückt, vor allem auf die Liquidierung des Gefühles Liebe war er „stolz“. Warum verspürte er also die Begierde diese Frau zu besitzen, für sie zu sorgen? Sie wandte sich um.
„Ich habe dich schon erwartet.“, hauchte sie. Sie stürzte auf ihn zu, fiel ihm in die Arme und verschied auf der Stelle. Er sank zu ihr herab, Tränen rannen seine Wangen hinunter, tropften in von seinem Kinn in die Grube zwischen ihrer schmalen Schulter und ihrem Hals. Mit einem Mal wurde sein erfülltes Leben leer. Seine Liebe brachte den Tod. Er war nicht mehr fähig jemanden liebevoll zu berühren, ohne das derjenige starb. Er würde jedem den Tod bringen, ohne das er selbst in diesen Genuss kommen würde. Er hatte niemals geliebt und er würde auch niemals mehr lieben, dieser scheinbare Sinn des Lebens war ihm verwehrt worden. Müde, zumindest glaubte er, dass es ein Anflug von Müdigkeit war, ging er durch die Straßen, bis der Morgen anbrach, dann stürzte er sich von einer Brücke. Man fand seinen zerschmetterten Körper am nächsten Morgen. Das Leben war aus seinem Körper gewichen. Doch er war nicht tot.
Der Tod würde niemals sterben.
Sophisma - Eine Affäre
Fünfundzwanzig. Sicherlich, er war zu alt für eine Sauftour mit Freunden. Nein, er war einer jener gescheiterten Personen, die in ihrer Depression allein diverse Etablissements aufsuchten, solche Leute wie er hatten kaum Freunde. Wenn doch, so mussten es gute Freunde sein, sahen sie ihn doch so gut wie nie, oder es waren Freunde aus Prinzip, die nur deshalb zu ihm hielten, weil sie es schon immer getan hatten. Er war gescheitert, natürlich, auch wenn nicht in dieser Weise, wie man gescheitert formulieren würde. Es war eher dieses bohrende Gefühl der Unzufriedenheit, der Gedanke nichts aus seinem Leben gemacht zu haben, dieser stechende Schmerz etwas zu vermissen, ohne zu wissen, was eigentlich. Nun Erfolg und Geld waren mittlerweile nebensächlich geworden. Sich trotz allem nicht komplett zu fühlen, beinahe eine Farce des Lebensprinzipes, dass diese Gesellschaft, die er durchlebte, instand hielt. Es war Februar. Er war Fünfundzwanzig. Schon ein Vierteljahrhundert auf diesem gottverlassenen Planeten. Nietzsche schien Recht zu behalten. War es Nietzsche gewesen? Er seufzte. Bis zum Tod würde man nicht gelernt haben, wie man in dieser Umwelt überleben konnte. Denn seit der Geburt war es bei all dem Bequemen doch ein augenblickliches Sterben, des Geistes, eine simple Abstumpfung aller Sinne. Denn diesen Verfall konnte auch die Medizin nicht aufhalten, da es ein subjektiver Verfallsprozess war. Die Tür wurde geöffnet und frische Luft drang von der nebelgeschwängerten Straße in den stickigen Raum in dem der Äther aus Glas zu sein schien, undurchdringlich und erdrückend schwer. Er schaute trüben Blickes in sein halbleeres Trinkgefäß. Die Frage, welche die Menschen schon seit Jahrhunderten zu beschäftigen vermochte kam ihn in den Sinn. Ist das Glas eigentlich halbleer, oder halbvoll? Er selbst machte wohl einen mehr oder wenig mitleiderregenden Eindruck. Ein etwas zu kurz geratener Asiate, mit mittellangen, zerzausten Haaren. Er hätte genug Geld um den Friseur zu bezahlen, doch, er hing an seiner Frisur, und wiederholt wanderte seine Hand an den Ansatz, um sich die Haare zu raufen. Er tat dies öfters, zu oft, aber wen kümmerte das? Er war nicht wirklich hässlich, auch wenn er europäische Züge hatte. Sein Vater Brite war gewesen. Aber er war sich auch bewusst, dass er nicht schön war, warum auch. Es gab für alles einen Grund, natürlich, doch sein äußeres Auftreten erschien ihm sinnlos zu beeinflussen. Hatte er doch niemanden, den er damit beeindrucken wollte. Die Musik war schlecht und rauchverzerrt. Die Luft wirkte noch immer wie ein zäher Brei, lebendig eingemauert. Er kam sich vor wie in einem Grab, nur das die Stimmung angeheitert war. Jemand lachte laut. Und heiser. Sie setzte sich neben ihn. Eine Frau. Er spürte, dass sein Herz zu schlagen begann. Schneller als ihm lieb, als es möglich war. Sie war schön, groß und schlank. Es war ein ausgesprochen enges Kleid, und ihre Figur zeichnete sich deutlich darin ab. Eine gute Figur. Seidiges, dunkles Haar rutschte über blass wirkende Schultern. Verdeckte die dünnen Träger des Kleides. Die Brüste klein, aber feminin und wohlgeformt. Mit müden Augen griff sie nach einer Zigarette und klemmte sie sich in den Mundwinkel. Sie sah ihn an für einen kurzen Augenblick, durchdringenden Auges. Sie zündete sie nicht an. Sah wieder starr vor sich hin. Während ihm Schauer über den Rücken liefen. Er wandte sich ab. Sah wieder auf sein Glas, in es hinein. vielleicht zu tief, der Schluck brannte auf seiner Zunge. Sein Schädel pochte leise, nachdem er den Rest desgleichen gebechert hatte. Er bedeutete dem Bartender, noch einmal einzuschenken. „Und spendieren sie der Dame neben mir einen Drink.“, fügte er hinzu. Er erntete einen verständnislosen Blick, der darin endete, dass sich der Mann hinter dem Tresen zu ihm herunter beugte. „Sie sollten vielleicht lieber nichts mehr trinken.“, meinte er freundlich, bestimmt. Als er sich abermals zur Seite wandte erkannte er warum. Die Frau war weg. Er seufzte. Stand auf, dankte dem Mann und ging hinaus. Es war bitterkalt, aber die Luft tat gut, selbst wenn er das versoffene Geld nun merkte und ihm schwindelig wurde. Er hörte lachende Pärchen, und Grüppchen, weit entfernt. Jemand übergab sich. Eine Zigarette glimmte neben ihm auf. „Sie haben mich ganz schön dumm dastehen lassen.“, sagte er. Weiter nichts. Die Frau vom Tresen sah ihn nicht an, lächelte dann kurz. Er ging.
Nichts bis auf die Zahl hatte sich verändert. Nichts auch die Bar nicht. Und so schien es, auch nicht die Menschen, die sich darin befanden. Nein, nichts hatte sich zu etwas anderem verklärt, auch er selbst nicht. Und so feierte er diesen Abend, der den Tag seiner Geburt zum sechsundzwanzigsten Male verjähren ließ, ebenfalls alleine. Genau wie den letzten. Vielleicht war es ein gewisser masochistischer Genuss, sich an den selben grauenvollen Ort wie jedes Jahr zu begeben. Er wies das nicht von sich, wie menschlich war es, sich in seinem eigenen Leid zu ergötzen. Wie unmenschlich hingegen, sich nicht in seinem Ruhm zu sonnen. Schien so, als sei er irgendwas dazwischen. Seinen Ruhm jagte er getrost zum Teufel, aber das Leid, war etwas, was er ausleben wollte. Oh wie er starb. Er lächelte müde. Setzte sein Glas zum dritten Mal an. Trank. In diesem Brei, in diesem Zerrbild von Luft. War jemand überhaupt überlebensfähig in dieser Umgebung? Nun, er versuchte es gerade. Irrtum. Er feierte, dass er ein Jahr näher am Tod war. Ganz für sich, dieser Augenblick des Triumphes der Ewigkeit über die Endlichkeit, das war etwas, was man allein erleben musste. Ob sie auf ihn herabsah. Nein. Wohl kaum, wer war er schon, dass er zum Belang der Ewigkeit wurde. Er war jetzt schon nicht mehr existent in ihrem Begriff. Und die Musik war schlecht. Sehr sogar. In seinem Kopf die Melodie von „Sweet Misery“. Auch wenn sie ihm eher spottete, als süß oder anheimelnd zu sein. Sein Getränk schmeckte nach Seife. Er würde tapfer sein und es nicht ausspucken. Er spürte das ihn jemand ansah, wandte den Kopf nach rechts. Der Kerl sah weg, wurde hochrot und sah in sein Glas. Er seufzte. So was an seinem Geburtstag. Der Blick heftete sich abermals auf ihn. Er schüttelte nur den Kopf, stürzte den Rest des Alkohols hinunter. Frische Luft durchschnitt den Raum. Er bestellte abermals. Der Keeper schenkte aus. Die Zeit schien sich zu ziehen wie Kaugummi und klebte an seinem Gaumen, der sich trocken anfühlte. Die stickige Luft und der Alkohol ließen ihn schwitzen. Es war ihm egal. So egal, wie er auch anderen egal sein mochte. Denn auch hier, oder gerade hier, war er nicht mehr als nur ein Objekt und für die anderen mochte er allenfalls zur Dekoration gehören, denn anders als solche behandelten sie ihn nicht. Überhaupt schien sich hier jeder für den einzigen Menschen im Raum zu halten. Und die anderen? Sie waren nur interaktive Objekte, die in irgendeiner Weise zu reagieren hatte, wenn man es wollte, oder auch nicht, wenn man sie auch die falsche Weise bediente. Dass hinter dem Äußeren eines jeden dieser Objekte ein eigenes „Ich“ - Verständnis war, nun das schien keiner begriffen zu haben. Auch er selbst konnte sich dies nur schwer vorstellen, wie es sei, die Welt mit anderen Augen zu betrachten, als die seinigen. Verschiedene Assoziationen, unterschiedliche Meinungen. Es war schwer sich vorzustellen, dass man eine Meinung, die der eigenen immer entgegengestanden hatte, auch annehmen konnte. Die Arroganz des Alltags, sich für das einzig richtig denkende Wesen zu halten. Wer einem nicht folgte, der musste wohl... Nun den hielt man dann für einen Gegenspieler, der zu wissen hatte, dass sein Punkt falsch war, der dies aber, nur um ihn zu ärgern, nicht eingestand und somit ganz bewusst die falsche Position vertrat. Das „Ich“ hatte immer recht. Irrtum. Aber ein schöner. Er kippte den Inhalt. Pochen in seinem Kopf. Er war nicht fähig gewesen zugleich zu atmen. Konnten wohl die wenigsten. Bemerkte er mit grimmiger Befriedigung nicht der Einzige zu sein, der auf dieser biologischen Ebene versagt hatte. Er bemerkte, dass sie wieder neben ihm saß. Sie war mit frischerer Luft hereingekommen, die leicht nach Autoreifen roch. Ihr Parfüm war sanft und einschmeichelnd und sie trug dasselbe enge Kleid wie das Jahr zuvor. Sie hatte sich ebensowenig verändert, wie alles um ihn herum. Nicht einmal ihre Frisur war anders. Und sie war immer noch schön, betörend, schlank und groß. Wobei es sicherlich kein Kunststück war größer zu sein als er. Er bestellte sich noch einmal das Zeug, auch wenn es nach Seife schmeckte. Während sie sich eine Zigarette zwischen die Lippen klemmte ohne sie anzuzünden, wandte er sich an den Barkeeper. „Und spendieren sie der Dame neben mir einen Drink.“ Jener schüttelte stirnrunzelnd den Kopf. „Ihre Witze werden auch nicht besser.“, meinte er freundlich. Nahm das Getränk zurück. Und er selbst war nicht einmal überrascht, dass die Frau nicht mehr neben ihm saß. Er warf sich seine Jacke über die Schulter, nickte dem Mann hinter dem Tresen freundlich zu und ging. Die frische Nachtluft schlug ihm entgegen. Sie tat gut. Prickelte auf seiner Haut. Er hörte das rauhe ‚Pling‘ eines Feuerzeuges, leises Knistern, als neben ihm eine Zigarette angezündet wurde. „Sie machen das öfter, oder?“, fragte er lächelnd, doch es war mehr Feststellung als Frage. Er brauchte sich nicht umzuwenden, um zu sehen, dass auch sie lächelte. Er ging. Er war nicht einmal besonders erstaunt, als sie ihm folgte.
Er schloss leise die Wohnungstür hinter sich. Sie sprachen nicht. Jedes Wort zu viel mochte störend sein. Jegliche Romantik vernichten. Wenn es denn romantisch war. Denn konnte jemand Romantik definieren, ohne dabei an diverse Liebesfilme zu denken. Er war keiner jener Typen, die sich für besonders romantisch hielten. Er konnte noch nicht einmal sagen, ob er wirklich fähig war zu lieben, oder ob Liebe nicht nur ein anderer Begriff für einen ausgeprägten Fortpflanzungstrieb war. Überhaupt schien es doch eher schwierig Gefühle irgendwie zu erfassen, und wissenschaftlich zu betrachten, folgte doch eher Ernüchterung, auf diese Frage. Er war ihr nahe. Er küsste sie am Hals. Zu erniedrigt um sie auf den Mund zu küssen. Sacht und vorsichtig. Als könne sie doch nur ein Traum sein, der entschwindet, wenn er ihn zu schnell zu durchleben versuchte. Er verlor sie nicht, sie blieb. Eng umschlungen standen sie im Flur, so kahl, wie ein Straßenzug, die Kommode wie ein schlecht geparktes Fahrzeug. Sie war warm und weich und ihre Haut samten. Sicherlich. Er war auch nicht besonders erstaunt, als er am anderen Morgen die Betthälfte neben sich leer vorfand. Es verwunderte ihn ebenfalls nicht im geringsten, dass nichts fehlte. Er ahnte bereits, dass es ein weiteres Jahr dauern würde, bis er jene Person wieder sehen würde.
Tatsächlich nahm er die nächsten Monate nicht mehr mit, als bohrende Kopfschmerzen, Übelkeit und einen schalen, unangenehmen Geschmack auf seiner Zunge.
Er war erkältet und seine Glieder taten ihm weh. Hätte er Freunde gehabt, die mit ihm feiern würden, so wären sie wohl heute zu Hause geblieben, er selbst wohl eher auch. Aber er hatte Geburtstag. Sein Siebenundzwanzigster. Nun und immer noch sah die Bar aus, wie vor wenigen Monaten und somit wie vor einem Jahr. Der Inhaber war ein anderer, Bartender und Musik die gleiche. Er konnte nicht sagen, warum er hergekommen war, vielleicht aus dem selben morbiden Wunsch wie die Jahre zuvor, vielleicht weil er hoffte, dass Sie wieder kommen würde, oder sich eine andere brünette Dame zu einem Hauskaffee mit einem Zwerg, wie er es war, breitschlagen lassen würde. Er war krank und besoffen und abgefuckter denn je. Es war ihm egal. Jene selbstverliebte Gleichgültigkeit eines Egomanen, die er sich über Jahrzehnte hatte antrainieren lassen, sei es durch Schule oder durch Gesellschaft. Er kippte das Gebräu. Bitterkeit. Auf Zunge und Seele. Warum auch nicht? Es machte Spass sich selbst fertig zu machen. Auch wenn längst keiner mehr sagte, dass er gar nicht so schlimm sei und ihn doch trotzdem alle lieben würden. Überhaupt war dass ein großer Trugschluss, zu glauben, dass ihn einer seiner Freunde wirklich mögen würde. Der Mensch wurde toleriert solange keine Gefahr von ihm ausging. War dies nicht schon immer so gewesen? So bald Materielles, oder Existenzielles, wenn nicht beides das selbe war, auf dem Spiel stand, war es mit der Toleranz vorüber, sei es durch die Gesellschaft, oder durch eigenes Erleben ausgelöst worden. Der Mensch war einer der größten Fehler der Evolution, er ließ es sich nur nicht anmerken. Und so hatte er sich als das endgültige, hochtrabende Jahrmillionenwesen, das sich selbst die Krone aufgesetzt hatte und den wackligen Thron der Welt bestiegen hatte, um alles Leben auf seine Kosten zu unterjochen, auch an diesem Tag in die selbe Räucherkammer begeben. Sie war neben ihm. Es wurde zum Ritual. Wie immer. Ihr Geruch, ihr Haar, ihr Kleid, die Zigarette, nicht angezündet, in Luft aus Glas, mit interaktiven Objekten um sie herum.
„Ich liebe dich.“ sagte er. Und drängte sie sanft an die Wand des Hausflures. „Ich dich auch.“, meinte sie mit sanfter, rauchiger Stimme. Sie liebten sich, zweimal. Er machte ihr einen Antrag. Am nächsten Morgen war sie verschwunden. Hatte gesagt, sie würde es sich überlegen. Er war traurig, doch nicht überrascht.
Sie hatten damals im Mai geheiratet. Ein schönes Paar. Auch wenn sie sieben Jahre jünger war. Das Hochzeitskleid hatte ihr ausgezeichnet gestanden. Eine zierliche Asiatin, noch ein Stückchen kleiner als er. Sanftmut. Tiefbraune, fast schwarze Augen mit unergründlichem Glanz. Sie hatten zwei Kinder bekommen. Zwei Söhne. Er war siebenundvierzig, als sie abermals schwanger wurde. Es hatte Komplikationen gegeben. Sein jüngerer Sohn war nie über den Tod seiner Mutter und seiner ungeborenen Schwester hinweg gekommen. Das Telefonat, dass ihm sagte, er habe sich den goldenen Schuss gesetzt, war so unglaublich kalt gewesen. Und als fünf Jahre später sein Ältester bei einem Unfall ums Leben kam, da wusste er, dass er sich in die lange Reihe gescheiterter Persönlichkeiten einreihen würde. Ein Vater, der seine eigenen Kinder überlebte. Er erinnerte sich gerne an diese Zeiten der glücklichen Familie, zu kurz, aber schön. Sie waren nie wirklich glücklich geworden, er und seine Frau, aber sie hatten so getan. Erfüllt war diese Ehe trotz der Kinder nie gewesen. Und doch, sie hatte dazu gehört. Zu seinem Leben. Ein Leben auf das er mit dieser fürchterlichen Gleichgültigkeit und doch warmen Herzens zurückblickte, während er an seinem zweiundachtzigsten Geburtstag wie eine viel zu kleine Puppe mit faltigem Gesicht in dem großen weißen Krankenhausbett lag, die mandelförmigen Augen nur noch trübe und gebrochen an die weiße Decke blickten. Die Krankenschwester hatte ihm einen Kuchen mitgebracht. Sonst war er wie immer. Einsam. Er war noch nicht einmal besonders traurig. Die Tür wurde leise geöffnet und sie kam herein. Sie hatten sich lange nicht gesehen. Fünfundfünfzig Jahre. Sie war noch immer Mitte zwanzig, trug die Haare auf die selbe Weise, Kleid wie damals. Groß, schlank, schön. Sie hatte sich nie verändert. Und ihre Augen waren die selben. Etwas hatte sich verändert. Sie hatte an Deutlichkeit gewonnen. Und es wunderte ihn nicht.
„Ich habe lange über dich nachgedacht.“, meinte er schwach. „Wer du wohl bist. Ich weiß es und habe so lange auf dich gewartet.“ Er lächelte traurig. „Du bist nie gekommen.“
„Begleitest du mich?“, fragte sie und ihr Gesicht schien von innen heraus zu leuchten.
„Ja.“, sagte er. Seine Liebe zu ihr war ein Trugschluss gewesen. Stets eine Sehnsucht, nach der Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches. Er weinte, aber er merkte es nicht. Er hatte sie nie geliebt. Aber der Glaube er habe sie geliebt, hatte seine Sehnsucht verblassen lassen. Sie griff nach seiner dürren, faltigen Hand mit der pergamentartigen Haut. Er sah sie an. Wie sie leuchtete. Er war so unglaublich müde.
...
-end-
Kommentare gern gesehen... evtl. mehr davon... dieser art texte usw bla...
grüße
b
-
Mal wieder ein Text - mal was religiöses - ein wenig seltsam, war ne relihausaufgabe "stelle dir vor jesus würde heute noch leben" - ein hoch auf die esotherik - was soll's.
Jesus
Blau und weiß war dieses Plakat, blau und weiß und Jesus Lebt! Das stand da drauf. Jesus lebt. Er sitzt an der Bushaltestelle. Fast schon Humoristisch, dass ein Mann mit Schulterlangen Haaren, einem Bart und jener unnatürlichen Blässe, sich unter das Jesus lebt Plakat setzt. Eine ungeahnte Karikatur dessen, was darüber verzeichnet ist. Es fehlt der Schein, sicherlich, und geraucht haben mag Jesus auch nicht. Und eine Brille trug er auch nicht, möchte man meinen, ebenso wenig wie den etwas angestaubten Businessdress. Und er hat bestimmt auch nicht Nietzsche gelesen und Philosophie studiert, dieser Jesus. Ja, er hat wohl noch nicht mal so ausgesehen. Der Mann seufzte leise und klappte das Buch zu. Der Bus war zu spät. Er schüttelte den Kopf ob des in ihm aufkeimenden Unmutes und musste lächeln. Sich wegen dieser Alltagslappalie zum Zorne hinreißen zu lassen, war es nicht lächerlich. Er sah sich um, der graue Himmel spiegelte sich in der Pfütze, es würde wohl abermals regnen, der Himmel sah danach aus. Sicherlich er hatte nicht die Ewigkeit um auf den Bus zu warten, doch er würde erst in einer Stunde arbeiten müssen, warum sich also hetzen. Er lauschte auf die letzten Tropfen, die von den wassernassen Häuserkanten auf den schwarzdurchnässten Asphalt klatschten und auf den schummrig leisen Mozart, der aus einer der Fensteröffnungen der ihm gegenüber befindlichen Hochhäuser qualmte und die Luft wie fauler Samen zu schwängern vermochte, bis er sich in seinem schwarzen Jackett festgesogen hatte und ihm das Atmen zur Unerträglichkeit mit süffisanten, muffig, heiteren Notenplasma machte. Er blies aus, schnippte den Rest der Zigarette in einem sauber mathematischen Bogen in die Pfütze und erhob sich, das Portmonee zückend, denn er hörte das Brummen des Busses, entfernt, wie ein grunzend verwundetes Tier, das - mit der Pseudohoffnung auf Weiterleben in den Augen - keuchend und schnaufend um die Ecke bog, um mit einem Aufschrei der Resignation vor dem tristen Alltag, im Sinne des näherrückenden Verschrottens, stehen zu bleiben und kratzend sein Leute verschluckendes Maul zu öffnen, um sie an der rechten Station auszuscheißen.
Durch den Bus lief eine unsichtbare Wand, unheimlich trennte sie die Alten von den Jungen, die im Hinteren Abteil dieser Verkehrinstitution zu finden waren. Eine Wand der intergenerationären Kommunikationsunwilligkeit. Niemand sprach. Er setzte sich in die Mitte, sich niemand zugehörig zu fühlend, ebenso schweigsam, keine Moderation in seiner Haltung. Eine alte Dame stieg ein. Niemand stand auf. Hinten war noch ein Platz, doch dahin wollte sie nicht, zu holprig sei dies - es war ihr zu jung. Alle taten sie so, als sähen sie diese nicht, wie sie sich neben ihren Einkaufstüten an die Griffstange krallte, sahen geradeaus, aus dem Fenster. Als sei der Bus ein Kirchenschiff blickten sie alle in Richtung Steuerrad-Altar, wie unter Hypnose, doch einander sahen sie nicht. Er machte der Frau seinen Platz frei. Stellte sich an ihre Stelle, blickte nach draußen, stumm, ohne ein Wort, wie selbstverständlich. Niemand sah nach ihnen, als sie die Plätze tauschten. Draußen begann es zu regnen. Die Reise durch die Wasser, das Lebensspendend verflucht wurde, wollte man es doch fern vom Körper haben, nicht zurück in den Mutterbauch, nein trocken, nicht dieses Neofruchtwasser, was so ekelerregend kalt auf der Haut und in den Haaren sich verfing, akzeptieren, lieber sein Leben in der selbstgeschaffenen Trockenheit der Bürobetonwüste verbringen als hier, als dort draußen auch nur einen Tropfen abzubekommen. Die Aussteigenden verabschiedeten sich mit einem leisen Fluch auf Petrus, als habe er den Pflanzen den Regen nur versprochen um sie zu ärgern, regen sie sich auf, anstatt froh zu sein, das sich überhaupt etwas regt. Die Impotenz der kleinkarierten Bürokratie machte das Leben zu bequem um sich als Couchcowboy und Feinrippindianer noch über irgend etwas anderes zu erregen, als die Bade- und Untermode-Models im neusten Katalog von Versandgrößen. Ein Erregen außerhalb der Erektion war unvorstellbar geworden. Er war ausgestiegen. Erflucht – wenn sie auch nicht ihm gegolten hatten. Wenn man mit einem Bus fährt kommt einem der Ort, an dem man ankommt immer anders vor, egal ob man ihn nur Stunden zuvor verlassen hatte. Als habe er eine andere Identität angenommen, dieser Ort. So brachte ihn der Bus alsbald immer an ein unbekannt fremdes, lauernd kaltes Ziel, als habe man alles ausgetauscht, erkannte man ihn nicht mehr wieder, auch wenn die Namen und Formen die selben waren, der Seelenhauch der ihn nun umwitterte war ein anderer, als hätte sich ein großes Ungeheuer der zivilationären Entfremdung in die Kanalisation verkrochen und blies durch die Gullydeckel dampfenden, Übelkeit erregenden Brodem der Identitätslosigkeit, der maskenhaften Objektivität - schon mal gesehen, schon mal gehört, und doch unbekannt, als wie gerade erst getroffen. Die Zeit löschte die Bekanntschaft und so war auch er unmemorabel und identitätslos einer unter vielen unter tausend Stadtbewohnern, unter Milliarden Menschen im Garten Erden, der ungepflegt brach betoniert dalag.
Er arbeitete in einer Bar, eine stumpfe durch die Zigaretten verholzte Musik, berieselte den Raum in ertränkender Lautstärke, die in der Kommunikationslosigkeit der Smalltalk–Bedeutungsarmut auch dieses unnötig und überflüssig, verkorkt, versiegelt, begraben machte, ohne den Anschein des Auflebens, des Erstehens einer unverhältnismäßig wertvollen Redensart. Der Mann, der mit zerfurcht verrunzelter Stirn in sein Portmonee starrte und ein Wasser bestellte, sich nichts anderes Leisten könnte, schmeckte einen ordentlichen Jahrgang aufs Haus auf seiner Zunge, den er ihm brachte. Zugeweint, beschloss dieser das Leben zu hassen, den Barkeeper zu lieben – sich floskelhaft bedankend , als habe er einen Grund dafür gefunden und ihn erkannt.
Der nächste Tag war ebenso grau wie er es zuvor war. Alt sah er aus, grausam, dieser Tag, die Erde bepisste sich und er trieb dahin. Im Schwimmbad, lag auf der Wasseroberfläche, ein toter Mann. Trieb dahin wie sie alle in den unbedeutenden Gewässern der Gesellschaft wie ein Blatt, herbstlich ausgedorrt, im diesem gemächlichen Strom taumelnd dahinschwimmend, wo jeder Strudel kein gegen sondern mit dem Wasser ist. Ein kurzes aufbäumen bevor im Meer der Depression der gesamtsituationären Unzufriedenheit entsaufend. So war es ja nicht erlaubt gewesen, in der Gesellschaft unterzugehend, musste ein Wasserläufer oben treiben, bis er sich an seinem Wasser vollgesogen hatte, zum Wasser werdend, um andere Blätter mitreißen zu können. In einer unfarbigen Uniformität des Sandburgenbauens, verrieselnd vergehe, vernichtet. Er spürte jene Kälte um ihn herum, nicht festgelegt, ob sie von seiner Stellung in der Gesellschaft. Oder vom Wasser, so schlicht und simpel herrührte. Es ging den Bach runter, das Leben, zielstrebig doch ziellos, da unendlich. Warum auch nicht, gleichmäßig wellen schlagend, Resonanzen, die niemals entsprechend beantwortet wurden, als durch die Reflexion ihrer an den kanten der verwässerten Existenz. Glaubend daraus, aus dem eigenen Wunschdenken heraus eine antwort zu hören, auf die frage jenes erbärmlichsten Dasein, überwogte einen der Sturm der Zeit, und riss einen in die tiefen, einer anderen Bewusstseinsform. Er duschte, zog sich an und ging.
Er stand am Fenster und sah hinab. Vor dem kalten, kahlen Fenster. Das so leer schien, wie der Rest des Raumes. Man hörte oft, das Räume gefüllt werden, wenn Menschen da sind, das sie die Unendlichkeit der Kargheit auszufüllen wissen, durch ihre bloße Anwesenheit. Die Decke war schimmelig durch stetige Feuchtigkeit. Durch ihn jedoch schien der Raum noch leerer zu sein. Der Putz roch stumpf. Eine Matratze mit Isolationsmatte war sein Bett. In der Ecke stand ein kleiner Fernseher auf einem Holzschemel mit brüchigem Lack. Er und der billige Schwedische Softporno der gerade lief, waren die einzigen Beleuchtungsquellen in dieser Öde einer heimeligen Wüste. Regentropfen rammten sich die runden Köpfe am Fenster platt, so das ihr zerfetztes liquides Hirn konzentrisch zur Seite spritzte und hinunterrann. Die Welt weinte als bedauere sie sich selbst etwas wie den Menschen aus ihrem Schoß geboren zu haben, Kinder die nun ihre Gebärmutter Natur mit brachialer Gewalt zerrissen, und sie auffraßen bis kein Bluttropfen natürlichen Geistes vorhanden war. Und die Untergangssymphonie eingelullt in jene abstoßende Tristes und Monotonie eines ständigen Zyklus von Gasgeben und Bremsen, von wachen und Schlafen den nur ein Motorschaden unterbrach. Für anderthalb Sekunden stand die Welt still und schrie doch lauter als Fortuna auf ihrem Muschelchen blasen konnte. Er blickte hinab. Das Bild der Stadt vor ihm in eintöniger Dunkelheit. Dunkel, wie die Gesichter der Menschen. Die so wenig tief zu sein schienen, wie die schlecht geformter Puppen. Gesichtlose wackelnde Formen, die sich als schwammig aufgedunsener Mob durch die Straßen wälzte, zu ihren Arbeitsstädten in den farblosen Glastpalästen, in deren Angesicht sie winziger waren als Ameisen beim Anblick eines Elefanten. Verdammt dazu nur ein Sandkorn in der Wüste zu sein. Sandkörner mit dumpfdunklen Gesichtern, aus bröckeliger Modelliermasse geformt. Geboren, Leblos, tot. Als Freude ein wenig Alkohol, ein Witz im Fernsehen, eine Frau die willig die Beine spreizt oder der sensitive Mann, der jenes ominöse Kamasutra gelesen hat und seine Angetraute, oder bald Geschiedene in vielfacher Variation beglücken kann. Bis zu diesem Tag wo das Gehänge hängt und allesamt bemerken, dass das Leben eindeutig abgefuckt ist. Menschen, die sich als Einzellerhirne durch die Gesellschaft schoben, weil sie mehr als siebzig Jahre im durchschnitt wurden, nicht merkten, dass sie starben wie die Fliegen. Jesus Lebt! Der Alltag jedoch ist ein Kreuz, an das man sich selbst nagelt. Nageln, war ja eh Volksport. Vollkommen zugenagelt. Mit Scheiße beschmiert. Scheiße. Schönes Wort, haben alle lieb. Die letzten Autos schoben sich kriechend wie der letzte Drache die Straßen entlang, die wenigen beleuchteten Fenster wie die Engel der Schlacht, bereit sich auf ihn zu stürzen, bereit dabei unterzugehen.
Die Straßenlaternen wurden zu Fackeln, die den Weg zum omnikulturellen Golgatha, zur Kulturellen Schädelstädte, der warholschen Prophezeiung folgend, wiesen. Anzeigend, das der Weg der Hoffnung bald schon endet, doch die Hoffnung an diesem Punkt nicht nötig ist, ebenso wenig wie das Leid, in jener bösartigen offensichtlichen Tatsächlichkeit, die zerfleischend, wütend bestialisch sich auf den Ahnungslosen, doch ungläubigen stürzt. In der Ferne wurde das Gotteshaus angestrahlt, in blassen rot und Gelbtönen. Alle warteten auf das Wunder. Ein Gotteswunder. Wie sollten sie sich wundern, wenn sie Gott einsperren einpferchen, wie ein sich ungehörig betragendes Tier. Es ging nicht. Ein Baum zu weit beschnitten, treibt nicht mehr. Gott ging ein. Wundersam wunderlos. Bar jeder Wunder. Krankhaft jener Zynismus.
Nun stand er dem Gefängnis aus Granitblöcken gegenüber, sah sich das von außen so strahlende Ding an, wie etwas, was man schön pinselt, auch wenn’s innerlich durchrostet ist. In der Nähe war eine Bushaltestelle. Ein junger Mann saß dort in sich zusammengesunken wie ein Teddybär, den ein Kind aus Wut über sich selbst, in eine Ecke geworfen hatte ein gebrochenes jungen Männlein, in seinem Alter. Er setzte sich zu ihm, zündete sich eine Zigarette an. Der Junge sah er zu ihm, dann auf das Schild über ihm und dann wieder auf ihn. „Jesus Lebt!“, meinte er schmunzelnd. Jesus lächelte zurück. „Jesus lebt und raucht.“, sagte er. Der junge Mann nickte und seine Freundin war ja schwanger und Angst hatte er. Jesus sah es in seinen Augen. Ja, Angst hatte er vor Bindung, Angst davor nicht mehr rein raus zu können, Angst vor Verantwortung, Angst vor der Antwort. Die Frage, wie weit Zuneigung die Angst vor Verantwortung überwindet. Doch er stellte diese Frage nicht, saß nur da. Fraglosigkeit. Trotz der Unwissenheit. Nun schwiegen sie. Der Bus kam, der Mann stieg ein. Er lächelte zum Abschied. Antwortlos, doch sicher. Jesus nickte, er war fehl am Platze. Er stand auf, ging in sein Zimmer zurück, schaltete den Fernseher aus, und rauchte.
Am nächsten Tag ging er in einen Baumarkt bestellte zwei massive Bohlen und ein paar Nägel. So sei es. Alles ist nur eine kleine Wiederholung der Geschichte. Wahrhaft blind sind die, die Menschen leben lassen, deren Sinn darin besteht tot zu sein, als Mahnmal, als Sakrales Element. Er strömte dahin mit der gesichtlosen Wanderdüne, die sich dahin••••te ohne wirklich Neues zu erzeugen, bis sie an den Lampenfackeln vorbei zu ihrer eigenen multimedialen Apocalypse kamen, hervorragend vertont, durch die neuen Superstars mit einer Predigt aus Bohlens neustem Buch. „Der Weltuntergang ist kein Penisbruch“, Halleluja - er schlug sich einen Nagel durch die Hand.
b
Berechtigungen
- Neue Themen erstellen: Nein
- Themen beantworten: Nein
- Anhänge hochladen: Nein
- Beiträge bearbeiten: Nein
-
Foren-Regeln