Die Eltern kämpfen um die Idee der bedingungslosen Hoffnung. Sie haben bei dem Leid, das ihnen widerfahren ist, alles Recht dazu. Ich kann mir nichts Schrecklicheres vorstellen, als dem eigenen Kind beim Sterben zuschauen zu müssen. Aber dass der Junge in Bälde stirbt und auch aktuell noch höchstens am Leben erhalten wird, aber auch in seinen letzten Tagen und Stunden keine menschenwürdige Existenz führen kann, sind unausstreichbare Tatsachen. In Großbritannien gibt es in Ansätzen die Idee eines Rechts zu Sterben. Dieses Recht hat Alfie in seinem Zustand, und sowohl Ärzte als auch Juristen tun gut daran, dieses Recht zu verteidigen. Ja, auch gegen die Eltern. Und wenn der ewiglange Rechtsprozess nur dazu gedient hat, dass diese beiden Menschen keinen Moment ihres Lebens glauben müssen, sie hätten nicht alles getan, um ihren Sohn zu retten, und ihnen keinen Moment ihres Lebens der Gedanke begegnet, sie hätten ihrem Sohn das Leben genommen, weil sie irgendwann die Geräte abgestellt hatten, dann ist das Teil eines würdevollen Umgangs dieser Gesellschaft mit dem Wert von Leben und den menschlichen Schicksalen, denen dieses Rechtssystem dienen muss. Nichts davon hindert die Tatsache, dass das Kind einen würdevollen Tod verdient hat.
Und den kriegt es nicht, wenn es nach Italien verflogen wird, um dann dort noch weiter allerlei Prozedere unterzogen zu werden, die -- und selbst das wage ich anzuzweifeln -- seine Vitalfunktionen vielleicht verlängern; sein Leid aber in jedem Fall steigern. Und zwar dann nicht mehr um seines Rechts auf Leben willen, wie es seine Eltern sich wünschen, und nicht mehr um den Anspruch der Eltern willen, sondern um eines politischen Prinzips willen, um der katholischen Doktrin willen. Das schlimmste, was man diesem Kind jetzt noch antun kann, ist es für ideologische Augenwischerei zu instrumentalisieren -- was übrigens sogar schon geschehen ist. Ich bin dabei überzeugt davon, dass auch diese Kräfte nur am Wohl Alfies interessiert sind. Aber die Gemeinschaft, die für Alfie Verantwortung übernommen hat, das ist die Gemeinschaft, die gerade verordnet, ihn in Ruhe sterben zu lassen.
Diese Situation ist herzzerreißend. Sie es vor allem deshalb, weil sie etwas in uns anspricht, nämlich die Gewissheit, dass wir Himmel und Erde in Bewegung versetzen würden, um die Menschen, die wir lieben, nicht zu verlieren. Jeder, der in seinem Leben schon einmal mehr als nur das eigene Körpergewicht gegen den Boden gespürt hat, wird nichts anderes können als tiefes Anteil an diesem Schicksal zu nehmen. Aber gerade all das macht es so wichtig, dass die Gemeinschaft -- in diesem Fall vertreten von Ärzten und Juristen -- Alfies Rechte auch gegen die eigenen Eltern durchsetzt: Denen ist nicht zuzumuten, aus dieser Situation heraus den Tod ihres Kindes hinzunehmen. Und gerade all das macht die politische Einmischung besonders Italiens ausgesprochen gefährlich.
Und ich glaub, es war in etwa diese Verwicklung, die Gendrek mit der Einseitigkeit ansprach. Ein guter Mensch, wie du, Cuzco, nimmt Anteil am Schicksal der Eltern, am Schicksal Alfies. Manchmal vergisst man bei dieser Anteilnahme das große Ganze mit einzudenken; das kann man auch nicht immer; da liegt ein kleiner Junge im Sterben, da ist die Weltpolitik erstmal völlig egal. Aber unsere Gesellschaften haben Institutionen und Prozesse eingerichtet, die das für uns übernehmen, damit wir als gute Menschen trauern und Anteilnehmen können. Auch Alfie hat salomonisches Recht verdient.
Ich wünsche den Eltern, dass sie in ihrem Kampf irgendeinen Trost gefunden haben. Ich kann mir vorstellen, dass zwei so starke Seelen ein wunderbares Kind in die Welt geliebt hätten.