Squall lächelte. „Keine Ursache!“, erwiderte er.
Plötzlich hörte er, wie jemand langsam Beifall klatschte. Vandell trat aus den Schatten, dicht gefolgt von Hyne. „Ich habe mich schon gefragt, wie lange ihr noch braucht.“, meinte er. Er legte einen Arm um Hyne und lächelte die zwei an. „Ich habe mich ohnehin schon gefragt, wie zwei verwandte Seelen wie ihr so zerstritten sein können.“
Cifer lachte. „Verwandte Seelen? So ein Quatsch. Unterschiedlicher könnten wir kaum sein!“
„Das stimmt nicht.“, widersprach ihm Hyne. „Ihr beide wollt immer der Beste sein. Ihr beide würdet für eure Freunde alles tun. Und ihr beide habt schon oft euer Leben riskiert, um das eurer Hexe zu schützen.“ Cifer zuckte beim letzten Satz zusammen. Oh ja, er hatte oft sein Leben für Artemisia riskiert, auch als sie noch in Edeas Körper eingedrungen war. Und er hatte jedes Mal versagt.
Squall wechselte schnell das Thema. „Wir sollten jetzt aber wirklich verschwinden!“ Hyne nickte und führte die kleine Gruppe durch die endlosen Gänge des Raumschiffes. Sie fand sich mit einer traumwandlerischen Sicherheit zurecht, die darauf hinwies, dass sie schon sehr oft an Bord dieses Raumschiffes gewesen war. Vereinzelt trafen sie auf Wächter, die jedoch nicht lange genug überlebten, um Alarm zu schlagen. Als die riesige Halle mit der Rampe sichtbar wurde, über welche die Hexenritter ins Raumschiff eingedrungen waren, wurde Hyne nervös.
„Es ist viel zu einfach!“, murmelte sie.
Und wie auf ein Kommando erschien ihr Vater in einer Explosion goldenen Lichts. Er lächelte kalt. „Du dachtest, du könntest mir entkommen?“, fragte er mit einer Stimme, die einen Vulkan zum Gefrieren bringen könnte. Er schüttelte den Kopf.
„Du hast ja keine Ahnung, wie oft ich dich schon töten hätte können. Dich und deine... Menschenfreunde!“ Hyne starrte ihm geradewegs in die Augen.
„Warum hasst du mich so sehr?“, fragte sie leise.
Das schöne Gesicht ihres Vaters verzog sich zu einer hässlichen Fratze. „Warum?“, brüllte er. Seine Augen funkelten. „Warum ich dich hasse?“ Er machte einen Schritt auf sie zu und blieb wieder stehen, als Vandell drohend sein Schwert hob. Er musterte den Ritter eingehend, bevor er sich wieder Hyne zuwandte.
„Ich werde es dir sagen! Du hast mir immer nur Sorgen bereitet mit deinen... gefühlsduseligen Anwandlungen! Ich wollte dich zu einer guten Königin erziehen. Aber du hast dieses Geschenk zurückgewiesen!“ Er holte tief Luft. „Du hast ja keine Ahnung, wie viele Frauen Trevor liebend gern zum Mann gehabt hätten! Aber du, du Miststück musstest dich ja mit mir messen!
Der gesamte Adel lachte mich deinetwegen aus! Die Tochter von mir, König Gareth, die Thronfolgerin, eine zukünftige Königin, die Gefühle hat? Lächerlich!“ Er spuckte das Wort förmlich aus. „Ich habe deine Kapriolen lange geduldet, weil du Glynas Tochter bist. Aber als du diesen Sklaven befreit hast, hast du den Bogen überspannt! Ich habe dich hierher geschickt, weil ich dir eine Chance geben wollte, dich zu mir zu bekennen. Aber du kleines verzogenes Gör erschufst dir einfach diesen... Bastard zum Gefährten und spieltest dich als Göttin auf! Aber ich werde es nicht länger dulden, dass du den Namen meines Hauses beschmutzt!“
Eine Kugel aus goldenem Licht löste sich urplötzlich von seiner Hand und raste auf Hyne zu. Hyne unternahm nichts, um den Angriff abzuwehren, sondern blieb wie angewurzelt stehen. Im Gegensatz zu ihrem Vater hatte sie Skrupel, Magie gegen ihr eigenes Blut einzusetzen.
Vandell nicht. Er war mit einem Hechtsprung an ihrer Seite, und noch im Sprung streckte er die Hand nach Hynes Vater aus. Eine silberne Lichtkugel traf die goldene knapp, bevor sie Hyne erreichte, und löschte sie völlig aus. Vandell kam mit einem Handstandüberschlag wieder auf die Beine und stellte sich mit gezogener Waffe schützend vor sie. Squall und Cifer wollten ihm zu Hilfe eilen, aber Vandell bedeutete ihnen mit einer herrischen Geste, sich nicht einzumischen.
„Ich schaffe das schon!“, sagte er. „Passt auf Hyne auf!“ Hyne erwachte aus ihrer Erstarrung. „Nein! Er wird dich...“, schrie sie entsetzt, aber Vandell verschloss ihre Lippen schnell mit einem zärtlichen Kuss. „Ich werde nicht sterben!“, flüsterte er eindringlich. „Bitte, geh zu Squall und rühre dich nicht von der Stelle. Ich werde schon mit ihm fertig!“ Hyne brach in Tränen aus. „Nein, das wirst du nicht!“, schluchzte sie. „Du hast ja keine Ahnung, wie viele Menschen er schon getötet hat!“ Sie klammerte sich an ihn, aber Vandell schob sie sanft weg. „Ich habe dich nicht nach so vielen Jahren wieder gefunden, nur um jetzt zuzusehen, wie du von ihm verschleppt wirst!“, sagte er ernst. Gareth lachte.
„Du solltest lieber auf sie hören! Sie mag ja Gefühle haben, aber sie ist nicht dumm. Du bist mir hoffnungslos unterlegen!“, höhnte er. Vandell sah über die Schulter zu ihm zurück. „Halt die Klappe!“, zischte er. Gareth starrte ihn fassungslos an. Vandell kümmerte sich nicht um ihn. Er sah Hyne tief in die Augen und küsste galant ihre Hand, ehe er sich zu Gareth umdrehte, der inzwischen vor Wut schäumte. Noch immer weinend schlich Hyne zu Squall und Cifer, die den Kampf im Schutz eines der zahlreichen Tunnels beobachteten.
Vandell hielt seine Waffe locker in der rechten Hand. Er wirkte sehr entspannt, während sich Gareth ihm gegenüber aufbaute. „Du willst mich also herausfordern, Mensch?“, fauchte er. Um seine Hände tanzten Lichtfunken. Seine Augen blitzten. Vandell nickte gelassen. „Ich werde nicht erlauben, dass du Hyne mitnimmst.“, sagte er laut. Gareth legte den Kopf in den Nacken und lachte. „Du wirst es nicht erlauben? Nun, ich hatte eigentlich auch nicht vor, dich um Erlaubnis zu bitten, Dummkopf!“, höhnte er. Vandell lächelte dünn. Er packte sein Schwert mit beiden Händen und rief: „Dein Geschwätz ermüdet mich. Bringen wir es hinter uns!“
Gareth deutete eine Verbeugung an und fragte hämisch grinsend: „Welche Waffen dürfen wir benutzen?“ Vandell lächelte ebenfalls. „Ich möchte mich hier nicht festlegen. Wie es Euch beliebt, Milord!“, meinte er mit einer spöttischen Verbeugung.
Gareths Grinsen verschwand abrupt. Er schloss die Augen und konzentrierte sich. Seine Hände bewegten sich langsam nach oben. Er verharrte einen Moment in dieser Stellung, dann nahm er die Hände ebenso langsam wieder herunter. Die Farbe seiner Kleidung wechselte zu einem dunklen Rot. Nach einer weiteren Handbewegung lag plötzlich ein Schwert in seinen Händen, das nur aus Licht zu bestehen schien. Er griff an.
Vandell erwartete seinen Angriff ruhig. Die Waffen der Kontrahenten prallten mit furchtbarer Wucht aufeinander. Gareths Waffe sprühte Funken, als sie den harten Stahl Soulkillers berührte. Vandell löste sich schnell von seinem Gegner und ging zum Gegenangriff über, den Gareth spielend abwehrte. Er zog sich rasch wieder zurück und begann, Vandell mit schleichenden Bewegungen zu umkreisen. Vandell ließ sich nicht einschüchtern. Er hob seine Waffe etwas und stach ein paar Mal nach Gareth, der geschickt auswich. Nun begann Gareth, Vandell mit schnellen Hieben einzudecken. Vandell schlug einen Salto, der ihn aus der Reichweite seines Gegners brachte.
„Du kämpfst gut!“, meinte Gareth anerkennend. Er grinste bösartig. „Aber nicht gut genug!“, fügte er hinzu. Seine freie Hand zuckte vor und machte eine kompliziert aussehend Geste. Er ballte die Hand zur Faust und machte eine Bewegung in Vandells Richtung, die so schnell war, dass man sie eher erahnte als wirklich sah! Vandell hob abwehrend die Hände, als eine Druckwelle auf ihn zuraste. Dicht vor ihm wurde die Druckwelle umgelenkt und raste nun auf Gareth zu, der verblüfft die Hand wieder öffnete. Die Druckwelle löste sich auf.
„Wie hast du das gemacht?“, schrie er zornig. Ohne auf eine Antwort zu warten, stürzte er sich wieder auf Vandell, der seinen blitzschnellen Angriffen nur mit Mühe ausweichen konnte. Die beiden Gegner wurden zu huschenden Schemen, die sich so schnell bewegten, dass man ihnen kaum folgen konnte. Nur hie und da konnte man Vandells Waffe aufblitzen sehen, oder Gareths Lichtschwert. Beide Kontrahenten kämpften mit einer Geschicklichkeit, die kein Mensch in einem Leben erreichen konnte. Und ihre Schnelligkeit ließ sogar Xells Final-Heaven alt aussehen.
Schließlich trennten sich die Kämpfenden wieder voneinander. Keiner der Beiden konnte im Schwertkampf einen Vorteil erringen. Gareth warf sein Schwert in die Luft, worauf es spurlos verschwand. Widerstrebend ließ Vandell Soulkiller in die Scheide gleiten.
„Weißt du...“, meinte Gareth nachdenklich, „... da du meinen Thronerben getötet hast, brauche ich Ersatz für ihn.“ Er musterte Vandell anerkennend. „Wärst du nicht interessiert?“
Vandell spuckte auf den Boden. „Niemals!“, rief er wütend. Seine Stimme verriet aber auch Erschöpfung. Schweißperlen standen auf seiner Stirn, während Gareth noch immer frisch und ausgeruht zu sein schien.
Gareth schüttelte den Kopf. „Du weißt nicht, was du da ablehnst! Du wärest nach meinem Tod der Herrscher über sechs Planeten! Und du könntest Frauen und Macht haben, mehr als du brauchst!“ Vandell ballte die Hände zu Fäusten. „Ich brauche keine Frauen und Macht. Die einzige Frau, die ich will, ist Hyne!“ Gareth seufzte bedauernd. „Nun, aber sie wäre Gift für dich, mit ihren rebellischen Gedanken. Diese Verbindung könnte ich nicht erlauben.“ Er versuchte noch einmal, Vandell zu überreden. „Aber denke doch nur an die Macht, die du erlangen würdest! Deine Skrupel könnte ich dir leicht austreiben!“ Vandell schwieg eisern. Seine Augen funkelten wütend. Gareth schüttelte wieder den Kopf. „Du bist ein verliebter Idiot!“, lachte er spöttisch. „Glaubst du denn wirklich, Hyne würde sich in einen Mann wie dich verlieben? Ha! Für sie bist du nichts weiter als ein Spielzeug!“ Er lachte. Vandell sah bestürzt zu Hyne, die ihren Vater mit großen Augen anstarrte. Sie wusste offenbar, was er vorhatte. „Nein!“, wimmerte sie, aber sie konnte es nicht verhindern. Squall und Cifer stützten sie rasch, als sie zusammenzubrechen drohte.
Gareth hob noch immer lachend eine Hand. Die Luft zwischen ihm und Vandell flimmerte, und allmählich zeigte sich ein Bild, das Vandell nur zu gut kannte: Die unterirdische Stadt. Der Platz der Schöpferin war zu sehen. Das Bild verschwamm und bildete ein neues: Vandell sah sich selbst, wie er die Tür zum Schlafgemach der Schöpferin bewachte. Erinnerungen stiegen in ihm hoch und drohten ihn zu ersticken. Er konnte sich aber nicht von dem Anblick abwenden, der sich ihm bot.
Die Tür des Schlafgemaches öffnete sich. Hyne trat heraus. Sie wirkte etwas abwesend, als hätte sie Drogen genommen. Sie war sehr leicht bekleidet; sie trug nur einen dünnen Bademantel, und Vandell starrte sie mit großen Augen an. Squall und Cifer verfolgten die Szene mit wachsendem Entsetzen. Der echte Vandell taumelte und fiel auf die Knie, ohne seinen Blick von der Szene abzuwenden, während der andere Vandell demütig den Blick senkte und Hynes Befehle erwartete.
„Schaff ihn hier raus.“, befahl Hyne abwesend und deutete auf den Mann, der hinter ihr das Zimmer verließ. Vandell nickte gehorsam und packte den Mann, der sich heftig wehrte. Er schleifte den Mann zum Ausgang und versetzte ihm einen Stoß, der den Mann fast zu Boden gehen ließ. Als Vandell sich umwenden wollte, rappelte sich der Mann auf und schrie wie von Sinnen: „Wie kann sie mich einfach so rauswerfen lassen? Das kann diese kleine •••••••• doch nicht mit mir machen!“ Vandell erstarrte und drehte sich langsam wieder um. Einige Schaulustige blieben stehen, um zu sehen, was hier passierte.
„Was hast du gesagt?“, fragte Vandell mit einer Stimme, die Squall einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Der Mann in der Szene schien aber nicht zu begreifen, wie gefährlich die Situation für ihn wurde. Er beschimpfte Hyne einfach weiter, bis Vandell sein Schwert zog und ihn enthauptete. Seelenruhig schob Vandell das Schwert wieder in die Scheide und deutete auf einen Mann in der Menge. „Du! Schaff diese Schweinerei hier weg!“, befahl er tonlos. Dann drehte er sich um und verschwand wieder im Palast der Schöpferin. Die unsichtbare Kamera folgte ihm. Als er wieder bei Hynes Schlafzimmer angekommen war, atmete er tief durch und klopfte. Als Hyne die Tür öffnete, wurde er sichtlich nervös. Er erhaschte einen Blick auf das Innere des Zimmers. Das Bett war völlig zerwühlt, und Hynes Kleider lagen auf dem Boden verstreut herum. Sie trug noch immer nur den dünnen Bademantel. „Was ist los?“, fragte sie müde. Vandell wagte erst nicht zu antworten, dann sagte er: „Euer chat’laà... er hatte einen kleinen Unfall.“ Hyne wandte sich achselzuckend wieder ab. „Unfälle passieren!“, sagte sie nur. Dann schloss sie die Tür wieder.
Die Szene verblasste. Gareth lachte wieder. „Sie wird dich genauso fallen lassen wie diesen Unglückseligen!“, kicherte er. Vandell hielt sich die Ohren zu und schüttelte den Kopf. „Nein! Nein! Hör auf!“, schrie er mit überschnappender Stimme. Gareth lachte nur noch lauter.
„Warum? Verträgst du die Wahrheit nicht? Sie ist eine kleine ••••, und wenn sie dich nicht mehr interessant findet, wird sie dich fallen lassen!“ Vandell schloss die Augen.
„Sieh dir doch nur einmal an, welche Männer sie schon vorher um den Verstand gebracht hat!“, kreischte Gareth irre. Ein neues Bild entstand. Hyne saß scheinbar gelangweilt auf einem Bett. Sie trug ein dünnes Kleid aus Seide und schien auf etwas zu warten. Oder auf jemanden.
Plötzlich tauchte ein Mann auf. Er war wohl sehr verängstigt.
„Was willst du von mir?“, fragte er mit zitternder Stimme. Hyne setzte ein betörendes Lächeln auf. „Denk genau nach.“, schnurrte sie. „Ich bin hier alleine und warte schon seit Stunden auf dich. Was könnte eine schwache Frau wie ich schon von einem starken, jungen Krieger wie dir wollen?“ Sie erhob sich und umarmte den jungen Mann. Der schob sie weg und flüsterte: „Hör auf! Du weißt, dass ich in zwei Tagen heiraten werde.“ Hyne lächelte. „Was denn? Du ziehst diese Bürgerliche mir vor? Mir, der Prinzessin? Außerdem...“ Sie öffnete die Spange, die ihr Kleid an der Schulter zusammenhielt. „...wenn ich nicht bekomme, was ich will, werde ich gesprächig. Und du willst doch nicht, dass unsere... Affäre bekannt wird. Was würde deine Verlobte sagen?“ Sie lachte und legte ihre Arme um die Schultern des Mannes. Der stöhnte und schloss die Augen. Hyne küsste ihn. „Na also. So ist’s brav.“
Die Szene verblasste wieder. „Siehst du?“, meinte Gareth. „Sie war einfach nur auf deinen Körper aus, weiter nichts. Und ich bin mir sicher, sie hatte schon hunderte bessere Liebhaber als dich. Warum sollte sie bei dir bleiben wollen?“
Hyne schrie auf. Sie stürzte aus ihrem Versteck hervor und ließ sich neben Vandell auf die Knie fallen. Bestürzt bemerkte sie, dass er weinte. Sie hatte nie gewusst, dass ihre Liebhaber ihn so sehr verletzt hatten!
„Ist es wahr?“, flüsterte er. Hyne nahm sein Gesicht zwischen beide Hände und zwang ihn, sie anzusehen. „Nein!“, sagte sie fest. „Ich liebe dich wirklich! Ich weiß erst seit heute Nacht, was Liebe ist... du hast es mir gezeigt... Vandell.“ Vandell senkte den Blick. „Aber wie kann ich dir glauben?“, fragte er verzweifelt. „Ich habe so oft mit angesehen, wie du mit deinen chat’laà umgegangen...“ Hyne küsste ihn sacht. „Du bist aber kein chat’laà! Du bist mein del’catá... mein Ritter...“, sagte sie leise.
Gareth verzog das Gesicht und unterbrach sie unwirsch. „Genug!“, schrie er zornig. „Das ist ja grauenhaft! Ich hätte nie gedacht, dass die Menschen hier so... verseucht sind von Gefühlen!“ Er hielt plötzlich einen langen Stab in der Hand. Er breitete zornig-rote Flügel aus und schwebte auf einmal einen Meter über dem Boden. Goldene Lichtfunken sprangen von dem Stab auf ihn über. Er wirbelte einige Male herum und machte komplizierte Gesten mit den Armen und den Händen. Die Luft um ihn flimmerte. Etwas materialisierte sich vor ihm. Es sah aus wie ein Drache, auch wenn Squall noch nie einen solchen Drachen gesehen hatte. Er war ein prächtiges Geschöpf, stolz und mächtig. Seine Schuppen glänzten golden, ebenso wie seine Augen. Der Drache nahm eine lauernde Haltung ein. Sein langer, beweglicher Schwanz peitschte hin und her. Neben diesem Drachen sahen die größten Rumbrum-Drachen wie kleine Eidechsen aus.
Zufrieden ließ sich Gareth wieder auf den Boden sinken. „Los, mein Baby! Zeig es ihnen!“, brüllte er vor Vorfreude beinahe überschnappend. Der Drache brüllte zustimmend und erhob sich in die Luft. Vandell riss Hyne weg und wich dem ersten Angriff im letzten Moment aus. Als er wieder etwas zu Atem gekommen war, knurrte er verärgert: „Jetzt reicht es!“ Er löste die Kette von seinem Hals und hielt sie hoch. Der Griever-Anhänger leuchtete kurz auf. Im selben Moment spürte Squall, wie sein eigener Anhänger kurz glühend heiß wurde und wieder erlosch. Hastig zerrte er die Kette hervor und betrachtete sie genauer. Cifer schrie plötzlich erschrocken auf und zog hastig seinen Mantel aus. Auf seinem rechten Oberarm erkannte Squall überrascht eine Tätowierung, die wie sein Anhänger aussah. „Was war das, verda...“ Cifer brach überrascht ab, als der Boden vor Vandell und Hyne zu leuchten begann. Squall erinnerte sich schaudernd an den Kampf gegen Artemisia. Damals hatte sie aus diesem Portal Griever beschworen, der dann gegen Squall und seine Freunde gekämpft hatte.
Doch dieses Mal stand Griever auf seiner Seite!
Der riesige Löwe wand sich aus dem leuchtenden Loch im Boden und brüllte laut auf. Aber anders als damals, als Squall gegen ihn gekämpft hatte, hatte sein Fell eine silbrig-graue Farbe. Alles, was Vandell zauberte, schien silbrig zu sein.
Dieser Griever war anders als der, den Squall besiegt hatte. Er war größer und furchteinflößender, als Squall ihn in Erinnerung hatte. Seine Augen waren bodenlose, schwarze Seen, aus seiner Kehle erklang ein leises Knurren, als er den Drachen musterte. In seinen dunklen Augen erkannte Squall etwas wie eine uralte Intelligenz.
Dies war der wahre Griever, erkannte Squall. Die G. F., die Artemisia gerufen hatte, war nur eine plumpe Nachahmung gewesen. Dieser Löwe strahlte eine Aura von Macht und Stärke aus, die in Squall das Gefühl gab, er wäre unbesiegbar.
Gareth schnaubte verächtlich. „Griever? Lächerlich! Er hat keine Chance gegen Ashkrad!“, höhnte er. Vandell richtete sich auf. „Wir werden sehen!“, sagte er.
Wie auf ein Kommando stürzten sich die gewaltigen Kreaturen aufeinander. Griever gelang es als erster, seinen Gegner zu verwunden, doch der Drache Ashkrad setzte sofort einen Hieb nach, der Griever an der Schulter verletzte. Der Löwe brüllte vor Schmerz laut auf. Er bewegte seine Löwenpranken wie normale Hände und formte eine weiße Energiekugel, die er dem Drachen entgegenschleuderte. Der Drache wurde mit voller Wucht getroffen und wankte. Aber er fing sich schnell wieder und sprang Griever an. Er brachte den Löwen zu Fall und schnappte nach dessen Kehle. Seine dolchartigen Zähne bohrten sich tief in Grievers Hals. Griever schüttelte ihn ab und schleuderte wieder eine Energiekugel, doch diesmal verfehlte er Ashkrad. Der Drache öffnete sein riesiges Maul und stieß einen seltsam menschlich wirkenden Schrei aus. Einige goldene Ringe bildeten sich vor ihm in der Luft und rasten auf den verwundeten Löwen zu. Griever sprang hoch, um den Ringen auszuweichen, doch einer streifte ihn an einem der Hinterläufe. Die restlichen rasten weiter und explodierten, als sie die gegenüberliegende Wand erreichten. Ashkrad schrie wieder, diesmal jedoch etwas schriller, und aus seinem Maul zuckten schwarze Blitze, die Griever nur um Haaresbreite verfehlten.
Plötzlich kreuzte Griever seine wie menschliche Arme anmutende Vorderläufe vor der Brust. Squall erinnerte sich schaudernd daran, wie er von einem „Schock-Pulsar“ um ein Haar getötet worden wäre. Der Drache bekam diesen Schock-Pulsar jetzt zu spüren. Weißes Licht umgab ihn, und er wurde emporgehoben, bis er aus Squalls Blickfeld verschwand. Nur ein kurzes Aufblitzen am Himmel zeugte davon, dass der Drache gerade den stärksten Angriff von Griever über sich ergehen lassen musste. Als Ashkrad wieder auftauchte, schwankte er heftig und wäre beinahe umgefallen. Im letzten Moment fing er sich wieder. Ashkrads Augen funkelten, als er wieder sein Maul öffnete. Diesmal schrie er aber nicht; nein, er fing an zu sprechen!
„Warum tust du das, Griever?“, grollte er. „Du warst einmal mein bester Schüler! Wir kämpften einst Seite an Seite! Warum hilfst du nun diesen schwächlichen Menschen?“
„Du hast uns verraten!“, brüllte Griever zurück. „Du dienst denen, die wir einst bekämpft haben! Du bist eine Schande für unsere Rasse!“ Ashkrad knurrte verärgert. Er stieß wieder einen Schrei aus, diesmal jedoch tiefer als vorher. Schwarzes Licht (es war das erste und letzte Mal in seinem Leben, dass Squall schwarzes Licht sah) raste auf Griever zu, der nicht mehr ausweichen konnte. Das Licht hüllte ihn ein und schien ihn von innen her aufzufressen. Griever brüllte erneut vor Schmerz, doch sein Brüllen wurde immer schwächer, bis es schließlich erstarb. Griever fiel schlaff zu Boden und blieb still liegen. Vandell, Cifer und Squall schrieen beinahe gleichzeitig auf.
Vandell presste die Hände an die Schläfen und schrie weiter, als hätte er selbst Schmerzen. Offenbar hatte er eine enge geistige Bindung zu Griever gehabt. Er brach zusammen und holte einmal Luft, nur um wieder vor Schmerz zu schreien. Hyne berührte ihn erschrocken an der Schulter, doch er schlug ihre Hand einfach weg. Squall und Cifer liefen zu ihm, aber sie wussten nicht, wie sie ihm helfen sollten. Vandell krümmte sich auf dem Boden und brüllte noch immer seine Schmerzen in die Welt hinaus. Urplötzlich war es vorbei. Er lag völlig still da und rührte sich nicht mehr. „Nein!“, kreischte Hyne verzweifelt. Sie bettete seinen Kopf in ihren Schoß und weinte. Sie versuchte, ihn mit Magie wieder zum Leben zu erwecken, doch es nutzte nichts. Squall versuchte, einen ‚Erzengel’ auf ihn zu sprechen, doch der Zauber funktionierte ebenso wenig wie die Phönixfeder, die Cifer warf. Hyne strich immer wieder über Vandells lebloses Gesicht. Sie achtete nicht auf ihren Vater, der sich am anderen Ende der Halle wieder aufrichtete. Offenbar hatte er eine ähnliche Bindung zu Ashkrad wie Vandell zu Griever. Durch Ashkrads schwere Verletzungen war er sehr geschwächt. Trotzdem richtete er sich auf und lachte.
„Ich sagte doch... dass er keine... Chance hat!“, keuchte er. Ashkrad kauerte noch immer auf dem Boden und funkelte die kleine Gruppe von Menschen an, die sich um den vorlauten Mann, der Griever beschworen hatte, versammelt hatte.
Squall sprang wütend auf und wollte sich schon auf Gareth stürzen, als er eine bekannte Stimme hörte.
„Warte kleiner Mensch! Dies ist unsere Aufgabe.“ Squall sah sich erschrocken um. „Odin?“, rief er verwundert. Gleich darauf erschien Odin zwischen ihm und Ashkrad, der Anstalten gemacht hatte, sich auf ihn zu stürzen. Und Odin war nicht allein!
Hinter ihm wurden die anderen G. F. sichtbar. Shiva stand friedlich neben Ifrit, Alexander stapfte neben Doomtrain herum. Auch Bahamut, Eden, Diabolos und alle anderen waren da. Viele andere, die Squall nicht kannte, wurden ebenfalls sichtbar. Die riesige Halle schien noch größer zu werden, um den G. F. Platz zu machen.
Odin drehte sich zu Ashkrad um. „Du Verräter wagst es, hierher zurückzukehren?“, donnerte er. Ashkrad duckte sich, als hätte Odin ihn geschlagen. „Verfluchter! Vergaßest du, was ich dir verkündete?“, fuhr Odin zornig fort. „Nun wirst du sterben für deinen Verrat! Du hast gegen deinen eigenen Schüler gekämpft und mein Gebot verletzt! Dafür gibt es nur die eine Strafe!“ Squall blinzelte überrascht. Er hatte nicht gewusst, dass Odin eine so mächtige G. F. war! Sogar Ashkrad musste sich seinem Urteil beugen.
Ashkrad aber funkelte Odin triumphierend an. „Aber wie willst du dein Urteil vollstrecken, Odin? Ich sehe dein Schwert nicht!“, grollte er. Odin wirkte ein wenig verunsichert.
Plötzlich verschwand das Raumschiff. Alle befanden sich auf einer unendlich großen Ebene. Ein strahlend blauer Himmel spannte sich über die Landschaft. Wie aus dem Nichts fielen vier Schwerter vom Himmel. Squall spürte Begeisterung in sich hochsteigen. „Gilgamesh!“, schrie er. Tatsächlich erhob sich zwischen den Schwertern Gilgameshs massige Gestalt. Doch anders als sonst packte er keines der Schwerter, um seine Gegner zu vernichten. Statt dessen nahm er behutsam den ‚Eisenschneider’... und hielt ihn Odin hin.
„Dies verlorest du, mein Bruder.“, ertönte eine Stimme aus dem Tuch, dass sein Gesicht verbarg. Ohne eine Miene zu verziehen, nahm Odin seine Waffe entgegen. „Ich danke dir, Bruder!“, erwiderte er schlicht. Sofort sah er wieder zu Ashkrad, der versuchte, sich aus dem Staub zu machen.
„Verräter! Nun erhältst du deine Strafe!“, brüllte er dem Drachen zu.
Die Hölle brach los.
Nacheinander griffen alle G. F. den goldenen Drachen an. Der brüllte immer wieder auf, wenn eine Angriff einer G. F. vorbei war. Schließlich packte Gilgamesh seine drei verbliebenen Schwerter Masamune, Excalibur und Excalipoor, um mit allen dreien zuzuschlagen. Als letzter griff Odin an. Mit einem lauten Brüllen stürzte er sich auf den Drachen. Er schlug so oft und so schnell zu, dass Squall es aufgab, mitzuzählen.
Das Brüllen von Ashkrad hörte abrupt auf. Der Drache war tot.
Odin wandte sich Squall zu.
„Nun, mein kleiner Ritter, leb wohl. Und bedenke, ich werde immer zur Stelle sein, wenn du Hilfe ersehnst!“ Er wollte sich umdrehen, aber Squall schrie ihm nach: „Warte!“ Odin drehte sich wieder um.